Liberale Ex-Politiker und der ESM

Eine Stimmkarte voll Ruhm

Jens Ackermann, Torsten Staffeldt, Joachim Günther und Jürgen Koppelin saßen für die FDP im Bundestag und stimmten gegen den ESM. Dadurch erwiesen sie sich als echte Volksvertreter.

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Wie viele Stunden muss ein Abgeordneter pro Woche aufwenden, um seiner vornehmsten Aufgabe gerecht zu werden und das Volk wirksam zu vertreten? »Mindestens sechzig bis siebzig«, meint Christine Lambrecht, Fraktionsgeschäftsführerin der SPD im Deutschen Bundestag. »Achtzig«, lässt Bayerns Landtagspräsidentin Barbara Stamm in einer Infobroschüre behaupten. »Bis zu neunzig Stunden«, weiß das in vielerlei Hinsicht durchschnittliche MdB Gitta Connemann. Und das Bundesverfassungsgericht hat bei einem Diätenurteil einst gar hundertzwanzig Stunden zugrundegelegt.

Was lässt sich sagen über Menschen, die hundertzwanzig Stunden pro Woche arbeiten? Erstens: Sie haben die falsche Lebenseinstellung. Zweitens: Ihre Aktivitäten sind offenkundig ineffizient. Und folglich drittens: Weniger wäre mehr. Bei Parlamentariern kommt hinzu, dass ihnen ein Großteil der Bevölkerung ohnehin nicht abnimmt, dass sie überhaupt ernsthaft tätig sind. Im Gegenteil: »Ex-Abgeordnete müssen wieder arbeiten«, titelt die Bild-Zeitung Anfang des Jahres in gewohnt politikverachtender Diktion. Und sie porträtiert drei frühere Mandatsträger, die von eben jener Last im vergangenen Herbst befreit wurden. Und nun wieder bürgerlichen Berufen nachgehen.

Zurück ins richtige Leben

Einer von ihnen: Der ESM-Gegner Jens Ackermann, Ende dreißig und ausgebildeter Sanitäter. Der einstige Volksvertreter aus Sachsen-Anhalt fährt nun im familieneigenen Betrieb den Rettungswagen. Und er weiß den Wert seiner Leistung zu schätzen: »Wenn es im Bundestag um Gesundheit ging, dann war das meist graue Theorie«, zitiert das Zwölf-Millionen-Leser-Blatt den liberalen Politaussteiger. Doch nun könne er den Menschen wieder »direkt helfen«, und entsprechend viel Freude mache ihm sein »neues Leben«.

Ackermann gehört zu jenen aus dem Politikbetrieb, die für sich einen Schlussstrich gezogen haben. Beim FDP-Parteitag im Landkreis Börde im vergangenen November erklärte er unumwunden, er übernehme »Verantwortung für das schlechte Ergebnis zur Bundestagswahl« und wolle durch seinen Verzicht auf den Kreisvorsitz »den Weg frei machen für einen Neuanfang«.

Dabei war Ackermann bei den sachsen-anhaltinischen Liberalen durchaus eine Führungsfigur. Bei der Wahl 2013 kandidierte er auf Listenplatz 2, direkt hinter Ex-Generalsekretärin Cornelia Pieper. Sein Nein bei der Parlamentsabstimmung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus hat ihm also offenbar nicht geschadet. Gleichwohl stellt Jens Ackermann unter Beweis, dass es auch ein Leben nach der Politik gibt. Und darin findet man sich anscheinend umso besser zurecht, je überzeugter man auch als Abgeordneter seinen Dienst getan hat.

Ein Bremer stimmt mit Nein

Auch Torsten Staffeldt aus Bremen steht mit beiden Beinen im Leben. Und die Ersatzbefriedigung durch politische Posten scheint auch er nicht zu benötigen. Vier Jahre hat er dem Parlament angehört und dort unter anderem gegen den ESM gestimmt. 2013 war der Maschinenbauer Staffeldt erneut Spitzenkandidat seines Landesverbandes für die Bundestagswahl. Erst mit Anfang vierzig war der Unternehmer in die FDP eingetreten, wurde dort Kreisvorsitzender, stellvertretender Landesvorsitzender und auf Bundesebene Vizechef des Liberalen Mittelstands. In seiner Legislaturperiode war er »der einzige Bremer Bundestagsabgeordnete, der auch tatsächlich in Bremen zur Welt gekommen ist«, wie Staffeldt stolz betont. Und im Übrigen der erste seiner Partei überhaupt seit 1994.

Bereits bevor die Wähler im letzten Jahr zu den Urnen gehen, stellt Staffeldt klar, er sei »nicht darauf angewiesen«, im Parlament zu sitzen. Und als er dieses dann tatsächlich verlassen muss, sieht auch der Parteipolitiker für sich die Stunde des Abschieds gekommen. Nur einmal meldet sich Staffeldt nach der verlorenen Wahl zu Wort: Der neue Bundeschef Lindner sei »noch sehr jung«, so der Ex-Abgeordnete. Er hätte sich in dieser Position jemanden gewünscht, der mehr »im wirklichen Leben steht«. Doch augenscheinlich ist die Mehrheit der organisierten Liberalen da anderer Meinung.

