Terrorismus und Bürgerkriege

Der Nahe Osten braucht einen Generalplan

Die internationale Gemeinschaft muss sich auf einen Plan einigen, wie der Nahe Osten in Zukunft aussehen soll. Doch ein solcher Plan existiert nicht. Man lässt dem Chaos freien Lauf.

Foto: Sarah Murray / flickr.com / CC BY-SA 2.0
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Von einem Nachrichten-Sommerloch kann dieses Jahr keine Rede sein. Der Mittelmeerraum und der Nahe Osten halten die Welt nach wie vor in Atem. Es ist erschreckend, wie die Frequenz der Anschläge konstant hoch bleibt.

Noch erschreckender ist die Zahl der Toten und Verletzten, die bei den Anschlägen ums Leben kommen. Der aktuelle Anschlag im Irak, bei dem durch eine Autobomben-Explosion in Bagdad mindestens 76 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt sein sollen, war in Deutschland nur eine kleine Meldung wert. So sehr hat man sich an den täglichen Terror gewöhnt.

Die Situation in Tunesien, Libyen, Ägypten, Syrien, Irak, Jemen, Somalia, Afghanistan, Nigeria und Süd-Sudan bleibt angespannt. Wohin man auch schaut, es ist nirgends Besserung in Aussicht. Noch schlimmer: Es existiert noch nicht einmal ein glaubwürdiger Plan, wie dieser Horror in absehbarer Zeit beendet werden kann. Die Luftangriffe der Türkei und USA auf syrische Stellungen der Terrormilizen des IS („Islamischer Staat“) wirken wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Selbst wenn das „Staatsgebilde“ des IS zusammenbrechen sollte, wäre das Problem nicht gelöst. Die Terroristen würden in den Untergrund gehen. Welche Perspektive haben die Menschen dort noch auf eine friedliche Zukunft?

Das NATO-Land Türkei hat es in mehreren Jahrzehnten nicht geschafft, das Problem der staatenlosen kurdischen Minderheit in den Griff zu bekommen. Das Israel-Palästina-Problem ist seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht gelöst. Wie soll man dann erwarten, dass die Probleme in Syrien und im Irak schneller gelöst werden können? Die Situation im Irak ist seit mindestens 35 Jahren als permanente Krise zu bezeichnen. Wie realistisch ist es anzunehmen, dass in absehbarer Zeit ein Weg zum Frieden gefunden werden kann?

Genau dies ist das Problem: Die Situation im Nahen Osten ist solcherart aus den Fugen geraten, dass man lediglich mit notdürftigem Krisenmanagement reagieren kann. Es gibt keinen Generalplan für die Region. Damit ist klar, dass mindestens eine Generation verloren sein wird. Diese Realität ist ernüchternd.

Die Probleme des Nahen Ostens werden zunehmend zu europäischen Problemen

Die Menschen in diesen Ländern haben zweierlei Möglichkeiten: Entweder sie bleiben im Chaos oder sie verlassen ihre Heimat und suchen ihr Glück in Europa. Damit wird Europa und auch Deutschland mitten in die Krise hineingezogen, denn schon jetzt zeigt sich, dass man auf eine solche Entwicklung nicht adäquat vorbereitet ist.

Zahlreiche Flüchtlinge aus Syrien landen zunächst in Griechenland und stoßen dort auf eine Bevölkerung, die selbst in einer tiefen Krise steckt. Man muss sich die Dimensionen vor Augen führen: Die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist auf der Flucht. Mehr als drei Millionen haben bereits das Land verlassen. Gleichzeitig ist mehr als die Hälfte der griechischen Bevölkerung von der Währungs- und Finanzkrise derart betroffen, dass sie um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten. Und nun treffen beide Bevölkerungen aufeinander. Die schrecklichen Bilder von den Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Kos sind vermutlich nur ein Vorbote dessen, was noch kommen kann.

Halbherzige Politik der USA

Einer der Hauptakteure im Nahen Osten sind die USA. Doch nach einer amerikanischen Initiative zur Aufnahme der Flüchtlinge sucht man vergeblich. Wie schon seit Jahrzehnten, ist die US-amerikanische Politik im Nahen Osten nicht nachhaltig angelegt, sondern nur eine Folge von verunglückten Interventionen, deren Schaden begrenzt wird.

Die USA haben vorgegeben, den Menschen im Nahen und Mittleren Osten Demokratie und Freiheit zu bringen. Das nüchterne Ergebnis: Es gibt dort heute nirgendwo Demokratie und Freiheit. Lediglich Israel ist die einzige funktionierende Demokratie weit und breit.

Die Methode, mittels indirekter Einflussnahme die Machtbalance zugunsten der örtlichen Verbündeten zu verschieben, damit man sich selbst dort geostrategisch und energiepolitisch positionieren kann, hat eine komplette Erdregion ins Chaos gestürzt. Dennoch macht man weiter wie bisher. Es wird das eigenen Handeln nicht einmal offiziell hinterfragt.

