Im Würgegriff der politischen Korrektheit

Droht das Ende der Meinungsfreiheit?

Gender, Flüchtlingskrise, EU: Bei vielen Themen schrumpft die Toleranz für andere Meinungen. Kritiker werden angeprangert und sanktioniert. Viele Bürger trauen sich nicht mehr, den Mund aufzumachen.

Foto: Photocapy / flickr.com / CC BY-SA 2.0 (Ausschnitt)
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Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie ist ein Grundpfeiler der Demokratie und eine wichtige Voraussetzung für Presse- und Informationsfreiheit. Die Gewährleistung der Meinungsfreiheit ist ein Gradmesser für das Funktionieren der Demokratie. Wird die Meinungsfreiheit Schritt für Schritt eingeschränkt, ist das ein Zeichen für eine antidemokratische Tendenz in der Gesellschaft.

„Political Correctness“ – Politische Korrektheit ist eine wichtige Tugend. Sie gehört zur Höflichkeit. Sie ist die Basis jeder diplomatischen Korrespondenz und die Grundlage einer friedfertigen Kommunikation in der Gesellschaft. Auf diese Weise werden ungezügelte Meinungsverschiedenheiten in zivilisierte Bahnen gelenkt.

Meinungsfreiheit und politische Korrektheit können sich in bestimmten Fällen gegenseitig ausschließen. Denn was der Eine als Meinungsäußerung ansieht, kann der Andere als Beleidigung empfinden. Hier gilt es abzuwägen. Doch diese Abwägung fällt zunehmend zugunsten einer streng definierten Korrektheit aus. Abweichende Meinungen werden angeprangert. Und weil wir im digitalen Zeitalter leben, wird neben den klassischen Medien das Internet dazu genutzt, Abweichler des vordefinierten Mainstreams anzuprangern und somit sozial kalt zu stellen.

Das Ergebnis ist eine neue Art von Zensur, ein Kampf um Meinungshoheit. Immer mehr Menschen haben den Eindruck, dass sie vorsichtig sein müssen, mit dem was sie schreiben oder sagen. Das ist eine erschreckende Entwicklung. Denn dieses Gefühl hatten viele Deutsche in der DDR und davor im Dritten Reich. Man konnte nur hinter vorgehaltener Hand sagen, was man wirklich dachte. Zwar wird man heute nicht mehr ins Gefängnis gesteckt, doch der soziale Pranger bis hin zum Jobverlust können schon Abschreckung genug sein, um viele Menschen mundtot zu machen. Politisch und gesellschaftlich notwendige Diskussionen werden auf diese Weise im Keim erstickt und Probleme nicht angesprochen, sondern unter den Teppich gekehrt.

An den Schulen und Universitäten fängt es an

In einem aktuellen Beitrag der FAZ wird die Verbreitung der politischen Korrektheit an Universitäten beschrieben. In Großbritannien nehme dieser Korrektheitswahn bereits bizarre Züge an. In der Zeitung „Telegraph“ habe eine Gruppe von Professoren bereits Alarm geschlagen, weil diese Entwicklung den „freien Austausch von Ideen beschränke“. Es werde die Selbstzensur gefördert, die den Menschen Angst mache, frei ihre Meinung zu äußern. So soll sich der israelische Botschafter in Großbritannien darüber beklagt haben, in keine britische Universität mehr eingeladen zu werden, weil man mit Protesten von Muslimen rechnen müsse. Kulturkritische Professoren würden als „Rassisten“ und „Islamhasser“ denunziert werden.

Eine bekannte Feministin, die geschrieben haben soll, dass man durch eine Operation nicht zur Frau werden könne, wurde mit einem Shitstorm belegt und als „transphob“ beschimpft, zudem forderte eine Online-Petition der Studenten das Redeverbot auf dem Uni-Campus für diese Frau. Dies entspricht der neuen „no platform policy“, eine Art der Meinungsunterdrückung, die auch in deutschen Medien immer mehr Verbreitung findet. Mit allen Mitteln wird versucht, Menschen anderer Meinung die Plattform zu entziehen, damit diese ihre Ansichten nicht mehr öffentlich verkünden können.

