TTIP – Freihandelsabkommen

Hände weg von unserem Essen!

Amerikaner wissen nicht, was sie essen. Denn in den USA gibt es keine Kennzeichnungspflicht. Das wollen wir in Deutschland nicht!

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Mündige Bürger und verantwortungsbewusste Verbraucher wollen wissen, was sie essen. Seit Jahrzehnten haben sie im Verbraucher- und Umweltschutz für neue Maßstäbe gekämpft. Das Bewusstsein für Umwelt und gesunde Ernährung ist mittlerweile in allen gesellschaftlichen Milieus angekommen.

Hormonbehandeltes Rindfleisch, geklonte Milchkühe und genmanipulierte Getreideprodukte stoßen in Deutschland auf Ablehnung. Das hat gute Gründe: Warum sollen sich EU-Bürger als Versuchskaninchen für umstrittene Lebensmittelprodukte missbrauchen lassen? Warum sollen unsere Kinder über die Nahrungskette mit Hormonen gemästet werden? Welche Eltern wollen ihr Kind mit Babybrei füttern, in dem chlordesinfiziertes Hühnchenfleisch und genmanipulierter Mais beigemengt ist?

Doch nun sollen die hohen Standards aufgeweicht werden. Denn mit dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen Nordamerika und Europa, auch TTIP („Transatlantic Trade and Investment Partnership“) genannt, werden zugleich Verbraucherschutzrechte und wichtige Elemente unserer Demokratie ausgehebelt.

Horrorszenario auf Hühnerfarmen – War der Kampf umsonst?

Wir erinnern uns: In regelmäßigen Abständen flimmerte der Schocker über unsere Fernsehbildschirme. In vielen Hühnerställen sieht es schlimmer aus als im Saustall. Eingepfercht in engsten Käfigen können sich die Tiere nicht bewegen. Sie hacken sich gegenseitig zu Tode, rupfen sich die Federn aus oder ersticken im eigenen Mist. Angeekelt von den Horrorzuständen wurden viele Fleischkonsumenten zu Vegetariern.

Die Reportagen über große Hühnerfarmen hatten sowohl die Verbraucher als auch die Tierschützer wachgerüttelt. Mit großer Mühe haben sie in den letzten Jahren Kennzeichnungspflichten eingeführt. Dabei ist hier gar nicht mal von artgerechter Haltung und freilaufenden Tieren die Rede. Es gilt ja schon als Fortschritt, wenn die Hühner sich einmal um die eigene Achse drehen können oder mit gesundem Tierfutter ernährt werden. Immerhin hat man beim Kauf von Hühnereiern die Wahl, indem man auf die entsprechenden Kennzeichnungen schaut.

Und in den USA? Dort ist es sehr viel schwieriger, die Verhältnisse auf den Hühnerfarmen zu überprüfen. Es gibt keine strengen Regeln zur Hygiene und zur artgerechten Haltung. Die amerikanischen Verbraucher bleiben in der Regel im Unklaren darüber, wie die Hühner gehalten werden.

Besonders umstritten ist die Hühnchenfleischproduktion. Die Hygienezustände auf den Hühnerfarmen werden in Amerika nicht in gleichem Maße überprüft wie in Deutschland. Aus amerikanischer Sicht macht das nichts, denn sie werden anschließend im Chlorbad desinfiziert. In Europa sind solche Methoden untersagt – bis jetzt.

TTIP: Verbraucherschutz ade?

Zugegeben: Hormonfleisch und Chlorhühnchen sind aktuelle Schlagworte, wenn es darum geht, die Konsequenzen des TTIP vor Augen zu führen. Es ließen sich noch viele andere Beispiele dafür anführen, wie sehr sich die US-amerikanische Lebensmittelkultur von der europäischen unterscheidet.

Tatsache ist, dass viele landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland unter ganz anderen Vorraussetzungen und Bedingungen arbeiten als die US-amerikanischen Lebensmittelkonzerne. Und dabei muss man noch nicht einmal an den Biobauernhof im Nachbardorf denken.

Fragen über Fragen

Barack Obama und Angela Merkel haben sich mehrfach emphatisch für das TTIP ausgesprochen. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin sagte die Bundeskanzlerin: „Beiderseits wäre es auch ein Bekenntnis zu einer globalen Welt, in der gemeinsame Werte, auch gemeinsame wirtschaftliche Aktivitäten sich besser gestalten lassen. Und deshalb liegt mir persönlich sehr viel an diesem Freihandelsabkommen.“

Die Mehrheit der Mainstream-Medien hüllt sich in Schweigen oder berichtet nur sporadisch über das geplante Freihandelsabkommen.

Dabei wirft das Procedere rund um das TTIP wichtige Fragen auf:

Warum wird hinter verschlossenen Türen verhandelt? Wo bleibt die Transparenz? Warum berichtet die Presse so dürftig darüber? Warum gibt es keine öffentliche Diskussion? Wo bleiben die parlamentarischen Debatten? Warum gibt es keine Volksabstimmungen? Wieso haben nur der EU-Handelskommissar, das US-Handelsministerium und die Industrielobbyisten Zugang zu den Verhandlungen? Warum wird den Bürgern der Einblick verweigert? Warum haben nicht einmal Parlamentarier der einzelnen EU-Länder Zugang zu den notwenigen Detailinformationen? Warum sind Abgeordnete und bürgerliche Interessensvertreter zu Stillschweigen verpflichtet, wenn man ihnen Einsicht in Verhandlungsunterlagen gewährt?

