Gedenken an den Kriegsbeginn

100 Jahre Erster Weltkrieg: Nichts gelernt?

Vor hundert Jahren, am 28. Juli 1914, erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Durch den Dominoeffekt des Bündnissystems eskalierte die Krise zum Weltkrieg. Hat die Welt ihre Lektion gelernt?

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Kalendarisch begann das 20. Jahrhundert am 1. Januar 1900. Doch die wirkliche Zeitenwende war der 28. Juli 1914. Denn von diesem Tage an zerbrach die alte Welt des 19. Jahrhunderts. Der Erste Weltkrieg führte zur Umgestaltung Europas, zum Zusammenbruch der Monarchien in Berlin, Wien und St. Petersburg, zur russischen Revolution, zur Erschütterung des Britischen Weltreiches und zum Erstarken der Vereinigten Staaten von Amerika.

Der Erste Weltkrieg war die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, der erste industrielle Massenkrieg. Flugzeuge, Panzer und Unterseeboote kamen erstmals zum Einsatz. Kavalleriegefechte spielten keine Rolle mehr. An der Front eingegraben, waren die Soldaten dem nicht enden wollenden Trommelfeuer der feindlichen Artillerie ausgeliefert. Wer die Kanonaden überlebt hatte, wurde bei seinem nächsten Sturmangriff von Maschinengewehren, Granaten oder Landminen zerfetzt. Den Rest raffte das Giftgas hin.

Zwar hatte bereits der amerikanische Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 einen Vorgeschmack auf den industriellen Krieg geliefert. Dennoch war der Erste Weltkrieg ein Schock. Alles, was die jungen Menschen in ihren Schulen über die angeblich so glorreichen Kriege Napoleons oder die preußischen Siege des 18. und 19. Jahrhunderts gelernt hatten, war über Nacht in Frage gestellt. Die jungen und naiven Männer von 1914 waren in der Hoffnung auf einen schnellen Sieg an die Front gezogen. Weihnachten wollten sie wieder zu Hause sein.

War am 28. Juli 1914 schon alles verloren?

Dem verhängnisvollen 28. Juli vorausgegangen war das Attentat von Sarajevo. Exakt einen Monat zuvor war der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand samt Gemahlin von einem bosnisch-serbischen Attentäter erschossen worden. Dieses Attentat hatte weltweite Bestürzung ausgelöst.

Dann folgte die Julikrise, die man im Rückblick nur als Paradebeispiel für das Totalversagen der Diplomatie bezeichnen kann. Es waren hektische Wochen der Depeschen,  Vermittlungsbemühungen, Ultimaten, Warnungen, Teilmobilmachungen und schließlich Generalmobilmachungen. Während die Diplomatie kollabierte, hatten die Militärs ihre Pläne für den Kriegsfall längst ausgearbeitet.

Am 23. Juli wurde in Belgrad das Ultimatum Österreich-Ungarns der serbischen Regierung übergeben. Die Forderungen in diesem Ultimatum waren angesichts der Bedeutung des Attentats verständlich. Serbien sollte die anti-österreichischen Organisationen auflösen, die Mitstreiter der Attentäter dingfest machen und deren Hintermänner ermitteln. Die Formulierungen des Ultimatums waren scharf. Sie beinhalteten auch die Forderung, Organe der k. u. k. Regierung an den Ermittlungen zu beteiligen. Russland ermutigte Serbien, das Ultimatum abzulehnen.

Am 28. Juli war noch nicht alles verloren. In Berlin, Wien und sogar London war noch die Ansicht verbreitet, Österreich-Ungarn könnte es notfalls bei der Besetzung Belgrads belassen. Am 29. Juli begann das Artilleriefeuer auf die serbische Hauptstadt. Aus London gab es noch einen Vermittlungsvorschlag, um den Kampf räumlich und zeitlich zu beschränken.

Auf französischer Seite arbeitete man an der Achse Paris-Moskau. Vom 20. bis zum 23. Juli waren der französische Präsident Raymond Poincaré und Premierminister René Viviani höchstpersönlich zu russisch-französischen Verhandlungen nach St. Petersburg gereist. Sie stärkten Zar Nikolaus II. und somit indirekt Serbien den Rücken.

Es dauert kaum mehr als ein Woche, bis der begrenzte Kriegseinsatz einen europäischen Flächenbrand entfachte: Bereits am 8. August befanden sich das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, Serbien, Russland, Frankreich, Belgien und Großbritannien offiziell im Kriegszustand. Eine solch rasante Eskalation hatte es noch nie gegeben.

Deutschland war aus drei Gründen ein drängender Faktor. Zum einen hatte man Wien ermutigt, möglichst hart gegen Belgrad vorzugehen. Ohne diese »Blankovollmacht« wäre das Ultimatum vermutlich weniger scharf formuliert worden. Zum anderen fürchtete man in Berlin das militärische Erstarken Russlands. Je eher man zuschlüge, so dachte man, desto höher seinen die Chancen, das Riesenreich zu bezwingen. Schließlich gab es noch die Taktvorgaben des Schlieffen-Plans, der den deutschen Generalstab zum schnellen Losschlagen zwang, um einen langen Zweifrontenkrieg zu vermeiden.

Aus dem Kriegen des 20. Jahrhunderts nichts gelernt?

Die Vorstellungen vom Kriege änderten sich nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges von Grund auf. Selbst für die Siegermächte waren die Verluste an Menschenleben zu hoch, um den Krieg einseitig im Lichte des Ruhmes betrachten zu können. Natürlich war die Retrospektive geteilt. Exemplarisch hierfür sind die zwei klassischen Nachkriegsbestseller »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque und »In Stahlgewittern« von Ernst Jünger. Hier die anprangernde Darstellung des Schreckens und der Sinnlosigkeit des Krieges, dort die neutrale Beschreibung des Krieges als brutale »Naturgewalt«, die über die Menschen hereinbricht.

