Der 6. November 2015 war ein schwarzer Tag für den Lebensschutz. An diesem Tag hat der Deutsche Bundestag mit der Neufassung der Paragrafen 217 StGB zwar die geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten, die private Sterbehilfe hat er aber zugleich erlaubt. Wenn das Gesetz bestand hat, ist Sterbehilfe in Deutschland unter bestimmten Bedingungen legal. Dank der engagierten Lebensschützer hatte der Bundestag immerhin die Chance, die Sterbehilfe vollständig zu verbieten. Niemand wird sagen können, dass es keine Alternative gab.
Dabei mögen viele Abgeordnete das Gefühl gehabt haben, sie hätten etwas für den Lebensschutz getan – und das, obwohl sie gar nicht für das von Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger vorgeschlagene vollständige Verbot der Sterbehilfe gestimmt haben. Das am 6. November beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe durch den Bundestag – wie es überall in der Presse stand – war aber nicht einmal die halbe Wahrheit. Abgelehnt wurde nur die Geschäftsmäßigkeit, nicht aber die fortschreitende Legitimierung von Suizid und Suizidassistenz. Angehörigen und anderen »nahestehenden« Personen wurde nämlich Straffreiheit zugesichert. Eine neue Grauzone wurde geschaffen.
Damit war der 6. November 2015 auch ein schwarzer Tag für die Rechtskultur unseres Landes. Sterbehilfe ist letztlich Tötung eines Menschen, denn die »Tatherrschaft« liegt beim Helfer, ohne den der Patient meist weiterleben würde. Der Gesetzgeber hat diese Form der Tötung jetzt unter bestimmten Bedingungen legalisiert, obwohl diese Bedingungen nichts über die Motive der beteiligten »Helfer« aussagen. Nicht die Tat selber steht im Mittelpunkt des neuen Gesetzes, sondern die Bedingungen, unter denen sie begangen wird.
Unter Verweis auf private Gewissens- und Ermessensspielräume verweigert der Staat seinen Bürgern damit den Schutz ihres Lebens nach Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes. Die Tötung als solche ist von nun an kein strafwürdiges Delikt mehr. Sie muss nur in einem bestimmten Rahmen geschehen. Wie bei der Abtreibung wird es nur noch darum gehen, die »Qualität« der ansonsten »ergebnisoffenen« Beratung zu sichern. Das Vertrauensverhältnis zu nahestehenden Personen verhindert bekanntlich keine Ausnutzung desselben. Andererseits machen wirtschaftliche Interessen aus einer guten Tat noch keine schlechte, und das Fehlen solcher Interessen verwandelt keine schlechte Tat in eine gute. Fehlende Geschäftsmäßigkeit garantiert keine lauteren Motive.
Als ob es aber so wäre, hat der deutsche Gesetzgeber zum ersten Mal seit 1945 eine explizite Möglichkeit geschaffen, leidvolles Leben als nicht mehr lebenswert zu beenden. Das ist ein Kulturbruch, ein Staatsversagen ersten Ranges. Mit einem generellen Verbot der Sterbehilfe hätte der Staat das Leben schützen können und müssen – um dann, im zweiten Schritt, in den extrem seltenen Ausnahmefällen, in denen Sterbehilfe durchaus indiziert sein kann, notfalls Gnade vor Recht ergehen zu lassen.
Auf den Schutz des Lebens wurde aber verzichtet. Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger, der die Sterbehilfe verbieten wollte, wurde nicht angenommen. Der große Erfolg der deutschen Lebensschutzbewegung besteht trotzdem darin, dass das vollständige Verbot überhaupt zur Abstimmung kam. Das war eigentlich nicht vorgesehen.
Jetzt, nach der Entscheidung des Bundestages, ist die Unsicherheit größer als je zuvor. Was ist ein Hausarzt? Ist er eine nahestehende Vertrauensperson oder ein geschäftsmäßig auftretender Helfer? Die Befürworter der Sterbehilfe fürchten eine Kriminalisierung der Ärzteschaft, obwohl es in der Bundesrepublik bislang keine rechtskräftige Verurteilung eines Arztes wegen Sterbehilfe gegeben hat. Die besseren Argumente haben eindeutig die Gegner, die mit Verweis auf die bitteren Erfahrungen bei der Abtreibung vor der schiefen Ebene warnen.
Belgien, die Niederlande und Luxemburg haben schon die aktive Sterbehilfe und den assistierten Suizid legalisiert, Belgien und die Niederlande bereits ab 14 Jahren, also auch für Kinder. In den Niederlanden können Eltern ihrer mindestens 16-jährigen Kinder nicht mehr einschreiten, wenn diese Sterbehilfe beanspruchen wollen. Die Europäische Union arbeitet längst daran, die Sterbehilfe wie schon die Abtreibung der Dienstleistungsfreit zuzuordnen. Es geht darum, sie ganz aus dem Strafrecht herauszulösen und zu einer Frage der öffentlichen Gesundheitspflege zu machen. In diesem Zuge wird man das nationale Recht und die nationale kulturelle Tradition über kurz oder lang aushebeln.
Noch bis Anfang Januar 2016 liegt im EU-Parlament die Schriftliche Erklärung 0055/2015 aus, die von Mitgliedern der SPD-, FDP- und der kommunistischen Fraktion vorbereitet wurde. Darin heißt es: »Das Recht auf ein Leben in Würde bedingt das Recht, in Würde zu sterben. Alle europäischen Bürger, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die an einer unheilbaren Krankheit im fortgeschrittenen oder Endstadium leiden, die zu unerträglichem körperlichen oder psychischen Leiden führt, das nicht gelindert werden kann, sollten die Möglichkeit haben, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um ihr Leben in Würde zu beenden.«
Auf EU-Ebene geht es darum, die Sterbehilfe supranational zu legalisieren, denn weiter heißt es: »Die Kommission wird aufgefordert, den Austausch von bewährten Verfahren in Bezug auf die gesundheitliche Betreuung am Lebensende unter den Mitgliedstaaten zu fördern, damit die Menschenwürde aller Bürger am Lebensende sichergestellt wird.« Auch viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages fordern bereits eine »professionelle« Suizidunterstützung durch die Ärzteschaft. Langsam aber stetig wird die Suizidbeihilfe zu einem gesellschaftlich akzeptierten »Angebot« am Lebensende, zu einer Art Zusatzleistung. Die von der Abtreibung bekannte Eskalation wiederholt sich.
Wer suizidal motivierte Tötungen legitimieren will, spricht freilich von »Selbstbestimmung am Lebensende«. Und das, obwohl die Fähigkeit zur Selbstbestimmung niemals so sehr beeinträchtigt ist wie unter Bedingungen, die den Menschen suizidal stimmen. Suizid und Selbstbestimmung schließen sich in Wahrheit aus. Wie will man künftig sicherstellen, dass der Suizidwunsch nicht von nahestehenden Personen erzeugt oder gefördert wurde? Nach Eintritt des Todes lässt sich kaum noch klären, ob eine strafbare Handlung zu ahnden wäre. Eine solche Rechtsunsicherheit inmitten eines Rechtsstaates ist skandalös.
Bereits im Sommer hatte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages alle Gesetzentwürfe mit Ausnahme des Sterbehilfeverbots von Sensburg und Dörflinger mangels Bestimmtheit als verfassungswidrig kritisiert. Denn, was heißt »geschäftsmäßig«? Was heißt »auf Wiederholung« angelegt? Wer sind nahestehende Personen? Darüber hinaus sei der Bund für Eingriffe in das ärztliche Standesrecht gar nicht zuständig, sondern die Landesärztekammern bzw. die Länder.
