Eine Übergangs-, keine Schicksalswahl!

Vom gar nicht mal so langsamen Hinschied des deutschen Parteiensystems von Albrecht Prinz von Croy.

Drunter tun wir’s ja selten. Bundestagswahlen sind immer gleich "Schicksalswahlen“.  Immer wird der demokratisch vergleichsweise schlichte Umstand, dass sich dieses Land alle vier Jahre ein neues Parlament wählt, von den wahlkämpfenden Politikern und den sie begleitenden Medien bedeutungsschwanger aufgeblasen. Jetzt auch wieder: der 27. September entscheidet angeblich über unser "schwarz-gelbes“ oder "rot-rot-grünes“ Schicksal. Allein: der wählende Bürger ist damit diesmal nicht mehr zu beeindrucken.

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Ganze 12 Prozent sehen "Schicksal“ am Werk, noch 2005 glaubten das von der damaligen Bundestagswahl 47 Prozent. Sogleich tönt es aus den Ecken der Alleswisser, dies sei der langweilige, themenarme Wahlkampf, den Angela Merkel der Republik verschrieben habe, schuld. Wo nicht gekämpft werde, könne auch kein Schicksal entstehen. Es ist, wie so häufig von Weissagern, zu kurz gedacht. Diese Wahl wird eines Tages von den Zeitgeschichtlern als Übergangswahl bewertet werden, Übergang von einem hinscheidenden zu einem neuen Parteiensystem. Die Parteien des Wahljahres 2009 haben gar nicht mehr die Kraft, "Schicksale“ herbeizuführen oder zu verhindern. Was sind die Gründe für die rasante Erosion unserer Parteienstruktur? Ein Blick in die Parteien.
CDU:  Hier war die Wahlnacht 2005 die Mutter aller Wendepunkte weg von der Volkspartei. Angela Merkel hatte mit einem straffen Programm der wirtschaftlichen Zumutungen einen engagierten Wahlkampf gefochten, das Land sprach von einer kommenden schwarz-gelben Koalition, die den Laden Bundesrepublik ordentlich aufräumen würde. Der Wahlsieg schien nur eine Frage der Höhe zu sein. Doch der brachiale Campagner Schröder fing sie ab,  die Wahrheiten des CDU-Wahlkampfes hatten die Bürger verschreckt. Merkels Schicksal hing an einem dünnen Faden. Von dieser Nacht an verschrieb sie ihrer Partei die ewige Sozialdemokratie. Sie glaubte, das Loch, das die SPD in der Mitte hinterließ, füllen zu müssen. Mit großen Balsam-Umschlägen für die reformgeschädigten Wunden, allen wohl, niemandem Wehe. Die ostdeutsch sozialisierte CDU-Vorsitzende hing den traditionellen, den werte- und konfessionell geprägten Waggon ab, ließ ihn auf einem unbeachteten Gleis stehen. Nur ihrer Kanzlerschaft (und der in der CDU ausgeprägten Devise, ihren Chefs nicht in den Rücken zu fallen); ist es zu verdanken, dass sich dieser Flügel bisher nicht verselbständigt hat. Seitdem verharrt die Partei bei den 35 Prozent des Jahres 2005. Die CDU hat keine Botschaft, die über die verschiedenen Strömungen einer Volkspartei gebaut werden kann, die sie verbindet und sie so auch für die ständig steigende Zahl von Wechselwählern attraktiv macht.
Zudem: was hat Angela Merkel als Vorsitzende der größeren Regierungspartei vorzuweisen?  Wo sind originäre CDU-Forderungen in Gesetzesform gegossen worden? Der Moloch des Gesundheitsfonds? Mindestlöhne? Abwrackprämie? Oder der einfältige, verheerende Geist der ständigen Managerverunglimpfung? Kurzum: was hat sie geleistet? Es ist nichts da. Diese Partei hat sich in der großen Koalition zum Büttel eines ausgezehrten „Juniorpartners“ gemacht, sie hat ihr Erscheinungsbild bis zur Unkenntlichkeit verwischen lassen, sie hat ihre Grundprinzipien auf dem Altar der Regierungsbeteiligung geschlachtet.
Die Partei ist, obwohl sie erst seit vier Jahren wieder regiert, inhaltlich verkommen und personell schon jetzt ausgezehrt. Bei ihr wie bei der SPD rächt sich jetzt die parteiübliche, aber in Wahrheit parteischädigende Praxis, keine anderen Karrieren zuzulassen als die der aus dem Ortsverein sich hoch klebenden, schachernden, mauschelnden und also sehr verdienten Mitglieder und Genossen. Wo sind die Seiteneinsteiger, die der Partei ein neues, ein frischeres (auch kontroverseres) Erscheinungsbild bescheren würden? Warum haben die Parteien die Art der Kandidatenauswahl- und aufstellung nicht längst reformiert? Keine neuen Fragen, aber eben diese sind nicht beantwortet und also verkümmern die beiden ehemaligen Volksparteien zu 30-Prozent-Gebilden.
SPD: Der Abschied der Sozialdemokraten als Volkspartei ist das Verdienst von Gerhard Schröder. Der bis dato (und vermutlich für längere Zeit) letzte SPD-Kanzler hatte seine erste Amtsperiode innenpolitisch weitgehend verschlafen (obwohl der Reformbedarf der Nach-Kohl-Zeit riesig war); sich dafür aber außenpolitisch lustvoll mit George W. Bush gerauft. Das bescherte ihm 2002 noch einmal einen knappen Wahlsieg gegen Edmund Stoiber und die späte Erkenntnis, dass die gigantisch gewachsenen Segnungen des Staates sehr bald nicht mehr bezahlbar und sein politisches Ende also nah sein würde. Das war die Geburtsstunde der Agenda 2010. So richtig die einzelnen Maßnahmen auch waren (die vergleichsweise geringen Arbeitslosenzahlen der Merkel-Kanzlerschaft sind in Wahrheit die des Gerhard Schröder); so dilettantisch und von oben herab („Basta“) waren sie kommuniziert worden. Schröder (und sein Architekt Steinmeier) vergewaltigten ungerührt die Seele ihrer Partei, zogen ihren Stiefel gnadenlos durch und trieben Oskar Lafontaine die Mitglieder seiner neuen Linkspartei faktisch zu.
Das nicht geklärte Verhältnis zur Lafontaine’schen Rachevereinigung brach der SPD in Wahrheit das Rückgrat, ohnehin ausgezehrt durch massenweise Abwanderung zu den Linken, vertrieb sich der Rest die Zeit mit Endlos-Diskussionen über Rot-Rot ja oder nein. Sie verschlissen einen Parteichef Beck an dieser Frage, holten den alten Fahrensmann Müntefering aus dem Ruhestand zurück und stellten schließlich den exzellenten Beamten, aber grottenschlechten Politiker Steinmeier auf den Sockel des Kanzlerkandidaten. Kümmerlicher und gestriger kann das Angebot nicht sein, seitdem gibt’s Umfragen kaum oberhalb der 20-Prozent-Marke und die abermalige „Rettung“ in ein Bündnis mit der CDU (von großer Koalition mag man ja schon gar nicht mehr reden) würde schon als epochaler Erfolg gefeiert.
Die Idee der Sozialdemokratie hat sich, so konstatierte schon vor Jahren der große Denker Ralf Dahrendorf, überlebt, weil fast alle ihre Wünsche und Forderungen Wirklichkeit geworden sind. Es ist kein Thema mehr übrig geblieben, mit Mindestlohn holt man die Kinder der alten Arbeiterfamilien, die sich zu guten Facharbeitern ausgebildet haben und jetzt eher einer Mittelschicht angehören, nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Diese fragen sich, wie ihr Lebensstandard angesichts ständig steigender Abgaben und Kosten zu halten ist. Darauf hat die SPD aber keine Antworten, weil sie diesen Transfer ihrer ehemaligen Wähler nicht nachvollzogen hat. Die alte Arbeitergemütlichkeit mit heimeliger Brieftauben-Atmosphäre und Ortsvereinsseligkeit ist passé. Das Heer der Transfer-Bezieher wählt die Linkspartei und die Aufgestiegenen Grün.