Um die Gefühle von Muslimen nicht zu verletzten, würden immer mehr Engländer auf „Merry Christmas“-Grußkarten verzichten. Also würden immer mehr Karten mit „Saison’s Greetings“ verschickt. In dem erwähnten FAZ-Artikel wird die Entwicklung angesprochen, dass immer mehr Studenten „safe spaces“ fordern, das heißt Bereiche, in denen sie mit keiner Konfrontation zu rechnen haben. So hätten Studenten verlangt, politisch unkorrekte oder sensible Stellen in Büchern mit „trigger warnings“ zu markieren, damit sie darauf vorbereitet seien, dass etwas kommen könnte, was sie beunruhigen könne, wie etwa Gewaltbeschreibungen in einem klassischen Werk von Shakespeare.

Warum Meinungsfreiheit ein höheres Gut ist als politische Korrektheit

Der Linguist Noam Chomsky war einmal kritisiert worden, weil er einen französischen Holocaustleugner verteidigte. Chomsky antwortete darauf, dass er nicht dessen Meinung verteidige, die er ablehne, sondern dessen Recht auf freie Meinungsäußerung. Niemand dürfe in diesem Recht eingeschränkt werden, selbst wenn man die Meinung des anderen nicht teilt oder sogar abstoßend findet.

Das Prinzip, so Chomsky sinngemäß, sei es, jede Meinungsäußerung zuzulassen. Das sei der Lackmustest für wirkliche Freiheit. Denn wenn nur jene Meinungsäußerung geduldet werde, die man selber teile, dann sei dies bereits Zensur und keine Meinungsfreiheit mehr. Chomsky vertritt hier klare Freiheitswerte. Jeder darf sagen, was er will, selbst wenn es Schwachsinn ist.

Politische Korrektheit ist relativ

Politische Korrektheit wird je nach Zeitgeist, Mode, Gesellschaft, Partei, Milieu, Land und Kultur unterschiedlich definiert. In China gelten andere Regeln der politischen Korrektheit als in den USA. Im stalinistischen Sowjetrussland waren andere Aussagen sträflich als zur Zeit des Zaren. In Thailand darf man den König nicht beleidigen. In islamischen Ländern darf man sich nicht despektierlich über den Propheten äußern. Im Mittelalter konnten kirchenkritische Äußerungen als Gotteslästerung geahndet und hart bestraft werden. Kurz: Jede Zeit hat ihre eigene politische Korrektheit.

Was ist überhaupt politisch korrekt? Wer legt das fest? Wer hat überhaupt das Recht dazu? Wer denkt, sich über andere erheben zu können und bestimmen zu können, was politisch korrekt ist und was nicht? Und was hat diese Festsetzung mit Freiheit zu tun?

Dennoch gibt es zurzeit gerade in Deutschland eine Welle der politischen Korrektheit, einen Kampf um einen gesellschaftlichen Konsens. Neuestes Phänomen ist, alles, was außerhalb der politischen Korrektheit geäußert wird, als „rechts“ einzuordnen. Alice Schwarzer wird als „Rechtsfeministin“ bezeichnet, weil sie auf die anderen kulturellen Hintergründe arabischer Männer aufmerksam gemacht hat. Historiker, die wegen der Zuwanderung einen kulturellen Wandel in Deutschland vorhersagen, werden als „Rechtsintellektuelle“ gebrandmarkt. Politiker, die ein Ohr für des Volkes Stimme haben, werden als „Rechtspopulisten“ in eine dunkeldeutsche Schublade gesteckt.

Kultureller Marxismus und politische Korrektheit

Die neue Welle der politischen Korrektheit, die von den USA über Großbritannien bis nach Kontinentaleuropa und insbesondere in Deutschland zunehmend die offene Diskussion erschwert, hat ihre Ursprünge im kulturellen Marximus der Frankfurter Schule. Intellektuelle wie Herbert Marcuse, Max Horkheimer, Theodor Adorno und einige andere bedeutende Soziologen und Philosophen haben eine „kritische Theorie“ entwickelt, die den Menschen das intellektuelle Rüstzeug in die Hand gibt, gesellschaftliche Hierarchien und kulturell bedingte Machtstrukturen kritisch zu hinterfragen. Das ist prinzipiell etwas Gutes. Kritische Menschen sollten immer alles hinterfragen.

