Heiraten oder brennen, Teil I
Mein Buch Homosexualität gibt es nicht habe ich nicht in der Absicht geschrieben, die Existenz der gleichgeschlechtlichen Liebe zu bezweifeln, auch nicht ihre natürliche Berechtigung, und noch weniger wollte ich sie verurteilen. Ich habe dieses Buch gegen ihre politische und ideologische Instrumentalisierung geschrieben – nicht »gegen das Leben«, wie manche argwöhnen werden, sondern im Gegenteil, um das Leben gegen Politik und Ideologie zu verteidigen. Die Spannung zwischen Normalität und Abweichung, das Problem einer »Besonderheitsidentität« (Odo Marquard), hätte sich prinzipiell auch an einer anderen Spannung zwischen Ich und Welt zeigen lassen. Auf die eine oder andere Weise bleibt die Erfahrung des Abgrunds keinem Menschen erspart, ganz unabhängig von seiner Sexualität. In jedem Fall hätte mein Grundgedanke gelautet, dass solche Spannungen sich nicht einseitig auflösen lassen, dass die Aufgabe des Lebens darin besteht, sie zu halten und zu transformieren, aber nicht darin, ihnen durch Leugnung der unbequemen anderen Seite zu entfliehen. Denn diese Flucht ist immer eine Fiktion.
Es geht darum, dass der Versuch, die Familie für die Homosexualität »zu öffnen«, mit der großen Versuchung einhergeht, reale Voraussetzungen des Familienlebens zu verleugnen: die Abhängigkeit von der Zweigeschlechtlichkeit und die Tatsache, dass Kinder ihre leiblichen Eltern brauchen. Diese Verleugnung verwandelt sich in Zumutungen gegenüber Kindern, die unter solchen Bedingungen gezeugt werden und aufwachsen müssen. Das geschieht nicht in jedem Einzelfall, aber besonders dort, wo es um den Anschein homosexueller Fruchtbarkeit geht. Zwar ist es möglich, Homosexuellen ein Recht auf Familie einzuräumen. Aber das, was sie auf diesem Wege bekommen, ist etwas anderes als es die Familie bis dahin war. Das objektive Problem besteht nicht darin, dass Homosexuelle nur Menschen ihres eigenen Geschlechts begehren, dass sie »bei sich bleiben«. Das kann ein subjektives Problem sein, aber es ist für sich genommen und solange es privat bleibt, noch kein Problem der Gesellschaft oder des menschlichen Lebens im allgemeinen.
Zum Problem für die anderen wird es erst, wenn die Illusion einer Verträglichkeit erzeugt wird, die in Wirklichkeit nicht existiert. Am Verlangen nach einem »Recht auf Kinder« zeigt sich, dass eine gleichsam maßgeschneiderte Fertilität, die dem homosexuellen Leben angepasst wird, nicht mehr das ist, was wir als Elternschaft im Rahmen von Ehe und Familie oder auch nur als Elternschaft von Mann und Frau kennen. Es entsteht eine neue Form von Elternschaft, die diesen Namen nur eingeschränkt verdient, weil sie den Kindern entweder ein Elternteil entzieht oder ihm mehr Eltern zumutet, als es tatsächlich hat und verkraften kann. In Wirklichkeit findet keine Familiengründung, sondern eine Allokation von Fragmenten dessen statt, was wir bislang Familie nannten, eine Zuweisung von »Einzelteilen« an Bedürftige, ohne dass daraus das Ganze im Vollsinn des Wortes Familie entstünde.
Da die Homosexuellen offenbar nicht aufgefordert werden dürfen, sich den bislang notwendigen Bedingungen einer Familiengründung anzupassen, passt man die Familie an die Homosexualität an. So entsteht eine partielle Familie, ein familienähnliches Konstrukt. Obwohl es nicht das ist, was es vorher war, trägt es verwirrenderweise denselben Namen. Aus dieser Illusion eines echten Äquivalents entsteht sodann eine »neue Norm«, wie der französische Philosoph und Theologe Bertrand Vergely sagt. Warum gleich eine Norm? Paradoxerweise deshalb, weil die faktisch fortbestehende Abhängigkeit von der Funktionsweise der alten Norm, der herkömmlichen Familie, nicht aufhört. Weil die Abhängigkeit von der Komplementarität der Geschlechter und von der Zeugung durch Mann und Frau nicht nur nicht aufhört, sondern zugleich verdrängt und entwertet wird, um die Illusion perfekt zu machen. Die Anhänger der neuen Norm leugnen den Wert der alten – wie ein Erwachsener, der vom Geld seiner Eltern lebt, aber so tut, als wäre er längst selbständig. Damit entwertet er das Ansehen echter Selbständigkeit, die zugleich immer noch die materielle Grundlage seines Daseins ist. Die gesellschaftlichen Probleme beginnen, sobald sein »Lebensmodell« öffentlich beworben wird. Von diesem Zeitpunkt an betrifft es alle.
Die Tücken beginnen mit dem Heraustreten aus dem privaten Bezirk, mit der Forderung nach voller gesellschaftlicher Anerkennung und Gleichheit. Es ist gar nicht so leicht, das auch gegenüber der Forderung nach einer homosexuellen »Ehe« nachzuweisen. Dieser Nachweis fehlt bislang. Das Problem ist nämlich noch nicht die Gleichgeschlechtlichkeit als solche – wenn sie denn privat ausgelebt würde und wenn die Erfüllung der Erwartungen, die ein gleichgeschlechtliches Paar verständlicherweise an die Gesellschaft haben mag, der konkreten Auseinandersetzung mit jeweils konkreten Personen überlassen bliebe, wie das früher der Fall war. Heute aber wird die Erfüllung der Erwartungen »top down« organisiert, auf dass die guten Gaben von der Spitze des Staates in die Niederungen des Alltags herabregnen mögen. Auch hier lautet die Illusion, dass etwas bislang Unverträgliches allein durch den guten Willen aller verträglich gemacht werden könnte. Das mag subjektiv, für die Seite der Homosexuellen, sogar stimmen. Ein schwules oder lesbisches Paar, das sich nichts mehr ersehnt, als zum Standesamt zu gehen oder vor den Altar zu treten, mag durch die Erlaubnis, es zu tun, am Ziel seiner Wünsche ankommen. Aber diese Ehe ist nicht mehr die Ehe, die sie einmal war. Die »neue« Ehe ist, wie die neue Familie, nicht mehr die alte.
Warum fällt das kaum noch jemandem auf? Warum stört das fast niemanden mehr? Weil die Auffassungen, die in der Öffentlichkeit von der Ehe kursieren (unabhängig von ihrer Verträglichkeit mit der Homosexualität), so falsch, flach und unernst sind, dass sie auf alles Mögliche passen könnten. Sie sind so unbestimmt und allgemein, dass auf dieser Grundlage wirklich nichts dagegen spräche, auch homosexuellen Liebespaaren die Hochzeit zu erlauben. Der Entschluss, regelmäßig beschworene »Werte« wie Verbindlichkeit, Ehrlichkeit oder Zuverlässigkeit paarweise »zu leben« oder der Wille, es so lange miteinander auszuhalten, »wie es eben passt«, ist ja nichts Schlechtes. Er ist aber noch kein hinreichendes Kriterium für die Ehe, und das Auffällige an der ganzen Debatte ist, dass das Programm Homo-Ehe meist nur die Benachteiligung der Homosexuellen beleuchtet und nicht die Anforderungen, die ein Institut der Ehe mit sich bringen würde, das diesen Namen auch verdient – und zwar jenseits der Zweigeschlechtlichkeit. Wer den Homosexuellen die Heirat mit dem Argument verwehrt, dass sie nicht Mann und Frau sind, reduziert das Problem auf ein isoliertes, vermeintlich äußerliches Kriterium, das dann umso leichtfertiger beiseitegeschoben wird.
