»Flachliegen« — passiver Widerstand der chinesischen Jugend

Eine neue Jugendbewegung in China bedroht die Grundfesten der KPCh

Weil die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zwänge in der VR China so erdrückend geworden sind, gehen immer mehr Chinesen in den passiven Widerstand. Sie machen — nichts. Die KPCh wittert kollektive Sabotage.

Quellen: Pixabay, YouTube/CGTN
Veröffentlicht:
von

»Flachliegen« (躺平 tǎngpíng – von 躺 tǎng »liegen« und 平 píng »flach«, im Sinne von »nichts tun«) — so heißt das neue Schlagwort, das die Jugend Chinas über das Internet im Sturm erobert hat und nun von den Zensoren der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) aus dem chinesischen Internet komplett gelöscht wird [siehe Berichte auf YouTube HIER, HIER, HIER, HIER, HIER, HIER, HIER].

Was ist an dem Wort so schlimm? Warum geht die kommunistische Regierung der Volksrepublik China so massiv gegen diesen Begriff vor? Warum hetzen die chinesischen Staatsmedien gegen solche Aussagen? Warum werden Jugendliche verfolgt, die sich darüber im Internet oder in der Gesellschaft auslassen?

Antwort: Es handelt sich um das Schlagwort des passiven Widerstands gegen die Werte und Ziele der modernen Gesellschaft Chinas und die Herrschaft der Kommunistischen Partei.

Daher gehen die Kommunistische Partei und Regierung sowie die Staatsmedien radikal gegen diese neue Bewegung vor. Sie sehen staatliche und gesellschaftliche Zersetzung und Sabotage am Werk.

Sinnloses Abrackern für die Wirtschaftseliten und Parteikader: Immer mehr junge Chinesen erkennen darin keinen Sinn mehr

Immer mehr junge Chinesen fühlen sich überfordert. Der Leistungsdruck, für wenig Geld in Fabriken und Büros schuften zu müssen, sich trotz Universitätsabschluss mit prekären Jobs abfinden zu müssen, und doch am Ende eine Immobilie abbezahlen zu müssen, damit geheiratet, die Kinder und die Eltern versorgt werden können, und all das, um am Ende wenige Milliardäre reich und die kommunistischen Parteimitlieder mächtiger werden zu lassen — all dies ist immer mehr jungen Chinesen zu viel.

Sie fühlen sich in einer Welt, in der die schlechtesten Seiten des Kapitalismus mit den schlechtesten Seiten des Kommunismus gepaart sind. Die Löhne steigen zwar, aber die Jobansprüche und Lebenshaltungskosten um so schneller. Es ist, als sei man in einem Hamsterrad, aus dem es kein Entkommen gibt. Man dreht sich im Kreis.

Zitat eines chinesischen Aufrufs: »Egal, wie hart du arbeitest, du kannst nicht reich werden. Du bist nur ein Werkzeug, das andere benutzen und wegwerfen, wenn es abgenutzt ist. Denkt darüber nach: Das müssen wir uns nicht antun!«

Schon die Kinder, Schüler und Studenten sind am Ende ihrer Kräfte

Es fängt schon bei den Kleinen an. Sie lernen von morgens bis abends, auch am Wochenende. Kinder, Schüler und Studenten pauken bist der Kopf platzt. Man spricht von den »schlaflosen Kindern« [siehe Bericht »Zeit-Online«]. Der Grund: Die besorgten Eltern wollen, dass ihre Einzelkinder die Karriereleiter emporsteigen, um die Familie zu versorgen.

Doch das Wirtschaftssystem Chinas beruht auf Ausbeutung. Es ist der Niedriglohnsektor, der die Produktion in China international so günstig sein lässt. Viele junge Chinesen stellen fest, dass sie trotz guter Schulnoten und Studienabschluss aus dem Niedriglohnsektor nicht herauskommen.

9-9-6: Das ist die neue Formel der Selbstausbeutung in chinesischen Unternehmen: Von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends an 6 Tagen die Woche arbeiten, also 12x6=72 Stunden Arbeit pro Woche. An dieses Ideal halten sich die jungen aufstrebenden Ingenieure, Programmierer, Manager, Händler, Techniker und Entwickler in der Industrie. Doch nur wenige werden am Ende mit höheren Positionen und besserem Einkommen belohnt. Die Mehrheit geht leer aus und bleibt trotz harter Arbeit arm.

»Flachliegen ist die einzige objektive Wahrheit im Universum«

»Flachliegen ist die einzige objektive Wahrheit im Universum« — dieser Spruch eines bekannten chinesischen Internetaktivisten, der selbst versucht, möglichst wenig zu arbeiten und möglichst sparsam zu leben, hat die Runde gemacht. Immer mehr junge Chinesen träumen vom Aussteigen [siehe Bericht »Heise-Online«].

Die Losung also heißt: keine Überanstrengung, keine Karriere, kein Haus, keine Ehe und Familie, keine Kinder, kein Auto, stattdessen minimale Arbeit für das Notwendigste zum Leben. Nur so könne man verhindern, vom System ausgenutzt zu werden.

Chinas KP ist erbost und die Mainstream-Medien hetzen gegen die »faule« Jugend: Niemand habe das Recht, faul zu sein und »flach zu liegen«

Für die Kommunistische Partei Chinas sind solche Bewegungen gefährlich: Wenn immer mehr junge Chinesen sich weigern, hart zu arbeiten, in Immobilien zu investieren, zu konsumieren, zu heiraten, Kinder zu bekommen, dann schadet das der Wirtschaft — die Planziele der KPCh werden nicht verwirklicht.

Tatsächlich ist die Idee des Nichtstuns als passiver Widerstand nicht neu. Es ist ein Widerstand im Sinne Mahatma Ghandis. Auch während der Kulturrevolution in China war Nichtstun oft eine Art des passiven Widerstands und des Überlebens für diejenigen, die aus der Reihe tanzten. Man galt zwar als faul, tat aber nichts, was einem gefährlich werden konnte. Denn Wohlstand anzuhäufen war damals für die einfache Bevölkerung sowieso nicht möglich. Also tut man begriffsstutzig, schwach und faul, um sich nicht für die Partei und das System abzuschuften. Man hält den Ball flach, fällt nicht auf, nutzt jede Gelegenheit zum Nichtstun.

Die heutigen Jugendlichen Chinas spüren dagegen Folgendes am eigenen Leibe: Wenn deine Eltern nicht reich oder kommunistische Parteikader sind, schaffst du es nicht nach oben. Du wirst dein Leben lang ausgebeutet werden, um das System am Laufen zu halten. Davor wollen sie sich schützen.

Die KPCh hat die Gefahr erkannt. Entsprechend hart ist ihr Durchgreifen. Die staatlichen Fernsehsender und Zeitungen verurteilen die jungen passiven Widerständler mit drastischen Worten. Sie meinen, dass niemand das Recht habe, faul zu sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Überwachung auch die »Flachlieger« massiv ausspäht und brutal sanktioniert.

ISSB für Freie Welt

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... »Flachliegen ist die einzige objektive Wahrheit im Universum« ...

Gehört nicht auch ´Deutschland` zum Universum???

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang