Ein Gastbeitrag von Reynke de Vos

Konspirative politische Händel zu Ungunsten Südtirols

Wie ein bisher weitgehend im Dunkel verborgener Emissär das Nachkriegsgeschehen zwischen Wien und Rom hinter den Kulissen zu beeinflussen vermochte

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Die Brenner-Grenze ist wieder da. Unter völkerwanderungsartig anschwellendem Zustrom afrikanisch-orientalischer Migranten über die „Italien-Route“ nach Mitteleuropa nimmt der enge Gebirgseinschnitt wieder seine Rolle als neuralgisches Kontroll-Areal am Übergang zum Bundesland Tirol ein, welches seit dem Schlagbaum-Abbau nach Österreichs EWG-Beitritt  (1. Januar 1995) als  obsolet galt.  Verschwunden war sie ja nicht wirklich, sondern lediglich „nicht mehr spürbar“, wie eine medial widerhallende stereotypisierte Politformel besagte und eher oberflächliche Betrachtung von Fahrzeuginsassen darüber hinwegrollender Automobilkolonnen  nahelegte.

Ob unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich die Chance für die in vielfachen eindrücklichen Willensbekundungen der Bevölkerung sowie die in politischen und kirchlichen Petitionen zum Ausdruck gebrachte Forderung nach Wiedervereinigung des 1918/19 geteilten Tirols bestand, ist unter Historikern umstritten. Unumstritten ist, dass das Gruber-De Gasperi-Abkommen vom 5. September 1946,  Grundlage für die (weit später erst errungene) Autonomie der „Provincia autonoma di Bolzano“,  dem die regierenden Parteien sowie der zeitgeistfromme Teil der Opposition in Wien, Innsbruck und Bozen heute den Rang einer „Magna Charta für Südtirol“ zubilligen, sich für Österreichs Politik jahrzehntelang als  „furchtbare Hypothek“ (Bruno Kreisky) erwies.

Gruber und De Gasperi

Allem Anschein nach fügte sich der österreichische Außenminister  Gruber seinerzeit ebenso seinem italienischen Gegenüber Alcide De Gasperi  wie den drängenden Siegermächten, um überhaupt etwas mit  nach Hause bringen zu können. Es waren jedoch  nicht allein die aus der (geo)politischen Lage herrührenden Umstände und die Unzulänglichkeiten des damals zur Pariser Friedenskonferenz entsandten österreichischen Personals sowie das mitunter selbstherrliche Gebaren Grubers respektive der Druck, den die (west)alliierten Siegermächte  auf die Beteiligten ausübten und schließlich ein anderes als das von den (Süd-)Tirolern erhoffte Ergebnis zeitigten. Eine soeben erschienene  Dokumentation des Linzer Zeithistorikers  Helmut Golowitsch zeigt, dass auch hinter den Kulissen  Akteure emsig und weitgehend inkognito am Geschehen beteiligt waren.

Insbesondere ein Kärntner Unternehmer übte einen bisher weithin unbekannten und im Blick auf das von der weit überwiegenden Bevölkerungsmehrheit in beiden Tirol sowie in ganz Österreich erhoffte Ende der Teilung des Landes fatalen Einfluss aus. Sein lautloses Mitwirken inkognito erstreckte sich nahezu auf den gesamten für den Südtirol-Konflikt zwischen Österreich und Italien bedeutsamen Geschehensablauf vom Kriegsende bis zur sogenannten „Paket“-Lösung Ende der 1960er Jahre, bisweilen lenkte er ihn in bestimmte Bahnen.

Hinter den Kulissen

Der Mann hieß Rudolf Moser, war 1901 in Wien geboren und in der christlich-sozialen Bewegung politisch sozialisiert worden. In Sachsenburg (Kärnten) leitete er die „A. Moser & Sohn, Holzstoff- und Pappenfabrik“, und als Industrieller gehörte er der vor allem auf die regierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) stark einwirkenden Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft an. Mit dem ersten Bundeskanzler Leopold Figl, den er als seinen „engsten Jugendfreund“ bezeichnete, verband ihn wie er vermerkte, „in allen Belangen …. stets gegenseitige und vollständige Übereinstimmung und Treue“.

Der Emissär

In Italien, wohin seine Firma gute Geschäftskontakte unterhielt,  hielt sich Moser häufig für länger auf und kam mit namhaften Persönlichkeiten des  Staates ebenso wie mit katholischen Kreisen und dem Klerus in engen Kontakt. Moser, den auch Papst Pius XII.  mehrmals in Rom persönlich empfing, wirkte zudem als Vertrauensmann des Vatikans. Insofern nimmt es nicht wunder, dass sich der die italienische Sprache mündlich wie schriftlich nahezu perfekt beherrschende und absolut diskret agierende Moser nach 1945  geradezu ideal für die Aufnahme, Pflege und Aufrechterhaltung einer trotz Südtirol-Unbill dennoch äußerst belastbaren Verbindung zwischen ÖVP und Democrazia Cristiana (DC) eignete, die sich weltanschaulich ohnedies nahestanden. Dazu passte,  dass er sich der Rolle des (partei)politischen Postillons und verdeckt  arbeitenden Unterhändlers mit geradezu missionarischem Eifer hingab.

Verkaufte „Herzensangelegenheit“

Das erste für das Nachkriegsschicksal der Südtiroler bedeutende und in seiner Wirkung fatale Wirken Mosers ergab sich im Frühjahr 1946. Während nämlich die österreichische Bundesregierung offiziell – besonders Kanzler Figl, der in seiner Regierungserklärung am 21. Dezember 1945 vor dem Nationalrat gesagt hatte: „Eines aber ist für uns kein Politikum, sondern eine Herzenssache, das ist Südtirol. Die Rückkehr Südtirols nach Österreich ist ein Gebet jedes Österreichers“  – die  Selbstbestimmungslösung mittels Volksabstimmung verlangte, die Außenminister Gruber gegenüber den Siegermächten und dem Vertreter Italiens in Paris bis dahin einigermaßen aufrecht erhalten hatte, wurde Rom auf der Ebene parteipolitischer Beziehungen vertraulich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich Wien gegebenenfalls auch mit einer Autonomielösung anstelle eines Plebiszits  einverstanden erklären könne. Das Signal dazu gab Figl via Moser, der über  Vermittlung eines  Priesters aus dem Trentino den gebürtigen Trientiner De Gasperi am 3. April 1946  im Palazzo del Viminale, dem  Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten,  zu einer ausgiebigen geheimen Unterredung traf.

Dass das Duo Figl/Moser  damit Grubers Aktivitäten konterkarierte, dürfte auch dem Umstand geschuldet  gewesen sein, dass die beiden ÖVP-Politiker  Figl und  Gruber  einander sozusagen „in herzlicher Abneigung“ zugetan waren. Dass es dem Kanzler  primär um gutnachbarschaftliche politische (und wirtschaftliche) Beziehungen Wiens zu Rom sowie vielleicht mehr noch um freundschaftliche Verbindungen zwischen seiner ÖVP mit De Gasperis DC  zu tun war und dass er damit der alldem entgegenstehenden Sache Südtirols – wider alle öffentlichen Bekundungen und Verlautbarungen - schadete, spricht Bände.

Widersprüchliches Gebaren

Dieses widersprüchliche politische Gebaren sollte sich, wie die von dem oberösterreichischen Forscher Helmut  Golowitsch erstellte Dokumentation zeigt, unter allen auf Figl folgenden ÖVP-Kanzlern bis in die für das österreichisch-italienische Verhältnis äußerst schwierigen 1960er Jahre fortsetzen, unter der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus ihren Kulminationspunkt erreichen  und darüber hinaus – wie man als Beobachter späterer Phasen hinzufügen muss - gleichsam eine politische Konstante bilden, der in aller Regel die beanspruchte Schutz(macht)funktion  Österreichs für Südtirol untergeordnet worden ist. Allen damals führenden  ÖVP-Granden stand Rudolf Moser als emsig bemühtes,  lautlos  werkendes und wirkendes Faktotum zur Seite: Sei es als Organisator konspirativ eingefädelter Spitzentreffen inkognito – mehrmals in seinem Haus in Sachsenburg - , sei es als Emissär,  mal als besänftigender Schlichter, mal  operierte er als anspornender Impulsgeber.  Mitunter war er verdeckt als Capo  einer geheimen ÖVP-Sondierungsgruppe unterwegs oder auch gänzlich unverdeckt als Mitglied einer offiziellen  ÖVP-Delegation auf DC-Parteitagen zugegen. Und nicht selten nahm er die Rolle eines Beschwichtigers von ÖVP-Politikern und -Funktionären wahr.

Geheime Treffen

So regte er die erste geheime Begegnung Figls mit De Gasperi an, wie aus einem mit Briefkopf des Kanzlers versehenen Schreiben vom 16. Juli 1951 an Moser  hervorgeht. Das „inoffizielle Zusammentreffen“  fand im August 1951 – der genaue Tag ließ sich nicht rekonstruieren - im Hinterzimmer eines Gasthauses am Karerpass in Südtirol statt, wohin der in Matrei (Osttirol) sommerfrischende österreichische und der in Borgo (Valsugana) urlaubende italienische Regierungschef reisten, um sich „auf halbem Wege“ und „nach außen hin zufällig“ zu treffen.  Über Inhalt und Ergebnis dieses ersten Geheimtreffens, worüber es keine Aufzeichnungen gibt - und weiterer konspirativer Begegnungen mit anderen Persönlichkeiten - wurden weder  Süd- noch Nordtiroler Politiker informiert.  Während des gesamten Zeitraums, für die Golowitschs Dokumentation steht, agierten ÖVP-Kanzler und ÖVP-Parteiführung  unter  gänzlichem Umgehen der dem südlichen Landesteil naturgemäß zugetanen Tiroler ÖVP.

Das ging sogar so weit, dass der legendäre  Landeshauptmann Eduard Wallnöfer wegen „wachsender Unstimmigkeiten mit der Wiener Parteizentrale“  - insbesondere während der Kanzlerschaft  des Josef Klaus, zu dem er ein „unterkühltes Verhältnis“ gehabt habe (Michael Gehler  –  eine „Unabhängige Tiroler Volkspartei“ (nach Muster der bayerischen CSU)  ernsthaft in Erwägung zog.  Indes war der aus dem Vinschgau stammende Wallnöfer   – nicht allein wegen der Südtirol-Frage, aber vor allem in dieser Angelegenheit  –  dem   Außenminister und nachmaligen Kanzler  Bruno Kreisky (SPÖ)  ausgesprochen freundschaftlich verbunden. 

Delikate Besuche

Für das zweite  Geheimtreffen Figls mit De Gasperi am 18. und 19. August 1952 sorgte Moser, der es arrangiert hatte, auch eigens dafür, den  Ministerpräsidenten inkognito über den Grenzübergang Winnebach nach Osttirol zu schleusen und von dort aus auf sein Anwesen in Sachsenburg (Bezirk Spittal/Drau)  zu geleiten.  Während zweier Tage  unterhielten sich De Gasperi und Figl bei ausgedehnten Spaziergängen unter vier Augen, niemand sonst war zugegen.

In einem späteren Rückblick, angefertigt zu Weihnachten 1973, vermerkte  Moser: „Seit 1949 gab es in meinem Kärntner Landhaus gar viele Zusammenkünfte, Besprechungen, Beratungen und Konferenzen, aber nicht selten wurden auch in fröhlichem Zusammensein weitreichende Beschlüsse gefaßt. Im Gästebuch dieses ,Hauses der Begegnung‘, wie es vielfach genannt wurde, gibt es von den delikaten Besuchen fast keinerlei Eintragungen, weil ja jedwede Dokumentation vermieden werden sollte.“

Auf Figl folgte Julius Raab. Auch er war in Sachsenburg zu Gast, bediente sich Mosers Diensten hinsichtlich Italiens aber kaum. Das war auch gar nicht erforderlich, denn die politischen Prioritäten Wiens waren während Raabs Ägide vornehmlich auf das Ausverhandeln des Staatsvertrags (1955) und damit das Wiedererlangen der Souveränität gerichtet. Was dazu führte, dass es –  worüber   in Bozen und Innsbruck  Unmut herrschte  –  in der Südtirol-Politik zu keinen nennenswerten Aktivitäten oder Initiativen mehr kam.

Handreichung für Folterer

Nach De Gasperi, mit dem sich Moser auch weiterhin freund(schaft)lich austauschte, wechselten in Italien die Regierungschefs beinahe jährlich; bis 1981 war das Amt des „Presidente del Consiglio dei Ministri“ stets  sozusagen  ein „Erbhof“ der DC. Bis zum Abschluss des Südtirol-Pakets 1969 unter Mario Rumor, der zwischen 1968 und 1970 drei wechselnden, DC-geführten und dominierten (Koalitions-)Regierungen vorstand, hatten sieben DC-Regierungschefs 14 Kabinetten vorgestanden. Mit allen pflegte(n) Moser (und die ÖVP)  mehr oder weniger enge Kontakte.