Schon heute heißt es: »Wozu noch leiden …? Wozu das Leid anderer noch ertragen und ihnen beistehen …?« Aus dem Recht auf ein »menschenwürdiges« Sterben folgt zwangsläufig eine Pflicht zum Sterben, um den anderen nicht länger zur Last zu fallen. Bis 2050 soll sich die Gesamtzahl der gegenwärtig 2,4 Millionen Pflegebedürftigen auf 4,7 Millionen erhöhen. Es droht eine Finanzierungslücke von zwei Billionen Euro. Dass die Legalisierung der Suizidhilfe mit diesem Problem etwas zu tun hat, ist daran zu erkennen, dass die Zweiklassenmedizin schon lange kein Thema mehr ist. Sie wäre ja ungerecht. Die Zahlen werfen auf die Rede von Selbstbestimmung und Menschenwürde jedenfalls ein ganz anderes Licht. Wenn möglichst viele Menschen freiwillig sterben, bevor ihre Krankheit zu teuer wird, löst diese Form der »regulierten Selbstregulierung« die kommenden Finanzierungsprobleme des Gesundheitswesens. Wir gehen gespenstischen Zeiten entgegen.
Kommentare zum Artikel
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Na ist denn das..
Die Sterbehilfe kommt …..Na endlich und wir müssen nicht bis 80 Jahre arbeiten.Frührentner können kostenlos die Sterbehilfe in Anspruch nehmen,vom Staat gesponsert.
@ D.Eppendorfer @Coyote38
Ich gehe mit Ihnen konform, 100%-ig!
Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass Andere anders über ihren EIGENEN (!) Tod denken und entscheiden als ich. Jede Meinung dazu akzeptiere und respektiere ich. Ich würde mir niemals anmaßen, eigenmächtig über den Tod Anderer zu entscheiden. Dieses Recht steht mir nicht zu.
Ob MEINE Meinung und MEINE Entscheidung zu MEINEM (!) Tod akzeptiert werden, interessiert mich inzwischen rein gar nicht mehr. Diskussionen darüber führe ich nicht mehr.
Wenn es in meiner Macht steht, darüber zu entscheiden, dann gehe ich, WANN und WIE ICH ES WILL. Punkt.
@ Rainer Gladisch:
Seit wann unterliegt den MEINE individuelle Selbstbestimmung dem "demokratischen Prozess" ...?
Gutmenschliche (und meist realitätfremde) Weltverbesserungsphantasien haben nichts mit "Demokratieverständnis" zu tun, sondern zeitigen - wie die Geschichte lehrt - im Gegenteil vielmehr oftmals totalitäre "Staatsausprägungen".
Ob ICH - wie @R. Eppendorfer vollkommen richtig schreibt - einer unheilbare Krankheit oder quälendem Siechtum durch die Beendigung meines Lebens ein Ende setzen will, entscheidet wohl KAUM die "demokratische Mehrheit" ...^^
Vielleicht überprüfen SIE mal Ihren Freiheitsbegriff und Ihr Demokratieverständnis. DA scheint mir EINIGES "pervertiert" zu sein.
@coyote38:
Ich habe kein Problem damit, Ihre Positionierung "zu achten", auch wenn ich die Prämissen der absoluten Freiheit und Selbstbestimmung für bestenfalls ideell begründbar und lebensfremd halte! Leider,- denn das ist eine der schweren Kränkungen, die die conditio humana bereithält: bestimmen wir uns aus unseren Aktivposten, so bleibt 90% unseres Lebens unbestimmt.
Der selbstbestimmte Mensch ist eine ideale Ausnahmesituation JEDEN Lebens. In vollem Maße selbstbestimmt können Sie nur sein, wenn Sie aus jeglicher Bestimmtheit entbunden sind- das gibt es faktisch gar nicht! Zudem können Sie es nur sein, sobald oder solange _Sie die volle geistige Kapazität und Gegenwärtigkeit haben (das dürfte in 10% unserer Lebenszeit potenziell der Fall sein- wenn alles gut läuft...).
Lösen kann man die Problematik meiner Meinung nach nur in einem spirituelle philosophischen Sinne Levinas: das Selbst bestimmt sich aus dem Anderen. Die passio ist die eigentliche Substanz der Welt. Ungefähr DA liegt vermutlich das eigentliche Abenteuer des Lebens.
