Eine unendliche Kriegsgeschichte

Afghanistan: Deutschland muss weiter kämpfen

Nach 14 Jahren Kriegseinsatz und mehr als eine Billion US-Dollar an Kosten stellt die NATO fest: Die Ziele wurden nicht erreicht. Der ISAF-Einsatz in Afghanistan geht weiter, auch für Deutschland.

Foto: Wir. Dienen. Deutschland. / flickr.com / CC BY-ND 2.0
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Die Außenpolitik der USA, der NATO und somit auch der bereitwillig folgenden Bundesregierung stolpert immer wieder in alte Verhaltensmuster, die sich im Nachhinein als Fehler herausstellen. Man weiß, wie man in ein Land hineinkommt und es besetzt. Man weiß aber nicht, wie man wieder herauskommt, ohne ein größeres Chaos zu hinterlassen.

Denkanstoß: Eine historische Anekdote als Lehrstück

Es war im November Anno 1315. Die Habsburger wollten an den Schweizer Eidgenossen ein Exempel statuieren. Leopold I., Herzog von Österreich, hatte ein Heer zusammengezogen. Man stand am Zugersee. Von dort ging es gen Süden in den Kanton Schwyz. Die Ritter fühlten sich siegessicher. Der Gegner, das waren nur Bauern mit Hellebarden.

Kurz vor dem Angriff besprach Leopold I. mit seinen Rittern die Lage. Dann sprang sein Hofnarr Kuony von Stocken dazwischen. Er warnte: „Ihr geratet wohl, wie ihr wollt in das Land Schwyz hinein kommen, jedoch geratet keiner, wie ihr wieder wollt heraus kommen.“

Der Narr sollte Recht behalten. Es war ein asymmetrischer Kampf. Die Ritter waren zwar an Zahl überlegen. Sie hatte auch die besseren Rüstungen. Zudem saßen sie hoch zu Ross. Doch die Schweizer Bauern siegten. Denn sie hielten sich nicht an ritterliche Regeln. Das Ritterheer wurde aufgerieben. Die Schlacht wurde legendär. Noch heute gedenkt man in der Schweiz dem Sieg am Morgarten.

Kriege ohne „Exit“-Strategie

Seit dem Zweiten Weltkrieg erleben hochgerüstete Armeen eine Niederlage nach der anderen. Anfangs scheint es immer leicht zu sein, in das Land hineinzukommen. Doch ist es schwerer, wieder herauszukommen. Militärische Interventionen hinterlassen oft ein größeres Desaster als jenes, das sie ursprünglich überwinden wollten. Das mussten die US-Amerikaner in Vietnam lernen, die Franzosen in Algerien, die Sowjettruppen in Afghanistan. Es ist eine bittere Lektion.

Deutschland hat auch diese Erfahrung gemacht – und damit ist jetzt nicht der Russlandfeldzug im Zweiten Weltkrieg gemeint. Vielmehr ist es aktuelle Zeitgeschichte: Die Bundeswehr des vereinten Nachkriegsdeutschlands hat gelernt, wie es ist, eine Mission zu starten, die nie erfolgreich beendet werden kann, weil die Ziele nicht klar definiert sind – und zwar in Afghanistan.

Im Jahr 2002 war das erste Vorauskommando in Afghanistan eingetroffen. Ab 2003 ist die Bundeswehr mit leitenden Funktionen der ISAF-Truppen im Norden Afghanistans betraut. Im selben Jahr wurde auch das Feldlager in Kunduz aufgebaut. Deutschland bekam immer mehr Verantwortung für Nordafghanistan. Von 2009 bis 2013 führte die Bundeswehr den ISAF-Einsatz mit dem Ziel der Befriedung und Kontrolle der Region um Kunduz. 2013 wurde die Verantwortung der Region Kunduz afghanischen Sicherheitskräften übergeben.