Selbst alles bisher Genannte zusammengenommen – die Verliebtheit, die Zweigeschlechtlichkeit und den Vorsatz, »Werte zu leben« ‒ wäre kein hinreichendes Kriterium für eine Eheschließung. Das Wesen der Ehe ist gerade nicht die öffentliche Anerkennung einer Leidenschaft, sondern das öffentlich beglaubigte, bedingungslose Ja zu einem anderen Menschen. Dieses Ja ist natürlich eine Paradoxie, weil es für das ganze Leben gesprochen wird, gerade so, als würde das frischgebackene Ehepaar im Korb eines Heißluftballons davonfliegen, aus dem es nie wieder aussteigen kann. Dieses Ja, das die »Bühne der Zwei« öffnet (Alain Badiou, Lob der Liebe), ist eine zweifellos abenteuerliche Konstruktion, die noch dazu in einer Krise steckt, deren wahre Gründe wir vermutlich gar nicht kennen. Möglicherwiese hat aber diese Krise etwas mit unserer Einstellung gegenüber der Ehe zu tun, mit einem gedanklichen oder emotionalen Fehlschluss, der durch die Erfindung der Homo-Ehe nicht geklärt oder aufgelöst, sondern verstärkt wird.
Salopp gesagt, können wir gern noch einmal über die Homo-Ehe sprechen, sobald wir die Ehe als solche gerettet haben. Bis dahin würde ich sagen: eins nach dem anderen. Denn im Augenblick steht eine unausgesprochene Hoffnung im Raum, die das Problem eher vergrößert. Manche scheinen wirklich zu glauben, dass, wenn wir die Probleme homosexueller Menschen lösen, indem wir ihnen die Ehe »öffnen«, auch alle anderen in ihrer Beziehungsnot davon profitieren könnten. Von dem Versuch, die letzten Diskriminierungen zu beseitigen, versprechen sich viele Fürsprecher des Projekts Homo-Ehe offenbar auch mehr Lebendigkeit für die Liebe im allgemeinen. Wenn »Homosexualität« mit dieser Hoffnung auf Vitalisierung belegt wird, dann ist sie eine Chiffre für die schicksalhafte Liebe als solche, denn was wäre schicksalhafter als eine homosexuelle Neigung? – Eine transsexuelle. Und schon wird darüber nachgedacht, die Pubertät von Kindern, die in ihrer geschlechtlichen Identität verunsichert sind, medikamentös so lange hinauszuzögern, bis die Frage geklärt ist und sie sich vielleicht wirklich »umwandeln« lassen wollen. Das Modell für die schicksalhafte Liebe wird jedenfalls nicht mehr der Liebe von Mann und Frau abgerungen, die wie zwei Königskinder feindlichen Welten angehören, nicht zueinander kommen und ihre radikale Dualität am Ende liebend überwinden. Dieses Problem gibt es im liberalen Europa nicht mehr. Es fehlt uns, und nun suchen wir Ersatz.
Aus »Homosexualität gibt es nicht« von Andreas Lombard, Berlin (Edition Sonderwege) 2015
Lesen Sie den zweiten Teil auf »Freie Welt« am 18.03. (Fr). Die dritte Folge erscheint dann am 22.03. (Di).
Kommentare zum Artikel
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Was wird aus den Kindern? Ich hätte nicht als Kind von zwei Frauen aufwachsen wollen. "Männer sind anders Frauen auch" heißt ein Buchtitel." Stimmt. Ich selbst erlebe immer wieder. wenn ich mich unterhalte: Mit -einem- Mann mich unterhalten geht. Wenn es zwei Männer sind und ich als Frau dabei bin, komme ich schwer dazwischen. Die Männer haben andere Themen. Sie unterhalten sich ganz anders miteinander.
Kinder brauchen das Pendant der Gegengeschlechtlichkeit der Eltern in ihrer Entwicklung.
Für ein Mädchen ist nicht nur die Mutter wichtig, sondern auch der Vater und andersherum für eine Jungen nicht nur der Vater, sondern auch die Mutter.
Bei der ganzen Diskussion müssen wir auch an die Kinder denken. Im Moment steht die Selbstverwirklichung von Männern und Frauen im Mittelpunkt.
Wo bleiben die Kinder?
@Freigeist
In diesem Artikel (von mir) finden Sie kurze Schilderungen der Kindheitserfahrungen von 3 Frauen die vaterlos von lesbischen "Eltern" großgezogen wurden: http://www.andreas-unterberger.at/2016/01/gleichgeschlechtliche-elternschaft-aus-kinderperspektive/
Milli Fontana, die mittels Samenspende gezeugt wurde, schildert auf Youtube ausführlich wie sich die absichtlich herbeigeführte Vaterlosigkeit auf sie verletzend auswirkte: https://www.youtube.com/watch?v=7g4vphO1SkE
Ha, noch was !