Also auf die Sterbehilfe-Debatte und Ihre bzw. den Beitrag von D.Eppendorf bezogen:
Entscheiden muss jeder die Sache selbst- das ist lebensgeschichtliche Verantwortung, die niemand jemand anderem aus der Hand nehmen kann! Entscheiden muss er auf dem Paradox, dass wir uns als Freie denken müssen, obwohl wir überall bestimmt sind.
Der Staat aber muss einen Rahmen erhalten, der größtmögliche Freiheit FÜR DAS LEBEN herstellen kann, sonst verliert er sein Dasein.
mfG PF
Einen todkranken Menschen, gegen seinen Willen, qualvoll verenden zu lassen, ist eine grausame Folter! Laut Verfassung ist jedoch Folter in unserem Land verboten. Wer Menschen trotzdem foltern will, egal mit welchen verlogenen Argumenten, sollte vom Verfassungsgericht hart bestraft werden! Die Zeiten des Mittelalters sind vorbei. Die Kirchen müssen daran gehindert werden,ihr schändliches Treiben von damals fortzusetzen!
Es ist unfaßbar, wie der Lebensschutz in Deutschland zerstört wird.
@ D. Eppendorfer: Sie verkennen die Tatsache, dass JEDER Mündige in Deutschland durch eine entsprechende Patientenverfügung selbst über lebens- (und damit unnötige leidens-) verlängernde Maßnahmen entscheiden kann. Nur machen es über 90% der Bundesbürger NICHT rechtzeitig und daher enden so viele an den Maschinen, die das Leiden auf Wochen, Monate oder Jahre hinaus verlängern. Ihr undiffenrenziertes Diffamieren der gesamten Christenheit als ignorante, folternde und mordende "Glaubenswahnsinnige" ist einfach nur lächerlich.
Es schaudert mich, in welche lebensfeindliche Richtung unsere Gesellschaft immer mehr abdriftet.
Aber wen wundert's in einem Land bzw. Kontinent, in dem seit Jahrzehnten neues Leben problemlos "weggemacht" und in den Dreck geworfen werden kann?
Jeder kommt ungefragt auf diese Welt und muss dann zusehen, wie er mit all den bizarren Psychosen seiner Zeitgenossen klar kommt ohne selber durchzudrehen.
Und wenn noch eine unheilbare Krankheit dazu kommt, die einem nur noch quälendes Siechtum erlaubt, dann maßen sie religös indoktrinierte ignorant arrogante Übermenschen an, darüber zu entscheiden, ob der Leidende nun sein Leben freiwillig beenden darf oder nicht.
Was wir dem Islam bezüglich rigider Vorschriften übel nehmen, das lauert auch in unserem Christentum. Es ist diese penetrant befehlende bzw. drohende Einmischung unserer Kirchen in das Leben und auch Sterben freier Menschen, was ich zum kotzen finde.
Und natürlich brauche ich ab einem bestimmten Stadium der Schwächung Hilfe, wenn ich meine schmerzende Sinnlosigkeit beenden möchte. Genau die aber soll mir verwehrt werden.
Seltsam, dass auch heute ausgerechnet die Anhänger jenes Glaubenswahns, der über Jahrhunderte skrupellos gefoltert und gemordet hat, um seine Meinung brutal durchzusetzen, auch heute noch mit im Boot sitzen, wenn es darum geht, anderen Menschen ein Dasein vorzuschreiben, das sie nicht mehr wollen. Ich würde diese schmarotzenden scheinheiligen Klerikalen alle zum Teufel jagen, denn genau da gehören sie hin.
Und sofern es Gott gibt, werde ich ihn sicher auch ohne dieses Sündenschuld-Theater finden. Oder aber er findet mich, falls ich es wert bin.
@Coyote38:
Haben Sie "bestimmt" ,gezeugt und geboren zu werden?
Alles Weitere,was Sie schreiben,zeugt von falsch verstandenem Freiheits- und pervertiertem Demokratiever-
ständnis.Eine freiheitliche Ordnung kann nur überleben, wenn das Interesse der Gesamtheit geschützt wird und nicht anmaßende Egoismen.