Literaturpreisträger

Die vielen Leben des Clemens Meyer

Autoknacker, Sozialhilfeempfänger und - gefeierter Literat.

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„Eine junge Frau steht am Fenster, schaut in den Abendhimmel, im Januar laufen die Geschäfte nicht, die Gedanken tanzen in ihrem Kopf. 'Der Pferdemann', der alte Jockey, sucht seine Tochter. 'Der Bielefelder' rollt mit neuen Geschäftskonzepten den Markt auf, investiert in Clubs und Eroscenter. 'AK 47' liegt angeschossen auf dem Asphalt.“ Prostituierte und Geschäftsmänner kämpfen um Geld und Macht, um ihre Träume, im neuen Roman von Clemens Meyer.

Kritiker feierten den zweiten großen Roman des Autors: Ein „authentisches, verlottertes Milieu“ (NZZ) würde präsentiert, sagten die einen, und ganz nebenbei erzähle Meyer die Geschichte des Leipziger Rotlichtviertels. Andere sprachen von einer „wirklichkeitssüchtigen Kritik“ und von Meyer als „Erzähler der Stunde“, der sich eben durch ein „Übermaß an Wirklichkeit“ in seiner Erzählung auszeichne (Frankfurter Rundschau). Dass Meyer in der Tat zu den gefragtesten Schriftstellern dieser Tage zählt, hat sich bereits im Spätsommer herauskristallisiert. Mit seinem Roman Im Stein schaffte er es überraschend bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Und auch wenn dieser letztendlich an die ungarnstämmige Schriftstellerin Terézia Mora und ihren Roman Das Ungeheuer ging - es fand sich mehr und mehr Publikum für das gesellschaftskritische Werk von Meyer.

In der letzten Woche wurde bekannt, dass Meyer für Im Stein mit einem anderen bedeutenden Preis ausgezeichnet wird, dem Bremer Literaturpreis 2014. Der mit 20.000 Euro dotierte Preis wird seit 1954 vergeben und hat Preisträger wie Ingeborg Bachmann, Elfriede Jelinek, Christa Wolf oder Reinhard Jirgl auf der Liste. Die Jury begründete ihre Wahl für Meyer, da er „in einem kunstvollen Chor von Stimmen zwischen Wendezeit und Gegenwart die Rückseite der bürgerlichen Gesellschaft hervortreten lässt: die Welt, in der das Leben verkauft wird und die Körper zu Waren werden. Mit expressiver Sprachkraft lässt dieser ungestüme Roman im scheinbar Dokumentarischen der Lebensläufe seiner Figuren die Mythologie der Unterwelt aufscheinen.“ Mit der Preisübergabe am 27. Januar im Bremer Rathaus wird für den Schriftsteller Meyer eine neue Ära anbrechen.

Vom Jugendarrest zum Literaturpreis

Nicht immer fand sich der 1977 in Halle geborene und anschließend im Leipziger Osten aufgewachsene Meyer auf der sogenannten Sonnenseite des Lebens. Nach seinem Abitur jobbte er als Bauarbeiter, bis er zufällig vom Deutschen Literaturinstitut in Leipzig hörte und 1998 mit dem Studium begann. Dann holte ihn seine Vergangenheit ein: Wegen Autoknackerei musste er zum zweiten Mal in die Jugendarrestanstalt Zeithein. „Ich habe das ewig aufgeschoben, mit Rumtricksereien ging das, dann aber war es so weit, ausgerechnet im 1. Semester. Das war vielleicht ein Stress! Burkhard Spinnen, der damals der Leiter des Instituts war, war richtig schockiert: Herr Meyer, Sie müssen in den Knast! 'Shit happens' hat er dann noch gesagt.“ (taz) Seinen Lebensunterhalt verdiente Meyer danach als Wachmann, Möbelpacker oder Staplerfahrer. Doch immer schrieb er und fand vereinzelt Förderer wie etwa Sten Nadolny. Im Jahr 2001 nahm Meyer am Wettbewerb zum MDR-Literaturpreis teil und gewann: „Den mit 5.000 DM dotierten Preis holte sich der 25-jährige Student Clemens Meyer mit seiner Geschichte 'Kinderspiele'. […] Die Geschichte erzählt von einer 'kaputten' Kindheit. Ein Sprecher teilte mit, es sei eine Geschichte, die 'schonungslos offen den Zeitgeist widerspiegelt in ihrer unverbrauchten, ruppigen Sprache'.“ (shortnews.de)

Für Meyer folgte eine Zeit des Zerrissen-Seins zwischen dem Glaube am eigenen Talent und dem Zweifel an der eigenen Durchsetzungsfähigkeit. Nur durch Stipendien wurde ihm die Arbeit an seinem ersten Roman ermöglicht. Als er für das Manuskript einen Verlag suchte, lebte er von Sozialhilfe und Hartz IV. Schließlich habe man ihm sogar den Strom abgestellt, erzählte Meyer in einem Interview, im Dunkeln hörte er dank Billigbatterien Hörbücher und trank Tee, den er sich mithilfe einer funktionierenden Steckdose im Keller des Wohnblocks zubereitet hatte.

