Signal für direkte Demokratie und mehr Subsidiarität

Brexit war Votum gegen Bevormundung

Wann endlich erkennen die EU-Politiker, dass es den Bürgern vor allem um mehr Mitspracherecht und regionale Autonomie geht? Die Menschen wollen sich nicht länger bevormunden lassen.

Foto: David Cameron Paisley Photographer / flickr.com / CC BY-SA 2.0 (Ausschn.)
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Wahl um Wahl zeigen die Menschen in Europa, dass sie gegen Bevormundung durch übergeordneten Institutionen sind. Die EU hat sich zwar zum Prinzip der Subsidiarität bekannt und entsprechende Vorschriften gegeben. Doch in der Realität sieht es anders aus. Und es wird vor allem in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen. Das Ergebnis: Großbritannien hat sich für den Austritt aus der EU entschieden. Werden die Politiker in Brüssel und Straßburg, aber auch in Paris und Berlin endlich umdenken?

Der ehemalige UNO-Botschafter der USA, John Bolton, hat klare Worte gefunden. In einem Interview mit Fox News erinnerte er daran, dass der Konflikt zwischen London und Brüssel seit mindestens 25 Jahren anhalte. Damals, als nach den Maastricht-Verträgen die Briten sich weigerten der Euro-Zone beizutreten, sei bereits der Graben aufgerissen worden. Der ewige Konflikt spiegele ein tiefes Bedürfnis der Briten wider: Sie wollen souverän, selbstverantwortlich und unabhängig sein.

John Bolton betonte, dass David Cameron den Briten gezeigt habe, wie reformunfähig die EU sei. Denn er wollte mit der Drohung des Referendums neue Bedingungen aushandeln. Doch die Briten hätten gesehen, dass die EU nicht reformierbar sei.

Zu dem angeblich knappen Ergebnis von 52 zu 48 Prozent bemerkte Bolton, dass die 48 Prozent Brexit-Gegner nicht gleichbedeutend mit Zustimmung zur EU seien. Vielmehr hätten viele Briten einfach Angst vor einem Brexit gehabt, weil sie nicht wissen, was danach kommt. Selbst die EU-Befürworter haben ihre Kampagnen unter das Motto „remain and reform“ gestellt. Das heißt, selbst sie sind größtenteils mit der EU nicht glücklich und wollen Reformen. Doch Reformen, so vermutet John Bolton, werde es in der EU nicht gegen.

Bürger erkämpfen sich die Subsidiarität durch Protestwahlen

Es gibt eine klare Tendenz: Kleinere Einheiten wehren sich gegen die Bevormundung durch große. In Bayern wird gegen Berlin gewählt, weil man sich nicht alles vom Bund vorschreiben lassen möchte. In Schottland wäre es beinahe zu einem Austritt aus dem Vereinigten Königreich gekommen, weil man sich nicht alles aus London vorschreiben lassen möchte. In Großbritannien hat man sich für den Brexit ausgesprochen, weil man die Bevormundung aus Brüssel ablehnt. In Katalonien wächst das Unabhängigkeitsbedürfnis, weil man sich nicht alles aus Madrid vorschreiben lassen will. Ebenso sieht es im Baskenland aus. Und weil man sich von der EU nicht richtig vertreten fühlt, gewinnt die EU-kritische Partei Podemos an Stimmen. In Italien wehren sich insbesondere die Nordregionen gegen die Bevormundung durch Rom. In Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien will man sich nicht Brüssel beugen und kritisiert Berlin. In den Niederlanden gewinnt die „Partei für die Freiheit“ mit ihrem EU-kritischen Kurs immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung. In Frankreich ist der EU-kritische Front National auf dem Vormarsch. Und in Österreich wächst die EU-kritische FPÖ.

Diese europaweite Tendenz ist eindeutig. Die Menschen wehren sich gegen Bevormundung. Sie fürchten übergangen zu werden. Sie fühlen sich nicht gehört und vor allem in ihren regionalen Bedürfnissen nicht ausreichend berücksichtigt.

Pressegewitter und Politikgetöse: Hohles Donnern im luftlehren Raum

Das Referendum zum Brexit war ein auch Kampf der großen Medienkonzerne und deren Investoren. Die Anteilseigner, Herausgeber und Redaktionen sind wie auf Kommando in eine Richtung marschiert. Denn es geht um knallharte Interessen. Die Investoren haben ihre Pferde im Rennen und wollen, dass das ihre gewinnt.

In Deutschland war die Richtung sonnenklar: „Der Spiegel“, „Süddeutsche Zeitung“, die Holtzbrinck-Presse (z.B. „Die Zeit“, „Der Tagesspiegel“), die Springer-Presse (z.B. die „Bild“, „Die Welt“, „B.Z.“), aber auch die öffentlich-rechtlichen Medien (ARD, ZDF) hatten keine Neutralität gewahrt. Es quoll aus allen Poren: Vor dem Brexit wurde gewarnt wie vor einem Weltuntergang. Und nach dem das Ergebnis des Referendums verkündet war, wurde es wie eine Katastrophe geschildert.

Die britischen Medien waren offener. In der BBC gab es Debatten, die beide Seiten berücksichtigten. Die Londoner „Times“ hatte sich zwar klar gegen ein Brexit ausgesprochen. Dafür hat das Boulevardblatt „The Sun“ durchaus den EU-Gegnern Raum gegeben. Obwohl beide Zeitungen dem Imperium von Rupert Murdoch angehören, gab es also unterschiedliche Tendenzen in den Redaktionen. Das lag auch daran, dass Murdoch, eigentlich ein EU-Gegner, beim Brexit eine neutrale Stellung eingenommen hatte. „The Guardian“ hatte sich frühzeitig für einen Verbleib in der EU ausgesprochen. Auch der „Daily Mirror“ tendierte zu den EU-Befürwortern. Der „Daily Express“ war dagegen dem Brexit wohlgesonnen.

Wie in der Presse, so in der Politik. In Deutschland haben sich die Politiker fast aller Parteien (außer der AfD) besorgt über einen Brexit geäußert. Aus der SPD gab es sogar regelrechte Drohungen. Wer für einen Brexit war, lief Gefahr, als Rechtspopulist oder Antieuropäer abgestempelt zu werden.

In Großbritannien war die politische Diskussion offenbar. Es wurde zwar mit harten Bandagen gekämpft und bis zuletzt leidenschaftlich debattiert. Aber die Lager zogen sich durch alle Parteien. Egal ob im Oberhaus der Lords oder im Unterhaus: Es gab EU-Befürworter und Brexit-Verfechter in allen Reihen.

Die Offenheit und Diversität war schließlich Garant für die Entscheidung, das Referendum überhaupt zuzulassen. Großbritannien ist das Land der Debatten und Meinungsvielfalt. Deutschland wirkt wie ein Land, das im Gleichschritt marschiert. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb es in den letzten dreihundert Jahren in Großbritannien keine großen Revolutionen, keinen Faschismus, keinen Kommunismus, keinen totalitären Staat gegeben hat – aber in Deutschland. Denn in Britannien steht zuerst die offene Debatte an, dann folgt die politische Richtungsentscheidung. In Deutschland scheint es andersherum zu sein.

Großbritannien und die Schweiz: Vorbilder für direkte Demokratie und offene Debattenkultur

Großbritannien ist sicherlich ein Vorbild, was die offene Debattenkultur angeht. Schon im College, sogar in der Schule lernen die Jugendlichen, wie man Reden hält, diskutiert, debattiert, Meinungsverschiedenheiten aushält, trotz gegensätzlicher Auffassungen die Form bewahrt und sich am Ende auf einen weisen Entschluss der Vernunft einigt. In einer solchen Kultur ist es kein Wunder, dass man der Bevölkerung selbst die kritischsten Entscheidungen via Referendum überlässt.
An deutschen Schulen und Universitäten gibt es das nicht. Es wird zwar viel diskutiert, aber eine Debattenkultur haben wir nicht. Wir haben von den Angelsachsen noch viel zu lernen.

Doch nicht nur von Großbritannien können wir noch viel lernen. Auch die Schweiz ist ein hervorragendes Vorbild. Die Schweiz ist ein Europa im Kleinformat. Sprachlich gesehen gibt es jeweils einen deutschen, französischen, italienischen und rätoromanischen Landesteil. Mit der Sprache sind unterschiedliche kulturelle Präferenzen verbunden. Bei schweizerischen Umfragen wird dies immer wieder deutlich: Die Menschen in Genf oder Bern teilen nicht immer die Meinung der Züricher oder Basler.

Eigentümlichkeit der Schweiz ist, dass trotz ihrer geographisch geringen Größe wenig Zentralismus zu verspüren ist. Vielmehr haben die einzelnen Kantone ihre Souveränitätsrechte. Die Schweiz begreift sich nicht als Zentralstaat, sondern als Eidgenossenschaft.

Besonders beneidet werden die Schweizer wegen ihrer Volksentscheide. Es gibt lokale Urformen der Demokratie, wie beispielsweise der Landsgemeinden und Gemeindeversammlungen. Hier werden Erinnerung die an die antiken athenische Volksversammlungen wach, an die wahre demokratische Polis, zumindest was die direkte Demokratie angeht. Die Einflussmöglichkeit der Bürger auf die Politik in ihrer Region kommt der Idealvorstellung einer Basisdemokratie sehr nah.

Es wird an der Zeit, sich die Werte der direkten Demokratie und offenen Debatte wieder zu Herzen zu nehmen. Jedes Thema, das hinter verschlossene Türen verhandelt wird, trägt am Ende zur Stärkung radikaler Kräfte bei, die am Ende die Gesellschaft zerreißen.

 

( Schlagwort: GeoAußenPolitik )

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Ralle

Wenn man der Seite zerohedge.com glauben will, dann haben Deutschland und Frankreich bereits den Plan handstreichartig den Superstaat zu schaffen. Bei einer Merkel ohne Plan und einem Hollande der bereits seit geraumer Zeit nur noch den Ausnahmezustand kennt, ist auch nichts anderes zu erwarten als alle Mitgliedstaaten der EU zu entrechten. Die Fassade "Demokratie" wird von den Kulissenschiebern in den Fundus gerollt.

EU Officials To Unveil 'Ultimatum' Blueprint As Final Solution For European Super-State

http://www.zerohedge.com/news/2016-06-27/eu-officials-unveil-ultimatum-blueprint-final-solution-european-super-state

Gravatar: Theo

5. Tag nach dem BREXIT:

Die nutzlose Merkel mit Ihrem Chaos-Pleite Kurs ist ja immer noch nicht zurück getreten?

Wir wollen sie doch alle nicht mehr, sie ist nutzlos und stößt Menschen mit Demokratieverständnis ab.

Der Freche Junker sitzt ja immer noch auf seinem Pöstchen mit Vollversorgung, obwohl die Luxemburger ihn wegen seiner bestialischen KORRUPTION in Luxemburg zum Teufel gejagt hatten.

Wo ist [...] Martin Schulz, der durch Europa tingelt und mit seiner ungepflegten Bartracht derzeit das feiste, deutsch Image der Großmäuligkeit bei den diversen Europäern pflegt.

- entsetzlich - terrible - epouvantable!

Liebe Britten,

nach dieser penetranten "Bort-und-Spiele" Betäubung des Fußballs könnt ihr Euch ja wieder auf die Ordnung Europas konzentrieren.

Hoffentlich bald ohne Merkel, Junker und Schulz - den Totengräbern der EU.

[Gekürzt. Die Red.]

Gravatar: KritischeStimme

Sinkendes EU Schiff retten! Hat die EU Elite etwas gelernt v Brexit?Wenn man die nachtragende Haltung mancher EU Politiker Eliten hoert koennte man daran zweifeln.Was waere jetzt zu tun?
1. EU Erweiterungsabteilung muss geaendert werden in Zusammenarbeitsabteilung,dann ist Kriegsgefahr gebannt,der Handel m allen Gebieten rundherum EU kann bluehen
2. Drohende Atomkriege durch USA+Nato Aktivitaeten sollen vermieden werden.EU soll das Sagen haben ueber alle Atombomben innerhalb v EU gelagert.Nato in eine EUorganisation aendern damit nur EUbelangen gedient werden
3. Unsere Gesundheit wird gefaehrdet.Deshalb TTIPverhandlungen stoppen+damit EU sich nicht abschliesst v 80% der Weltbevoelkerung
4. Sanktionen+Kriege stoppen damit Nato in eine EUorganisation geaendert wird.Dann kommt mehr Finanzraum f Einkommensunterschiede+braucht man nicht zu arbeiten bis zum Umfallen.Fluechtlingswellen fallen weg.Uebertriebene Ueberwachung EU Buerger wird unnoetig

Gravatar: Gerd Schober

Mal angenommen alle Staaten, die jetzt auf die ein oder andere Weise über ein EU-Ausstiegsreferendum diskutieren, würden dies auch ins Werk setzen. Ist eine EU mit nur einem Mitglied ("BRD") denkbar? Würde Merkel den Dauervorsitz in Anspruch nehmen oder mit anderen imaginären Vorsitzenden äh - rotieren? Und ab wie vielen Mitgliedsstaaten würde die EU ihre Lächerlichkeit erkennen und sich selbst auflösen?

Gravatar: kharl Deutscher

wir wollen in D. auch ein Volksentscheid .

Gravatar: Markus Evers

Was hatte ich doch für Probleme, seit Freitag mein Verständnis für den Brexit im Familien- und Bekanntenkreis zu erklären! Ob nun die Briten die richtige Entscheidung für sich getroffen haben, wird sich im Laufe der nächsten Jahre zeigen. Dass der Brexit aber ein Signal ist, dass den anderen EU-Ländern zeigt, dass man die eigene Bevölkerung ernst nimmt und abstimmen lässt, hat man nicht verstehen können und wollen. Es wird in einem ungeheuren Maße den Mainstream-Medien nachgeplappert, ihr Wort ist allein gültig. Für mich komplett unverständlich. Deutschlands Einwohner haben ihren Grips ausgeknipst.

Gravatar: Theo

Warum ist die Merkel aus Berlin noch nicht zurück getreten, Die Menschen in ganz Europa lehnen das deutsche Hegemonie-Vorreiter-Diktat Berlins ab.

Warum ist Martin Schulz nicht zurück getreten?

Was treibt ihn an, in übelster [...] Manier gegen britische Demokratieprozesse zu hetzen? Das hatten wir doch schon einmal und es ist aus deutscher Sicht "schief " gegangen. Oder will er sich demnächst mit seinem Flugzeug nach Großbritannien absetzen, um für seine Kanzlerin Vermittlungsgespräche einzuleiten?

Kleiner Tipp: Auch das ist gewaltig schief gelaufen ...

Warum sind De Maiziere, Schäuble, Maas und die übrigen Quartalshetzer aus der deutschen Politik noch nicht weg.

Sie haben uni solo den BREXIT ja erst verursacht, mit ihrem lächerlichen deutschen Macht Gehabe.

Ja, und da sind noch die "Anker"- Männer und Frauen des ARD / ZDF, die sich auch noch verblödeten, diese stumpfe Staatspropaganda aus dem Kanzleramt "dem Volk" vorzulügen. My God, my Goodness: German LÜGENPRESSE.

[Gekürzt. Die Red.]

Gravatar: Stephan Achner

"Großbritannien ist das Land der Debatten und Meinungsvielfalt." So ist das seit Jahrhunderten. Eben "british way of life".

Aber es gab in Deutschland nach 1945 auch Zeiten, wo es hier jede Menge öffentlicher Meinungsvielfalt und Debatten gab. Man muss sich nur etwas mit deutscher Geschichte nach 1945 befassen. Unter dem Bundeskanzler Adenauer gab es z.B. im Deutschen Bundestag hervorragende öffentliche Diskussionen voll mit Kontroversen - leidenschaftlich mit Argumenten vorgetragen. Sei es nun der West-Kurs von Adenauer, die Einführung der Bundeswehr oder die deutsch-französische Aussöhnung. Im Adenauer-Museum in Rhöndorf bei Bonn gibt es jede Menge Quellenmaterial über die Sternstunden der sich entwickelnden deutschen Nachkriegs-Demokratie.

Auch die Ära von Willy Brandt ("mehr Demokratie wagen") war geprägt von leidenschaftlichen Debatten, die offen und öffentlich geführt wurden. Man denke nur an die hoch umstrittene, aber letztendlich "erfolgreiche" Ost-Politik von Brandt. Genauso die Kanzlerzeit von Helmut Schmidt, die ebenfalls voll mit kontroversen öffentlichen Debatten mit guten Argumenten auf allen Seiten war.

Der Niedergang der deutschen Debattenkultur nach 1945 begann m.E. mit Helmut Kohl und setzte sich dann mit der Basta-Politik von Schröder fort. Seit Merkels Zeiten, die ja in der debattenfeindlichen DDR sozialisiert wurde, gibt es in Deutschland so gut wie keine öffentlichen Debatten mehr, die der Debattenkultur in Großbritannien und der Schweiz wenigstens etwas Konkurrenz machen könnte.

Letztendlich hat das sogenannte Eliten-Projekt einer politischen Union in Europa die Debattenkultur in ganz Europa weitgehend zerstört. Es gibt nur noch wenige "kleine gallische Dörfer", die sich behaupten können. Und dazu zählen vor allem Großbritannien und natürlich auch die Schweiz, deren klügste politische Entscheidung in der Neuzeit wohl war, der Brüsseler EU nicht beigetreten zu sein.

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