Gastbeitrag von Stephane de Villefort

So verspielten die Christdemokraten ihren „sicheren Wahlsieg“ in Frankreich

In Frankreich wurden die Christdemokraten bei der Präsidentschaftswahl auf Platz drei eiskalt abserviert. Das ist einmalig in der Nachkriegsgeschichte Frankreichs. Bislang kamen die politischen Erben des Generals de Gaulle immer in die Stichwahl. Nach der vermasselten Präsidentschaft des Sozialdemokraten Hollande galt ihnen ausgerechnet diese Präsidentschaftswahl als geradezu unverlierbar. Doch man kann die krachende Niederlage innerhalb eines Quartals verstehen.

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In Frankreich wurden die Christdemokraten bei der Präsidentschaftswahl auf Platz drei eiskalt abserviert. Das ist einmalig in der Nachkriegsgeschichte Frankreichs. Bislang kamen die politischen Erben des Generals de Gaulle immer in die Stichwahl. Nach der vermasselten Präsidentschaft des Sozialdemokraten Hollande galt ihnen ausgerechnet diese Präsidentschaftswahl als geradezu unverlierbar. Doch man kann die krachende Niederlage innerhalb eines Quartals verstehen.

Parteiinterne Vorwahlen passen nicht zur politischen Kultur Frankreichs. Als er die fünfte Französische Republik gründete, bestand der General de Gaulle auf der direkten Wahl des Präsidenten durch das Volk: die Begegnung eines Mannes mit der Nation ohne zwischengeschaltete Parteien. In Frankreich wirkt der Staatspräsident wie ein demokratischer Monarch oder der Monarch der Republik, befreit vom alltäglichen parteipolitischen Kleinkram. Dieses Gründungsprinzip des Nachkriegs-Frankreichs wird jetzt lautlos abgeschafft. Denn ein durch parteiinterne Vorwahlen bestimmter Kandidat befreit sich nicht aus dem Alltagsgeschäft, sondern verstrickt sich darin umso mehr, wenn sich beispielsweise Verlierer der Vorwahl rächen und umsorgt werden müssen. Daraus entstehen jene Gefahren und Abhängigkeiten, die Staatsgründer Charles de Gaulle unbedingt verhindern wollte. Außerdem wird die Wahl des Staatspräsidenten um die zwei Etappen jeder parteiinternen Vorwahl erweitert. Das potenziert innerparteilichen Streit zwischen Flügeln und Partei-Unterorganisationen. So auch im Falle von François Fillon und seiner Partei „Die Republikaner“. Einzige Gewinner sind die Medien: je mehr gestritten wird, umso mehr gibt es zu berichten. Verlierer ist das politische System. Die Politikverdrossenheit der Bürger gegenüber den Altparteien steigt. Zumal Fillon auch nicht die Modernisierung personifiziert, die Frankreich so dringend braucht. Schließlich gehört der 63 Jahre alte Fillon, Notarsohn, nacheinander Bürgermeister, Abgeordneter, Senator, Regionalratsvorsitzender, Minister und schließlich längst gedienter Premierminister (2007-2012), zu Frankreichs politischem Inventar.

Sens commun - vom Trampolin zum Mühlstein. Die überwiegend katholische und bürgerliche Bewegung Sens commun (Gemeinsinn) entstand aus der „Demo für Alle“ in Frankreich gegen das Gesetz zur Homo-Ehe. Im monatelangen zivilgesellschaftlichen Engagement hunderttausender Familien zum Schutz von Ehe und Familie wuchs die Erkenntnis, dass eine wertkonservative Gesellschaftspolitik nur möglich ist, wenn die Konservativen als größte bürgerliche Partei wieder selbstbewusst ihren Markenkern vertreten. Aus wahltaktischen Gründen nahm Nicolas Sarkozy Sens commun als Unterorganisation in seine Partei auf - ausgerechnet gegen den Willen von François Fillon. Schrittweise gewöhnten sich Fillon und Sens commun aneinander und legten gemeinsame Strategien und Ziele bis hin zu einer möglichen Regierungsbeteiligung fest. Schließlich war Fillon unter allen konservativen Kandidaten für die Vorwahl der katholischste Kandidat. Jetzt hätte er gewinnen können. Doch umgehend wurde Sens commun von den Widersachern Fillons allein deswegen diskreditiert, weil die Bewegung die in der katholischen Sozialethik als nicht verhandelbare Grundsätze angegebenen Prinzipien in der Tagespolitik angewandt wissen wollte. Der frühere Premierminister verteidigte seine Strategie und wies deutlich darauf hin, dass wer auf dem Boden der Verfassung stehe auch am gesellschaftlichen Diskurs teilhaben solle. Doch seine innerparteilichen Rivalen zogen es vor, sich über den Einfluss von Sens commun zu zerstreiten anstatt gemeinsam ihren Kandidaten zu unterstützen. Sens commun wurde unfreiwillig vom Trampolin zum Mühlstein.

