Nun ist es soweit. Deutschland beteiligt sich am Krieg in Syrien. Die Bundeswehr soll Frankreich und die USA im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) unterstützen. Die militärische Beteiligung soll angeblich „nur“ 134 Millionen Euro kosten.
Der deutsche Einsatz in Afghanistan, der alles andere als erfolgreich war, ist gerade vorbei, nun kommt der nächste Brennpunkt für die Bundeswehr. Damit wird Deutschland verstärkt zum Ziel terroristischer Anschläge werden, so wie Russland und Frankreich es wegen ihrer Einsätze in Syrien bereits geworden sind.
Mit dem Assad-Regime will man angeblich nicht zusammenarbeiten. Aber mit der syrischen Armee wird eine praktische Zweck-Kooperation auf Zeit nicht ausgeschlossen. So denkt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.
Ist der „Islamische Staat“ (IS) militärisch besiegbar?
Reihenweise melden sich Experten zu Wort, die einen militärischen Sieg über den „Islamischen Staat“ (IS) für möglich halten. Sie argumentieren, als hätten sie es mit einem Staat zu tun, dessen Truppen besiegt und dessen Regierung gestürzt werden müssen. Heftig wird diskutiert, ob Luftschläge ausreichen oder ob man auch Bodentruppen einsetzen müsse.
Damit erweisen sich so manche Experten als Nicht-Experten. Denn sie haben die Hintergründe des Konfliktes immer noch nicht verstanden. Haben die Erfahrungen der Sowjetunion und der NATO/ISAF-Truppen in Afghanistan nicht ausgereicht, um zu lernen, dass solche Länder sich zwar schnell besetzen lassen, aber nicht auf Dauer kontrollieren? Haben die Erfahrungen des Golfkrieges und des Irakkrieges nicht gezeigt, dass das eigentliche Problem erst dann beginnt, wenn man im Lande ist und die Kontrolle und öffentliche Ordnung herstellen muss?
Was ist, wenn der IS militärisch „besiegt“ ist, die Region besetzt ist, aber die Terroristen noch da sind, nur als Zivilisten gekleidet ihren Terrorkrieg fortführen? Haben die Sowjets die Mujaheddin besiegen können? Haben die USA die Taliban besiegen können? Wieso ist Al-Qaida stärker als je zuvor? Wieso konnte sich der „Islamische Staat“ (IS) so ausbreiten, obwohl die USA im Irak die Truppen der Zentralregierung teuer ausgerüstet und ausgebildet haben?
Deutschland hat sich jahrelang in Afghanistan engagiert. 54 deutsche Soldaten mussten dafür mit dem Leben bezahlen. Hunderte wurden verletzt, Tausende traumatisiert. Und nun, nachdem die deutschen Truppen abgezogen sind, sind die Taliban wieder auf dem Vormarsch. Die deutschen Truppen wurden von den Taliban sowieso nie ernst genommen, weil man mit Brunnenbauen und Kontrollfahrten keinen Eindruck hinterlässt und weil man mit einer kleinen Truppe kein riesiges Gebiet voller Rebellen kontrollieren kann.
Dass die Bundesregierung nicht zugibt, dass der Bundeswehreinsatz in Afghanistan am Ende nichts Nachhaltiges und Friedenstiftendes bewirkt hat, ist eigentlich ein Skandal. Das Morden und Töten geht in Afghanistan weiter, als wären die Deutschen nie dagewesen. Die Zahl der Menschen, die als Opfer von Minenexplosionen und Schusswunden in afghanische Krankenhäuser gebracht wurden, ist in den letzten Jahren gestiegen, nicht gesunken.
Was ist mit den anderen Regionen des Nahen Ostens?
Selbst wenn man den Osten Syriens und Norden des Irak vom IS befreien kann, stellt sich die Frage nach den anderen Rebellen, von denen nicht alle moderat sind. Was ist mit Al-Qaida und Al-Nusra, die ebenfalls Gebiete in Syrien kontrollieren? Wie wird man mit den Turkmenen umgehen, die sich nicht so gern mit Assad vertragen wollen? Wie wird man die Hisbollah unter Kontrolle bringen? Israel versucht das seit Jahrzehnten – bisher erfolglos. Was kann die EU besser als Israel? Wie geht man mit den schiitischen Al-Quds-Brigaden um, die sich in der Region aufhalten? Was soll mit Assad und seiner Armee geschehen? Wie wird die Türkei mit den neuen autonomen Kurdengebieten im Norden des Iraks und Syriens umgehen?
Selbst wenn der Irak und Syrien befriedet werden sollten – was auf absehbare Zeit völlig utopisch ist – werden sich islamistische Terrorgruppen im Jemen, in Afghanistan, in Libyen, in Somalia, in Nigeria, in Mali und vielen anderen Ländern neu formieren. Der IS hat bereits Ableger in den meisten dieser Länder. Für jeden getöteten Dschihadisten kommen zwei neue.
Von der Leyens naiver 6-Punkte-Plan
In einem Exklusiv-Interview mit der Bildzeitung hat Ursula von der Leyen einen 6-Punkte-Plan vorgelegt. Es klingt, als hätte sich eine Kindergartengruppe mal eben mit dem Nahen Osten beschäftigt und dann einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben.
Erstens schlägt sie ein politisches Zweckbündnis auf Zeit vor, dass auch Russland, den Iran und die arabischen Länder mit einschließt. Nur gemeinsam könne man den IS bezwingen. Kommentar: Dann kann sich der Iran aber freuen, dass er nun direkt eingreifen darf und nicht mehr die Hisbollah und Al-Quds-Brigaden vorschicken muss. Saudi-Arabien und Katar werden ihren Beitrag, wie bisher, nur halbherzig leisten, denn ein großer Teil der Bevölkerung und insbesondere der wahhabitischen Elite unterstütz den IS.
Zweitens will Ursula von der Leyen „Stärke“ zeigen, indem sie die kurdischen Peschmerga ausbilden lässt, Waffen in das Kriegsgebiet liefert, deutsche Tornados zu Aufklärungsflügen und ein Tankflugzeug nach Syrien schickt. Außerdem soll eine deutsche Fregatte vor der syrischen Küste patrouillieren. Kommentar: Ob sich der IS davon beeindrucken lässt? Ob sich Erdogan über die Unterstützung der Kurden freut?
Drittens sollen gefährdete Staaten wie Tunesien, Mali, Jordanien und der Libanon rechtzeitig stabilisiert werden. Kommentar: Man fasst sich an den Kopf. Der Libanon ist seit mehr als dreißig Jahren instabil. Was will man da jetzt tun? Was ist mit Ländern wie Afghanistan und Somalia, wo man bereits versagt hat?
Viertens sollen – nach Ursula von der Leyen – andere muslimische Gruppen in den Kampf mit einbezogen werden, damit seien vor allem syrische Rebellen, Kurden und irakische Truppen gemeint. So solle gezeigt werden, dass sich die islamische Welt vom IS distanziert. Kommentar: Wo wird die Grenze gezogen? Hat Ursula von der Leyen nicht begriffen, dass auch die anderen Gruppierungen von Islamisten durchsetzt sind, dass der Dschihad ein Massenphänomen ist, das große Teile der islamischen Welt erfasst hat? Was ist mit Al-Qaida und Al-Nusra? Was ist mit den Hisbollah? Was ist, wenn die Schiiten und Alawiten Rache an den Sunniten verüben und diese nach Abzug der westlichen Truppen wiederum mit Gegenrache agieren? Wo lebt von der Leyen eigentlich, dass sie so eine naive Vorstellung vom Nahen Osten hat?
Fünftens soll eine internationale Konferenz in London abgehalten werden. Dort sollen sich alle betroffenen Staaten darum bemühen, ein Szenario des Wiederaufbaus zu entwerfen. Dagegen kann man nichts sagen. Reden schadet nie. Es wird aber fraglich sein, ob etwas dabei herauskommt.
Sechstens will Ursula von der Leyen den Hass in unserer Mitte bekämpfen, der junge Menschen dazu animiert, sich Terrororganisationen anzuschließen. Kommentar: Sie soll mal mit Syrern, Irakern und Afghanen sprechen, woher der Hass kommt. Und sie werden viel zu erzählen haben. Zum Beispiel von US-Geheimdiensten, die Kurden gegen Saddam Hussein aufgewiegelt hatten und sie dann im Stich ließen, auch dann, als Saddam Giftgas einsetzte, oder zum Beispiel von den Schiiten der Region Schatt el-Arab im Südirak, die von den USA zum Aufstand gegen Saddam ermuntert und dann im Stich gelassen wurden, oder von der Ausbildung von Rebellengruppen in Afghanistan, aus denen sich Terrorgruppen wie Al-Qaida entwickelt haben, oder von der Ausbildung von Rebellengruppen gegen Assad in Syrien, aus denen sich Al-Nusra und der IS entwickelt haben, und so weiter.
Die Bundesrepublik hat auf dem Nahost-Kriegsschauplatz nichts zu suchen
Die Bundesregierung beweist, dass sie über keinerlei Richtungskompetenz verfügt, um die Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten zum Besseren zu bewegen. Daher kann es nur eine Lösung geben, nämlich sich herauszuhalten.
Es sind vor allem die US-Amerikaner, Türken, Iraner, Saudis, Israelis, Franzosen und Briten die Öl ins Feuer gegossen haben. (Man erinnere sich an das Sykes-Picot-Abkommen von 1916, mit dem die Franzosen und Briten sich den Nahen Osten aufteilten und die künftigen Grenzen Syriens und des Irak festlegten – genau dieses Abkommen will nach eigenen Angaben der „Islamische Staat“ (IS) explizit rückgängig machen, indem das islamische Kalifat seine eigenen Grenzen definiert.) Diese Länder tragen nicht nur die Verantwortung für die Misere, sie haben auch die wesentlich besseren Experten und Nahost-Kompetenzen. Deutschlands sinnfreie Beteiligung ist nichts anderes als eine leere Geste zum Gefallen der NATO-Verbündeten.
Am Ende wird es kommen, wie all die Jahre zuvor: Die Rebellen von heute werden die Terroristen von morgen sein. Die Dschihadisten wünschen sich nichts sehnlicher, als den Westen in den Krieg nach Syrien zu locken wie ehedem in Afghanistan. Daher die Anschläge. Daher die provokanten Drohungen. Denn dann haben sie den Gegner dort, wo ihn haben wollen, um ihren Heiligen Krieg zu rechtfertigen. Wieder einmal schnappt die Falle zu.
Kommentare zum Artikel
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Der Unsinn unserer Regierung nimmt immer extremere Formen an!
Die jungen Syrer sitzen in Deutschland und im übrigen Europa und unsere deutschen jungen Menschen sollen für sie den Krieg in Syrien führen.
Ich dachte immer die stolzen Machos aus dem Süden brauchen nie jemanden der die Kastanien für sie aus dem Feuer holt. Dann trifft wohl der Spruch von den verwöhnten Jungen doch zu.
Das finde ich schon traurig.