»Es ist leichter, betende Jugendliche festzunehmen, als solche, die Schrecken verbreiten«

Foto: FRANCECATHO/flickr.com/CC BY-SA 2.0
Veröffentlicht:
von

Der Widerstand gegen die Einführung der Homo-Ehe in Frankreich bringt Tausende Katholiken auf die Straße. Dabei entwickeln sie neue Protestformen, die die Mächtigen verunsichern. Auf die friedlichen Versammlungen der »Veilleurs« reagiert die Polizei mit Gewalt. Von Denis Tillinac, Valeurs Actuelles.

Es ist leichter, betende Jugendliche festzunehmen, als solche, die in Vororten Schrecken verbreiten. In der Presse wird kaum von den Veilleurs gesprochen. Im Internet spricht man mehr von ihnen, aber ich bin kein High-Tech-Typ und weiß nicht, wie dieses moderne Zeug funktioniert.

Ich war auf der Durchreise in Paris und hatte von einer für den späten Abend geplanten Veillée auf dem Platz der Republik erfahren. Ich begebe mich also dorthin. Es sind ein paar Hundert, artig sitzend auf beiden Seiten der Statue. Zwei Gruppen also, eingezwängt von einer verblüffenden Menge mobiler Gendarmen, in einem Aufzug, als ginge es hier um einen ernstlich drohenden Umsturz oder gar um Revolution.

Ich treffe auf einen in der Bewegung aktiven Freund und setze mich neben ihn. Über einen Lautsprecher erklingt eine Stimme, die zur Höflichkeit gegenüber den Polizisten aufruft und dann einen Text von Camus vorliest, eine Passage aus dem Geheimnis der Jeanne d'Arc von Péguy, eine Predigt von Martin Luther King über zu respektierende, weil gerechte Gesetze, und solche, auf die das nicht zutrifft.

Die Stimme bricht ab, Hände bewegen sich anstelle von Applaus, und ein Gesang erhebt sich: L'Espérance (Die Hoffnung), sagt mir mein Freund, ein Pfadfinderlied. Die meisten Veilleurs sind jung; manche schwenken Gandhi-Porträts um ihren Pazifismus zu beweisen. Andächtige Stimmung, unter den ratlosen Augen der Gendarmen, die ohne Zweifel an kämpferischere Demonstrationen gewöhnt sind. Einer von ihnen, mit einer Trikolorenbanderole um der Brust und ausgerüstet mit eine, Megaphon, verkündet die erste Aufforderung (zum Verlassen des Platzes).

Er erweckt den Eindruck, er spiele eine burleske Rolle aus einer Komödie von Goldini, denn es fehlt ihm ein plausibler Feind in seinem Rollenspiel. Die Veilleurs beschädigen nichts und stören niemanden; sie hören sich Texte an, deren Autoren weder Aufrührer noch Hetzer waren und noch weniger »Ultras«. Péguy, Luther King ... Was sie singen hat nichts Martialisches. Plötzlich tauchen circa 20 Polizeibusse auf. Die Gendarmen rücken enger zusammen, wir befinden uns im Sinne des Wortes unter ihren Stiefeln. Unerhörter Kontrast zwischen dieser Maßlosigkeit des Polizeieinsatzes und der Abwesenheit der geringsten Vermutung einer Randale. Die Gesänge beginnen von neuem, man greift sich unter die Arme, immer noch genauso besonnen. Zweite Aufforderung.

Auf der anderen Seite der Allee ist ein Abgesandter des Polizeipräfekten erschienen, um zu verhandeln. Anwälte stoßen hinzu und machen Fotos. Auf der Seite, wo ich mich befinde, beginnen die Gendarmen, die Veilleurs abzutransportieren. Unter ihnen mein Freund. Ich zögere. Am Ende gehe ich heim mit dem schlechten Gewissen eines Deserteurs.

Am nächsten Morgen um neun Uhr ruft mein Freund an. Die grüne Minna hat ihn und seine Leidensgenossen in einem Kommissariat abgeladen, wo sie von einem Regiment von Beamten der Kripo erwartet wurden. Identitätskontrolle, Durchsuchung: man hat sie bis vier Uhr morgens herumhängen lassen, um sie zu demütigen und einzuschüchtern, dann hat man sie laufen lassen. Der Vorwand für diesen albernen Polizeiwahn ist das Verbot von ungenehmigten Zusammenrottungen. Vor dem Justizpalast oder der Nationalversammlung stellen sich die Veilleurs in Zehnmeterabständen auf, um kein Motiv für eine Festnahme zu geben. Aber die Polizisten erhalten Befehle, sie so zu drängen, bis sie eine Gruppe bilden. Dann stellt man die Zusammenrottung fest und verlädt sie. Man könnte darüber lachen, wenn nicht in den Vorstädten zur gleichen Zeit ungezählte Gaunerbanden unbehelligt Terror verbreiten würden. Diese da, die Polizisten, die Richter und Politiker, haben Angst.

Außer der infantilen Fiebrigkeit der Machthaber verrät diese Maskerade ihre Arroganz und Geringschätzung. Die Veilleurs sind tendenziell gläubig, jedenfalls auf der Suche nach Spiritualität; das genügt, um sie in die Hölle der »Reaktionären« zu schicken, obwohl sie in keiner Weise politisiert sind. Allerdings sind sie voller Entschlossenheit und haben sich auf zahlreiche Städte verbreitet.

Die Machthaber irren sich, wenn sie auf Ermüdung setzen: Was sie im Unterbewusstsein unseres Landes geweckt haben, ist weder mittelmäßig noch harmlos und verspricht, nicht kurzlebig zu sein. Wenn ich zu Hollandes Trupp gehören würde, würde ich wenigstens versuchen zu verstehen. Das ist vielleicht zu viel erwartet. Indessen geht der Kampf weiter, und die Ehre fordert, dass wir ihn unterstützen, genauso wie die Vernunft.«

Im Original erschienen auf www.valeursactuelles.com/comment/4053. Übersetzung: Felix Krimmel, Le Salon Beige.

Les Veilleurs vor dem l’Elysée am 3. Juli 2013 (ein nichtoffizielles Video eines einfachen Veilleurs):

youtu.be/va1vwqybxG4

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: David B.

Äußerst bedenklich wie hier auf friedliche Demonstration bzw Gedenken reagiert wird. Dabei sind doch gerade die Franzosen seit ihrer Revolution so stolz auf ihre Freiheiten.
Allerdings ist zu bedenken, dass die Polizisten hier nur als verlängerter Arm der Regierung wirken. Sie erhalten auch nur Anordnungen, welche sie ausführen. Wie im Artikel steht "erhalten sie Anweisungen".
Der Ursprung des Umgangs mit den Veilleurs ist weiter oben zu suchen und präsentiert einen grundsätzlicheren Konflikt, welcher auch zum Beispiel die EKD momentan spaltet. Der Umgang mit strittigen Themen, ohne hierbei alle Stimmen zu hören und zu beachten. Man geht mit dem "Zeitgeist" anstatt sich ernstlich um einen volks- und gesetzesnahen Umgang mit der Problematik zu bemühen, was auch einen weitreichenderen, zukunftsorientierten Blick einschließt.
Es ist jedoch unsere Rolle als Bürger, Kirchenmitglied oder einfach nur als freier Mensch, unserer Meinung zu zeigen und nicht alles unkommentiert hinzunehmen.
Die Veilleurs geben hierbei ein gutes Beispiel

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang