Das Buch Ungarn ist anders von Bence Bauer bietet einen tiefgründigen und informativen Einblick in die Geschichte, Kultur und Politik Ungarns und betont dessen Besonderheit im europäischen Kontext. Für das deutsche Publikum, das Ungarn oft durch westliche Perspektiven betrachtet, erweist sich dieses Werk als augenöffnend und lehrreich. Bauer gelingt es, eindrucksvoll darzustellen, warum Ungarn anders ist und warum gerade deutsche Leser von dieser Differenz lernen können.
Bereits in der Einleitung macht Bauer klar, dass Ungarn und Deutschland trotz ihrer gemeinsamen Geschichte und kulturellen Verflechtungen oft fundamental verschiedene Sichtweisen auf zentrale politische und gesellschaftliche Fragen haben. Diese Unterschiede prägen das heutige Ungarn und machen es zu einem faszinierenden Fall innerhalb Europas. Besonders deutlich wird, wie stark das ungarische Freiheitsdenken und der Nationalstolz die Politik und das Alltagsleben prägen – etwas, das gerade für deutsche Leser in Zeiten des wachsenden europäischen Zusammenhalts von Bedeutung ist.
Das Buch ist klar strukturiert und führt den Leser Schritt für Schritt durch die politischen, historischen und kulturellen Besonderheiten Ungarns. Bauer gliedert sein Werk in sechs Hauptkapitel, die jeweils einen spezifischen Aspekt der ungarischen Realität beleuchten. Im ersten Kapitel, Nation und Geschichte, untersucht er die historische Entwicklung Ungarns und dessen Freiheitsdrang, der sich in einer langen Tradition von Aufständen und Revolten gegen fremde Mächte manifestiert. Hier wird der ungarische Nationalstolz besonders deutlich, der sich in der Verteidigung von Souveränität und Unabhängigkeit zeigt. Das zweite Kapitel, Ungarische Positionen, konzentriert sich auf die politischen Grundsätze, die Ungarns Innen- und Außenpolitik prägen. Themen wie das Wahlsystem, die Rolle der Staatspräsidentin und Ungarns Position im Ukrainekrieg stehen hier im Vordergrund. Bauer zeigt auf, wie sich das Land gegenüber der Europäischen Union behauptet und seine eigenen Wege beschreitet. In den Kapiteln drei und vier geht es um Ungarns Beziehungen zu seinen Nachbarn und zu Deutschland. Besonders interessant ist dabei der Blick auf das gespannte Verhältnis zu Polen und die jahrhundertealten Bindungen an die deutsche Kultur und Politik. Bauer analysiert die gegenseitigen Wahrnehmungen, beleuchtet historische Missverständnisse und zeigt auf, wie stark sich die politischen Diskurse in beiden Ländern entwickelt haben. Kapitel fünf dreht sich um die Deutschen Blicke auf Ungarn, in dem Bauer die einseitige Berichterstattung und oft oberflächliche Kritik aus der deutschen Medienlandschaft aufgreift. Hier gelingt es ihm, eine ausgewogene Perspektive auf die aktuelle ungarische Politik zu vermitteln und die Leser dazu anzuregen, die Eigenheiten Ungarns differenzierter zu betrachten. Das letzte Kapitel, Ungarn in Europa, betrachtet die Rolle Ungarns innerhalb der Europäischen Union. Hier wird deutlich, dass Ungarn sich in vielen Bereichen als Alternative zu den westlichen, insbesondere deutschen, Politikansätzen versteht. Bauer plädiert dafür, diese ungarische Perspektive nicht nur zu respektieren, sondern als wertvollen Beitrag zur europäischen Vielfalt zu schätzen.
Kernstück des Buches ist die Betonung der ungarischen Selbstbehauptung. Bauer beschreibt, wie Ungarn es geschafft hat, seine Souveränität und Eigenständigkeit zu bewahren, trotz des Drucks supranationaler europäischer Institutionen. Diese Haltung, die oft als Widerspenstigkeit gedeutet wird, ist tief in der Geschichte des Landes verwurzelt. Ungarn, so betont Bauer, steht für Freiheit und Unabhängigkeit und wehrt sich gegen äußere Einflüsse, die es in seiner Identität bedroht sieht.
Für den deutschen Leser, der vielleicht gewohnt ist, europäische Integration und supranationale Strukturen positiv zu sehen, mag dieser Ansatz zunächst fremd wirken. Doch Bauer argumentiert überzeugend, dass man gerade von Ungarn lernen kann, wie wichtig es ist, die nationale Identität zu wahren und eine eigene politische Vision zu verfolgen. In einer Zeit, in der nationale Souveränität und europäische Zusammenarbeit oft als Widerspruch erscheinen, zeigt Ungarn ist anders, dass es möglich ist, beides in Einklang zu bringen.
Ein besonders aufschlussreicher Teil des Buches ist die Auseinandersetzung mit den gegenseitigen Wahrnehmungen zwischen Ungarn und Deutschland. Im Kapitel Ungarische Blicke auf Deutschland thematisiert Bauer die oft unterschätzte Ungeduld der Ungarn gegenüber der deutschen Politik, insbesondere was die zunehmende „Moralisierung“ der öffentlichen Debatten angeht. Ein prägnantes Beispiel ist die Kritik an Deutschlands Umgang mit Migration, den die ungarische Regierung als übermäßig liberal und die Sicherung nationaler Interessen gefährdend betrachtet. Während Ungarn den Schutz der nationalen Grenzen als zentrales Element seiner Souveränität sieht, betonen deutsche Politiker die humanitären Aspekte. Bauer beschreibt diese Diskrepanz eindrucksvoll als Spiegelbild der unterschiedlichen politischen Kulturen und zeigt, wie wenig Verständnis es für die ungarische Position in Deutschland gibt. Auf der anderen Seite beleuchtet das Kapitel „Deutsche Blicke auf Ungarn“, wie in deutschen Medien und der Politik das Bild von Ungarn oft durch eine einseitige Brille gezeichnet wird. Bauer verweist hier etwa auf die Darstellung der ungarischen Medienlandschaft, die häufig als „gleichgeschaltet“ kritisiert wird. Tatsächlich zeigt er jedoch, dass die Medien in Ungarn diverser sind, als es in vielen deutschen Berichten dargestellt wird. Während die öffentliche Berichterstattung in Deutschland größtenteils von einem links-liberalen Konsens geprägt ist, gibt es in Ungarn eine lebhafte und teils regierungskritische Medienlandschaft, die jedoch oft übersehen wird. Auch die Tatsache, dass ungarische Wähler wiederholt Viktor Orbán und seine konservative Fidesz-Partei unterstützen, wird in Deutschland oft mit Unverständnis aufgenommen, obwohl es klare Gründe für diesen Rückhalt gibt, wie Bauer fundiert erläutert.
Diese Beispiele verdeutlichen, wie stark das gegenseitige Verständnis oft von Missverständnissen und Vorurteilen geprägt ist. Bauer appelliert in diesem Zusammenhang an die deutschen Leser, sich weniger von pauschalen Urteilen leiten zu lassen und stattdessen die ungarische Perspektive ernst zu nehmen.
Besonders beeindruckend ist Bauers Fähigkeit, komplexe historische und politische Zusammenhänge verständlich darzustellen. Er vermittelt ein tiefes Verständnis für die ungarische Geschichte und macht deutlich, warum die heutigen Entwicklungen in Ungarn nicht losgelöst von ihrer Vergangenheit betrachtet werden können. Gerade die deutsche Leserschaft, die vielleicht mit der jüngeren Geschichte Ungarns weniger vertraut ist, wird durch dieses Buch einen neuen Blick auf das Land gewinnen.
Ungarn ist anders ist nicht nur eine Beschreibung der ungarischen Realität ist, sondern auch ein Aufruf an die deutsche Leserschaft, sich intensiver mit den ungarischen Sichtweisen auseinanderzusetzen. Bauer gelingt es, Ungarn als ein Land zu präsentieren, das anders ist, aber gerade deshalb so viel zu bieten hat – und von dem Deutschland einiges lernen kann. Für jeden, der sich für die Zukunft Europas und die Rolle der Nationalstaaten in diesem Gefüge interessiert, ist dieses Buch eine wertvolle Lektüre.
Buchtipp:
Bence Bauer
Ungarn ist Anders: Beiträge zur deutsch-ungarischen Verständigung
261 Seiten, gebunden
MCC Press, Budapest 2023
ISBN: 978-963-644-034-3
Kommentare zum Artikel
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Was die Deutschen dagegen sind, bekommt man jeden Tag zu spüren.
Unsere Politiker waren schon seit nach dem Krieg auf sich selber fixiert und beschuldigten das deutsche Volk für alles was geschah. Dieses von der EU und den USA abhängige System ist gescheitert.
Es muss durch echte Demokratie ersetzt werden.
Ein Jeder, der seine fünf Sinne - ach, was sag ich, vier genügen - beisammen hat, wird unweigerlich alle Geschehnisse in Ungarn, angefangen miit dem Volksaufstand vor 65 Jahren über die Grenzöffnung im September 1989 für die DDR-Flüchtlinge bis heute, mitverfolgt und daraus den Schluss gezogen haben: Die Ungarn sind ein sturköpfiges Volk, dem aber nichts wichtiger ist als die Freiheit. Anders als in Deutschland fruchten die Versuche der EU Ungarn zu gängeln, zu erziehen und zu züchtigen, fruchten wenig. Die Ungarn haben mit Orban den richtigen Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz. die Slowakei ist mit Fico auf dem besten Weg. Und wir? Wir (natürlich nicht alle) schauen wehmütig drein: Rechts die Niederlande und linker Hand Ungarn, die haben Wilders und Orban, und wir? Die AMPEL!