Bemerkenswert war die Rezeption des Krieges im Film. Bereits die Stummfilme der 1920er Jahre versuchten das Grauen an der Front wiederzugeben. Die beiden ersten Tonfilme zum Thema, der deutsche Antikriegsfilm »Westfront 1918« (1930) von G.W. Pabst und die amerikanische Verfilmung von »Im Westen nichts Neues« (1930) durch Lewis Milestone, schafften es, schonungslos und ohne Pathos die Realität des modernen Krieges einzufangen. Die Antikriegsfilme und Antikriegsliteratur hatten das große Verdienst, die Lügen zu entlarven, mit denen die jungen Menschen in den Tod geschickt wurden.

Bedenklich erscheint vor diesem Hintergrund, dass hundert Jahre später wieder mit öffentlichkeitswirksamen Mitteln versucht wird, Militär und Militäreinsätze rhetorisch in positives Licht zu rücken. Heute wird die Armee »Peace Keeper« genannt. Statt von Kriegseinsätzen spricht man von »humanitären Interventionen« und »friedenserhaltenden Maßnahmen«. Die »Peace Keeping Missions« dienen der »Bekämpfung des Terrorismus«, so heißt es.

Aus dem Bundespräsidialamt wird ermahnt, Deutschland müsse international mehr Verantwortung übernehmen. Die Verteidigungsministerin denkt laut über neue mögliche Bundeswehreinsätze nach, und der NATO-Generalsekretär fordert höhere Rüstungsausgaben. Dabei sind es weniger die Einzelaussagen der Politiker als vielmehr deren aktuelle Häufung, die Anlass zur Sorge gibt. Der pazifistische Grundton unserer Gesellschaft wird von Rufen nach mehr Rüstung und Militäreinsätzen übertönt.

Die Materialschlachten des Ersten und Zweiten Weltkrieges sind asymmetrischen Kriegen gewichen. Heutzutage exekutieren Drohnen mutmaßliche Terroristen – ohne Gerichtverhandlung und Urteil. Hochgerüstete Privatarmeen sollen den Undercovereinsatz von Gewalt vereinfachen.

Doch die weltweit steigenden Rüstungsausgaben in den Industriestaaten und Schwellenländern sowie die Art der Waffen, die angeschafft werden, verraten für jedermann unmissverständlich, dass man in den militärischen »Think Tanks« für die Zukunft nicht nur mit Terrorismusbekämpfung rechnet.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karin Weber

Diese Leute werden nicht gewinnen. Langjährige Erfahrungen haben gezeigt, dass Partisanenkriege nicht zu gewinnen sind. Auf Dauer lassen sich Völker auch nicht unterdrücken.

Auch wenn die VSA nicht so wie aus Vietnam rausgeworfen wurden, dennoch haben sie in Afghanistan verloren. Diese "Weltmacht" ist an ein paar bärtigen Ziegentreibern in Sandalen gescheitert.

Gravatar: MAX

Kriege wie in der UKRAINE werden durch US-Privatarmeen geführt.
Die grösste ist die umbenannte " ACADEMY"-US PRIVAT-Armee.
Sie stellt die Kommandeure in der Ostukraine und verfügt durch
SYNCRON-Satelliten über genaueste Ortskenntnisse ,
Lagepläne , Aufmarschpläne und Stellungen der ostukrainischen Kämpfer.

Gravatar: Karin Weber

Der Öffentlichkeit ist die Kriegshetze gegen Russland nicht verborgen geblieben. Es ist auch zu bemerken, dass grundsätzlich nach Sanktionen gegen Russland getrötet wird und die Gründe dazu täglich angepasst werden. Frei nach dem Motto: "War Putin das nicht, dann war er aber das!"

Unter dem Aspekt der Kriegstreiberei ist auch die Aussetzung der Wehrpflicht durch Guttenberg neu zu bewerten. Die politische Klasse weiß, dass sie für ihre Kriegstreiberei, ihr Vasallentum unterhalb der VSA, in der breiten Bevölkerung keinen Rückenhalt hat, also MUSS man zwangsläufig auf eine Söldnerarmee zurückgreifen, weil Wehrpflichtige ganz sicher verweigern würden.

Ich würde für die Verteidigung dieses Landes auch nicht meinen Hintern riskieren. Was soll man hier noch verteidigen? Gender-Mainstreaming, Frauenhäuser, Finanzkrise, faule Beamte und erkenntnisresistente Politiker? So denken mittlerweile viele Menschen und in der Ostukraine ist gerade zu bemerken, dass der aus Kiew gestarteten Mobilmachung sich viele "wehrfähige Menschen" per Flucht entziehen.

Wenn die politische Klasse Krieg führen will, dann soll sie dies alleine/selbst tun und die Bürger damit zufrieden lassen. Ich werde alles tun, damit meine Enkelkinder nicht in solch eine Politik hineingezogen werden.

Ich bin zudem der unerschütterlichen Überzeugung, dass die Politik aus all den Weltkriegen NICHTS gelernt hat. Also muss der Bürger reagieren und diesen Leuten Grenzen setzen.

Gravatar: keinUntertan

Die USA wollen unter allen Umständen den Regime Chance in Moskau.

Russland will unter allen Umständen ein Vorrücken der NATO / USA verhindern.

USA, EU, NATO rasseln mit den Säbeln, stellen Ultimaten, suchen nach Argumenten, um gegen Russland losschlagen zu können.

Die Ukraine wird das Serbien des 21. Jahrhunderts.

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