Attacke von links

Der ESM und seine SPD-Kritiker

Von acht ESM-Gegnern bei der SPD sind noch vier im Bundestag vertreten. Die Motive für ihr Nein sind nicht alle nachvollziehbar. Aber am Ende zählt, dass sie sich verweigert haben.

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Acht Bundestagsabgeordnete der SPD-Fraktion sind mit einer Nein-Stimme zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in die Annalen eingegangen. Vier davon gehören auch in der neuen Legislaturperiode zum Kreis der Parlamentarier. Keiner von ihnen ist ein ausgewiesener Experte, was die Beurteilung ökonomischer Fragen oder gar schwieriger Themen der Währungspolitik betrifft. Manche Argumente, die sie der Öffentlichkeit zu ihrem Abstimmungsverhalten vorgetragen haben, gehören eher in die Kategorie »Parteitagsrede«. Und doch haben die Vier am Ende dem Druck der Mehrheit die Stirn geboten – und verdienen daher eine Würdigung.

Am längsten dabei ist der Bayer Klaus Barthel. Obwohl er schon seit knapp zwanzig Jahren zu den Volksvertretern zählt, ist er einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt. Dabei wurde ihm zuletzt eine Funktion übertragen, die innerhalb der SPD für Einfluss bürgt. Reiche Einkommensteuerzahler denken beim Kürzel »AfA« bloß an Abschreibung. Doch der gemeine Malocher weiß, dass sich dahinter eine starke Vertretung seiner oft marginalisierten Interessen verbirgt.

Die »Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen« steht noch für gute alte Sozialdemokratie, und entsprechend klingen auch Barthels Thesen gegen Fiskalpakt und ESM. Zwar hätten die Genossen »mit dem Pakt für Wachstum und Beschäftigung viel erreicht«, um die »falsche Regierungspolitik zu korrigieren«, rechtfertigt der Politiker kreditfinanzierte Mehrausgaben europäischer Staaten im Volumen von rund 130 Milliarden Euro. Doch »das blinde Sparen«, das in Barthels Wahrnehmung parallel dazu praktiziert wird, mache »die EU zu einer Rezessionsgemeinschaft«.

Und so werde Deutschland über kurz oder lang die Rechnung präsentiert: »Wenn wir an unserer Südgrenze erst einmal mexikanische Verhältnisse haben, dann wird sich der Druck auf die Arbeits- und Sozialbedingungen in Deutschland verschärfen«, warnt der Politiker. »Lohnsenkungen allenthalben, Sozialabbau, ein Aufbrechen des Flächentarifvertrags«, ein »Abbau von Arbeitnehmerrechten und massive Kürzungen von öffentlichen Investitionen« – das sei »die internationale Strategie des Neoliberalismus, die Strategie der Zocker und Umverteiler«. Und da Barthel als in der Wolle gefärbtem Sozialdemokraten Umverteilung natürlich zutiefst zuwider ist, lehnt er den Fiskalpakt im Bundestag ab – und mit ihm auch gleich den ESM, denn dieser habe nicht »die Probleme und Interessen der ›Kleinen Leute‹ im Blick«, sondern nur »die der Finanzmärkte, der Banken und des Großkapitals«.

Man mag diese Argumentation für irgendwie schräg halten und sich auch sonst an Barthels Wortmeldungen stoßen – auch bei Themen wie Hartz IV, Rente mit 67 und Bahnprivatisierung gehörte er zu den Bewahrern, um es vorsichtig zu formulieren. Doch sein Nein zum Stabilitätsmechanismus wiegt vieles auf – und so sei ihm sein erneutes Mandat im Bundestag gegönnt.

Bloß nicht zu viel sparen

Gleiches gilt für Waltraud Wolff aus Sachsen-Anhalt, die in der Schar der nicht eben prominenten SPD-Parlamentarier aus ihrem Landesverband zum Führungskreis gehört. Seit 1998 sitzt Wolff im Hohen Haus, 2009 wurde sie auf Platz 1 der Reserveliste gewählt, 2013 war es immerhin noch die zweite Position. In Berlin hat sie sich zunächst in der Agrarpolitik versucht, mittlerweile gehört sie dem Ausschuss für Arbeit und Soziales an.

