Porträt IWF-Chefin Christine Lagarde

Der Zehnte für die Euro-»Rettung«

Christine Lagarde steht dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vor, der jüngst in einer Publikation die Verstaatlichung von 10 Prozent der Ersparnisse der EU-Bürger forderte. Wer ist diese Frau?

Foto: Center for Global Development (CGD) / flickr.com / CC BY 2.0
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Im Mai des Jahres 1968 schaffte es ein Mädchen aus der Normandie erstmals in die überregionale Presse: Bei den französischen Jugendmeisterschaften im Synchronschwimmen errang es zusammen mit seinem Team die Bronzemedaille. Mittlerweile ist Christine Lagarde längst der Sprung vom Sportteil auf die Titelseiten gelungen, und statt sich mit dem dritten Platz begnügen zu müssen, ist sie seit Juli 2011 ein echtes Goldkind: In der Nachfolge ihres Landsmanns Dominique Strauss-Kahn wurde sie zur Geschäftsführenden Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) gewählt.

Dabei hatte es im Vorfeld durchaus ein Bemühen um Alternativlösungen gegeben: Die Schwellen- und Entwicklungsländer wollten endlich einen der Ihren auf dem Chefposten sehen. Schließlich nominierten sie mit dem Mexikaner Agustin Carstens auch einen respektablen Kandidaten, den auch der IWF-Verwaltungsrat als „sehr qualifiziert“ einstufte. Dieses Urteil verwundert nicht, hatte sich Carstens doch bereits als stellvertretender Direktor des Währungsfonds bewährt. Doch am Ende stach die Dame den beleibten Bauern aus Mittelamerika aus – ein „Sieg für Frankreich“, wie Präsident Sarkozy mit gewohnter Zurückhaltung triumphierte.

Dabei gehört es zum Charme der neuen Chefin, dass sie als Politikerin auf den ersten Blick sympathisch unfranzösisch erscheint: Lagarde studierte nicht an der Eliteakademie „Ecole nationale d’administration“. Sie scheiterte dort sogar zweimal bei der Zulassungsprüfung, die sie also offenbar wirklich auf sich allein gestellt absolvierte. Gegenüber Amerika ist sie seit jeher angenehm komplexfrei, und ihre berufliche Karriere machte sie nicht in einem Staatsbetrieb, sondern in einer renommierten US-Anwaltskanzlei. Lagarde ist zwar von Haus aus keine Ökonomin, wohl aber mit einem Diplom in Arbeitsrecht, einem Magister in Anglistik und einem Master in Unternehmensrecht bestens für eine Führungsaufgabe gerüstet. Und als Ministerin für Außenhandel und später für Wirtschaft und Finanzen erwies sie sich zunächst als Frau mit Mut: Sie engagierte sich für einen Abbau von Handelsbeschränkungen, nannte das französische Sozialrecht eine „Bremse für die Beschäftigung“, nahm wiederholt das Wort „Sparhaushalt“ in den Mund und riet Demonstranten gegen steigende Spritpreise, doch einfach einmal aufs Fahrrad umzusteigen. „Madame Lagaffe“ nannte sie die französische Presse deshalb verballhornend, obwohl das immer noch weit eleganter klingt als ein plumpes „Frau Fettnapf“. Doch Lagarde empfindet diese Häme offenbar bis heute und völlig zu Recht als Auszeichnung, und Karikaturen aus jener Zeit zierten die Wände ihres Ministerbüros.

„Adidas is all in“

Auf den zweiten Blick scheint Lagarde jedoch viele Vorteile und Schlussurteile zu bestätigen, die über die französische Politik in Umlauf sind: So umgibt auch sie ein solch dichter Odem des Skandalischen, dass es einen deutschen Amtsträger schon längst von ebenjener Bürde befreit hätte. Der „Point Culminant“ führt Lagarde dabei wieder dorthin zurück, wo sie begonnen hat: Drei Streifen zieren nämlich nicht nur die Uniformen von Obristen, sondern auch die Produkte eines bekannten Sportartikelherstellers. Und ebendieser befand sich in der ersten Hälfte der neunziger Jahre im Eigentum eines schillernden Mitterrand-Ministers: Bernard Tapie. Dieser hatte sich auf die wenig sozialistische Gewohnheit versteift, kriselnde Firmen aufzukaufen, zu sanieren und dann mit Gewinn wieder zu veräußern. Im Falle von Adidas bediente sich Tapie dazu der Staatsbank Crédit Lyonnais, die sich allerdings ihrerseits einen Heuschreckenhappen gönnte: Bereits zwei Jahre nachdem sie die Firma selbst übernommen hatte, verkaufte das Geldinstitut das Traditionsunternehmen aus Herzogenaurach für den doppelten Betrag weiter. Tapie zog dagegen vor Gericht und kämpfte anderthalb Jahrzehnte erfolglos um Wiedergutmachung. Am Ende traf es sich gut, dass er sich auch auf die Freundschaft mit Konservativen verstand: Kurz nach dem Amtsantritt von Nicolas Sarkozy als Staatspräsident wurde das Verfahren den ordentlichen Gerichten per Federstrich entzogen und einem Schiedsgericht übertragen. Dieses sprach Tapie eine Entschädigung von fast 400 Millionen Euro zu – aus Steuergeldern. Die Person, die dabei die Feder führte, war übrigens: Finanzministerin Christine Lagarde.