Im Jahr 2006 erschien sein Debütroman Als wir träumten und für Meyer ging das Licht wieder an: Er wurde mit zahlreichen Literaturpreisen wie dem Mara-Cassens-Preis oder dem Rheingau-Literatur-Preis ausgezeichnet für den Roman, dessen letzter Satz trotzig lautet: „Ich bin noch da, ihr Schweine!“. Auch hier lobten Kritiker wieder den „authentischen Einblick in einen kaum je literarisch beleuchteten Rand der Gesellschaft“, man liebte die „glaubhafte Schilderung einer verlorenen Jugend im Leipzig der Wendezeit, die sich in ihren Riten und ihrem Ehrenkodex Würde bewahrt; plastisch gezeichnete Figuren in Szenen von brutalem Realismus, umwerfender Komik und überraschender Zärtlichkeit; eine Sprache, die immer den genau richtigen Ton trifft, nie zu hoch, nie zu flach greift.“ (Buchmarkt.de) Für Meyer begann damit die Zeit als gefeierter Literat: So wurde er für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, zum Ingeborg Bachmann-Wettbewerb eingeladen und endlich von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Man feierte ihn als Überraschungserfolg.

Eine Randgestalt unter Randgestalten

Bereits im ersten Roman thematisierte Meyer die Randgestalten der Gesellschaft. Er schrieb von autoknackenden und drogenkonsumierenden Jugendlichen, von der Perspektivlosigkeit und dem Traum von einem besseren Leben. Oft wurde im Feuilleton der Vergleich zwischen den Romanfiguren und dem Schriftsteller selbst gezogen: Viele Parallelen seien zu erkennen – im Leben, im Handeln. Meyer zeigt hier das Alltägliche, das drastisch sein kann, und stellt es in einen größeren gesellschaftlichen Kontext. Er unterzieht seine Umgebung der Kritik, dafür braucht er nicht viel recherchieren, er beobachtet einfach und notiert. Als wir träumten klingt authentisch, nach Kombination von Erfahrung, eigener Biografie und Phantasie.

Zwei Jahre später, im Jahr 2008, erschien Die Nacht, die Lichter, was dem Schriftsteller endlich den Preis der Leipziger Buchmesse bescherte. Schon bei dieser zweiten Veröffentlichung meinten Kritiker, Meyer würde sich an Figuren und Milieus festhalten, die literaturfremd sind und er tendiere zu Randfiguren: Waren es im Debütroman perspektivlose Jugendliche, so waren es nun Arbeitslose, Schläger und Säufer. Doch die Kritik am Thema Unterschicht prallte an Meyer ab: „Es gibt sie nicht, die Unterschicht“ sagte Meyer in einem Interview, „es gibt Teile der Gesellschaft, die sich im sozialen Abseits befinden, aber auch hier gibt es feine Unterschiede.“ Sein im Jahr 2010 erschienenes literarisches Tagebuch Gewalten war für viele Leser aufgrund der kraftvollen, atmosphärischen Sprache schwer verdaulich und wurde von Kritikern wegen der darin behandelten, nicht alltäglichen Themen kaum beachtet. Doch für Meyer ging der Höhenflug weiter. Derzeit wird sein Debütroman Als wir träumten verfilmt, die Dreharbeiten laufen in Leipzig.

Und er bleibt sich weiter treu, literarisch wie menschlich: Noch immer wohnt er in Leipzig Anger-Crottendorf, einem Viertel im Osten von Leipzig, wo viele Häuser zerfallen sind, Türen zugemauert und Fenster eingeschlagen. In diesem Leipzig bewohnt Meyer eine Wohnung an der Durchgangsstraße, Hochparterre mit niedrigen Decken. Hier schreibt er seine Texte über Elend, aus dem er dank komplexer Dramaturgie und genauer Sprache literarische Kunst macht. Unbeirrt erkundet er Seelenlandschaften, zeichnet Portraits unserer Ängste und versucht, die Gesellschaft zu erklären. In einem Interview sagte er: „Es entscheidet sich am Schreibtisch. […] Können setzt sich durch, auch wenn es manchmal lange dauert.“

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: susanne

tja, die art der berichtenden artikel sind teil unserer zeit - es ist eben einfacher, irgendwas und vor allem schnell hinzuschreiben. kaum noch wird sich die "mühe" gemacht, genau zu recherieren. das gilt für fast alle bereiche des lebens.
der frage ist, wie damit umgehen. ignorieren? wiedersprechen? streiten?
umfangreiches thema.

in jedem fall - viel glück & erfolg für alles was du vorhast.
an der stelle: vielen dank nochmals für die wunderbare lesung in der htwk, echt klasse :-)

Gravatar: C.Meyer

also es ist ja nicht zu fassen! und für mich beginnt auch keine neue ära!
seit 2006 erhielt ich verschiedenste literaturpreise etc, schrieb theaterstücke, bin für den deutschen drehbuchpreis nominiert, besuchte goetheinstitute auf der ganzen welt. was für eine neue äre? autoknacker bin ich nie in meinem leben gewesen! und ein sozialkritischer erzähler auch nicht. das kann ja lles nicht wahr sein, was man hier lesen muss. das grenzt an Unverschämtheit.

Gravatar: C.Meyer

erstens: "ich bin noch da ihr Schweine" ist der letzte Satz in Gewalten.
zweitens: überraschend war die nominierung nicht. schon" die nacht, die lichter" erhielt den preis der leipziger Buchmesse.
drittens: der artikel ist schlecht recherchiert, geschrieben und sehr respektlos. fundiert auf uralten zitaten. der schrifsteller Meyer ist seit Jahren etabliert, da ist nichts überrachende.
beste grüße , cm

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