Wie sehr versucht wird, mittels TTIP internationale Konzerninteressen durchzusetzen, wurde in einer Folge der Sendung Report München des Bayrischen Rundfunks deutlich gemacht. Interessant ist der Endkommentar, in dem darauf hingewiesen wird, dass die EU-Kommission die Mitgliedstaaten in einem internen Schreiben dazu auffordert, „führenden Medien nur die positiven Seiten des Freihandelsabkommens zu vermitteln“.

Freihandel heißt nicht freier Handel

Wer glaubt, beim TTIP handele es sich lediglich um ein Abkommen zur Überwindung von Zoll- und Handelsschranken, der irrt. Vielmehr geht es um den Abbau vieler Errungenschaften, die sich die Gesellschaft im Laufe der Jahrzehnte hart erkämpft hat: Verbraucherschutz, Umweltschutz, Kennzeichnungspflichten bei Lebensmitteln, Datenschutzregelungen und Arbeitnehmerrechte.

Für die multinationalen Konzerne sind dies Handelshemmnisse. Es ist schon jetzt absehbar, dass am Ende ein Kompromiss ausgehandelt wird, bei dem US-amerikanische und europäische Konzerne ihre jeweiligen Interessen miteinander abgeglichen haben. Kleinunternehmer oder mittelständische Betriebe werden hier nicht gefragt. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass viele Freihandelsabkommen zu Kapitalflucht, Standortverlagerungen, Nachteilen für regionale Märkte und zu Einschränkungen des demokratischen Mitspracherechtes der Bürger geführt haben. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, dass den US-Unternehmen große Gewinne, aber den Bauern und mittelständischen Betrieben in Mexiko große Nachteile gebracht hat.

Entmündigte Bürger, entmündigte Nationen

Was wir erleben, ist ein Experiment. Wir können in Echtzeit beobachten, ob wir noch in einer funktionierenden Demokratie leben oder in einer monopolistischen Plutokratie angekommen sind.

Einer der wichtigsten Aspekte des TTIP ist nämlich, dass künftig Staaten, in denen die Bürger via Volksentscheid oder demokratischer Einflussnahme für mehr Verbraucher- und Umweltschutz stimmen, die aber spezifischen Auflagen des TTIP widersprechen, vor internationalen Schiedsgerichten verklagt werden können.

Ein solches Schiedsgericht ist das „International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID)“ in Washington. Stehen Streitigkeiten im Kontext von bilateralen Investitionsschutzabkommen an, wird dieses Schiedsgericht angerufen.

Konzernrecht und Investorenschutz auf Steuerzahlers Kosten!

Wenn die Schiedsgerichte zugunsten eines multinationalen Konzerns entscheiden, muss der jeweilige Staat dem entsprechenden Unternehmen Schadensersatz für entgangene Gewinne bzw. für Investorenverluste bezahlen. Dieses Geld muss schließlich vom Steuerzahler aufgebracht werden.

Konkretes Beispiel: Wenn wir auf demokratischem Wege Gesetze gegen Gen-Mais beschließen, müssten die deutschen Steuerzahler Schadensersatz an entsprechende US-Firmen zahlen, denen dadurch Gewinne auf dem deutschen Markt entgehen.

Im Grunde schlägt das TTIP in dieselbe Kerbe wie der Bankenrettungsschirm: Internationale Investoren wollen ihre Investitionen um jeden Preis gesichert wissen. Als Absicherung dient das Steueraufkommen der jeweiligen Bevölkerung. Das ist Sozialismus für Reiche. Was das mit Demokratie zu tun hat, mag jeder für sich selbst beantworten.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: torben hoffmeister

Glückwunsch ! Dieser Artikel könnte tatsächlich aus den Redaktionsstuben des NABU stammen, strotzt er doch nur so vor Panikmache einer Spendensammelorganisation. Ich zitiere mal sinngemäß Joachim Müller-Jung von der FAZ, der sich schon 2013 mit den „Deutschen Standards“ auseinandergesetzt hat und den Kern aus Sicht eines Wissenschaftsredakteurs so ziemlich gut trifft: Bei den verbraucher- und risikopolitischen Standards hat sich Deutschland in der Tat europäisch hochgearbeitet in der Rangliste der Staaten, die das Vorsorgeprinzip radikal umdeuten: Gefährlich ist nicht, was wissenschaftlich als gefährlich ermittelt wurde, sondern was die Mehrheitsmeinung für gefährlich hält.“ Und die Mehrheitsmeinung in diesem Land wird leider nicht von der Wissenschaft geprägt, sondern von nicht demokratisch legitimierten Spendensammelorganisationen mit überhöhtem Medieneinfluss, die ein großes Interesse an Skandalisierungen haben. Für einen Webauftritt, der sich „die freie Welt“ nennt, ist ein solcher Artikel beschämend, unterschlägt er doch, dass ein freier Handel nicht nur Unternehmen (na und ?) nutzt, sondern auch der allgemeinen Wohlstandssteigerung. Aber es ist doch zu verlockend in den mainstream einzustimmen „small ist beautiful“ und öko ohnehin – passt eigentlich nicht so richtig zu der Europa- und Energiewende-kritischen Stimmung hier.

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