FDP: Die Liberalen scheinen vordergründig die Gewinner des sich verändernden Parteiensystems zu sein. Seit Monaten mit zweistelligen Umfragewerten gesegnet, scheint sich nun das anzubahnen, was 2005 so krachend scheiterte: eine Koalition mit der CDU. Doch ein genauerer Blick in die Partei offenbart die immer noch vorhandenen strukturellen Schwächen der FDP. Nach wie vor steht die Truppe von Guido Westerwelle im Wesentlichen nur für ein Thema: Steuersenkungen. Was für die Regierungszeit von rot-grün und die Große Koalition richtig war, kann jetzt nicht falsch sein. Aber in welchen gesellschaftspolitischen großen Entwurf ist diese Forderung eingebunden? Wo ist der programmatische Ansatz für eine wirklich freie, selbstbestimmende Bürgergesellschaft? Wo will die FDP hin? Sie drückt sich um eine Wahrheit: weniger Staat heißt ja auch mehr Bürger. Weniger Staat heißt ja auch einen radikalen Umbau dieser Gesellschaft. Die Liberalen haben die faszinierende Idee des Paul Kirchhof nicht aufgenommen, als der Verfassungs- und Steuerrechtler 2005 seine Pläne für ein gerechteres Steuersystem präsentierte und von der CDU, die ihn als Mitglied in Merkels Kernmannschaft berufen hatte, skandalös fallen gelassen wurde. Dieser Plan war ja in Wahrheit Teil eines großen Ganzen, nämlich der Renaissance einer Zivilgesellschaft, die aus sich heraus funktioniert und den Staat als denjenigen definiert, der die Rahmenbedingungen dazu setzt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Die Partei scheut wie alle anderen auch die klare Kante. Sie müsste den Bürgern (und Wählern) sagen, dass eine freie Gesellschaft Opfer bedeutet, mehr Selbstverantwortung und vor allem mehr Verantwortung für den Nächsten fordert. Das hat durchaus auch eine konfessionelle Komponente. Auf diesem Feld wird die Partei aber nicht wahrgenommen, hier wirkt die antikirchliche Prägung vieler Jahre noch nach. Die FDP hat sich thematisch nicht ausreichend erneuert, sie ist auf dem Stand von vor acht Jahren, auch personell.
Bündnis 90/Die Grünen: Die Grünen haben in den letzten Jahren eine Entwicklung genommen, die den meisten ihrer Führungsfiguren nicht passt: sie sind zunehmend zu einer Bewegung für aufgeklärte, gut ausgebildete, mit hohem Einkommen ausgestattete Bürgerschichten geworden. An den Rändern der großen Speckgürtel-Regionen haben sie die FDP als „Partei der Besserverdienenden“ längst abgelöst. Ihre Wähler sind der Zeit und der Ideologie lange entwachsen, da sie bei Kerzenschein und Räucherstäbchen ihre Pullover strickten und Greenpeace huldigten. Sie sind im Leben stehende Führungskräfte (sehr viele Frauen); die sich ihrer Verantwortung für die Umwelt nicht nur bewusst sind, sondern sie auch nach außen vertreten wollen. Die Partei reagiert darauf vollkommen unzulänglich, auch sie hat ähnlich wie die SPD den Transfer ihrer Wählerschaft nicht nachvollzogen. Sie überlässt die ideologische Außendarstellung ihren notorisch gestrigen Figuren Claudia Roth und Jürgen Trittin. Deren schon fast pathologisches Misstrauen gegen die Wirtschaft, gegen Manager und gegen gerechte Entlohnung lässt die Partei bei rund 10 Prozent verharren, sie vor allem verhindern den eigentlich möglichen Aufwuchs der Partei. Ähnlich wie die FDP haben die Grünen es versäumt, aus einer „Ein-Thema-Partei“ zu einer vielschichtig aufgestellten Bewegung zu werden. Und ob sie’s beide hören wollen oder nicht: dank ihrer großen bürgerlichen Wählerschichten sind sich Grüne und FDP viel näher als die Kombattanten Trittin und Westerwelle auch nur wahr haben wollen.
