Großbritannien diskutiert weiter über Feminizid

Zwei britische Ärzte haben weiblich Föten abgetrieben, weil sie weiblich waren. Die Staatsanwaltschaft sah kein Grund einzuschreiten. Jetzt diskutiert das Land über Feminizid.

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Sie trieben ab, weil die Föten weiblich waren – und die britischen Strafverfolgungsbehörden wollten die beteiligten Ärzte dafür nicht belangen. Seitdem diese Entscheidung ruchbar geworden ist, diskutiert Großbritannien über Feminizid, und jetzt hat sich das Gesundheitsministerium entschlossen zu handeln. Unmittelbarer Anlass für das Ministerium ist die Rechtfertigung der Staatsanwaltschaft (Crown Prosecution Service) mit einer Handreichung der British Medical Association (BMA), der zu Folge es Umstände gebe, »in denen die Beendigung der Schwangerschaft wegen des Geschlechts des Fötus gesetzmäßig« sei.

Damit will sich das Ministerium nicht zufrieden geben. Anna Soubry, die bis letzten Montag Gesundheitsministerin war, hat ihren obersten Rechtsberater (Attorney General) um eine Stellungnahme gebeten. Sie – beziehungsweise ihr Nachfolger Jeremy Hunt – will zukünftig »klare Anweisungen und Hilfestellungen für Ärzte geben, um zu verhindern, dass es wieder zu solchen Vorfällen kommt«.

In der Handreichung der BMA heißt es, dass es »normalerweise unethisch« sei, »eine Schwangerschaft allein wegen des Geschlechts des Fötus zu beenden, außer bei schweren Störungen (disorders), die mit dem Geschlecht in Zusammenhang stehen.« Bei der Entscheidung müsse »gleichwohl sorgfältig berücksichtigt werden«, wie sich die Mutterschaft auf die Frau auswirke, insbesondere welche »Folge das Geschlecht des Fötus auf ihre Situation und ihre schon vorhandenen Kinder« habe.

Keir Starmer hatte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft getroffen hatte, die Ärzte nicht strafrechtlich zu belangen, und ihn war dieser Hinweis der BMA genug. Damit sei eine »rechtliche und ethische Rechtfertigung« für eine Abtreibung gegeben gewesen, sagte er. Der Abgeordnete David Burrowes sieht hier jedoch ein viel grundsätzlicheres Problem. Er befürchtet eine Erosion des Gesetztes, vielleicht sogar des Rechtsstaats. Er sagte: »Die Entscheidung des Chefs der Strafverfolgungsbehörde hat zur Folge, dass die Ahndung von Straftaten, die im Zusammenhang mit Abtreibung stehen, unwahrscheinlich wird.«

Starmer hatte seine Entscheidung damit begründet, dass die Ärzte Standesrecht unterlägen und die betreffenden Fälle noch von der Aufsicht, dem General Medical Council (GMC), geprüft würden. Diese Auffassung stieß beim GMC allerdings auf Widerspruch; man fühle sich nicht berufen, hieß es, die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden zu erledigen. Und Starmers Amtsvorgänger Lord Macdonald sagte, es sei doch reichlich merkwürdig, »dass ein Experte der Strafverfolgung entgehen kann, bloß weil er Standesrecht unterliegt. Alle sollten vor dem Gesetz gleich sein, und das schließt natürlich auch Experten ein.«

Darüber hinaus fragen sich Beobachter, welchen Geltungsanspruch das Strafrecht noch haben kann, wenn es im Ermessen von Ärzten liegt zu entscheiden, wann eine Abtreibung legal ist und wann nicht. Der Abgeordnete Burrowes erklärte, es gebe deshalb »dringenden Bedarf für eine Stellungnahme, die klärt, ob die Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit im Abtreibungsgesetz (Abortion Act) inzwischen bedeutungslos sind.« Und Lord Macdonald wies auf den in der Diskussion ansonsten eher nicht ausgesprochenen kulturellen Faktor hin, indem er bemerkte, man begebe sich auf einen »gefährlichen Pfad«, wenn man, wie sein Statement vom Telegraph referiert wurde, »erlauben würde, dass kulturelle Befindlichkeiten die Entscheidung über eine Strafverfolgung beeinflussen würden«.

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Gravatar: B. H.

Die Krokodilstränen vieler Politiker über die Flüchtlingstragödien und -tode (siehe Lampedusa) sind angesichts der unzähligen Abtreibungstode in den Ländern Europas ein einziger Grund zur Wut.

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