Versagen der Kirchen ließ Deutschland zur »Heidenrepublik« werden

Michael Wolffsohn: Christentum ist zur Folklore verkümmert

Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn beklagt, dass sich Kirchenvertreter immer mehr in die Politik einmischen, die EKD sich oft »wie der verlängerte rot-grüne Arm« darstelle, während in Deutschland gleichzeitig eine Entchristlichung stattfinde.

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Der deutsch-jüdische Historiker und Publizist Michael Wolffsohn übt in der »Schwäbischen Zeitung« deutliche Kritik an den Repräsentanten der evangelischen und katholischen Kirche. Er mahnt, man müsse Kirchenvertreter daran erinnern, dass »Politiker auf der Politik-Klaviatur besser spielen können als sie«.

»Sie müssen höllisch aufpassen, dass sie den Himmel nicht aus den Augen verlieren«, sagte Wolffsohn an die Kirchen gerichtet. Man vergäße dort oft, dass »Politik Opium für die Religion ist«. Den politischen Wettbewerb können die Kirchen nur verlieren, wenn besonders die EKD sich »nicht selten wie der verlängerte rot-grüne Arm darstellt«.

Der 70-jährige beklagt, dass Deutschland mehr oder weniger eine »Heidenrepublik« geworden sei. Im Land herrsche religiöse Ahnungslosigkeit. Das Christentum wäre »weitgehend zur Folklore verkümmert«. Nur noch eine Minderheit der Christen wisse, warum Weihnachten, Ostern und Pfingsten gefeiert werden. Und was überhaupt der Advent bedeute.

Man lebe hier in einer entchristlichten Gesellschaft. Die Mehrheit der Deutschen sei religiös »eher analphabetisch«. Ein Trost der Nenn- oder Nicht-mehr-Christen ist, dass ihre jüdischen Brüder und Schwestern außerhalb Israels keinen Deut kenntnisreicher oder religiöser sind.

Gleichzeitig nehme die Zahl der Muslime in Deutschland zu, deren Mehrheit »gläubig bis tiefgläubig« sind. Sie kennen ihre Religion zumindest in der Wortwörtlichkeit. Christen, die aber ihre eigene Religion nicht kennen, könnten mit ihnen keinen interreligiösen Dialog führen.

Wolffsohn kritisiert auch das Verhalten, als vor etwas mehr als einem Jahr der katholische Kardinal Marx und der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm Jerusalem besuchten. Sie meinten, besonders brave Gäste zu sein, indem jeder von beiden auf dem Tempelberg der Muslime und an der Klagemauer der Juden sein jeweiliges Kreuz abnahm.

Der Historiker schüttelt zu diesem Akt mit dem Kopf: »Die höchsten Vertreter des deutschen Christentums verzichteten von sich aus auf das Symbol des Christentums schlechthin. Wie können sie erwarten, dass ihre Gemeinden ihr Christentum ernster nehmen und offensiver vertreten als ihre Oberen?«

Der 1947 im israelischen Tel Aviv geborene Wolffsohn lebt seit 1954 in Deutschland, nachdem seine 1939 nach Palästina geflüchteten Eltern in die alte Heimat zurückkehrten. Er wurde 1982 von der Universität der Bundeswehr in München zum Professor für Neuere Geschichte berufen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Franz Horste

Ich freue mich schon auf eine Befreiung von jeglicher Religion in einem denkenden Staat! Das Problem ist doch gerade, dass manche Fromme glauben, sie könnten islamistischen Irrsinn durch christlich-jüdischen Unsinn bekämpfen. Die Kanzlerin betet es ja vor:" Weil Moslems ihren Koran kennen, müssten wir "unsere" Bibel auch besser kennen. In Wahrheit kennen auch Moslems ihren Koran nicht, weil sie ihn nicht lesen können. Die wenigsten Moslems sind alphabetisiert, schon gar nicht arabisch. Wir könnten Islamismus mit Blockflötenspiel an Weihnachten bekämpfen, denkt Merkel. Mit Blumen gegen Kanonen!! Wenn ein Kirchenmann so infantil denkt (ein deutscher Kanzler jedoch benötigt keine Bibel zum Regieren!), braucht man sich nicht wundern. Wäre er realistisch, hätte er einen richtigen Beruf und würde etwas Nützliches für die Menschheit bewerkstelligen! ich kann das nicht mehr hören! Wollen wir nicht endlich mal unseren Verstand benutzen, statt uns mit mittelalterlichem Denken zu beschäftigen?
http://wort-woche.blogspot.de/2017/01/unglaubige-rentnerin-bei-heilbronn.html

Gravatar: Gipfler

Die Verbindung mit der staatlichen Macht, die bereits Luther eingegangen ist, hat den Geist der evangelischen Kirchen bis heute geprägt. Man hat die Trennung von Kirche und Staat innerlich nie ganz vollzogen. „Die beiden großen Kirchen in Deutschland sowie die ´Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche` regeln die Rechte und Pflichten der Pfarrer durch Kirchengesetz (Pfarrerdienstrecht), das sich weitgehend am staatlichen Beamtenrecht und an den Laufbahnen von Studienräten orientiert.“ (Wikipedia)

„Man hat niemals die Trennung von Kirche und Staat ernstlich gewollt. Im Gegenteil hat man die Verquickung von Politik und Religion sogar für gut gehalten und hält bis heute daran fest. Das ist die steckengebliebene Reformation. … Mit dieser Tragödie hängt zusammen, dass der Protestantismus, mindestens in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, immer zu einer gewissen Vergötterung des Staates neigt. Das ´Gottesgnadentum` der Fürsten hält auch da, wo die monarchische Staatsform fallen gelassen wurde, in veränderter Form immer noch an durch den göttlichen Nimbus, den man dem Staat zugestehen möchte. Die Stimmung ´Thron und Altar` wirkt weiter."
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2017/01/05/luthers-rebellion-und-die-protestanten-heute/

Gravatar: Theo

Er spricht einem Katholiken, der zusammen mit seiner Familie aktiv seinem Glauben nachgeht, der aber aus der Steuerpflichtigen deutschen Amtskirche u.a. wegen Marx und Woelki inzwischen ausgetreten ist, tief aus dem Herzen.

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Doch.

Eine Bemerkung:

Prof. Dr. Wolffsohn genießt bei mir als Westdeutsch sozialisierten Katholiken bereits den Rang und das Ansehen eines Martin Buber.

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