Zu Mario Scelba, der später   traurige Berühmtheit erlangte, weil unter seiner  Billigung 1961 in Carabinieri-Kasernen  politische Häftlinge aus den Reihen des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) gefoltert worden waren und er  als damaliger Innenminister den Folterknechten  dazu  „freie Hand“ („mani libere“) gelassen hatten, waren sie ebenso intensiv wie zu Fernando Tambroni, Antonio Segni, Amintore Fanfani und Aldo Moro. 1962 hatte Moser ein  geheimes Treffen zwischen dem stellvertretenden DC-Generalsekretär Giovanni Battista Scaglia sowie der DC-Fraktionsvizechefin  Elisabetta Conci  und ÖVP-Generalsekretär Hermann Withalm sowie Außenamtsstaatssekretär Ludwig Steiner eingefädelt, das in seinem Beisein  am 12. Mai in der  am Comer See gelegenen „Villa Bellini“ der mit ihm  befreundeten Papierfabrikantin Anna Erker-Hocevar  stattfand. Einmütiger Tenor des Treffens: Südtiroler „Friedensstörer“ seien  „gemeinsame Feinde“ und als solche  „unschädlich zu machen“.

Moser bekundete stets, man müsse, wie er selbst, beseelt sein vom Willen „engster vertraulicher Zusammenarbeit …mit den aufrechten Europäern und jenen Christen, welche den Mut haben, solche der Tat zu sein“  sowie beitragen zur „gemeinsamen Verurteilung jeder Äußerung von unzeitgemäßem Nationalismus und unchristlichen Gewalttaten“ und mithelfen, jene Kräfte zu isolieren und auszuschalten,  „die unbedingt Gegner einer Einigung, einer Versöhnung sind“.  An Scelba schrieb er am 16. September 1961, er möge „im Alto Adige  jene wahnsinnigen Radikalen  isolieren, welche mit verbrecherischen Taten sich als Handlanger des Bolschewismus erweisen“.

ÖVP-Geheimdiplomatie

Mosers Engagement ging so weit, dass er sich nicht scheute, daran mitzuwirken, hinter dem Rücken des damaligen Außenminister Kreisky (SPÖ) sozusagen „christdemokratische Geheimdiplomatie“ zu betreiben und dessen mit Giuseppe Saragat ausgehandeltes „Autonomie-Maßnahmenpaket“  zu desavouieren, welches die Südtiroler Volkspartei (SVP) dann auch am 8. Januar 1965  für „zu mager“ befand und infolgedessen verlangte, es müsse nachverhandelt werden. Schon am 6. Januar 1962  hatte er in einer an zahlreiche ÖVP-Politiker und -Funktionäre verschickten „Südtirol-Denkschrift“ bemerkt, Kreisky betreibe „eine dilettantisch geführte Außenpolitik.“  Das bezog sich just auf den  seit den  verheerenden Auswirkungen des Gruber-De Gasperi-Abkommens ersten zielführenden und erfolgreichen Schritt   der Wiener Südtirol-Politik, nämlich der Gang Kreiskys 1960 vor die Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwang mittels  zweier Resolutionen  Italien zu „substantiellen Verhandlungen zur Lösung des Streitfalls“ mit Österreich, womit der  Konflikt zudem internationalisiert und der römischen Behauptung, es handele sich um eine „rein inneritalienische Angelegenheit“ die Grundlage entzogen worden war.

Ludwig Steiner und Kurt Waldheim

In den Rom-freundlichen Kreisen der Bundes-ÖVP war dies jedoch mit Unwillen registriert  worden. Zunächst hatte ÖVP-Staatssekretär Ludwig Steiner versucht, Kreisky zu bewegen, „die österreichische UNO Initiative zurückzunehmen“,  denn „seiner Meinung nach  habe Italien in einer UNO Debatte d[er]z[ei]t. eine bessere Stellung und im übrigen solle man  nicht die westlichen Freunde Österreichs strapazieren.“ Kreisky vermerkte über  Steiner : „Seit seinem Eintritt als Staatssekretär haben die Intrigen gegen die gemeinsame Außenpolitik in hohem Maße zugenommen.“ Ebenso vergeblich wie Steiner hatten auch (der spätere ÖVP-Außenminister)  Kurt Waldheim und der damalige Leiter der Politischen Abteilung des Außenministeriums,  Heinrich Haymerle, versucht, Kreisky, wie dieser festhielt,  „in stundenlangem Gespräch zu überreden, dass wir uns jetzt aus der Affäre ziehen sollten ... Andernfalls würde Österreich als ein Störenfried betrachtet werden, und dies wäre uns keineswegs zuträglich“.

