Porträt Olli Rehn

Gar nichts klar beim Kommissar

Die Liberalen treten bei den Wahlen zum EU-Parlament mit EU-Kommissar Olli Rehn als »Spitzenkandidaten« an. Doch der bleibt letzten Endes nur der Bürokrat, der er auch ist.

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Es bedarf keines Beleges, wie weit sich die Europäische Union im Laufe der Zeit von den Bürgern ihrer Mitgliedstaaten entfernt hat. Bedürfte es eines solchen, böte die Entwicklung der Beteiligung an der Europawahl einigen Aufschluss: Gingen in Deutschland im Jahre 1979 noch 65,7 Prozent der Berechtigten zu den Urnen, waren es 2009 lediglich 43,3 Prozent. In den übrigen Ländern der Gemeinschaft ist die Tendenz ähnlich. Und auch im kommenden Mai wird sich wohl wieder eine Mehrheit der Mitwirkung verweigern.

Dabei wird dem europäischen Wähler dieses Mal eine besondere Attraktion geboten: Er darf mitentscheiden, wer der künftigen EU-Kommission vorsitzen wird. Die relative Mehrheit der Deutschen bevorzugt nach einer ARD-Umfrage ihren Landsmann Martin Schulz: 35 Prozent wünschen sich den Sozialdemokraten auf dem Chefposten. Seinen christdemokratischen Konkurrenten Jean-Claude Juncker unterstützen demnach 30 Prozent. Bloß erstaunliche 8 Prozent sehen sich bei diesem Angebot außer Stande, eine Festlegung zu treffen. Weitere 19 Prozent können sich aufgrund fehlender Personenkenntnis nicht entscheiden, und die verbleibenden 8 Prozent haben wahrscheinlich Reißaus genommen, als ihnen der Interviewer sein Mikrofon vor die Nase gehalten hat. Vielleicht hat es aber auch ein paar Wortmeldungen zugunsten von Guy und Olli gegeben, die dann mangels statistischer und politischer Relevanz unter den Tisch gefallen sind.

Guy, Olli und die Liberalen

Guy und Olli, das sind Guy Verhofstadt, seines Zeichens ehemaliger Premierminister des Belgischen Königreichs, und Olli Rehn, seit einem Jahrzehnt Stadthalter Finnlands in der EU-Kommission. Die beiden treten als Spitzenkandidaten der europäischen Liberalen an. Wer FDP wählt, gibt also auch diesem Tandem seine Stimme. Während Verhofstadt bereits jetzt im Europaparlament sitzt, spielt Rehn noch bis April eine tragende Rolle in der EU-Regierung. 2004 wurde er als Nachfolger des Sozialisten Erkki Liikanen, der die Führung der finnischen Zentralbank übernahm, zweiter Vertreter seines Landes in der Unionsspitze.

Zu diesem Zeitpunkt konnte der Politologe Rehn bereits auf eine Laufbahn als Parlamentsabgeordneter in Helsinki, als Delegationsleiter beim Europarat und als Kabinettschef bei seinem Vorgänger zurückblicken. Unter Romano Prodi wurde Olli Rehn zunächst Kommissar für Unternehmen und die Informationsgesellschaft. Bei José Manuel Barroso rückte er zum Verantwortlichen für die EU-Erweiterung auf, bis er schließlich 2010 das Amt des Wirtschafts- und Währungskommissars übernahm. Als solchem kommt ihm eine Schlüsselfunktion zu: Sowohl die Haushaltskontrolle in den Mitgliedstaaten als auch die Verhängung von Reformauflagen und gegebenenfalls von Sanktionen fallen in seinen Aufgabenbereich. Und in beidem erweist sich Rehn als »echter Europäer« – oder zumindest als das, was man sich in Brüssel darunter vorstellt.

Da ist zum einen die Frage eines neuerlichen Hilfspakets der EU für das krisengeschüttelte Griechenland. Hier scheint sich Olli Rehn auf die Untugend des Aussitzens zu besinnen. Erst im August werde eine Entscheidung fallen, ließ er kürzlich verlauten. Schließlich müsse man zunächst »alle Fakten sauber zusammentragen«. Und »das um die Zinszahlungen bereinigte Haushaltsdefizit« der Hellenen liege nun mal erst im April vor. Klar, dass man da bis zum 25. Mai nicht mehr abschätzen kann, ob abermals Milliardenzahlungen nötig werden. Auch das Europaparlament, dem sich Rehn »politisch verantwortlich« weiß, ist bei diesem und vielen anderen Themen bislang nicht zum Kern der Sache vorgedrungen. Der Finne trägt zwar gerne Zahlenkolonnen vor, doch welche Schlussfolgerungen er aus ihnen zu ziehen gedenkt, verrät er nur selten. Der Kommissar beherrsche »die hohe Kunst der Beruhigung durch Einschläferung«, mokiert denn auch FreieWelt.net-Liebling Sven Giegold MdEP, der Rehn im Wirtschaftsausschuss kontrollieren soll. Doch offenbar kann man sich auch an einem Pudding die Zähne ausbeißen.

Konturenscharf wie ein Pudding

Fassbarer werden die Ansichten Olli Rehns dagegen an anderer Stelle. Zu einem Kernthema der deutschen Innenpolitik hat der Spitzenbeamte aus Zentralfinnland eine dezidierte Meinung: »Für das Zurückdrehen der Rentenreform« fielen ihm »keine überzeugenden ökonomischen Gründe ein«, ließ er die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik kürzlich wissen. Darauf angesprochen, ob die Große Koalition mit Blick auf Früh- und Mütterrente »Ärger mit der EU-Kommission« bekommen werde, will sich Rehn allerdings noch auf keine »definitive Aussage« festlegen. Bis er sich da entschieden hat, teilt er den Deutschen erst mal zum Zeitvertreib mit, dass sie dringend etwas »für die Binnennachfrage« tun müssten. Dem erstaunten Demokraten, der sich darüber wundert, woraus Kommissar Rehn die Berechtigung zu solchen Urteilen zieht, antwortet er in verblüffender EU-Logik: Seine Legitimität beruhe »einzig und allein auf den europäischen Verträgen«. Und weiter: »Mein Amt beschränkt sich darauf, die Staaten zu zwingen, das zu tun, was sie predigen«. Nun, das sind dann ja klar umrissene Grenzen.

Ob der vermeintlich liberale Olli Rehn damit bei den Völkern Europas zum Wahlzugpferd taugt, darf zumindest bezweifelt werden. Allenfalls bei ihm daheim in Finnland mag seine Kandidatur für ein paar Extrastimmen sorgen. Aktuelle Umfragen sagen seiner Partei ein Ergebnis jenseits der Zwanzigprozentmarke voraus. Gleichwohl: In dem dünn besiedelten Staat werden nur 13 der 751 Sitze in der Unionsvertretung vergeben. Für mehr als zwei bis drei Mandate wird Rehns relative Popularität vor Ort also nicht sorgen.

Was wirklich interessant ist: die »Wahren Finnen«

Im Übrigen dürfte sich die Aufmerksamkeit politischer Beobachter ohnehin auf eine andere Formation richten – nämlich auf die »Wahren Finnen«, eine eurokritische Gruppierung, deren Chef Timo Soini bei der letzten Europawahl erstmals ein Mandat in Straßburg und Brüssel erringen konnte. Soini arbeitete dort in der Fraktion »Europa der Freiheit und der Demokratie« mit, in der sich auch die britische UKIP und die italienische Lega Nord organisiert haben. Bürgerbefragungen dieser Tage sehen die Wahren Finnen am 25. Mai bei rund 15 Prozent.

Auch mit Blick auf das Erstarken von Eurozweiflern in verschiedenen Ländern der Union bezeichnete Olli Rehn die bevorstehende Wahl vor kurzem als »sicherlich die wichtigste« in den vergangenen Jahrzehnten. Er selbst wolle daher im Wahlkampf »kritisch und konstruktiv« für »das Projekt Europa« werben, so Rehn in ostentativer Demut.

Doch wenn der Kommissar erst mal in Fahrt kommt, kriegen die Freidenker in gewohnter Eurokratenmanier ihr Fett weg: Die wachsende Schar der »Anti-Europa-Parteien«, wie Olli Rehn sie nennt, hätten in einigen Ländern »das politische System regelrecht paralysiert«. Populismus könne zwar »so etwas wie ein Gradmesser des Unbehagens der Menschen sein«, aber er zeige »keine Alternativen auf«, attackiert er kritische Geister und ihre Wählerschaft. Dass er mit seiner eigenen Politik des Verschweigens und der Einmischung dazu beiträgt, die von ihm als »populistisch« verschrienen Parteien zu stärken, kommt Olli Rehn allerdings nicht in den Sinn.

Reihe: EU-Finanzentscheider im Porträt

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