Dieses Hartz 4 System ist übrigens bereits längst voll durchgegendert.
Eine Mutter (völlig egal ob allein erziehend oder wie auch immer) ist immer eine Arbeitssuchende - genauso wie jeder Mann.
Und Mutterschaft ist ein Vermittlungshemmnis.
Wenn sie dieses "Problem" nicht beseitigen kann oder will (z.B. zur Adoption frei geben) wird ihr Existenzminimum ebenfalls gestrichen !
Ah, ich vergas noch zu erwähnen:
In Harz 4 bleibt man auch nur so lange, wie man sich für diese sog. "Jobcenter" rechnet.
Wenn nicht (mehr) landet man auch in Obdachlosigkeit - oder teilweise neuerdings in Frührente (einige Jobcenter mach das zur Zeit - glaub ich).
Und das natürlich völlig ungeachtet dessen, ob diese Rente dann für die Miete usw. reicht !
Die Krise der Ehe (jede zweite oder so wird geschieden) liegt an dem Gott, dem die Menschen in der sog. westlichen Welt dienen.
Es ist der Mammon - und nicht Gott.
Die Ehe ist eine Erfindung Gottes (siehe: 1. Mose 1; 27 / 1. Mose 2; 23-24 und nochmal in 1. Mose 5; 2)
Dem Mammon wird in dieser "westlichen Welt" im Grunde alles untergeordnet.
Was sich nicht oder nicht mehr rechnet, muss abgestoßen werden.
Und was sich rechnet - und wie lange - bestimmt im Kern die Federal Reserve System US-Bank (FED).
Man muss sich in dieser Welt eine Ehe leisten können.
Man muss sich sogar und erst recht Kinder leisten können (früher, ja früher bedeuteten Kinder Reichtum !).
Ja man muss sich sein Leben überhaupt leisten können !
Ansonsten landet man auf Harz 4 - bestenfalls !!
@ MamaPapa
"Was ist es an Gottes Schöpfung, dass ihnen nicht passt?"
"Gott!" So würde ein Atheist, wie Freigeist, darauf antworten.
"Mein Buch 'Homosexualität gibt es nicht' habe ich nicht in der Absicht geschrieben, die Existenz der gleichgeschlechtlichen Liebe zu bezweifeln, auch nicht ihre natürliche Berechtigung..."
Worin besteht ihre "natürliche Berechtigung"? Wenn Homosexualität Teil der Natur und damit 'erblich' wäre, wäre sie - natürlich - schon lange ausgestorben...!
Nur so am Rande, um den Blick zu schärfen...
Die Homo-Ehe ist ein Ausdruck unserer gesellschaftlichen Dekadenz und eine exhibitionistische Ausdrucksform von Wichtigtuern.
Es ist lediglich ein Steuersparmodell.
Zuneigung kann auch ohne Öffentlichkeit erfolgen. In diesem Fall geht es nur ums Geld.
Ein Recht auf Adoption darf diesen Paaren lediglich von Jugendlichen über 16 Jahren zugebilligt werden. Kinder sind doch kein Vieh!
Spaßgesellschaft, ist unsere moderne Lebensform.
Wenn Gleichgeschlechtliche zusammen leben und auch noch Verantwortung für sich übernehmen, in Ordnung.
Aber, eine vollkommene Gleichstellung mit der Familie ist unmöglich. Die Keimzelle des Lebens ist nicht die gleichgeschlechtliche Partnerschaft, sondern die Familie und die ist besonders zu fördern.
Ein Adoptionsrecht, damit sich Gleichgeschlechtliche, auch noch ein Kind zulegen um es zelebrieren zu können, ist für mich undenkbar und abzulehnen.
Ausnahme ist, wenn bereits ein Kind bei einem Teil existiert.
Ja, aber lesbische Mutter-Pärchen sind eben klar im Väter-Nachteil. – Die Kinder müssen diesen ausbaden und ins Leben mitschleppen, nicht das Pärchen. Insofern bleibt es egoistisch motiviert, wie vieles in unserer Alles-was-medizinisch-möglich-ist-ist-gut-Welt, wenngleich als Sehnsucht verständlich.