Wo die Milliarden brennen

City of London - die größte Steueroase der Welt

Es ist ein Geheimnis, das keines ist. Im Herzen Londons liegt ein autonomer Staat, die City of London. Nur ihren eigenen Regeln unterworfen, ist sie wohl die größte Steueroase der Welt.

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Mit Recht auf Selbstverwaltung ausgestattet, entwickelte sich die eine Quadratmeile umfassende (ca. 2,6 km²) City of London zu einem berauschenden Ort. Täglich werden Milliarden verzockt, verbucht oder verliehen. Allem voran aber werden etliche Steuergelder vor den Staaten versteckt. Das macht die »Squaremile« zu einem ebenso obskuren, wie faszinierenden Ort. Ein autonomer Bezirk, um den sich Gerüchte sammeln und nur eines zählt: Geld - eine Reise.

Der City of London ergeht es wie den meisten Staaten. Irgendwann erhalten diese souveräne Rechte, die wieder abzugeben, ein Paradoxon darstellen würde. Es beginnt im Jahr 886. König Alfred der Große ernennt den ersten Gouverneur der Stadt. Händler genießen ab diesem Zeitpunkt das Privileg eines autonomen Rechtssystems. Auch Wilhelm der Eroberer erkennt im Jahr 1075 diese Privilegien mit einer königlichen Charta an.

Die City of London (kurz: City) ist eine der wenigen Institutionen, in der die Angelsachsen einen gewissen Grad an Autorität beibehalten. Londons Bevölkerung nimmt rasch zu, die Stadt genießt das Prestige. Offiziell ist die City eine zeremonielle Grafschaft, einen Status, der ihr von König Heinrich I. 1132 verliehen wird. Die City bleibt unabhängig. Jahrhunderte später ist es jedoch ein bestimmtes Ereignis, das den Charakter der »Squaremile« besonders prägt.

Wie ein Phoenix aus der Asche

Wir schreiben 1666. Ein gewaltiges Feuer zerstört 80 Prozent der Stadt. Die brennende Dampfwalze mäht Häuser, Wahrzeichen und Residenzen nieder. Doch was einem Untergang gleicht, ist in Wahrheit der Beginn eines Zeitalters, in dem Aufstieg, Geld und Macht die Ziele eines jeden sind. Arbeiter zieht es nach London. Aus den Ruinen entsteht ein neues Fundament, aufgebaut auf Stein. Härter, robuster, unerschütterlicher. Der 35 Jahre andauernde Wiederaufbau beschert der Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung. London erfindet sich neu, floriert zu einer modernen Stadt.

Gleichzeitig stellt England die weltweit am schnellsten wachsende Wirtschaft. Es ist im Besitz der mächtigsten Marine. Es entstehen neue Ideen, neue Freiheiten und neues Geld. Geld, das viele lockt und so manchem zum Verhängnis wird. Das Spielfieber entwickelt sich zu einem Brauch. Die erste staatliche Lotterie wird gegründet. Eine ganze Nation sucht das schnelle Geld. Gemäß dem Zeitgeist ist das Glück für alle greifbar. Jedermann ist besessen von Reichtum, egal ob Romancier oder Intellektueller, der Wunsch reich zu sein ist universal, weshalb 1694 die Bank of England gegründet wird, denn neben der Freude über das Geld, herrscht die Angst, es wieder zu verlieren.

Eigene Erfahrung ist ein sehr enger Teufelskreis

Die Bank of England nutzt den Aufschwung. Im Jahr 1697 hat sie bereits ein Kapital von über zwei Millionen Pfund angehäuft. Erstmals nimmt sie ihre Banknoten als Kapitaleinzahlung an. Wenige Jahre später, entwickelt sich daraus der Wertpapierhandel. Textilien und Metalle werden in die ganze Welt verschifft, exotische Waren aus den neuen Kolonien überfluten die Stadt. Der globale Handel zieht eine finanzielle Revolution nach sich. Jeder giert nach einem Stück vom fetten Kuchen.

Neue Finanzinstrumente entstehen, wie die Versicherungen oder der Aktienhandel. 1711 entsteht die erste Handelsgesellschaft, die »South Sea Company«, die zugleich das Handelsmonopol auf Lateinamerika von der britischen Regierung zugesprochen bekommt. Sie verspricht hohe Gewinne und lockt mit abnormen Investments: Silber aus Bleigewinn, Sonnenschein aus Gemüse. Spekulationen an der Börse beschreiben den Alltag, riesig ist die Faszination am neuen Geschäftsmodell. Niemand weiß zu diesem Zeitpunkt, wohin der Börsenboom führen wird.

Der Südseeschwindel von 1720

Die großen Geschäfte, macht bekanntlich der Staat. So werden die Handelsmodelle kreativer. Sir John Blunt, Vorsitzender der »South Sea Company«, ist kreativ und gerissen genug, um solche Modelle zu etablieren. Er übernimmt einen Großteil der britischen Staatsschulden und finanziert diese mit dem Verkauf von »South Sea« - Aktien. Den Handel besiegelt er mit der Bestechung des Schatzkanzlers der Regierung. Es ist gefährlich, doch der Hang zum Risiko ist groß.

Das Geld fließt, Investoren und Glücksritter kaufen, kaufen, kaufen. Anfang 1720 liegt der Aktienkurs bei 128 Pfund, im Juni bei rund 1000 Pfund. Auf dem Papier sind die Beteiligten wohlhabend. Zusätzlich verbreitet Blunt Gerüchte über liquide Geschäfte mit Südamerika, wonach der Handel boomt, der Preis steigt. In Wahrheit allerdings, ist der Handel längst abgeebbt. Und die »South Sea Company«? Die ist inzwischen 300 Millionen Pfund schwer.

Heimlich beginnen Investoren ihre Aktien abzustoßen. Der Preis schwankt, panische Anleger verkaufen ihre Anteile. Bis zum Ende des Jahres sind die Aktien wertlos. Das Geschäft bricht ein, Banken brechen zusammen. Die Selbstmordrate in London steigt um 60 Prozent. Viele sind ruiniert. Die Bank of England steht nicht unter Korruptionsverdacht und übernimmt die Schulden des Landes.

Sir John Blunt jedoch kommt ungeschoren davon, weist die Schuld von sich. Stattdessen wird der Schatzkanzler eingesperrt. Und das Spiel beginnt von Neuem, denn neue Handelsrouten werden erschlossen, das Geschäft mit Sklaven beginnt und bringt die Wirtschaft wieder in Schwung. Innerhalb eines Jahres florieren die Geschäfte. Der zügellose Kapitalismus sorgt dafür, dass sich das Land, und besonders die Bankiers, Investoren und Versicherer Londons rasch davon erholen.

Die City of London Corporation

Das Britische Empire steigt in der Folgezeit zur Hegemonialmacht auf. London wird zur größten Stadt der Welt. Die Bevölkerungszahl explodiert, London wird zur »Welthauptstadt« im Bereich Politik, Finanzwesen und Handel. In der City selbst bleiben Reglementierungen aus. Zweifellos hat sich daran bis heute nicht viel geändert, denn die City blieb im Kern über die Jahrhunderte hinweg unverändert.

Britische Gesetze greifen in der City nicht, so steht sie heute mehr denn je synonym für Fluchtkapital und Steueroase. Der britische Journalist und Aktivist, George Monbiot, stellte dahingehend einmal fest, dass es keine parlamentarische Autorität gäbe, die über die City of London herrsche. Sie ist ein exterritoriales Gebiet und gleichzeitig der größte Finanzhandelsplatz der Welt, dazu ausgestattet mit einer eigenen Staatlichkeit, der »City of London Corporation«.

Wer von den Banken gewählt wird, dient den Banken

Die eigenständige Verwaltungsbehörde übt ausschließlich Kontrolle über die City aus. Sie besteht aus einem »Lord Mayor of London«, einer Art Bürgermeister. Dieser wird von den 108 Händlervereinigungen gewählt, den »Livery Companies«. Deren Mitglieder, die »Liverymen«, sind Vertreter von Banken, Versicherungen und Großkanzleien. Wie sich die Wahl der anderen Gremien, der Ratsherrenversammlung (»Court of Alderman«) und dem Rat der Einwohner (»Court of Common Council«), abspielt, zeugt ebenfalls nicht von Demokratie.

So sind in der City neben den 9.000 gemeldeten Einwohnern Körperschaften wahlberechtigt, die in der City eine Liegenschaft besitzen. Bei 500 Angestellten beispielsweise, dürfen 20 Wählerstimmen mobilisiert werden. Da die gesamte Belegschaft eines Unternehmens zählt, also auch im Ausland tätige, wird deren Anzahl an Wahlberechtigten auf etwa 23.000 geschätzt. 75 Prozent der Stimmen gehen somit auf das Konto der Unternehmen. Eine nicht stürzbare Mehrheit.

Historie und Wahlsystem verdeutlichen den Sonderstatus der »Squaremile«. Zudem berufen Angestellte und Vertreter der City darauf, dass die Ära und damit auch die Autonomie älter ist als das Parlament selbst. 500.000 Beschäftigte marschieren täglich durch die Straßen. »One man, one vote« gibt es nicht, und somit auch kein traditionelles Demokratieverständnis. Die Enklave agiert ohne Kontrollen und ohne Grenzen inmitten der Finanzkrise des 21. Jahrhunderts, nur einer Sache unterworfen, dem Credo des Profits.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: magellan

Interessanter und gut geschriebener Artikel, der den historischen Hintergrund dieser besonderen Stadt und Vorgänger der jetzigen Finanzkrise beschreibt.

Zu hoffen ist, dass sich die City auch diesmal neu erfindet und anderen einen Weg vorgibt.

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