Präsidententwahl

Ägyptens Rolle rückwärts

Fast 97 Prozent der Wählerstimmen hat General Abd al-Fattah as-Sisi in Ägypten erhalten. Doch geringe Wahlbeteiligung, Massenverhaftungen und Todesurteile verdüstern die Stimmung.

Veröffentlicht:
von

Beim Sturz des Muslimbruders Muhammad Mursi zog er die Strippen. Er war es, der Mursi ein Ultimatum von 48 Stunden gestellt hatte, als Anfang Juli 2013 in Kairo die protestierenden Massen dessen Rücktritt forderten. Seitdem galt er als sicherer Kandidat für die Machtübername: Abd al-Fattah as-Sisi.

Der provisorische Übergangspräsident Adli Mansur fungierte nur als Marionette, um den Machtwechsel kommissarisch vorzubereiten. Nun sollen fast 97 Prozent der zur Wahl erschienenen Ägypter as-Sisi gewählt haben. Auf seinen Konkurrenten, den ägyptischen Journalisten und Schriftsteller Hamdin Sabahi, fielen lediglich drei Prozent der Stimmen. Das offizielle Endergebnis steht noch aus.

Seit dem Sturz des Königs Faruk im Jahre 1952 hat es in Ägypten nur einen einzigen Zivilisten im Amt des Präsidenten gegeben: Muhammad Mursi. Alle anderen stammten aus dem Militär: Ali Muhammad Naguib, Gamal Abd al-Nasser und Awar as-Sadat waren die Köpfe des Militärputsches gegen König Faruk und Gründer der Republik. Husni Mubarak war ein Luftwaffenheld des Jom-Kippur-Krieges und enger Gefolgsmann Sadats.

Nun setzt Abd al-Fattah as-Sisi die Tradition der Soldatenpräsidenten fort. Immerhin war der provisorische Übergangspräsident noch Zivilist: Adli Mansur ist Jurist. Um der neuen Verfassung genüge zu tun, trat as-Sisi rechtzeitig vor der Wahl von allen militärischen Ämtern zurück. Doch an seinem Hintergrund ändert das nichts. Das Militär ist die einflussreichste Macht im Staate. Ranghohe Militärs geben in der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft den Ton an. Die jährliche Militärhilfe aus den USA beträgt rund 1,3 Milliarden Dollar. Bedingungen dieser Militärhilfe sind der unbedingte Frieden mit Israel und die Unterdrückung islamfundamentalistischer Kräfte. Wegen der politischen Lage ist diese Hilfe temporär eingefroren.

Verhaftungen und Todesurteile sorgen für Atmosphäre der Angst

Inwieweit die aktuelle Wahl zum Präsidenten fair gewesen ist, lässt sich bezweifeln. Massive Einschüchterungen, über 500 Todesurteile gegen führende Muslimbrüder und massenhafte Verhaftungen von Oppositionellen verdunkeln die Stimmung. Die Zahl der aktuell Verhafteten soll, je nach Quelle, zwischen 20.000 und 40.000 liegen. Genau weiß es niemand.

Die Pressezensur ist scharf, die Rundfunkmedien sind gleichgeschaltet. In Alexandria, Kairo, Port Said, Suez und anderswo hängen an allen Ecken und Wänden den Konterfeis von as-Sisi. Einen solchen Personenkult hat es seit Nassers Zeiten nicht mehr gegeben.

Tatsächlich verortet sich as-Sisi in der Tradition des panarabischen Nationalisten Gamal Abd al-Nasser. Ein anderes Vorbild bietet sich nicht an. Denn Sadat war zwar im Westen populär, daheim jedoch wegen seiner Friedenspolitik mit Israel umstritten. Letztendlich kam er 1981 bei einem Attentat ums Leben. Auf dessen Nachfolger, dem gestürzten Mubarak, will sich niemand mehr berufen. Er ist zum Sinnbild für Stillstand und Korruption geworden.

Doch auch as-Sisis Herausforderer, Hamdin Sabahi, ist Verehrer Nassers. Seine »Partei der Würde« ist eine sozialistisch angehauchte nasseristische Partei. Die Erinnerung an Gamal Abd al-Nasser ist nach wie vor positiv besetzt, trotz der dramatischen Niederlage gegen Israel im Sechstagekrieg (1967), trotz der unglücklichen Militärabenteuer im Jemen (1962 bis 1967) und trotz der gescheiterten Union mit Syrien (1958 bis 1961). Die Landreformen Nassers hatten einst Millionen Ägypter aus Armut und Knechtschaft befreit. Doch das ist alles lange her.