Am entscheidenden Punkt Rückgrat gezeigt

Neben Ackermann und Staffeldt, deren selbstbewusste Unabhängigkeit der außerparlamentarischen FDP gut zu Gesicht stünde, haben sich auch zwei politische Urgesteine unter den ESM-Gegnern ins Private zurückgezogen: Joachim Günther aus Sachsen und Jürgen Koppelin aus Schleswig-Holstein.

Bei Günther hat der Begriff vom Urgestein ein leichtes Geschmäckle: Schon 1971 wurde er Mitglied der Blockpartei LDPD. Und er war dort keineswegs eine Karteileiche: Bereits ab 1985 und damit ein paar Jahre zu früh wirkte er als Kreissekretär in Plauen. Doch auch in die neue Zeit hinein verlief Günthers Weg geschmeidig: 1990 wurde er Landesvorsitzender der FDP in Sachsen und Mitglied des Deutschen Bundestages. Bereits im Jahr darauf zog er als Parlamentarischer Staatssekretär in die Führungsetage des Bundesbauministeriums ein. Wieder ein Jahr später hatte ihn seine Partei gar einen Tag lang als Minister ausgeguckt – nämlich als Nachfolger von Irmgard Schwaetzer, die an die Spitze des Auswärtigen Amtes wechseln sollte. Doch eine intrigante Schweinerei zerstörte das Tableau, und Günther musste sich bis zum Ende der Kohl-Regierung mit seinem Staatssekretärsposten begnügen.

Danach hat er nie wieder so richtig Anschluss gefunden an eine einst erfolgversprechende Karriere. Und so geschah sein Ausscheiden aus dem Bundestag denn auch aus freien Stücken – allerdings nicht, ohne dass Günther in seinem politischen Leben dann doch einmal gegen den Strom geschwommen wäre: Bei der entscheidenden Abstimmung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus sagte der Sachse gemeinsam mit neun anderen FDP-Parlamentariern Nein. Und so bleibt letztlich die Erinnerung an einen Abgeordneten, der an einem entscheidenden Wendepunkt Rückgrat gezeigt hat.

Raus aus dem Bundestag, rauf auf den Ehrensitz

Bei Jürgen Koppelin war ein recht eigenwilliger Kurs dagegen seit jeher Markenzeichen seines politischen Wirkens. Und im FDP-Landesverband zwischen Nord- und Ostsee steht er damit ja bekanntlich nicht allein. Bereits 1979 rückte Koppelin in den Vorstand der damals noch sozialliberalen Bundespartei auf. Mit der Wende zu Helmut Kohl war damit erst einmal Schluss. Doch zehn Jahre später kehrte Koppelin in die Parteiführung zurück und blieb dort bis 2007. Zudem war der streitbare Norddeutsche fast zwei Jahrzehnte lang Chef der Liberalen in Schleswig-Holstein. In der Volksvertretung wirkte er unter anderem als Sprecher seiner Fraktion im Haushaltsausschuss. Zudem hatte er als Parlamentarischer Geschäftsführer die eigenen Truppen zusammenzuhalten.

Doch gerade zuletzt ging Koppelin selbst oft eigene Wege: 2010 stimmte er gegen die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken, obwohl Schleswig-Holstein wie kaum ein anderes Land von den Meilern profitiert. Auch beim Urheberrechtsgesetz konnte er der Mehrheitsmeinung seiner Fraktion nicht mehr folgen. Und beim Europäischen Stabilitätsmechanismus erlaubte sich der Altliberale ebenfalls eine eigene Meinung und zog die »rote Stimmkarte«.

Wohl weil er sich auch in Personalfragen immer selbstbewusster zeigte und der damaligen Fraktionsvorsitzenden Homburger einen Verzicht nahelegte, scheiterte Koppelin 2011 seinerseits im Bemühen, Vizechef der FDP im Bundestag zu bleiben. Dies mag zu seinem Verzicht auf eine erneute Kandidatur fürs Parlament beigetragen haben. Heute ist Koppelin Ehrenvorsitzender der Küstenliberalen.

Ackermann, Staffeldt, Günther, Koppelin – vier sehr unterschiedliche Politikerbiografien, die teils früher, teils später an ihr Ende gelangt sind. Und doch haben sich alle vier als echte Volksvertreter erwiesen, die im entscheidenden Moment ihrem Gewissen treu geblieben sind.

(Schicksale der ESM-Gegner Teil 10)

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Bruno Heil

Danke: Ein ausgewogener, für mich informativer Bericht, denn diese vier Ex-FDP'ler kannte ich als Rheinländer noch nicht. Wieso fehlt eigentlich der liberalste FDP'ler, Austrian und ESM-Gegner - Frank Schäffler?

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