Bundestagswahl: Tag der Entscheidungen

Das CDU-Programm Stück für Stück auseinander genommen hat Dr. Georg Alfes für FreieWelt.net jetzt gut einen Monat lang. Seine Bilanz: Ohne eine klare Rückmeldung ihrer Stammwähler, wird die CDU keine Kurskorrektur vornehmen. Wenn Deutschland eine Alternative haben soll, müssen die CDU-Stammwähler am Wahltag von Gregor Gysi lernen und sich einfach mal was trauen.

Foto: s_zeimke / flickr.com / CC BY-NC 2.0
Veröffentlicht:
von

CDU-Programm unter der Lupe: Fazit

Nun ist es endlich soweit. Der legendären Frage der Wahlforscher, wen man denn wählen würde, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, wird der Konjunktiv entrissen. Es gilt also, Entscheidungen zu treffen. Und es sind in der Tat mehrere.

Zunächst muss jeder Wahlberechtigte durch Tun oder Unterlassen eine Antwort darauf geben, ob er von seinem Mitwirkungsrecht Gebrauch machen will oder nicht. Zwanzig bis dreißig Prozent derjenigen, die im Wählerregister verzeichnet sind, werden sich auch dieses Mal dagegen entschließen. Dabei müssen sie wie bei jeder Wahl eine Unzahl moralischer Appelle über sich ergehen lassen. Doch all die klugen Sprüche, mit denen man Nichtwähler zu überzeugen sucht, greifen ins Leere: Nein, nirgendwo auf der Welt setzt irgendjemand sein Leben aufs Spiel, um alle vier Jahre wählen zu dürfen. Die Leute kämpfen für Freiheit und Selbstbestimmung, Recht und Gerechtigkeit. Doch kein Mensch stirbt fürs Wahlrecht. Und nein, auch der, der nicht wählt, darf hinterher meckern. Denn das Recht auf Kritik erwirbt man sich nicht, indem man sich dem Staat gegenüber wohlverhält. Und nein, wer nicht wählt, bringt dadurch genauso wenig seine Ablehnung des politischen Systems zum Ausdruck wie der Wähler seine Zustimmung. Und nein, es kommt nicht auf jede Stimme an, denn dass die Wahlteilnahme eines Einzelnen am Ende die Entscheidung bringt, ist jenseits aller statistischen Wahrscheinlichkeit. Und nein, wer Leistungen des Staates in Anspruch nimmt, hat nicht im Gegenzug auch etwas wiederzugeben, denn wir leben nicht in einer Zeit des modifizierten Zensuswahlrechts. Und entschieden nein, Wählen ist keine Bürgerpflicht, auch nicht die zweite nach der Ruhe, und der Staat sind auch nicht wir alle, sondern er ist bloß ein Instrument in unseren Händen, das wir benutzen, damit es unseren Interessen dient. Der Staat hat eine Bringschuld gegenüber den Bürgern, nicht umgekehrt. Wir haben ihn uns erschaffen, damit er die Menschen- und die Grundrechte sichert, und so hat er uns auch das Wahlrecht zu garantieren, genauso wie das Briefgeheimnis oder die Religionsfreiheit. Deshalb müssen wir nicht jeden Sonntag zur Kirche gehen und nicht regelmäßig an unsere Freunde schreiben, und wir müssen auch nicht zur Wahl gehen. Niemand hat sich deshalb zu rechtfertigen, jedenfalls nicht gegenüber dem Staat.

Nur ein Grund bleibt am Ende übrig, der eine Wahlteilnahme sinnvoll macht. Er liegt in dem, was die Sozialwissenschaftler in gerne praktizierter Verkomplizierung des Unkomplizierten als „konsumtive Nutzenkomponente des Wählens“ bezeichnen. Man kann es auch einfacher sagen: Es macht schlichtweg Freude, seine Meinung zu bekunden. Und in einer Zeit der allgegenwärtigen Präsenz politischer Korrektheit ist es vielleicht auch angebracht, die Chance dazu zu nutzen, wo immer sie sich bietet.

Manches sitzt tiefer, als die Unionsführung ahnt

Doch dann stellt sich die nächste Frage: Gibt es denn bei dieser Wahl etwas zu wählen? Wer für den Mindestlohn ist und für die Frauenquote, für die Mietpreisbremse und für die Ganztagsbetreuung, für den Atomausstieg und für die Eurorettung, für hohe Staatsausgaben und für hohe Schulden, der hat im Grunde freie Auswahl. Und zugleich sind die echten Wahlmöglichkeiten begrenzt, und man kann den Stimmzettel fast schon falten. Gibt es also für Deutschland wirklich keine Alternative? Nicht wenige stellen sich diese Frage, auch und gerade in Kreisen treuer CDU-Wähler. So mancher gerade aus dieser Gruppe fühlt sich politisch heimatlos und wundert sich, wann die Entfremdung eigentlich begonnen hat. Neben all dem, was im Wahlprogramm steht und was so seltsam unvertraut wirkt, sind es auch andere Ereignisse gerade in den zurückliegenden vier Jahren, die viele tief erschüttert haben. Wie kann es sein, dass in einer Legislaturperiode zwei Bundespräsidenten abhanden kommen – der erste, weil er sich von den eigenen Leuten im Stich gelassen fühlt, und ein weiterer, der letztlich nicht an Skandalen und Affären gescheitert ist, sondern an seiner von vornherein erkennbaren Nichteignung? Und wie ist es möglich, dass eine von der Union geführte Bundesregierung bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat über einen militärischen Einsatz in Libyen nicht an Seite der USA, Großbritanniens und Frankreichs steht, sondern an der Seite Russlands und Chinas? Auch solche Fragen können Teil einer Bilanz sein, und sie fließen bei vielen Wählern in ihre Beurteilung ein.

