Die wichtigste Änderung betrifft die Ernennung der Richter. Im Moment wird dies durch ein einfaches Gesetz geregelt, das mit einfacher Mehrheit geändert werden kann. Die Hälfte der Richter wird vom Bundestag nominiert, die andere Hälfte vom Bundesrat, jeweils mit einer Zweidrittelmehrheit. Die etablierten Parteien befürchten, dass wir uns dem Punkt nähern, an dem die AfD eine Sperrminorität erlangt.

Die neue Regel ist, dass, wenn sich eine Kammer nicht auf eine Nominierung einigen kann, der Prozess an die andere Kammer geht. Das ist der klassische europäische Instinkt für ein zweites Referendum. Man stimmt so lange ab, bis man das gewünschte Ergebnis erhält.

Es überrascht uns nicht, dass die deutschen Zentristen versuchen, eine technische Lösung für das AfD-Problem zu finden. Sie befinden sich noch immer im Firewall-Modus und werden dies wahrscheinlich auch bleiben, was unserer Meinung nach der kontraproduktivste Weg ist, mit ihnen umzugehen. Die AfD ist zu groß geworden, um effektiv durch eine Firewall abgeschirmt zu werden. Das neue Verfassungsgesetz würde nur dann einen Unterschied machen, wenn die AfD in einer Kammer eine Sperrminorität hätte, in der anderen jedoch nicht. Diese Situation könnte irgendwann eintreten, dürfte aber vorübergehend sein.

Was hier passiert, ist, dass die aktuelle Politikergeneration versucht, zukünftige Wähler daran zu hindern, ihre Wahlmöglichkeiten auszuüben, und so den politischen Spielraum dessen, was sie tun können, einschränkt. Dahinter steht die Idee des Verfassungsgerichts als wirksamer Bewahrer zentristischer politischer Positionen für alle Ewigkeit. Der Grund, warum Parlamente Richter wählen – und warum sie nicht vom Justizsystem selbst ernannt werden – ist, dass Gerichte die Zusammensetzung der Gesellschaft weitgehend widerspiegeln und dennoch ihre volle Unabhängigkeit behalten sollten. Wenn Sie diese Verbindung unterbrechen, wird das Gericht politischer. Das kann in beide Richtungen gehen.

Würden zukünftige Generationen dieses massive Misstrauensvotum aus der Vergangenheit einfach hinnehmen? Das bezweifeln wir sehr. Deutschland hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine gute, schlanke Verfassung gegeben. Seitdem gab es 63 Gesetze zur Änderung der Verfassung, die 235 Artikel betrafen. Eine der vielen Nebenwirkungen ist, dass die elegante und einfache Sprache der ursprünglichen Verfassung zu einem schwer lesbaren juristischen Dokument geworden ist. Zum Beispiel war die ursprüngliche Verfassung in Bezug auf die Finanzpolitik größtenteils stumm, außer dass das Parlament ermächtigt wurde, Gesetze zu erlassen, die nur das Parlament selbst binden, aber keine zukünftigen Generationen. So sollte es sein.

Sie möchten keine Zahlen in Ihre Verfassung aufnehmen, die auf allen möglichen wirtschaftlichen Bedingungen, Meinungen und Interpretationen basieren. Die Verfassung ist bereits zu einer politischen Einschränkung geworden, die Deutschland fest in der Denkweise des 20. Jahrhunderts gefangen hält. Selbst wenn die deutsche Regierung dies wollte, kann sie die Finanzpolitik nicht ändern, um mit den enormen Investitionen umzugehen, die das schnell fortschreitende 21. Jahrhundert von den Regierungen verlangt.

Sie kann keiner sinnvollen Reform des finanzpolitischen Rahmens der EU zustimmen, wie wir bei zahllosen Urteilen zu EU-Verträgen und EZB-Politik und deren innerstaatlicher Umsetzung gesehen haben. Sie kann nicht einmal ihre massiv überbesetzten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten reformieren, weil diese durch die Verfassung geschützt sind.

Wenn Sie die Zelle abschließen und den Schlüssel wegwerfen, wundern Sie sich nicht, wenn die Eingeschlossenen irgendwann andere Wege finden, um zu entkommen. Um die Verfassung loszuwerden, ist ein Referendum mit einfacher Mehrheit erforderlich. Wir glauben nicht, dass die extreme Rechte das tun wird, sondern dass künftige Generationen sich von den Rechtsideologen der Vergangenheit lösen müssen.

Quelle: eurointelligence