Frust und Freude – geteilte Stimmung am Nil

Die derzeitige Stimmung in Ägypten ist geteilt. Zum einen sehnen sich die Menschen nach Sicherheit und Ordnung, vor allem aber nach einem wirtschaftlichen Aufschwung. Seitdem der Tourismus als Einnahmequelle ausgefallen ist, geht es vielen Ägyptern schlechter denn je. Bakschisch und ausländische Devisen waren das Schmiermittel der ägyptischen Wirtschaft. Nun gibt as-Sisi vielen Ägyptern Hoffnung auf Stabilität und Aufschwung. Mit der Ordnung, so hofft man, kommen vielleicht auch die Touristen wieder ins Land.

Die andere Hälfte der ägyptischen Bevölkerung ist frustriert bis völlig niedergeschlagen. Die Muslimbrüder hatten nach Jahrzehnten des Untergrundkampfes endlich einen demokratisch gewählten Präsidenten ins Amt gebracht, und nun ist alle Macht, alle Hoffnung zerronnen.

Auch die liberalen und sozialistischen Gruppierungen liegen am Boden. Zweimal haben ihre zumeist jungen und säkular eingestellten Anhänger eine Revolution mitgetragen. Zweimal wurden sie vom Ergebnis enttäuscht. Generation Facebook hat sich in Ägypten nicht durchsetzen können.

Opposition wagt dennoch Demonstrationen gegen Abd al-Fattah as-Sisi

Während die ägyptische Zeitung Al-Ahram den Erfolg von Abd al-Fattah as-Sisi feiert und die Demonstrationen oppositioneller Gruppen marginalisiert, berichtet Al-Jazeera über umfangreiche Proteste. So haben in den Vorstädten Kairos, in Beni Suef und der großen Oase Fayum Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi gegen den neu gewählten Präsidenten as-Sisi demonstriert. In Alexandria haben Aktivisten in einem Massenaufmarsch ihre Solidarität mit den politischen Häftlingen demonstriert.

Wirtschaftliche Not und Überbevölkerung machen das Land zu einem Pulverfass

Ägypten ist ein Wüstenreich. Nur ein kleiner Teil des Landes ist bewohnbar. Dazu gehören das enge Flusstal beiderseits des Nils, das Flussdelta im Norden, der Streifen des Suez-Kanals und die Oasen in der Libyschen Wüste. Hinzu kommen die Retortenstädte und Touristenzentren am Roten Meer und auf dem Sinai.

Die Bevölkerung Ägyptens wächst rasant. 1960 hatte das Land am Nil rund 25 Millionen Einwohner. Heute sind es etwa 90 Millionen. Der Ballungsraum von Kairo platzt mit fast 20 Millionen Menschen aus allen Nähten. Genaue Zahlenangaben und Statistiken sind bereits veraltet, sobald sie veröffentlicht werden. Die Bevölkerung ist administrativ schwer zu erfassen. Hunderttausende leben in Hütten auf den Dächern der Hochhäuser, in verwinkelten Vorstadtslums, auf gigantischen Müllbergen oder auf den islamischen Friedhöfen.

Die Armut ist groß. Korruption ist weit verbreitet. Ein Großteil der Ägypter sind praktische Analphabeten. Insbesondere die Frauen und Fellachen auf dem Lande haben kaum Schulbildung. Weil der Staat kein Geld hat, um seine Beamten ausreichend zu versorgen, sind Lehrer, Verwaltungsbeamte und Polizisten auf Bakschisch und Schwarzarbeit angewiesen.

Ein großes Problem ist die Jugendarbeitslosigkeit. Viele junge Männer haben keine reguläre Beschäftigung. Ohne Auskommen und Vermögen können sie nicht heiraten. Sie müssen sich heimlich mit ihren Freundinnen treffen. Das Beisammensein von Mann und Frau außerhalb der Ehe ist geächtet, auch wenn sie nur Händchen halten. Die Frustration der jungen Männer hat sich während der Revolution auf dem Tahrir-Platz entladen. Auch in den Fußballstadien wird Frust abgelassen. Im Februar 2012 sind bei Krawallen im Fußballstadion von Port Said 74 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden.

In regelmäßigen Abständen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen auf die koptische Minderheit. Die Kopten sind größtenteils Unterstützer von as-Sisi. Islamistischen Gruppierungen stehen sie befremdlich gegenüber. Beiderseitige Vorurteile erschweren das friedliche Miteinander.

Hinzu kommen terroristische Anschläge auf staatliche Einrichtungen und Touristenzentren. Auf der nördlichen Sinaihalbinsel treiben Rebellengruppen ihr Unwesen, die von der Armee massiv bekämpft werden.

Wenn die neue Regierung unter Abd al-Fattah as-Sisi die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise des Landes nicht in den Griff bekommt, kann das Pulverfass Ägypten erneut explodieren. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang