Russlandberichterstattung

Angriffsziel Putin: Medienkrieg gegen Russland

Die Medien haben einen Hauptfeind erkoren: Wladimir Putin. Seit Saddam Hussein war kein Staatschef einer vergleichbaren Medienkampagne ausgesetzt. Will der Westen ein „Regime Change“ in Moskau?

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Am Montag, den 28. Juli 2014, war hundertjähriger Jahrestag des Ersten Weltkrieges. 1914-1918 hatten alte Männer Millionen junge Männer in den Tod geschickt. Angesichts der Krisen der Welt, wäre die Erinnerung an den Krieg und eine Ermahnung zum Frieden angebracht.

Doch das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte ein anderes Thema zum Covertitel gewählt: „Stoppt Putin jetzt!“. Im Hintergrund sind Porträtfotos von Opfern des Flugzeugabsturzes der MH17 abgebildet. Die Botschaft dieser Verknüpfung ist klar: Wladimir Putin sei Schuld am Tod der unschuldigen Opfer.

Die Empörung war groß. Denn es gibt noch keine offiziellen Beweise für eine Schuld Russlands. Die Ermittlungen sind noch lange nicht abgeschlossen. Die Absturzursache ist noch nicht geklärt. Zwar kann eine Mitschuld Russlands nicht ausgeschlossen werden, eine Mitschuld der Ukraine jedoch auch nicht. Reichen die Mutmaßungen aus, um ein Titelbild dieser Art zu rechtfertigen?

Die Kritik an der Medienkampagne gegen Putin ist so groß, dass "Der Spiegel" auf seiner Internetpräsenz "Spiegel-Online" am 29.07. mit einer Klarstellung reagieren musste. In dieser Klarstellung wehrt sich das Nachrichtenmagazin gegen die heftigen Reaktionen, die insbesondere aus sozialen Netzwerken kommen, und weist die Behauptung zurück, das Titelbild sei „kriegstreiberisch“. Weiterhin heißt es: „Der SPIEGEL spricht sich in seiner Titelgeschichte dafür aus, Putin und den prorussischen Separatisten in der Ukraine Einhalt zu gebieten – und zwar ausschließlich mit harten wirtschaftlichen Sanktionen und ausdrücklich nur mit nichtmilitärischen Mitteln.“

Außerdem wird ergänzt: „Diese Forderung ähnelt der veränderten Haltung der Bundesregierung, die solche Sanktionen an diesem Dienstag im Rahmen der EU mitbeschlossen hat – und auch der von 52 Prozent der Deutschen, die laut einer repräsentativen SPIEGEL-Umfrage Sanktionen auch dann unterstützen würden, wenn sie Arbeitsplätze kosten sollten“.

Es ist erlaubt, zu hinterfragen, inwieweit diese Umfrage wirklich repräsentativ sei, und ob das Umfrageergebnis ähnlich ausgefallen wäre, wenn die Bürger gefragt worden wären, ob sie auch bereit wären, für die Durchsetzung der harten Sanktionen ihren persönlichen (!) Arbeitsplatz zu opfern, um anschließend ALG I oder ALG II zu beantragen, oder ob Selbständige bereit wären ihren Betrieb zu opfern. Es ist einfach, Opfer von Anderen zu verlangen.

Die Sanktionen gegen den Irak oder Libyen haben beweisen, dass sie sich fast immer negativ auf die Zivilbevölkerung auswirken, jedoch die Regierenden fest im Sattel sitzen bleiben. Die Hunderttausenden Kinder, die den Sanktionen gegen den Irak zum Opfer gefallen waren, trugen jedenfalls keine Schuld am Diktator. Und selbst wenn man nur die Elite eines Landes treffen will, so weiß man aus Erfahrung, dass diese Elite ihre Verluste an das Volk weiterreichen wird – so wie die Konzerne, die ihre Prozesskosten auf die Preise ihrer Produkte umlegen und somit vom Verbraucher bezahlen lassen.

Doch die Sorge vieler Bürger über die mediale Rhetorik gegen Wladimir Putin hat einen weiteren Grund. 1990/1991 und 2003 hat es eine ähnliche mediale Aufrüstung gegeben: Damals wurde gegen Saddam Hussein gewettert. Für manche westliche Medien war er ein zweiter Hitler. Am Ende folgte jeweils der militärische Waffengang gegen den Irak. Die jetzigen Medienkampagnen gegen Russland rufen die Erinnerungen daran wach und lösen Besorgnis aus. Man spürt, da braut sich etwas zusammen – und das hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Wäre es nicht angebracht, die Signale zu erkennen und auf Deeskalation zu setzen?

Warum ausgerechnet Wladimir Putin?

Es steht außer Frage: Putin ist kein lupenreiner Demokrat. Die Pressefreiheit ist in Russland nicht vorhanden. Die Menschenrechtssituation ist in Russland weitaus bedenklicher als in den EU-Staaten. Das alles können Gründe sein, um gegen die Regierung von Wladimir Putin die Stimme zu erheben. Doch konsequenter Weise müsste der Westen zu vielen Staaten die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen abbrechen.

Die Welt ist voller „Schurkenstaaten“ und „Despoten“. Doch anscheinend stört es nicht, solange es sich um Diktaturen handelt, mit denen man ordentliche Geschäfte machen kann. Die Doppelstandards sind offensichtlich. Während der Iran zur Achse des Bösen gerechnet wird, gilt Saudi-Arabien als seriöser Geschäftspartner, dem man nicht nur das Öl abkauft, sondern auch Waffen verkauft. Dabei sind die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien mindestens ebenso eklatant wie im Iran. In Bahrain wird die Bevölkerungsmehrheit der Schiiten von einer kleinen Minderheit der Sunniten unterdrückt. Aufstände werden mit saudischer Hilfe brutal niedergeschlagen. Sanktionen? Fehlanzeige.

Auch in China entsprechen Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Schutz der Menschenrechte nicht dem westlichen Standard. Eine wirkliche Opposition gegen die Staatsgewalt kann sich dort nicht entfalten. Dennoch belässt man es bei höflichen Ermahnungen. Sanktionen? Fehlanzeige.

Die USA können es sich leisten, mutmaßliche Terroristen in Guantanamo einzusperren oder ohne Gerichtsverhandlung mittels ferngesteuerter Drohnen abzuschießen. Doch was sagt das über die Entwicklung des Justizverständnisses aus, wenn einerseits die Naziverbrecher des Zweiten Weltkrieges einen ordentlichen Gerichtsprozess bekamen (Nürnberger Prozesse), und sogar der Organisator des Holocaust, Adolf Eichmann, in Jerusalem vor ein ordentliches Gericht gestellt wurde – jedoch andererseits irakische Jugendliche, die ihr Dorf gegen US-Truppen verteidigt haben, als Terroristen ohne Chance auf einen ordentlichen juristischen Prozess festgehalten werden? Sanktionen? Fehlanzeige.

Cui bono? Oder: Wer will den Regimewechsel in Moskau?

Die Medienkampagnen gegen Russland haben seit Jahren eine Person zum Ziel: Wladimir Putin. Seitdem Wladimir Putin an der Macht ist, hat Russland ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Russland und China sind Kernstaaten eines neuen Bündnisses, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Und sie sind die Zugpferde der BRICS-Staaten. Außerdem sind die Atommächte Russland und China die treibenden Kräfte gegen die Vormachtstellung des US-Dollars als Weltleitwährung und die einzigen Staaten, die sich im UNO-Sicherheitsrat mit ihrem Vetorecht gegen die Hegemonialpolitik der USA stellen können.

Wladimir Putin hat sich während seiner Machtkonsolidierung viele Feinde geschaffen. Dazu gehören Oligarchen, die das Land verlassen mussten und nun vom Ausland aus gegen den Kremlchef agieren. Auch ausländische Investoren, die in den 1990er Jahren vom Ausverkauf des Landes und der Privatisierung seiner Ressourcen profitierten, haben eine Rechnung mit Putin offen.

Und Deutschland? Putin spricht deutsch, ist Deutschland wohlgesonnen und am Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen interessiert. Europa braucht die Naturressourcen Russlands. Doch noch wichtiger ist, dass Russland Partner in einem europäischen Friedensgebäude wird und nicht im Sinne des Kalten Krieges in die Rolle eines Feindes gedrängt wird. Und selbst wenn Putin tatsächlich stürzen sollte: Wer sollte ihm folgen? Ein Nationalist? Ein Kommunist? Ein neuer Oligarch? Oder ein zweiter Jelzin, der den Ausverkauf des Landes zulässt?

Ein konstruktiver Vorschlag wäre, die OSZE wieder zu dem zu verhelfen, was sie einmal war, und alle beteiligten Staaten an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Wenn es mit der Sowjetunion geklappt hat, ein friedliches diplomatisches Verhältnis aufzubauen, kann es auch mit der Russischen Föderation klappen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karin Weber

Ein sehr guter Beitrag, dem ich viel Wahrheit entnehmen kann. Allerdings werden mir nicht konkret genug die Strippenzieher und deren Gründe angeprangert. Wer dies klar herausstellt, der kommt kausal an Konsequenzen nicht vorbei. Frieden ist gut und richtig. Alle die, die etwas anderes wollen, von denen müssen sich die deutschen Politiker trennen. Auch und vor allem wenn es eigene Politiker sind. Auf jeden Fall dürfen wir nicht länger das Problem umschreiben, sondern müssen dies beim Namen nenne, anprangern und die notwendigen Schritte einleiten.

Trotzdem, Dank noch einmal für diesen sehr sachlichen Beitrag.

Gravatar: keinUntertan

Ich finde, die verantwortlichen Redakteure des Spiegel /ZDF / ARD / FAZ / Die Zeit usw. sollten mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass sie bereit sind, ihre Posten zu opfern, um Sanktionen gegen Russland durchzusetzen. Falls es zum Krieg kommt, sollten diese Journalisten sich als erstes freiwillig an die Ostfront melden. Wer den Krieg herbeiredet, sollte auch dafür einstehen.

Ich werde jedenfalls nicht meine Zukunft für die US-Politik opfern. Und ich werden auch nicht die Zukunft meiner Kinder aufs Spiel setzen. Meine Kinder sollen nicht gegen Russland kämpfen müssen, wie meine Großväter es getan haben. Und weder Obama, Merkel oder von der Leyen werde uns dazu zwingen können. Soll die von der Leyen doch selber kämpfen.

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