Diesseits und jenseits des Mittelmeeres

Die Konsequenzen des asymmetrischen Bevölkerungswachstums

Ob Flüchtlinge oder Migranten, eine Abwanderung von Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten nach Europa wird sich kaum vermeiden lassen. Es stellt sich allerdings die Frage, wie man damit umgeht.

Foto: Photocapy/flickr.com/CC BY-SA 2.02
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Das Mittelmeer trennt zwei Welten. In Europa altert und schrumpft die Gesellschaft, in Afrika und im Nahen Osten wächst sie und verjüngt sich im Zeitraffer. Der arabische Frühling, die Bürgerkriege und der Flüchtlingsstrom nach Europa zeigen uns, dass wir uns auf Einiges gefasst machen müssen.

Diese Problematik ist seit langem bekannt. Die Forderung, wie sie von vielen wirtschaftsnahen Stiftungen und politischen Institutionen vertreten wird, dass eine geregelte Zuwanderung das demografische Problem in Europa abmildern und die übervölkerten Länder entlasten würde, ist auch von der Hoffnung getragen, von einem wachsenden mobilen Arbeitskräftepotenzial profitieren zu können.

Doch die Welt ist keine Computersimulation. Die unterschiedlichen demografischen Entwicklungen nördlich und südlich des Mittelmeeres können weitaus umfassender zu politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen führen, als allen lieb ist. Mit der Kettenreaktion des Arabischen Frühlings hatte niemand gerechnet, noch weniger mit der Situation danach, als das Pendel wieder zurückschlug.

Vielleicht lohnt es sich, an zwei Werke zu erinnern, die zwar kontrovers diskutiert wurden, aber dennoch in ihren Kernaussagen eine realistische Mahnung enthalten. Das eine Werk ist „Clash of Civilizations and the Remaking of World Order“ des amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington, das andere heißt „Söhne und Weltmacht: Terror im Aufstieg und Fall der Nationen“ von Gunnar Heinsohn.

Huntington wies auf die zunehmenden Konfrontationen der Kulturen hin, die die westlichen Werte mit ihrer Widersprüchlichkeit zunehmend infrage stellen. Besonders den Islam sieht er als Herausforderung für die westliche Kultur an, da beide in vielerlei Hinsicht nicht kompatibel seien. Er wies schon vor zwanzig Jahren darauf hin, dass die Konfrontationen sich radikalisieren würden. Der islamische Neo-Konservativismus und die Reaktionen der Fundamentalisten auf die vorhergehende Verwestlichung und Säkularisierung der islamischen Gesellschaft scheinen im Nachhinein viele Thesen von Huntington zu bestätigen.

Heinsohn dagegen verwies auf den demografischen Einfluss. Geburtenstarke Jahrgänge, die im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung zu einer überproportional großen Anzahl perspektivloser Jugendlicher führen, bergen die Gefahr der Eskalationen, die sich in Unruhen, Revolutionen, Kriegen, Terrorismus und Umbrüchen ausdrücken. Heinsohn belegt diese Beobachtung anhand zahlreicher historischer Beispiele, die er im Kontext der Bevölkerungsstatistiken liest.

Die Ereignisse im Nahen Osten, vom Arabischen Frühling bis zum Islamische Staat (IS), scheinen beide Thesen gelichermaßen auf geradezu groteske Art zu belegen. Man muss nicht mit allen Details von Heinsohns und Huntingtons Thesen übereinstimmen. Es geht auch nicht um eine theoretische Diskussion im Elfenbeinturm der Universitätsseminare. Es geht um die praktische Frage, was passieren kann, wenn man weiterhin die Gefahren ausblendet und sie als Alarmismus abtut.

Dass den Geschehnissen im Nahen Osten gewisse demografische Entwicklungen vorausgingen, kann man als zufällige Korrelation abtun. Man kann aber auch einen Zusammenhang annehmen, der bei Betrachtung der Zahlen nicht von der Hand zu weisen ist.

Tatsächlich hat sich die Bevölkerung in den Ländern des Nahen Ostens während der letzten 50 Jahre verdreifacht bis vervierfacht: Ägypten (1960: 25,6 Millionen, 2015: 89,5 Millionen), Irak (1960: 6,7 Millionen, 2013: 33 Millionen), Iran (1960: 20 Millionen, 2013: 78 Millionen), Libyen (1960: 1,6 Millionen, 2013: 6 Millionen), Saudi Arabien (1960: 6,5 Millionen, 2014: 30,7 Millionen), Syrien (1960: 4,7 Millionen, 2011: 17,9 Millionen), Türkei (1960: 27,6 Millionen, 2014: 77,6 Millionen).

Wichtig für die Prognose des Bevölkerungswachstums ist das Durchschnittsalter der Bevölkerung. In Großbritannien liegt das Durchschnittsalter bei 39 Jahren, in Deutschland, Italien und Japan bei rund 42 Jahren. Nur das Fürstentum Monaco hat noch eine ältere Bevölkerung mit durchschnittlich 45 Jahren.

Zum Vergleich die Länder des Nahes Ostens: Ägypten: 24, Irak: 20, Iran: 25, Libyen: 23, Saudi-Arabien: 21, Syrien: 21 , Türkei: 28. Lediglich in den Ländern Afrikas südlich der Sahara ist die Bevölkerung noch jünger, in vielen Länder durchschnittlich zwischen 15 und 20 Jahren.

Um den demografischen Zahlenvergleich abzuschließen, vergleichen wir kurz die Entwicklungen in Europa und Afrika: 1900: Europa 423 Millionen, Afrika 120 Millionen – 1960: Europa 640 Millionen, Afrika 246 Millionen – 2015: Europa 742 Millionen, Afrika 1,1 Milliarden.

Es nützt nichts, zu dramatisieren. Aber es liegt auf der Hand, dass die Quantität der Migration aus Afrika und dem Nahen Osten nach Europa zunehmen wird, da das ökonomische Ungleichgewicht sich ebenso verschärft und den Menschen in diesen Ländern oftmals keine andere Wahl bleibt. Ebenso liegt auf der Hand, dass der hohe Anteil junger Menschen eine große Zahl jener einschließt, die perspektivlos in die Zukunft blicken und daher ein gewisses Frustpotential aufgebaut haben.

Geburten pro 1000 Einwohner: Deutschland ist Schlusslicht der Welt

Nun zur anderen Seite der Medaille. In Europa und insbesondere in Deutschland beklagt man die Überalterung der Gesellschaft und den Rückgang des Erwerbstätigenpotenzials. Das sei eine erhebliche Herausforderung für den Staat, die Gesellschaft, die Sozialversicherungssysteme und die steuerzahlende Wirtschaft sowieso.

Erst vor wenigen Wochen wurde eine Meldung des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) verbreitet, die doch überraschend war. Deutschlands niedrige Geburtenrate ist seit langem bekannt. Doch wenn man nicht die übliche Rechnung der durchschnittlichen Geburtenzahl pro Frau anlegt, sondern als gesamtgesellschaftlich aussagekräftigeres Maß die Zahl der Geburten pro 1.000 Einwohner, dann gibt es statistische Verschiebungen. Denn auch das Alter der Mütter spielt eine Rolle.

Je später die Geburt, desto größer wird die Generationenspannweite. In vielen afrikanischen Ländern wächst die Bevölkerung nicht nur deshalb so schnell, weil die Frauen überdurchschnittliche viele Kinder bekommen, sondern auch, weil sie im Durchschnitt früh Mutter werden. In Deutschland dagegen ist durch die langen Ausbildungszeiten und Studiendauer an den Universitäten, durch die beruflichen Ansprüche an die Frauen und wegen des wachsenden Bedürfnisses nach Individualität und Selbstverwirklichung, das durchschnittliche Alter der Mütter westlich höher. Der Unterschied liegt bei rund einem Jahrzehnt.

Nach dieser Methode nun, die Zahl der Geburten pro 1.000 Einwohner zu messen, ist Deutschland das Schlusslicht auf dem gesamten Planeten – noch hinter Japan.

Deutsche Wirtschaft befürwortet Zuwanderung und Aufnahme von vielen Flüchtlingen

Wie Focus-Online berichtete, zeigen sich führende Vertreter der deutschen Wirtschaft zuversichtlich. Daimler-Chef Dieter Zetsche glaubt, die Flüchtlingswelle könnte im besten Falle ein „neues Wirtschaftswunder auslösen“. Die ankommenden Menschen seien hoch motiviert, weil sie ihr komplettes Leben zurückließen. „Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land“, wird Zetsche vom Fokus zitiert. Wer an die Zukunft denke, so Zetsche, werde sie nicht abweisen. In diesem Zusammenhang erinnerte er an die Zuwanderer und Gastarbeiter, die einst in den 1950er und 1960er Jahren „ganz westlich zum Aufschwung der Bundesrepublik beigetragen haben.“

Viele führende Industrie- und Wirtschaftsvertreter setzen sich für mehr Hilfe für Flüchtlinge ein, darunter Matthias Müller (Porsche), Klaus Engel (Evionik), Frank Appel (Post).

Wir haben bereits berichtet, dass viele Stiftungen der Wirtschaft (u.a. Bertelsmann-Stiftung) und öffentliche Institutionen (u.a. das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit), die sich in Studien und Stellungnahmen deutlich für eine umfangreichere Zuwanderung ausgesprochen haben. Die Größenordnung liegt bei etwa einer halben Million Menschen jährlich, und zwar für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte!

Deutschland sollte keinen Sonderweg gehen

Damit ist klar, in welche Richtung es weitergehen wird. Auf der einen Seite haben wir die demografische Negativentwicklung in Deutschland, die durch EU-Binnenwanderung nicht gelöst werden kann, weil es auch ein europäisches Problem ist, sowie die Bedürfnisse der Wirtschaft nach einem mobilen und motivierten Arbeitskräftepotenzial. Auf der anderen Seite haben wir in Afrika und im Nahen Osten die Überbevölkerung, aride Klimaverhältnisse, Bürgerkriege, Armut und Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen.

Es handelt sich um eine Art „Global Shift“, ein Ausgleichen asymmetrischer Verhältnisse, das sich nicht aufhalten lässt. Es besteht aber die Möglichkeit, es zu gestalten, regulieren, entschleunigen, unter Kontrolle zu halten. Die Voraussetzung dafür wäre allerdings eine sachliche und ergebnisoffene Diskussion, bei der auch die Gefahr kultureller und konfessioneller Konflikte in Europa nicht als Alarmismus abgetan, sondern ernsthaft diskutiert wird.

Die derzeitige chaotische Aufnahmeaktion der Bundesregierung ist allerdings das Gegenteil dessen, was unter diesen Umständen angebracht wäre, weil sich die Ereignisse via Internet wie ein Lauffeuer im südlichen Mittelmeerraum und Nahen Osten herumsprechen und weitere Menschen motivieren, nach Europa aufzubrechen. Es ist geradezu bizarr, wie Deutschland einen Sonderweg beschreitet, der von fast allen anderen europäischen Staaten mit Skepsis betrachtet wird. Wenn man nach vorn prescht, doch fast kein anderes westliches Land folgt, sollte das zu denken geben.

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