»Viele Menschen in Deutschland« seien angesichts der Euro-Krise »zutiefst verunsichert und machen sich Sorgen«, gibt sich Wolff verständnisvoll, denn: »Ich kann diese Sorgen nachvollziehen«. Und da »keine der möglichen Antworten« für sich »in Anspruch nehmen« könne, »keine Risiken zu beinhalten«, stimmt sie in freier Ausübung ihres Mandats halt gegen den ESM. Zwar sei sie »grundsätzlich für die europäischen Rettungsschirme«, denn diese seien »Ausdruck der innereuropäischen Solidarität«.

Andererseits führten »Sparmaßnahmen allein« zu einer »ständig steigenden wirtschaftlichen Rezession«, auch wenn »wir nicht weniger, sondern mehr Europa« bräuchten, um »die derzeitigen Probleme zu meistern«. In diesem Sinne habe Deutschland »ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Griechenland in der Euro-Zone zu halten«. Daran habe sie »keinen Zweifel«, schließt die Politikerin.

Die Logik dieses Gedankengangs muss man nicht zwingend verstehen – aber auch für Wolff gilt, dass sie im richtigen Moment das Nein-Kärtchen gezückt hat, und das entschuldigt eine Menge.

Marco Bülow aus Dortmund ehrt in diesem Kontext außerordentlich, dass er mit Blick auf die »Euro-Rettung« ganz offen einräumt, »kein Experte in diesen Fragen zu sein«. Er »habe aber versucht«, sich intensiv mit ihnen auseinanderzusetzen. Bei so viel Bemühen ist es somit auch unfair, wenn ein Neider dem Ex-AStA-Funktionär in seinem Wikipedia-Artikel den Satz »Studienabschlüsse werden von ihm nicht bekannt« hinterherwirft. »Er bezeichnet sich selbst als Freier Journalist und Publizist«, heißt es in der Kurzbiographie zudem boshaft. Doch Bülow war außerdem auch schon Sprecher der SPD-Fraktionsarbeitsgruppe »Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit« und später dann stellvertretender Sprecher für Energiepolitik. Und das kann schließlich nicht jeder von sich behaupten.

Man mag Bülows Auffassung widersprechen, der Fiskalpakt folge »einer Logik und Politik, welche die Krise auf den Finanzmärkten und in Europa erst hervorgerufen hat«. Man mag kritisieren, dass er eine europaweite Schuldenbremse ablehnt, weil diese dem »Staat weitere Handlungsspielräume für eine sozial gerechte Politik« verbaue. Und man mag geplättet sein, wenn Bülow Eurobonds beschreibt als »eine faire Möglichkeit, Ungleichgewichte angemessen zu verteilen«. Doch auch von ihm bleibt die Absage an den ESM – und so ist er für alles andere entschuldigt.

Wichtig ist, was hinten rauskommt

Gleiches lässt sich auch über den Sachsen Wolfgang Gunkel sagen. Er war einst Polizeipräsident und sitzt im Bundestag folgerichtig im Innenausschuss. Da sollte man ihm nachsehen, dass seine Sorge vor allem der Gefahr gilt, ein europäisches Krisenland könne »gezwungen« werden, »sich kaputt zu sparen«. Und so geht es ihm bei seiner Ablehnung von Fiskalpakt und Stabilitätsmechanismus auch vor allem darum, stattdessen doch lieber »ein langfristiges Aufbauprogramm zu initiieren«. Im Rahmen eines solchen könne man dann ja in einen »Investitionsfonds Gelder einzahlen«, um »damit Wachstum für Griechenland zu produzieren«.

Man mag bei soviel Sachverstand die Fassung bewahren oder auch nicht. Am Ende zählt ein merkwürdig motiviertes Nein genauso viel wie ein gut begründetes Votum. Und insofern sollte man Milde walten lassen. Sogar im Umgang mit Sozialdemokraten.

(Schicksale der ESM-Gegner Teil 6)

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