Wie sich seitdem die Situation in Kunduz und Nordafghanistan entwickelt hat, beschreibt eine aktuelle Dokumentation von VICE-News. Die Taliban sind wieder auf dem Vormarsch. Die Region ist unsicherer als zuvor. US-Einheiten müssen die afghanischen Truppen gegen die Taliban unterstützen. Man fragt sich, was der mehrjährige Einsatz der Bundeswehrsoldaten am Ende gebracht hat. Im September sind die Truppen der Taliban zeitweise sogar direkt bis in die Stadt von Kunduz vorgedrungen, konnten jedoch von den afghanischen Regierungstruppen aus der Stadt gedrängt werden. Die Region bleibt unsicher.

Aktuell entschieden: Der Krieg in Afghanistan geht weiter

Barack Obama hatte es seinen amerikanischen Landsleuten versprochen, die Bundesregierung hatte es den Deutschen Bürgern versprochen: Die Afghanistan-Mission sollte vorbei sein. Doch es kam anders. Es kam, wie es alle befürchteten. Die Taliban rücken landesweit an allen Fronten wieder vor, die teuer trainierte und ausgerüstete afghanische Armee weiß sich nicht zu wehren.

Nun ist es offiziell: Der Afghanistan-Einsatz geht weiter. Und zwar mit aller Härte. Wie am Dienstag unter anderem Spiegel-Online berichtete, hat sich die NATO für einen Verbleib in Afghanistan ausgesprochen. Die Sicherheitslage sei zu prekär, dass man jetzt abziehen könne. Auch die Bundeswehr muss sich weiter beteiligen.

Seit dem Start des Einsatzes im Jahre 2001 sind bis heute 14 Jahre vergangen. In diesen 14 Jahren hat man es nicht geschafft, die Lage im Land signifikant zu stabilisieren, und dass, obwohl eine US-geführte internationale Koalition mit modernsten Waffen, mit zehntausenden Soldaten und modernstem Kriegsgerät im Einsatz war. Die Kosten sind unfassbar. Allein die USA investieren jährlich rund 100 Milliarden US-Dollar in diesen Krieg. In den letzten zehn Jahren beliefen sich die Kriegskosten auf mehr als eine Billion US-Dollar.

Gebessert hat sich nichts. Die Frauen werden immer noch unterdrückt und misshandelt, die Familien verlieren ihre Angehörigen durch Minen, Gewehrfeuer und Bomben. Die Krankenhäuser sind voll mit verstümmelten Menschen. Afghanistan ist das korrupteste Land der Erde, Afghanistan ist das Land mit den meisten Drogenabhängigen, Afghanistan produziert 90 Prozent des weltweiten Heroins und Opiums, Afghanistan hat den höchsten Anteil an Kriegsversehrten. Jede NATO-Bombe produziert neuen Hass auf die ungläubigen Fremden und treibt die jungen Männer in die Hände der Taliban.

Weil man aus Afghanistan nicht lernt, wiederholt man in Syrien den gleichen Fehler

Nun droht das gleiche Desaster in Syrien. Die NATO und die Anti-Terrorallianz wollen verstärkt gegen den „Islamischen Staat“ (IS) vorgehen. Die Bundeswehr soll mit 1200 Soldaten den Franzosen und Amerikanern helfen. Der Bundeswehrverband erwartet, dass der Kampf gegen den IS und andere Terrorgruppen in Syrien bis zu 10 Jahre dauern könnte. Afghanistan lässt grüßen.

Wie Spiegel-Online berichtete, warnte ein NATO-Insider vor reinem Aktionismus: „Es gibt keine Exit-Strategie, es gibt nicht einmal eine vernünftige Eingangsstrategie. Eigentlich gibt es gar keine Strategie.“ Der blinde Aktionismus erinnert an die Habsburger Ritter, die ein leichtes Spiel gegen die Schweizer Bauern wähnten.

Zeitgleich wird der wehrhafte Teil der männlichen syrischen Bevölkerung ausgedünnt, weil sie zu Hunderttausenden nach Europa fliehen. Damit kann Baschar al-Assad keine Truppen rekrutieren. Doch die Strategie der NATO sieht vor, dass die Anti-Terrorallianz nur aus der Luft den Weg freibombt, damit die „moderaten“ Rebellen und die Assad-Truppen auf dem Boden gegen den „Islamischen Staat“ (IS) vorrücken können. Doch die „moderaten“ Rebellen und Regierungstruppen sind schon jetzt am Ende ihrer Kräfte und verteidigen im Häuserkampf vielmehr ihren Status Quo. Da haben selbst die russischen Luftangriffe nicht viel genützt.

Wie die FAZ berichtete, hat der polnische Außenminister Witold Waszczykowski unlängst vorgeschlagen, dass verhindert werden müsse, „dass wir unsere Soldaten in den Kampf nach Syrien schicken, während Hunderttausende Syrer Unter den Linden ihren Kaffee trinken“.

Warum die Bundeswehr keine Strategie hat

Die Einstätze der Bundeswehr im Ausland erfolgen nicht, weil Deutschland irgendwelche geostrategischen Interessen verfolgt oder konkrete Ziele dort hat. Sie finden statt, weil man den Forderungen der Bündnispartner gerecht werden will. Es ist eine Geste. Das ist Gefälligkeitsaktionismus.

Der Spruch des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck aus dem Jahre 2004, dass Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde, war eine Floskel. Nicht mehr, nicht weniger. Der Hindukusch und Deutschland haben nichts miteinander zu tun.

Die deutsche Außenpolitik hat keinen Plan und die Bundeswehr keine Strategie, weil Plan und Strategie von den Bündnispartnern wie Frankreich und den USA vorgegeben werden. Und wenn deren Pläne und Strategien ins Leere greifen, dann marschiert die Bundeswehr eben mit ins Leere, wie in Afghanistan und bald auch in Syrien.

Wir brauchen wieder einen Hofnarren, wie obig erwähnter Kuony von Stocken, der uns warnt: „Ihr überlegt, wie ihr hineinkommt, ihr überlegt aber nicht, wie ihr wieder herauskommt.“ – Narrenmund tut Wahrheit kund.

(Schlagwort: GeoAußenPolitik)

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Alfred

Der Einsatz ist möglich aber sinnlos. Für die Folgen werden wir noch büßen!
Unsere Soldaten? Es handelt sich um NATO-Soldaten unter amerikanischem Kommando, die ganz freiwillig ihren Dienst verrichten - mit Auslandszulage.

Gravatar: Matze

TOTAL DURCHGEKNALLT sind wir Deutschen:
Wir begeben uns in einen Krieg, wo wir nicht mal wissen mehr auf unserer Seite kämpft, wo die Beteiligten sich streiten wie verrückt (Türkei/Russland), wo an anderen Schauplätzen munter weitergeschürt wird (Ukraine), machen uns erpressbar von einem Kriegsbeteiligten wegen den Flüchtlingen (Türkei), anstatt die Grenzen unseres Landes zu schützen.
Unsere Volksvertreter, die es wissen müssten schauen zu und schlafen weiter. Und wir träumen bei Glühwein und Christstollen: "alles ist bester Ordnung". Klasse!!

Gravatar: Bakelari

Der Hofnarr konnte logisch denken.
Bei unseren Politikern kann das wohl keiner mehr. Mehr als eine Billion Kosten für den Afghanistan-Krieg entspricht etwa 34.000,-$/Einwohner.
Wofür? Um ein Land zu demokratisieren dessen vorherrschende Religion das nicht zulässt.

Gravatar: Michael

Holt unsere Soldaten endlich heim und setzt sie für die Verteidigung Deutschlands ein.
Wir haben in ausländischen Regionen nicht zu kämpfen!

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