Naher Osten

Ägypten: Revolution ad absurdum

Für viele Ägypter klingt es wie ein schlechter Scherz: Hosni Mubarak, der gestürzte Diktator, gegen den das Volk rebelliert hatte, wurde freigesprochen. Die Militärdiktatur ist oben auf.

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Zwar gibt es noch den Schuldspruch wegen Korruption, doch die diesbezüglich dreijährige Haftstrafe hat er zum Teil bereits abgesessen. Schlimmeres scheint ihm nicht zu drohen: Hosni Mubarak triumphiert, und mit ihm sein System.

Es scheint plötzlich keine Rolle mehr zu spielen, dass der nun 86jährige Mubarak das Land im Korruptionssumpf ersäufte, sich und seinen Clan maßlos bereicherte, die Opposition gewaltsam unterdrückte und auf die Demonstranten schießen ließ. Hunderte waren ums Leben gekommen.

Doch – rein juristisch betrachtet – können die ägyptischen Richter ihm nichts vorwerfen, das eine längere Haftstrafe rechtfertigen würde. Das gebe das ägyptische Recht nicht her. Damit wurde das Urteil von 2012, mit dem er zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, aufgehoben. Zwar plant die Staatsanwaltschaft in Berufung zu gehen, doch ihr Erfolg ist fraglich. Denn wie viel Unabhängigkeit hat die Justiz im Regime des neuen Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi?

Das alte System ist zurück

Man kann es Konterrevolution nennen, einen Sieg der Reaktion. Doch wie immer man es bezeichnen mag: Als Folge der Machtergreifung el-Sisis ist das Militär wieder der entscheidende Machtfaktor im Lande geworden.

Die neue Regierung geht härter und konsequenter gegen die Muslimbrüder und andere Oppositionelle vor, als es unter Mubarak jemals der Fall gewesen war. Hunderte Todesurteile wurden ausgesprochen. Tausende sind verhaftet worden.

Damit kehrt die alte Ordnung zurück. Die Unterdrückung ist nicht wirklich neu. Sie war niemals verschwunden. Auch unter der Regierung der Muslimbrüder unter dem Ex-Präsidenten Mohammed Mursi wurden Oppositionelle verfolgt. Wirkliche Rechtsordnung mit freier Opposition hat es nie gegeben. Wer auch immer in Ägypten gegen die Mächtigen aktiv ist und für seine Rechte kämpft, lebt gefährlich.

Einmal Militär, wieder Militär, immer Militär

Rückblick: Die ägyptische Revolution von 1952 gegen König Faruk II. und die Vorherrschaft der Briten war in Wirklichkeit ein Militärputsch gewesen. Drei prominente Militärs und Akteure dieses Putsches wurden nacheinander Präsident des Landes: Mohammed Nagib (1953-1954), Gamal Abdel Nasser (1954-1970) und Anwar el-Sadat (1970-1981).

Auch Hosni Mubarak, Präsident von 1981-2011, kam aus dem Militär. Er war sogar ein Held der Luftwaffe, ein Pilot des Jom-Kippurkrieges von 1973. Als Sadat 1981 Opfer eines Attentates wurde, war klar, dass sein Vizepräsident Hosni Mubarak das Amt übernehmen würde. Gleichsam wie ein Pharao regierte er drei Jahrzehnte lang. Seine Macht war bis zur Revolution von 2011 niemals in Frage gestellt worden. Und nun ist mit Abdel Fattah el-Sisi wieder ein ranghoher Vertreter des Militärs an die Macht gekommen.

Mursi, der weiterhin wegen Hochverrates angeklagt ist und dessen Gerichtsverfahren andauert, war bisher der einzige Zivilist im Präsidentenamt, und der einzige, der demokratisch gewählt wurde.

Angesichts dieser Kontinuität der Militärherrschaft wirkt die kurze Phase der Muslimbrüder wie ein Zwischenfall, der mal eben korrigiert worden ist. Doch selbst während dieser Zwischenphase hat das Militär niemals komplett das Szepter aus der Hand gegeben. Sogar nach der Revolution und dem Sturz Mubaraks hielt das Militär die Zügel in der Hand. Als Vorsitzender des Obersten Militärrates leitete der Feldmarschall Mohammed Tantawi vorübergehend die Amtsgeschäfte.

Mohammed Mursi hatte den Totengräber seiner Herrschaft selbst ins Amt gesetzt: Nachdem er kurz nach seinem Amtsantritt Tantawi in den sofortigen Ruhestand geschickt hatte, war es Mursi selbst, der el-Sisi ins Amt des Vorsitzenden des Militärrates und Verteidigungsministers gehoben hatte.

Die Macht des Militärs bleibt unangetastet

Das Militär ist die mächtigste Institution des Landes. In einem Staat, in dem scheinbar nichts reibungslos oder ohne Korruption und Bakschisch funktioniert, ist der Militärapparat ein geradezu intaktes und effektives Gebilde. Mächtige Militärs sind schon seit langem an vielen wirtschaftlichen Projekten der Industrie, der Immobilenbranche und des Tourismus beteiligt. Das Militär ist ein Wirtschaftsfaktor. Eine wichtige Quelle des Militärs ist die Militärhilfe aus den USA von mehr als einer Milliarde Dollar jährlich. Zwischenzeitlich gestoppt, wurde dieser Finanzfluss wieder geöffnet.

Die permanente Militärhilfe der USA an Ägypten verfolgt zwei strategische Ziele. Zum einen soll sich Ägypten an den Friedensvertrag mit Israel halten. Zum anderen soll das Militär verhindern, dass anti-amerikanische Kräfte an die Macht kommen und das politische Gleichgewicht im Nahen Osten gefährden. Aus diesem Grunde waren die Muslimbrüder stets bemüht gewesen, die USA nicht vollends vor den Kopf zu stoßen und verhielten sich diplomatisch gegenüber Israel, obwohl sie ideologisch mit der palästinensischen Hamas verbunden sind.

Ägyptens Einfluss bleibt groß

Ägypten ist ein armes Land. Es gibt nur wenig Erdöl. Die Wirtschaft liegt seit langem am Boden. In den Großstädten wachsen die Slums. Analphabetentum ist weit verbreitet. Auf dem Lande kann mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht lesen und schreiben. Der Tourismus war über viele Jahre eine der wichtigsten Einnahmequellen.

Dennoch ist Ägypten ein einflussreiches Land innerhalb der arabischen Welt. Dies liegt an seiner rasant wachsenden Bevölkerung. Die Statistiken kommen kaum noch hinterher. Mittlerweile dürften es rund 90 Millionen sein. Damit ist Ägypten das mit Abstand bevölkerungsreichste arabischsprachige Land. Viele Ägypter arbeiten als Gastarbeiter in den Golfstaaten. Die ägyptische Musik- und Filmindustrie ist in den Medien der arabischsprachigen Länder weit verbreitet.

Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate sind dagegen jene Länder, aus denen das meiste Geld in die religiöse und ideologische Propaganda fließt, mit der die Bevölkerung Ägyptens in die eine oder anderer Richtung gelenkt werden soll. Katar hatte die Muslimbrüder unterstützt, Saudi-Arabien die Salafisten, aber auch das Militärregime. Mursi wird übrigens unter anderem vorgeworfen, Militärgeheimnisse an Katar verraten zu haben.

Wie geht es weiter?

Falls Mubarak am Ende wirklich mit blauem Auge davonkommen und Mursi dagegen zu lebenslanger Haft oder gar zum Tode verurteilt werden sollte, kann die Stimmung im Lande schnell wieder in Aufruhr und Gewalt umschlagen.

Die Revolution und Konterrevolution haben einen tiefen Riss in der Gesellschaft hinterlassen. Ein instabiles Ägypten ist jedoch denkbar schlecht für die Region des Nahen Ostens.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.von Bugenhagen

Na ist denn das..

Wer sich als Landesvater mit Prunk umgibt während sein Volk Hungert ist für mich unter aller Sau.

Gravatar: Alexander Scheiner, Israel

Hosni Mubarak muss als orientalischer Herrscher verstanden werden. Leider gelten da andere Massstäbe.
Mubarak hat in seiner Regierungszeit keine Kriege mit Israel angezettelt und sein Land vor enormen Schäden und Opfern bewahrt. Auch das wird ihm von seinen Feinden übel genommen.

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