Trotzdem hadert so mancher mit dem Gedanken, seine Kreuze dieses Mal ein paar Reihen weiter unten zu machen. Auch hier spielen zahlreiche Überlegungen mit hinein: Wie hoch ist die Gefahr, dass die eigenen Stimmen am Ende gar nicht vertreten werden? Wie sicher kann man sich sein, ein wirklich professionelles Politikangebot zu wählen mit qualifizierten Kandidaten? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit zermürbender innerer Streitigkeiten auch in einer möglichen Bundestagsfraktion? Wie umfassend und wie realistisch sind neu entwickelte Politikansätze? Wie viel Radikalismus steckt vielleicht doch hinter einem bürgerlichen Auftreten, das womöglich nur Fassade ist? Kann es sein, dass Schwarz-Gelb am Ende die entscheidenden Stimmen fehlen, und dass Rot-Rot-Grün die Wahl gewinnt? Oder führen noch mehr Fraktionen im Parlament nicht am Ende zu einer lähmenden Großen Koalition?

Am Ende läuft’s auf Gysi raus

Vielleicht bietet es eine Entscheidungshilfe, wenn man sich das Kalkül betrachtet, auf dessen Basis die Union die Bundestagswahl gewinnen will. Letztlich beruht ein Sieg, so die Überzeugung in den Führungsetagen von CDU und CSU, auf zwei Säulen: Zum einen sind da die Stammwähler, die die Unionsparteien wählen, weil sie es schon immer getan haben und weil sie davon ausgehen, dass diese auch heute noch ihre Werte teilen. Und zum anderen baut man auf Wechselwähler, denen es häufig an politischen Grundüberzeugungen fehlt und für die die Bundeskanzlerin eine Identifikationsfigur ist. Dieser Gruppe, so meint man, müsse ein möglichst windschnittiges Pro-gramm angeboten werden, verbunden mit der passenden Antwort zur jeweiligen Tagesdebatte. Und so folgt auf den Atomausstieg das Frackingverbot und auf die Befreiung der Käfighühner die Untersagung von Zirkustieren und auf das Recht auf den Kitaplatz der Anspruch auf die Ganztagsschule. Die Stammwähler dagegen werden mit Phrasen von „christlicher Prägung“ und „marktwirtschaftlichen Lösungen“ abgespeist, die jedoch längst keinen Inhalt mehr haben.

So manchem mag in diesem Zusammenhang die Theorie vom „Lernenden System“ in den Sinn kommen. Erhält ein System keine Rückmeldungen, macht es weiter wie bisher – selbst wenn es dabei untergeht. Erhält es aber Rückmeldungen, korrigiert es seinen Kurs und kann so in die richtige Fahrrinne zurückfinden. Auf der Basis dieses Gedankens lassen sich auch Wahlentscheidungen treffen. Und in letzter Konsequenz gilt auch heute noch das, was Gregor Gysi vor zwanzig Jahren einmal in einem Werbespot vor der Stimmkabine gesagt hat: „Trauen Sie sich doch einfach. Sieht ja keiner“.

 

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Dieter Kumpf

Warum heimlich Kreuze machen und nicht zu seiner Entscheidung stehen.
In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode habe ich mehrfach die aus meinem Wahlkreis vertretenen Abgeordneten kontaktiert. Zwischen den Zeilen gelesen kommt man sich bei den Antworten vor, als wäre man ein Individium, welches sich erdreistet Entscheidungen hochintelligenter Politiker zu kritisieren. Dies Art der Abgehobenheit und der Volksentfremdung sucht seinesgleichen. Ich für meinen Teil bin froh, dass mit der AFD eine echte Alternative vorhanden ist, in der kompetente Personen zur Wahl stehen und keine bevölkerungsfremden, unnahbaren Politiker. Entsprechend ist mein Kreuz auf dem Wahlzettel gesetzt. Es ist an der Zeit Deutschland voranzubringen. Das ist mit den alten Parteien nicht möglich.

Gravatar: Karin Weber

Es ist schwierig, aber auch wiederum nicht. Ich bewerte dazu einfach die Vergangenheit, Gegenwart und zu erwartende Zukunft.

Sieht man sich die bisherige Politik der Altlastenparteien an, dann kann man keine von denen wählen.

Sieht man sich die Gallionsfiguren der Altlastenparteien an, dann kann man keine von denen wählen.

Sieht man sich die Wahlprogramme der Altlastenparteien an, kann man erst Recht niemanden von denen wählen.

Wer hier weiter als Stammwähler wählt, wählt keinen Fortschritt, sondern die Fortführung eines jahrzehntelangen und letztlich hochruinösen Kurses. Es ist dabei völlig egal, welche der Altlastenparteien man wählt.

Wer etwas ändern will, der muss eine Partei wählen, die auch was ändern will. Da gibt es nur eine Partei: Die AfD - Alternative für Deutschland!

Dazu stehe ich und ich muss da auch nicht heimlich wählen.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang