Deutsche Medien wettern gegen Brexit und Volksentscheide

Das Volk hat entschieden und die Elite regt sich auf

Anstatt das Votum der Briten zu respektieren, wird der Brexit von den deutschen Zeitungen und Sendern zur europäischen Katastrophe hochstilisiert und die direkte Demokratie infrage gestellt.

Zur Verfügung gestellt von swisspropaganda.wordpress.com
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Die Briten haben eine vorbildliche Demokratie. Die Debatten sind leidenschaftlich und offen. Die Briten dürfen über die wichtigsten Fragen ihres Landes direkt abstimmen. Die Briten haben bewiesen, wie eine Demokratie zu funktionieren hat, auch wenn das Ergebnis des Referendums nicht allen passt. Zu einer Demokratie gehört, dass die Mehrheit entscheidet. Nun hat sich die Mehrheit entschieden, und zwar gegen die EU.

Eigentlich wäre es angebracht, das Votum der Briten als Faktum hinzunehmen. Bevor über die weitere Zukunft der EU diskutiert wird, wäre es an der Zeit, die Gründe zu analysieren, warum sich die Briten für den Ausstieg entschieden haben.

Doch insbesondere in Deutschland haben die Zeitungen und Rundfunkanstalten von Anfang an mit aller Kraft und medialem Geheul vor einem Brexit gewarnt. Neutralität? Fehlanzeige. Sie haben Druck auf die Öffentlichkeit ausgeübt. Nachdem nun des Volkes Stimme entschieden hat, treten die deutschen Medien nach. Panikmache ist das, was wie ein Sturm durch den Blätterwald fegt.

„Referenden sind bei Demagogen beliebt. Denn ihr Ausgang lässt sich durch Hasskampagnen beeinflussen. Mehr Demokratie kommt dabei nicht heraus“, schrieb Martin Klingst in der ZEIT. Seine Schlussfolgerung: „In derart entscheidenden, geradezu existenziellen Wesensfragen sollte man nicht das Volk befragen.“

In der FAZ mahnte Reinhard Müller nach dem Brexit in Bezug auf Deutschland: „Es ist absurd, wenn ausgerechnet nach dieser Erfahrung deutsche Politiker Volksentscheide im Bund fordern. Es wird darüber gestritten, ob sogar ohne Verfassungsänderung eine fakultative Volksbefragung im Bund eingeführt werden könnte. Und das soll dann ausdrücklich nicht bindend sein? Man stelle sich vor, die Bundesregierung legte den Bürgern die Frage vor, ob die Türkei der EU beitreten solle, ob deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt werden sollten, ob das Land aus der EU oder aus der Nato austreten solle.“ Was soll man zu solch einem Statement noch sagen?

Was Herr Müller vergisst: Vielleicht hätte es die Euro-Krise nie gegeben, weil das Volk von Anfang an gegen den Euro gestimmt hätte. Mit Sicherheit hätte es keine Auslandseinsätze der Bundeswehr gegeben, denn die Menschen lehnen instinktiv militärische Abenteuer wie den Bundeswehreinsatz in Afghanistan ab.

Vom Deutschlandradio Kultur hören wir vom „Dilemma mit der direkten Demokratie“.  Und Sascha Zastiral fabulierte in der ZEIT, der Brexit sei von Rupert Murdoch herbeigeschrieben. Dabei gehört nicht nur die Sun, die für den Brexit gewoben hatte, zum Zeitungs-Imperium des Murdoch, sondern auch The Times und The Sunday Times. Und die letztgenannten Zeitungen hatten sich eindeutig gegen den Brexit ausgesprochen.

Was die deutsche Presse von der britischen lernen kann: In Großbritannien war die Medienlandschaft gespalten und bot somit genügend Raum für die Argumente beider Seiten. In Deutschland wurden Brexit-Befürworter schnell als Populisten oder Retro-Nationalisten abgetan.

Es ist beschämend, wie deutsche Politiker und Journalisten sich despektierlich über die britische Politik und die direkte Demokratie äußern. Großbritannien hat eine mehrhundertjährige parlamentarische Tradition. Die deutsche Geschichte hat diesbezüglich dunklere Kapitel vorzuweisen.

Die Europäer haben genug von der EU-Arroganz

Die Bevölkerung Europas schießt den EU-Institutionen immer wieder vor den Bug. Die Menschen winken allerorts mit dem Zaunpfahl. Ihr Rufen ist nicht zu überhören: Wir haben ein Demokratiedefizit in Europa. Die Wahl der Briten war eine Wahl gegen die Arroganz der Macht in Brüssel.

Die Medien schreiben viel über das Erstarken populistischer Parteien. Sie spielen mit der Argumentation „rechts-und-links“. Dabei haben die kritisierten Parteien – von Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien bis zum Front-National in Frankeich und UKIP in Großbritannien – einen klaren gemeinsamen Nenner: Sie sind Protestparteien. Und das ist es, was die Menschen zum Ausdruck bringen: Protest gegen die EU, gegen das Establishment, gegen den wirtschaftlichen Niedergang Europas zugunsten weniger Partikularinteressen.

Die Wirtschaftskrisen, die Wählerbewegungen zu neuen Parteien, die Referenden, die immer wieder Kritik an der EU zum Ausdruck bringen – und schließlich der Austritt des zweitgrößten EU-Netto-Einzahlers: Es wäre niemals so weit gekommen, wenn die Politik die Warnungen, Stimmen und Sorgen der Menschen ernst genommen hätte.

Die Deutschen müssen sich wie unmündige Kinder vorkommen

Wie fühlen sich Menschen, die nicht mitbestimmen dürfen, aber zusehen müssen, wie andernorts abgestimmt wird? Fühlt man sich nicht ausgeschlossen von der Demokratie? Was muss man von einer Regierung halten, die Referenden fürchtet wie der Teufel das Weihwasser? Was ist das für eine Regierung, die die Meinung des Volkes nicht hören will? Was ist von Politikern und Journalisten zu halten, die jedes Sprachrohr des Volkes als „Populismus“ abtun?

Europa wählt, die Deutschen schauen zu. Ein paar Beispiele: Die Schotten durften über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Die Briten durften 1975 über den Verbleib in der EG und 2016 über den Verbleib in der EU abstimmen. Die Franzosen durften 2005 über die Annahme des Vertrages für eine europäische Verfassung abstimmen. Die Iren durften 1992 über die Maastricht-Verträge und 1995 über die Annahme des Amsterdamer Vertrages abstimmen. 2009 durften sie über eine Verfassungsänderung zur Annahme des Lissaboner Vertrages abstimmen. Die Kroaten haben 2012 über den Beitritt zur EU abgestimmt. Die Niederländer haben 2005 über die Annahme des europäischen Verfassungsentwurfs abgestimmt. In Norwegen gab 1972 eine Volksabstimmung über den Beitritt in die EWG und 1994 in die EG. In Österreich gab es 1994 ein Referendum zum EU-Beitritt. Die Polen durften 2003 über einen Beitritt in die EU abstimmen. Die Schweden hatten ihr Referendum zum EU-Beitritt im Jahre 1994. Und 2003 durften sie über die Einführung des Euro abstimmen. Die Slowenen durften 2003 sowohl zum Beitritt zur EU als auch zur NATO abstimmen. Und die Dänen durften 2000 über die Annahme des Euro entscheiden.

Hat eigentlich niemand darüber nachgedacht, dass man einem 80-Millionen-Volk erklären muss, warum es nicht abstimmen und wählen darf wie die meisten anderen europäischen Völker? Sind wir eine entmündigte Nation von Kindern, die von Erziehern betreut werden müssen?

Millionen Deutsche sind politisch frustriert. Die alten Parteien haben sich längst vom Volke abgewandt. Die Massenmedien sind kein Sprachrohr des Volkes, sondern nur noch die PR-Maschine für den gemeinsamen Nenner des Elitendiskurses. Das Erstarken zunächst der Linkspartei und später der AfD geschah immer im Kontext einer Protesthaltung gegenüber dem Kurs der Regierung.