Doch seit den 1960er Jahren bis heute hat sich von Studentengeneration zu Studentengeneration die Kultur des Hinterfragens in eine Kultur des Sezierens aller kulturellen Eigenheiten Europas und Amerikas entwickelt. Es war die Grundlage für die Studentenunruhen der 1960er Jahre und für alle jungen Emanzipationsbewegungen.

Parallel hat sich ein blinder Fleck gebildet. Hinter all dem Hinterfragen von kulturellen und gesellschaftlichen Strukturen und Phänomenen hat sich eine neue Ideologie entwickelt, die selbst so starr ist wie ein autoritäres System. Denn man hat vergessen, das Hinterfragen zu hinterfragen, die Kritik zu kritisieren, Kritik an den Kritikern zuzulassen. Studenten wurden schon in den 1960er und 1970er Jahren von ihren Kommilitonen angegriffen, wenn sie eine andere Meinung vertraten als der Studentenmainstream.

Es mag vielleicht für Manche eine lobenswerte Tätigkeit sein, patriarchale Strukturen zu dekonstruieren und feministische Werte zu propagieren. Doch muss es im Gegenzug ebenso erlaubt sein, bestimmte Tendenzen des Feminismus zu hinterfragen. Sowohl die Kritik als auch die Kritikfähigkeit muss in beide Richtungen gehen. Hier scheinen die Studenten – oh pardon, es muss Studierenden oder Student*innen heißen – die letzte Konsequenz der Kritischen Theorie noch nicht begriffen zu haben, sondern sich nur die Rosinen herausgepickt zu haben. Musterschüler dieser Entwicklung sind die Grünen, die der Bevölkerung vorschreiben wollen, was sie zu essen hat, wie sie zu schreiben und reden hat – Diskussion und andere Meinungen unerwünscht.

Fazit: Eine Demokratie lebt von Meinungsvielfalt. Eine übertriebene politische Korrektheit kann ausgenutzt werden, um Meinungsäußerungen zu unterdrücken. Das hat das nichts mehr mit Demokratie zu tun. Das ist Bevormundung. Wollen wir wirklich in einer Welt à la 1984 von George Orwell leben, in der eine (politische, gesellschaftliche und kulturelle) Elite der Bevölkerung vorschreibt, was sie zu denken und zu meinen hat?

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: K.Becker

Stimme vollinhaltlich überein.
Beispiel: Mein Enkel kommt aus der Schule und informiert über folgende Anweisung der Schule "Wer etwas negatives über die Flüchtlinge sagt, bekommt ernsthafte Konsequenzen zu spüren".
Habe viele Kommentare in den "Leit"-Medien zugehörender Online-Portale abgegeben, ohne rassistisch, hetzend, beleidigend zu sein, lediglich Politversagen und Medien-Manipulationen benannt - 50% wurden entfernt.
Auch wenn durch "Köln" demaskiert wurde, sehe ich, es hat sich nichts geändert.
Wo z.B. wird die Anzahl incl. des kommenden Nachzuges aus 2015 genannt (6-8 Mill.)? Wo bleiben die ca. 300 000 Unsichtbaren?
Wo bleibt die Berechnung auf Grund dieser Zahlen?
Wo bleibt die Information auf Grund der Erfahrung, wieviel der Gekommenen in den nächsten 20 Jahren integriert werden können?
Wir schaffen es..........durch die Wand!???

Gravatar: Elmar Oberdörffer

Politische Korrektheit darf ein Kriterium für die Äußerungen von Politikern und Diplomaten sein, für die Äußerungen aller anderen darf sie nicht angewendet werden. Meinungsfreiheit besteht nur dann, wenn man JEDE Meinung äußern und vertreten darf. Da in Deutschland die Leugnung des Holokaust strafbar ist, gibt es in Deutschland keine Meinungsfreiheit, sie wird schon vom Staat unterdrückt. Was Wunder, wenn bestimmte Kreise sich daran ein Beispiel nehmen und die Meinungsfreiheit auch bei anderen Themen unterdrücken.

Gravatar: rudi

Wir sind bereits an einem Punkt angelangt wo politische Korrektheit über Tatsachen und Verstand gestellt wird.

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