Aufstieg, Niedergang und Wandel einer Supermacht

Amerika im Wandel

Die USA sind im permanenten Wandel begriffen. Während die Kluft zwischen den sozialen Schichten wächst, verlagert sich der leistungsstarke Industriegürtel nach Süden. Sun Belt löst Rust Belt ab.

Foto: Tom Woodward / flickr.com / CC BY-SA 2.0 (Ausschnitt)
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Einst pulsierte hier das Herz des industriellen Amerika: Der Rust Belt, Rostgürtel, ist eine Region im Nordosten der USA mit hoher Bevölkerungsdichte und eng vernetzter Infrastruktur. Die Region reicht von New York, Boston und Baltimore an der Ostküste über Philadelphia und Pittsburgh bis nach Cleveland, Detroit und Chicago an den großen Seen.

Hier reihten sich mehr als hundert Jahre lang Fabrik an Fabrik, Produktionsstätte an Produktionsstätte. Hier war im 19. Jahrhundert der Motor der industriellen Revolution Amerikas. Der Rust Belt war der Hauptgrund, weshalb die Konföderierten im US-amerikanischen Bürgerkrieg von 1861-1865 gegen die Nordstaaten der Union von Beginn an keine Chance hatten. Gegen die Produktionskraft der Rüstungsfabriken im Nordosten Amerikas konnten die hauptsächlich von der Agrarwirtschaft lebenden Südstaaten nichts ausrichten. Am Ende entschied die Zahl der Kanonengeschütze.

Lange Zeit galt für die Vereinigten Staaten eine grobe Arbeitsteilung. Der Süden und der Westen lieferten die Rohstoffe, der Nordosten brachte die Industrieproduktion voran. Überspitzt ausgedrückt: Texas lieferte das Erdöl, Detroit baute die Autos.

Diese Arbeitsteilung prägte auch die zweite industrielle Revolution. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte die Petrochemie Methoden, wie sich aus Erdöl nicht nur Kraftstoff für Fahrzeuge, sondern alle möglichen Kunststoffe sowie chemischen und pharmazeutischen Produkte gewinnen ließen.

Die Vielfalt der synthetischen Kunststoffe aus der Petrochemie läutete das zweite Wirtschaftswunder ein. Nun konnte man alle möglichen Alltagsgegenstände in großen Massen aus Plastik und Gummi herstellen. Von der Acrylfaser in der Kleidung bis zum PVC-Fußboden in der Küche, von der Plastiktüte statt Einkaufskorb bis zum Kosmetikprodukt – alles war jetzt kostengünstiger und in größeren Mengen herstellbar.

Auch in dieser Phase gab der Nordosten den Ton an. Amerika erreichte in den 1950er und 1960er Jahren einen Wohlstand, wie kein anderes Land der Welt. Das Besondere war, dass dieser Wohlstand in der Bevölkerung relativ breit verteilt war. Es gab eine starke amerikanische Mittelschicht. Diese Mittelschicht gab den Ton an. Der amerikanische Traum vom Einfamilienhaus mit Garten in der Vorstadt und Job in der City, die via Highway mit dem eigenen Automobil angefahren wird: Das war das neue Ideal der amerikanischen Freiheit.

Alles war groß: von den Kühlschränken bis zu den Autos. In Europa konnten die meisten Menschen von einem solchen Lebensstandard nur träumen. Durchschnittsamerikaner konnten reisen und ihre Kinder auf die Highschool und das College schicken. Es war damals noch bezahlbar.

Bilder wie aus einer anderen Zeit

Wer heute die nordostamerikanischen Städte bereist, wird nach wie vor die glitzernden Skylines in der City bewundern können. Doch sobald man sich in die Vororte oder Industriegebiete begibt, bietet sich ein erschütterndes Bild: verlassene Häuser, kaputte Straßen, Industrieruinen, arbeitslose Jugendliche, hohe Kriminalität, Altersarmut, verwahrloste Infrastruktur – eine trostlose Grundstimmung.

Die Finanzkrise ab 2007 hatte diesen Trend beschleunigt und ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Doch der Trend hatte schon lange vorher begonnen. Schuld war hierbei nicht nur die Verlagerung und Abwanderung der Industrieproduktion nach Ostasien. Auch innerhalb Amerikas hat sich eine starke Veränderung abgezeichnet.

Wohin ist die Industrie abgewandert?

Die US-amerikanische Automobilindustrie war im 20. Jahrhundert der Motor der US-Wirtschaft. Das Ford Modell T war das erste Auto aus der Massenproduktion, das sich auch die amerikanische Mittelschicht leisten konnte. Amerika war das Land, in dem der Traum vom Auto für jedermann zuerst umgesetzt wurde. Deutschland folgte später.

Heute ist die US-amerikanische Automobilindustrie nicht mehr führend. Weder hinsichtlich der Marktanteile noch im in technologischer Hinsicht können die amerikanischen Autohersteller sich gegen die Konkurrenz aus Europa und Asien erfolgreich behaupten.

Andere Wirtschaftszweige dagegen tragen weiterhin zum Erfolg der US-Wirtschaft bei. Die Ressourcen, allen voran Erdöl und Erdgas, werden heute stärker benötigt denn je. Hier liegen die Stärken des amerikanischen Südens und Westens.

Doch vor allem die Entwicklung im Bereich der Mikroelektronik und des Internets ist das Feld, in dem die USA unangefochten vorne liegen. Doch diese Industriezweige blühen weniger im Nordosten. Es sind vor allem der Süden und der Westen, die hier den Ton angeben. Besonders das Silicone Valley in Kalifornien hat dazu geführt, dass die Flower-Power-Hippie-Studenten-Stadt von einst, San Francisco und die Bay Area, mittlerweile zu einer der teuersten Gegenden der USA und eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen der Welt wurde. Hier wird der Kurs des digitalen Zeitalters bestimmt. Auch Seattle im Nordwesten ist zu einer Hightech-Metropole geworden. Der Motor war hier vor allem Microsoft.

Sun Belt auf dem Vormarsch

Der „Sonnengürtel“ ist ein Ausdruck für US-Amerikas Süden, von Kalifornien im Westen bis nach North- und South Carolina im Osten. Tatsächlich handelt es sich nicht um eine in sich zusammenhängende Industrieregion wie der alte Rust Belt. Aber der Sun Belt steckt einen geographischen Raum ab, in dem überproportional viele wirtschaftliche, industrielle und technologische Boom-Bezirke aufblühen, sogenannte Hot Spots des Fortschritts.

Am Klima kann es nicht liegen. Zwar wird Kalifornien wegen seines Sonnenscheins geschätzt, wovon die Solarindustrie profitiert. Doch Dürreperioden und Wassermangel machen das Leben beschwerlich. In den feuchteren östlichen Südstaaten dagegen ist die Sommerschwüle nur mit Klimaanlage erträglich. Dennoch nimmt im gesamten Sun Belt die Bevölkerung zu. Laut Angaben des US-amerikanischen Zensusbüros ist der Sun Belt in den letzten Jahren für mehr als 80 Prozent des US-amerikanischen Bevölkerungswachstums verantwortliche. Auch die wirtschaftliche Produktivität steigt in dieser Region überproportional an.

Die örtlichen Politiker machen politische Standortfaktoren dafür verantwortlich. Investoren würden in diesen Staaten weniger Auflagen erhalten, die Gewerkschaften hätten weniger zu sagen und überhaupt seien die Abgaben und Anforderungen geringer. Kritiker behaupten, dass die Zahl der arbeitssuchenden Migranten aus Mittelamerika das Lohnniveau drücke und somit weniger Personalkosten verursache. Der Süden würde von der Nähe zum Billiglohnland Mexiko profitieren, weil Einzelteile der Industrieproduktion im Zuge der NAFTA-Regeln leicht zwischen Mexiko und den USA hin- und hertransportiert werden können, um für den jeweiligen Arbeitsschritt die günstigsten Arbeitsbedingungen ausnutzen zu können.

Insgesamt profitiert der Süden vor allem von der Erdölförderung, der Luftfahrtindustrie, den zahlreichen High-Tech-Unternehmen, der Rüstungsindustrie und der New Economy des Internets. Texas und Kalifornien sind nach wie vor die Zugpferde des Südens.

USA bleiben als Wirtschaftsmacht bestehen

Die beschriebenen Entwicklungen sind Teil größerer inneramerikanischer Prozesse. Zwischen den einzelnen US-Bundesstaaten gab es schon immer Asymmetrien. Märkte reagieren zeitverzögert. In den USA haben die einzelnen Bundesstaaten einen großen legislativen und exekutiven Spielraum, um gegeneinander in den Wettbewerb der Standortbedingungen zu treten.

Vor diesem Hintergrund sind Berichte über die Verwahrlosung von Teilen amerikanischer Städte und Vororte im Kontext der Gesamtentwicklung zu werten. Schlechte Nachrichten aus Cleveland und Detroit werden durch gute Nachrichten aus Austin und Houston in Texas relativiert. Texas ist ein Boom-Staat, der wirtschaftlich so stark ist wie ganz Kanada. Die Bevölkerung von Texas ist in den letzten 10 Jahren um ein Viertel auf insgesamt 27 Millionen gestiegen.

( GeoAußenPolitik )

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: moritz

Ich war vor 10 Jahren 10 tkm im Süden unterwegs, da war so viel dritte Welt dazwischen, wie soll das bloß im Norden aussehen?

Gravatar: Reiner Schöne

Warum soll es in den USA anders sein als in Europa bzw. Deutschland. Auch in den USA gehen die Firmen den kostengünstigsten Weg, Rohstoffe, Verkehrsanbindungen Lebensqualität verlagert sich jetzt. Warum soll Erdöl 1000 km transportiert werden, wenn es auch geht eine Firma dort anzusiedeln. Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, der Süden ist auch hier, da näher im Mittelpunkt Europas, die Industrie-Bundesländer.

Gravatar: Hans von Atzigen

Den Ausführungen ist soweit nichts anzufügen.
Ausser:
Unterdem Strich bleibt halt doch ein Gesamtwirtschaftliches Minus. Heisst ein Niedergang.
Die Zeit in der die USA 50% der Globalen Realproduktion erwirtschaftete sind längst Geschichte.
Da haben zuviele Aussenstehende längst den Gesamtüberblick auf die USA verloren.
Pers. Anmerkung.
Bin 1980 im PKW von Küste zu Küste gefahren.
Gesamt Grobraster-Eindruck.
Ein Land mit Hochtechnologie-Wohlstandsinseln in einem mehr resp.weniger Schrottumfeld.
ZB.Infrastruktur ein Jammer.
Freundliche Grüsse

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