Wegen dieser Affäre schien ihre Position als IWF-Direktorin denn auch zunächst gefährdet zu sein. Der „Gerichtshof der Französischen Republik“ lies die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Politikerin zu, wobei die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft auf Amtsmissbrauch und Veruntreuung lauteten. Im Gefolge wurde Lagardes Wohnung in Paris durchsucht, und sie selbst musste sich einem zweitägigen Verhör unterziehen. Doch schließlich kam es nicht zur formalen Verfahrenseinleitung, und selbst dann hätten die Europäer wahrscheinlich eisern zu ihrer Spitzenfrau gehalten. Denn beim IWF steht für die Staaten des Euroraums weit mehr auf dem Spiel als schnöde Glaubwürdigkeit. Denn der Währungsfonds, dessen Existenz auf das gescheiterte Bretton-Woods-System fixierter Wechselkurse zurückgeht, gehört zu den Hauptfinanziers der „Euro-Rettung“. Allein in Griechenland ist er mit Krediten im Volumen von dreißig Milliarden Euro engagiert. Und obwohl der IWF nicht zuletzt dazu bestimmt ist, den Entwicklungsländern bei der „Erarbeitung von Wachstums- und Wohlstandskonzepten“ zu helfen, fließen inzwischen sechzig Prozent seiner Hilfsleistungen nach Europa. Das und nichts anderes ist der wesentliche Grund, warum die EU-Staaten trotz aller Anrüchigkeit an Christine Lagarde festhalten.

Alle Zehnten im Lande sind dem Staat geheiligt?

Und dies ist schließlich auch der Hintergrund der umstrittenen Erwägungen des IWF-„Fiskalmonitors“ aus dem vergangenen Oktober. Darin machen sich die Experten des Fonds Gedanken über die Lösung von Staatsschuldenkrisen. Besondere Aufmerksamkeit hat die Überlegung auf sich gezogen, Sparer mit einer einmaligen „Sonderabgabe“ in Höhe von zehn Prozent ihrer Einlagen zur Kasse zu bitten. Andere Ideenspiele, namentlich die Entschuldung der öffentlichen Finanzen durch Niedrigzinsen und das Drehen an der Inflationsspirale, sind dagegen auf weniger Interesse gestoßen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass das, was längst geschieht, nicht mehr als mediales Aufregerthema taugt.

Nun argumentieren die Verteidiger Lagardes, dass der in Rede stehende Text ja nicht von ihr persönlich stammt. Das ist gewiss richtig, doch handelt es sich bei dem „Fiskalmonitor“ um weit mehr als ein internes Diskussionspapier. Die Publikation der angestellten Überlegungen deutet darauf hin, dass der Währungsfonds dieses Stadium bereits lange hinter sich gelassen hat. Und so ist die Interpretation wahrscheinlicher, dass der IWF mit Billigung von Christine Lagarde einen Testballon losgeschickt hat, um die Reaktion der Märkte auf eine Drohung mit Teilenteignung zu prüfen. Und diese ist – zumindest im Sinne der Ballontester – relativ gelassen ausgefallen. Dabei muss jedem klar sein, dass die geforderte Vermögensabschöpfung – konkret auf Deutschland bezogen – nicht bloß die Verminderung der öffentlichen Verschuldung auf den Stand von 2007 bedeuten würde. Sie hätte zugleich zur Folge, dass sämtliche privaten Vermögenszuwächse der vergangenen sechs Jahre auf einen Schlag verstaatlicht würden. Und doch bleibt die Hoffnung, dass Christine Lagarde nicht zu den völlig verstockten Euro-Rettern gehört. Auf eine Interviewfrage der „Süddeutschen Zeitung“, ob ein Scheitern der Gemeinschaftswährung ein Scheitern Europas bedeute, antwortete sie 2010 ebenso knapp wie klar: „Nein“.

Reihe: EU-Finanzentscheider im Porträt

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Old Shatterhand

Von mir kriegt diese Karikatur, die schon mit der anderen
deutschen Karikatur unsere Lebensmittelpreise künstlich erhöht, um diesen verdammten Euro zu retten, keinen Cent, denn ich habe keine Ersparnisse mehr. Alles auf den Kopf gehauen. Sobald meine montliche Überweisung kommt, ist schon am nächsten Tag nur noch ein geringes Plus auf dem Konto, und damit wird die Alte nicht weit kommen.
Soll die doch den Gehirngewaschenen "Refugees Welcome Leuten" die Kohle abnehmen, vielleicht wachen die dann noch auf.

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