Ebenso zu kritisieren sind die politische Einflussnahme der Türkei und der Golfstaaten sowie des Iran. Sie alle verfolgen rücksichtslos kurzfristige eigene Interessen, völlig unberührt von der Frage, ob die Situation dadurch weiter destabilisiert wird.

Der Bürgerkrieg in Syrien und im Irak wird anhalten

Es wäre naiv zu glauben, der Bürgerkrieg in Syrien und im Irak würde auf absehbare Zeit ein Ende finden. Das beweist das halbherzige Vorgehen der Anti-Terror-Allianz, die sich zur Bekämpfung des IS zusammengetan hat.

Weder die Türkei noch die USA oder Saudi-Arabien wollen, dass das Regime des Assad in Damaskus fortbesteht. Daher müssen und wollen sie die Rebellen unterstützen. Gleichzeitig will man jedoch solche Rebellen ausschließen, die sich zu radikalen Terrorgruppen entwickelt haben. Doch gibt es fließende Übergänge. Die moderaten Rebellen von gestern sind die Terroristen von heute, die Freiheitskämpfer von einst sind die Radikalen von morgen. Solange dieser Kreislauf nicht durchbrochen ist, wird es keinen Frieden geben. Und solange kein Frieden geschaffen werden kann, werden die Flüchtlingsströme anhalten. Je mehr Flüchtlinge in andere Länder kommen, desto mehr werden die Konflikte exportiert.

Die Flüchtlingslanger der Palästinenser im Libanon bestehen bis heute. Das seit Jahrzehnten nicht gelöste Palästinenserproblem zeigt uns, wie es um die Zukunft der anderen vertriebenen Minderheiten aussieht.

Man fragt sich verwundert, warum nicht bei den Politikern weltweit die Alarmglocken läuten. Hier offenbaren sich die Hilflosigkeit der internationalen Politik und die Macht der Partikularinteressen. Statt eine Lösung anzustreben, wird das Chaos verwaltet. Den Preis bezahlen Millionen unschuldiger Menschen.

Ein Blick zurück

Erinnern wir uns: in den 1950er bis 1970er Jahren ging es in den meisten Staaten des Nahen und Mittleren Ostens bergauf. Fortschritt überall: Straßen wurden gebaut, die Frauenemanzipation schritt voran, Schulpflicht wurde eingeführt, Landreformen durchgeführt. Die seltsame Mischung aus pan-arabischem Nationalismus, Sozialismus, Kapitalismus, moderatem Islam und autoritärem Präsidialregime in Tunesien, Libyen, Ägypten, Syrien und im Irak war zwar dem Westen zwar suspekt. Doch man hatte immerhin Personen und Institutionen, mit denen man rational verhandeln konnte und die an ein wirtschaftliches Vorankommen ihrer Länder interessiert waren. In Nassers und Sadats Ägypten dominierte der Glaube an den Fortschritt. Die Bevölkerung war optimistisch. Auch in Syrien und im Irak ging es voran. Statt Mädchen in Burka sah man Mädchen in Schuluniformen. Die Menschen in Gaddafis Libyen genossen sogar den höchsten Lebensstandard des gesamten afrikanischen Kontinents. All das ist passé.

In keinem einzigen Fall hat der Sturz eines nahöstlichen Regimes oder Diktators die Situation verbessert. Statt mehr Demokratie und Freiheit ist die nackte Existenzangst hereingebrochen. Die Fronten zwischen Konfessionen, Stämmen und Clans wurden erhärtet. Syrer, Iraker und Libyer in Europa können die Nachrichten aus der Heimat nicht mehr verfolgen, ohne depressiv zu werden. Zu trostlos ist die Lage, zu düster die Zukunft ihrer Verwandten und Landsleute.

Wie immer ein Generalplan für den Nahen Osten aussehen mag, so wie bisher geht es nicht weiter. Jeder weiß das. Jeder kann es mit eigenen Augen sehen. Solange man nicht weiß, in welche Richtung es gehen soll, wird uns der Horror noch viele Jahre begleiten.

( GeoAußenPolitik )

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Stephan Achner

Wenn "Freiheit und Demokratie" nur Krieg, Zerstörung und unendliches menschliches Leid im Nahen Osten, in Afrika und anderswo bringen und die Zustände dann auch noch schlimmer sind als je zuvor, dann sind "Freiheit und Demokratie" nicht nur wertlos, sondern schädlich. Eine politische Diktatur, wo die Menschen in etwas Wohlstand und vor allem in Frieden leben können, ist dann im Vergleich die bessere Alternative.

Gravatar: Hans von Atzigen

Tja das ist die Realität,schonungslos!
Generalplan?
Soll man lachen oder heulen.
Der sog.Westen driftet wenn man die
Lage schonungslos nüchtern beobachtet
selber in Richtung Desaster.
Na ja da träumen welche von irgendwelchen
gütigen Ausserirdischen die die Menschheit retten.
Tja offensichtlich KEIN echter Vortschritt
seit dem Mittelalter.

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