Die ganze Union ist begeistert von der Koalitionsvereinbarung mit der SPD. Die ganze Union? Nein! Zwei, drei Abgeordnete weigern sich hartnäckig, sie gut zu finden, geschweige denn sie mit ihrer Zustimmung zu adeln. Einer von ihnen ist der junge Abgeordnete, der den Wahlkreis Paderborn vertritt: Carsten Linnemann. Er hatte den Mumm, Nein zur Sozialdemokratisierung der Republik zu sagen.
Linnemanns Kritik, die er zusammen mit Wolfgang Bosbach in der FAZ veröffentlichte, hat es in sich. Sie wiegt vor allem deshalb so schwer, weil sie so viel Selbstverständliches enthält. Ihr Kern ist der Hinweis auf die Notwendigkeiten, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft so zu gestalten, dass sie allen nutzt. Doch davon können sie in dem Papier wenig erkennen. »Ein wichtiges Kapitel ist allerdings nicht geschrieben worden«, beklagen sie sich. »Die Überschrift könnte lauten: So stärken wir den Wirtschaftsstandort Deutschland!«
Wirtschaft und Soziales gemeinsam denken
Stattdessen, so Linnemanns und Bosbachs Vorwurf an die Verhandlungsführer, enthält die Koalitionsvereinbarung viele Ankündigungen, die vielen gut gefallen werden. Allein eine Frage bleibt: Wer soll das alles bezahlen? Und wieder rufen sie eine Selbstverständlichkeit in Erinnerung: »Jede einzelne Maßnahme muss auch dauerhaft solide finanziert werden. Dies wiederum setzt voraus, dass wir nicht den engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und sozialer Leistungsfähigkeit aus den Augen verlieren.«
Für Linnemann sind derartige Wortmeldungen keine bloße Attitüde. Geboren wurde er am 10. August 1977 in einem der konservativsten Landstriche der Republik, in Paderborn. Dort trat er der Jungen Union bei, deren Vorsitzender er 1997 bis 2001 war. Es folgte 2004 bis 2008 ein Mandat im Gemeinderat Altenbeken. Jetzt ging es steil nach oben: 2009 wurde er in den NRW-Landesvorstand der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU und in den Landesparteivorstand gewählt. Im selben Jahr wurde er als Wahlkreiskandidat nominiert und errang mit 52,1 Prozent ein Bundestagsmandat.
Linnemann gehört allerdings trotz seines jungen Alters nicht zu der Sorte von Nachwuchspolitikern, die vom normalen Berufsleben keine Ahnung haben. Zunächst machte er sein Abitur, absolvierte dann seinen Wehrdienst und trat für ein Jahr in die elterliche Buchhandlung ein. Erst jetzt studierte er Betriebswirtschaftslehre, arbeitete anschließend an der Universität, wurde promoviert und wechselte dann zur Deutschen Bank, wo er deren Chefvolkswirt Norbert Walter assistierte. Von 2007 bis zum Antritt seines Mandats war er schließlich bei der IKB Deutsche Industriebank in Düsseldorf angestellt.
Chef der Mittelstandsvereinigung
Im Deutschen Bundestag bewies er in kritischen Situationen mehrfach, dass er sich nicht so leicht verbiegen lässt. So lehnte er 2012 die vermeintliche Rettung Griechenlands ab und verweigerte auch dem Renten-Vorschlag der Familienministerin eine Absage. Dafür wurde er von den Jungen Unternehmern mit dem Generationenpreis ausgezeichnet, und das waren vielleicht auch die Momente, die die Mittelstandsvereinigung 2013 bewogen hat, ihn letzten Oktober zu ihrem Bundesvorsitzenden zu wählen.
Bei der Wahl zum Chef der Mittelstandsvereinigung, dem so genannten Wirtschaftsflügel der Union, konnte sich Linnemann deutlich gegen den prominenten Ex-Grünen Oswald Metzger durchsetzen. Auch da warnte er davor, mehr auszugeben als einzunehmen und immer nur daran zu denken, für was man das Geld verwendet als darüber, wo es herkommt. »Keiner redet über Finanzierung, alle reden über Ausgaben«, mahnte er in seiner Bewerbungsrede. Sein Vorgänger Josef Schlarmann musste das als Kritik verstehen, auch wenn er nicht ausdrücklich genannt worden war.
Angesichts der kommenden Herausforderungen wird Linnemann zeigen müssen, was er drauf hat. Dass er die FDP ein »wichtiges marktwirtschaftliches Korrektiv« genannt hat, zeigt, in welche Richtung er denkt: Wohlstand muss erst erwirtschaftet, bevor er verteilt werden kann. Und dafür hat er eine eindeutige Strategie: Man muss den »Heißhunger des Staates auf die sprudelnden Steuereinnahmen« stoppen, Bürokratie abbauen und den Unternehmen einen verlässlichen Rahmen bieten, der ihnen langfristige Planungssicherheit gewährt.
Ob er diese Ziele mit seiner Kanzlerin erreichen kann oder nur gegen sie, steht dahin. Die nächsten vier Jahre werden es zeigen.
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