Ein Problem kommt selten allein - aber acht Affären auf einen Streich? Seit Januar 2017 wurde François Fillon aus heiterem Himmel mit acht Affären konfrontiert: - die angebliche Scheinbeschäftigung von Ehefrau und Kindern als seine Parlamentsassistenten sowie die vermutete Scheinbeschäftigung seiner Ehefrau und seiner Kampagnenmanagerin bei einer Literatur-Rundschau (Revue des deux mondes) ; - Missmanagement der parlamentarischen Assistenz als Senator; - ein nicht angegebener Kredit über 50.000 Euro; - eine nicht angegebene Tätigkeit als Lobbyist seiner Beratungsfirma „2F Consultation“; - Geschenkte teure Maßanzüge ohne Angabe dieser geldwerten Zuwendung beim Parlament; - seine sogenannten guten Beziehungen zu Vladimir Putin und Russland. „Aufgedeckt“ wurden diese „Affären“ zuerst vom Canard enchainé, einem linken systemkritischen Satireblatt. Andere Medien multiplizierten das Echo - das bringt Quoten und Auflagen. Die Unschuldsvermutung wurde bewusst umgangen, bis zum Wahltag wurde gar nichts bewiesen. Doch die mediale Verteuflung erfüllte ihren Zweck nach der alten Devise: „Verleumden Sie, es bleibt immer etwas hängen“.

Fehlendes Krisenmanagement. Die ersten, die davor in die Knie gingen, waren die Bürgermeister und die Abgeordneten der Fillon-Partei, die an der Parteibasis die sogenannten Affären erklären und ihren Kopf dafür hinhalten mussten. Hinzu kommt, dass sich Fillon schon zu Beginn der ersten Affäre zu dem Versprechen hinreißen ließ, von seiner Spitzenkandidatur zurückzutreten, sollte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen. Das tat sie natürlich umgehend, weil die Staatsanwaltschaft auch in Frankreich politischen Weisungen unterliegt. Doch Fillon trat nicht zurück, und dieser Wortbruch hinterließ Spuren bei den Anhängern. Marine le Pen war da wesentlich vorausschauender. Auch ihr wurde eine vermutete Affäre um die vermeintlich ungerechtfertigte Nutzung der parlamentarischen Assistenz im EU-Parlament angehangen. Sie erkannte sofort die politische Manipulation hinter den Anschuldigungen ausgerechnet in der Wahlkampfzeit und wies die Staatsanwaltschaft in die Schranken. Das Krisenmanagement von François Fillon hingegen versagte total.


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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: freigeist

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Gravatar: Theo

Fillion hat offenbahr nichts aus gelassen, aber er wurde auch nackt ausgezogen und in einer Art und Weise nicht von den "Qualitäts- und Leitmedien" gedemütigt, wie man es z.B. noch nicht einmal Hollande zugemutet hatte, als er öffentlichkeitswirksam mit seinem Mofa zu seiner Zeitabschnittsnutte in Paris gefahren ist.

Was die verblödeten deutschen "Leitmedien" in ihrer Macron-Euphorie intellektuell nicht begreifen ist, dass Macron ohne (!) Partei gewählt wird, d.h. spätestens bei den Parlamentswahlen im Sommer von der Mehrheit der Sozialisten oder von Konservativen abhängen würde. Das bedeutet, er hat bereits hinter den Fassaden mit seinen Kumpels (wahrscheinlich Hollande's Sozialisten) ein Duldungsabkommen geschlossen. Macron lügt jedoch weiter und verheimlicht seine zukünftige Verbündeten und "Partnerschaften". Das bedeutet, die Franzosen wählen höchstwahrscheinlich Hollande II. und damit weitere 4 Jahre Lethargie und wirtschaftlichen Sinkflug.

Also, wenn ich die Wahl hätte, dann würde ich einen Neuanfang wählen, die die bisherige Lethargie durchbricht...

Gravatar: Gerhard Berger

"Nach der vermasselten Präsidentschaft des Sozialdemokraten Hollande galt ihnen ausgerechnet diese Präsidentschaftswahl als geradezu unverlierbar."

Daß sie krachend gescheitert sind, liegt an den beiden Doppelnullen vor Hollande.
Deren Auswirkungen hat in Frankreich niemand vergessen. Die sozialen Unruhepräsidenten.
Da nützte es nichts, sich von UMP in REP umzubenennen.
Der ungenießbare Wein in neuem Schlauch, davon war den Franzosen noch schlecht.

Fillon hätte gar keines Skandals bedurft, es garantiert nicht zu werden.

Deswegen wurde es nach Sarkozy Hollande, der sich als der ersehnte Heilsbringer sozialen Aufschwungs ausgab, sich realiter jedoch als Quadrupelnull entpuppte.

Gerade noch in der Zeit kreierten beide Alt-Parteien-Wracks in einem geradezu genialen Akt ihren Macron, der die Pfründe wie bisher verteilen wird.
Das französische Volk hat diese alternativ dargebotene Chimäre - wie geplant - angenommen.

Ist ein altbekannter Vorgang, psychologisch bei den allermeisten Menschen funktionierend.

Le Pen wird vom französischen System nur deswegen befehdet, weil sie zugunsten der FN umverteilt, d.h. die Verteilungswege der Pfründe zuungunsten der Etablierten verändert - obwohl sie die Parteien des französischen Abbruchs zur Machtdurchsetzung - zumindest teilweise - benötigte.

Schaffte sie durch naheliegende Reformen ein soziales Klima zugunsten der "Bio-Franzosen" , bräuchte sie in einer zweiten Wahlperiode keine Mehrheitsbeschaffer mehr.

La Grande Nation, wiedererstanden durch Le Pen's FN? Die französische Kaderschmiede der Eliten schlagartig ein unnütz gewordenes, akademisches Einerlei?

Le Pen genau diese Chance nie einzuräumen, darin bestand und besteht parteiübergreifende Einigkeit.

Ergebnis:
Macron. Verteidiger der Eliten, Knechter des Volkes.

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

Verspielten auch die deutschen Christdemokraten ihren erhofften(?)„Wahlsieg“(?) im September d. J. nicht längst schon mit der Schaffung der Gro-Ko anno 2013, welche tatsächliche Opposition schon deshalb ausschloss, um dieser Merkel die Alleinherrschaft nicht nur über die Deutschen - sondern die Völker der Gesamt-EU - zugeben???

Lag es etwa nicht daran, dass schon damals kaschiert werden sollte, was i. J. 2014 auch in vielen französischen Zeitungen zu lesen war?

"'Deutschland wird zahlen', sagte man in den Zwanzigerjahren. Heute zahlt es", triumphierte der "Figaro", als klar war, dass die Einführung des Euro endgültig sein würde. "Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg." http://www.spiegel.de/politik/deutschland/moscovici-jan-fleischhauer-ueber-frankreichs-eu-waehrungskommissar-a-991900.html

Sollte der damals zunächst eingegangene – jedoch in wesentlichen Punkten natürlich bis heute nicht eingehaltene Koalitionsvertrag https://www.freitag.de/autoren/steve-koenig/der-koalitionsvertrag-unter-die-lupe-genommen etwa allein dem Machterhalt dieser Merkel und der von ihr geführten CDU dienen, weil man sich in der scheinbar nicht nur deren Politikern eigenen Arroganz etwa sicher war, die nächste Legislaturperiode in absoluter Mehrheit führen zu dürfen/können???

Ich bin davon überzeugt, dass sich die christlichen(?) Demokraten(???)(auch von der SPD) im Kanzleramt wie Bundestag nach der kommenden Bundestagswahl ebenso über sich selbst entsetzen werden, wie ihre französischen Pendants nach „ihrer“ Abwahl!!!

Gravatar: Rotwurst

Das System hat Fillon abserviert, es geht ja nicht um die Affären an sich, sondern wie sie in Szene gesetzt und aufgebauscht werden. Das ist in allen sog. demokratischen Staaten ähnlich. Idealerweise konkurrieren wie in Deutschland zwei Spitzenleute des Systems um die Vorherrschaft, also Merkel und Schulz, die sich faktisch nicht unterscheiden und die Interessen des Finanzkartells der globalen Elite bedienen. Das haben sie bereits mehrfach unter Beweis stellen können; durch ihre Funktionen, die sie haben und hatten. Idealerweise werden diese Politdarsteller mit ihrer Politik dem naiven Publikum stets als gemäßigte Linksdarsteller verkauft, um die Zustimmung zu steigern. Wer von beiden gewinnt, ist dann aber auch egal für das System.

In Frankreich jedoch war und ist die Ausgangslage ungünstig, weil die etablierten Parteien des Systems eigentlich seit langer Zeit gemeinsam gegen den FN konkurrieren müssen. Um den FN mit Le Pen in Schach zu halten, musste also ein dem Anschein nach unabhängiger Kandidat kreiert werden, der gegen Le Pen beste Chancen hat. Fillion konnte diese Rolle nicht übernehmen, er ist zu schwach und hätte Le Pen in der Stichwahl ziehen lassen müssen.

Jedoch hat Macron gegen Le Pen beste Aussichten. Er wird auch hier als linkes (dem Anschein nach) Gegenmodell zu Le Pen ins Rennen geschickt, mit Argumenten, die man schon von anderen Wahlen gewohnt ist: Für Reformen, `ein Mann der EU´ usw. . Und natürlich verschweigt man seinen wahren Hintergrund. Solange die Wähler auf die Masche des Systems immer wieder hereinfallen, wird sich daran nichts ändern. Um das demokratische System der bürgerlichen Demokratie zu verstehen, ist es jedoch ratsam, die sozialistische Analyse darüber zu akzeptieren. Sie beschreibt die Wirkungsweise bürgerlicher Demokratien der Gegenwart immer noch sehr genau.

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