Die Linke: Keine Partei hat das deutsche System in den letzten Jahren derart verändert wie die aus der PDS und WASG hervorgegangene Vereinigung. Lafontaine hat aus seiner Sicht und der seiner Partei alles richtig gemacht,  kein Politiker hat in den letzten Jahren so großen Erfolg bei der Erreichung seiner Ziele gehabt. Der (vorläufige) Höhepunkt waren die 21 Prozent aus dem Stand bei der Landtagswahl im Saarland. Aber auch hier lohnt die genauere Analyse. Ist diese Partei eine solche im eigentlichen Sinne oder doch nur eine lose Sammlungsbewegung zweier linker Gruppierungen mit einer erklecklichen Anzahl von „Irren“ (Gregor Gysi)? Ist die Partei mehr als ein Zusammenschluss zum Zwecke der persönlichen Rache Oskar Lafontaines und wie äußert sich das? Das Programm, mit dem Die Linke zur Bundestagswahl antritt, legt die Vermutung nahe, dass der Anteil an Irren in dieser Partei noch deutlich höher ist. Auch ihre Wahlerfolge relativieren sich bei genauerem Hinschauen. Der „sensationelle“ Erfolg der Lafontaine-Truppe im Saarland wird deutlich weniger erstaunlich, zieht man zum Vergleich die Bundestagswahl 2005 heran (die Landtagswahl, auf die sich der Zuwachs von 21 Prozent bezieht, fand 2004 statt). Da hat der Saarländer Oskar mal gerade drei Prozent mehr geholt. Auch die Wahlen in Thüringen und Sachsen waren keine Triumph-Märsche. In Sachsen haben die Linken 3 Prozent verloren, in Thüringen kümmerliche 1,3 Prozent gewonnen. In Wahrheit ist die Partei an der Decke angekommen. Ihre populistische Grundstruktur wird einen weiteren Zuwachs vermutlich verhindern.
Was also wird werden? Der Versuch einer Vorhersage: die CDU wird ihren Verlust auf dem konservativen Flügel nicht kompensieren können. Die politische Mitte (oder das, was sie dafür hält); ist besetzt. Sie wird dauerhaft (mit Ausnahme einiger weniger Länder) um die 30 Prozent herum dümpeln. Viele ihrer bürgerlichen Wähler fühlen sich inzwischen entweder bei der FDP oder aber den Grünen besser aufgehoben. Beide Parteien haben das Potenzial für 18 bis 20 Prozent der Stimmen, wenn sie sich ideologisch  weiter entwickeln und den Veränderungen ihrer Wähler Rechnung tragen.
Die SPD wird eines nicht mehr fernen Tages in den Linken aufgehen oder Die Linke in der SPD,  wer die treibende Kraft  ist, spielt letztlich keine Rolle. Oskar Lafontaine wird nicht ewig das Zepter halten, für eine SPD-Parteivorsitzende Nahles und den Kanzlerkandidaten Wowereit haben die Linken ohnehin nie den Schrecken der Medusa verkörpert. Diese Republik wird schon 2013 (das ist dann wahrlich eine Schicksalswahl) einen starken, relativ einheitlichen linken Block erleben, der 35 bis 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen kann.
Ob bis dahin die bürgerlichen Parteien, deren Koalitionsfähigkeit derzeit immer so putzig mit dem Etikett „Jamaika“ belegt wird,  zu einer Einheit wachsen können? Zu unterschiedlich sind die drei Gruppierungen, als dass die CDU darauf hoffen sollte. Sie verliert ihre strategische Mehrheitsfähigkeit. Die Kernfrage für den Bestand eines austarierten Parteiensystems ist, was „rechts“ von der CDU geschieht. Vier Jahre bis 2013 sind nicht viel, aber lange genug. Wer nutzt sie?

Foto: geralt/photoopia

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