Und wenn Brüssel und Berlin so weiter machen wie bisher, werden die Protestparteien weiter wachsen. Der Wille der Bevölkerung lässt sich nicht ausbremsen. Wie das Wasser eines Flusses sucht er sich seine Bahn.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Lothar Breitenbach

Eine wirklich arrogante Darstellung des Brexit-Referendum ist in den deutschen Medien zu beobachten. Diese Medien haetten auch den Eisberg beschimpft, der die Titanic zum Sinken gebracht hat.

Gravatar: ropow

Na ja, erstmal zeigen diese Vorgänge, dass in Deutschland die öffentlichen Medien keine „vierte Säule des Staates“ (Rousseau) sind, sondern das vierte Bein eines Elefanten, der - von den Eliten gelenkt - mit den anderen Beinen Legislative, Exekutive und der Judikative auf den Bürgern herumtrampelt.

Die Manipulationsmöglichkeiten bei Volksentscheiden sollte man auch nicht ignorieren. Beispielsweise wurde in Österreich der Ausgang des Referendums unter anderem dadurch erreicht, dass die damalige sozialdemokratische EU-Staatssekretäin Ederer jeder 4-köpfigen Familie 1.000,- Schilling versprach, die sie durch einen EU-Beitritt pro Monat (!) mehr haben sollte (Ederer-Tausender).

Volksentscheide sind für eine lebendige Demokratie unabdingbar, doch setzen sie ausreichende Information und Bildung voraus. Dies wird in Deutschland jedoch systematisch von den Eliten hintertrieben.

„Die Mehrheit? Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen.“ (Schiller, Demetrius) Und damit das auch so bleibt, werden schon in den Schulen Bildungsmöglichkeiten wie der Geschichtsunterricht oder Staatsbürgerschaftskunde immer mehr reduziert, teilweise (Berlin) sogar abgeschafft, um Lehrpläne zu „verschlanken.“ Dazu kommt noch, dass generell Bildungsstandards gesenkt werden sollen (Thomas De Maizière), damit auch Neubürger (Migranten, „Flüchtlinge“) in diese Gesellschaft passen.

Gegenwehr? Keine. Es ist leider so: Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient (Joseph de Maistre), dasselbe gilt für seine Exekutive, Judikative - und seine Medien.

Gravatar: Stephan Achner

Guter Beitrag. Das "Nachtreten" der politischen Eliten sowie der gesamten deutschen Mainstream-Presse nach der britischen Brexit-Entscheidung belegt doch wieder einmal, dass die deutschen Eliten weder in Deutschland noch in Europa echte Demokratie wollen. Das wird auch der Grund sein, warum es seit 1949 bis heute in Deutschland noch nicht einmal eine Verfassung gibt, der eine Mehrheit der deutschen Wähler zugestimmt hat.
Die deutschen Eliten sind noch nicht in der Demokratie angekommen. Anders kann man deren Verhalten seit der britischen Brexit-Entscheidung (aber auch davor) nicht interpretieren.

Um der Demokratie in Europa wieder Geltung zu verschaffen, darf man nicht auf Deutschland setzen. Das müssen wie so oft in der europäischen Geschichte die anderen Länder in Europa mit einem tief verwurzelten demokratischen Bewusstsein, wie z.B. die Briten, die Franzosen, die Dänen, die Niederländer, voranbringen.

Also dann, well done, Brits. Zeigt den Krauts, wo es in Europa lang geht. And by the way: Don´t trust Merkel & Co.

Gravatar: Bernhard Joseph

Z.B. die FAZ zensiert massiv kritische Leserkommentare zur Berichterstattung über den Brexit. Da werden schon Kommentare gelöscht, die lediglich darauf hinweisen, dass die heraufziehende Spekulationsblase im Immobiliensektor nicht vom Brexit verursacht sein kann. Volkes Stimme ist eben nur solange in den Redaktionsstuben erwünscht, solange sie dem entspricht, was medial vorgegeben wird. Erlaubt sich der Bürger/Leser selbst zu denken, wird er schnell als "Wutbürger" und "Populisten" abgestempelt..

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