Mosers vielfältiges und nicht eben einflusslos gebliebenes Wirken  beschränkte sich indes nicht auf die eines Kontaktknüpfers oder Verbindungsmannes zwischen ÖVP und DC. Er betätigte sich auch auf  internationalem  Parkett  und vertrat die ÖVP auf den seit 1947 stattfindenden jährlichen Parteikongressen der DC sowie auf den Jahrestagungen  der „Nouvelles Équipes Internationales“ (NEI), die sich 1965 in  „Union Européenne des Démocrates-Chrétiens“ (EUDC) / „Europäische Union Christlicher Demokraten“ (EUCD) umbenannte. Die von Gegnern als „Schwarze Internationale“ verunglimpfte  EUCD ging  1998 in der Europäischen Volkspartei (EVP) auf.

Josef Klaus beugt sich römischem Druck

Der italophile Moser  ist nicht selten als politischer Stichwortgeber auszumachen, wenn es um den Versuch der in Wien Regierenden – insbesondere der von der ÖVP gestellten Bundeskanzler  der ersten 25 Nachkriegsjahre – ging, sich des mehr und mehr als lästig empfunden Südtirol-Problems zu entledigen. Dies trifft in Sonderheit auf die „Ära Klaus“ zu. Rudolf  Moser fungierte just in der Südtirol-Causa als dessen enger Berater und wirkte, wie stets zuvor, als graue Eminenz.  Die Regierung Klaus ließ sich - von Rom in der von Wien angestrebten  EWG-Assoziierung  massiv unter Druck gesetzt - auf (verfassungs)rechtlich äußerst fragwürdige (bis unerlaubte)  Händel ein, so  beispielsweise auf die auf  sicherheitsdienstlicher Ebene mit italienischen Diensten insgeheim verabredete Weitergabe polizeilicher Informationen über Südtiroler, obwohl dies für politische Fälle unzulässig war. Das Wiener Justizministerium und die für Rechtshilfe zuständigen Institutionen wurden dabei kurzerhand übergangen. Für all dies und einiges mehr gab Klaus, der hinsichtlich der Südtirol-Frage ähnlich dachte wie sein deklarierter Freund  Rudolf Moser, allen Forderungen der italienischen Seite bereitwillig nach. Moser hatte alles getan, um sowohl 1965 in Taormina, wo ein UECD-Kongress stattfand, als auch im Sommer 1966 ein geheimes Treffen in Predazzo, wohin Klaus im Anschluss an seinen üblichen Urlaub (in Bonassola an der Ligurischen Küste) reiste, mit Aldo Moro zustande zu bringen.

Aus dem Dunkel ans Licht

Mosers konspiratives Wirken endete 1969/70.  Bevor er sich als Pensionist aufs Altenteil  in seine Geburtsstadt Wien zurückzog, hinterließ er seine gesamten Aufzeichnungen, Dokumente und Photographien  einem Kärntner Nachbarn. Begünstigt von einem glücklichen Zufall war es  Helmut  Golowitsch nach langwierigen Recherchen  gelungen,  an den zeitgeschichtlich  wertvollen Fundus zu gelangen, in den zuvor  noch nie ein Historiker ein Auge geworfen hatte.  

Ergänzt durch Material aus dem im niederösterreichischen Landesarchiv verwahrten Nachlass  Figls sowie durch einige Dokumente aus dem Österreichischen Staatsarchiv und dem Tiroler Landesarchiv hat er ihn umsichtig aufbereitet, ausgewertet  und nunmehr in dieser voluminösen Dokumentation publiziert, worin  er die für die Geschehenserhellung brisantesten Notizen Mosers erfreulicherweise faksimiliert wiedergibt. Alle Moser’schen Dokumente hat  Golowitsch zudem zu jedermanns Einblick und Nutzung dem Österreichischen Staatsarchiv übergeben. Seiner Publikation, die ein bisher im Dunkel verborgenes wichtiges Kapitel der mitteleuropäischen Nachkriegsgeschichte ins Licht hebt und, wie der Salzburger Historiker Reinhard Rudolf  Heinisch  zurecht in seinem Vorwort schreibt,  „durch dessen Ergebnisse die tragische Geschichte Südtirols nach 1945 in vielen Bereichen umgeschrieben werden muss“, ist weite Verbreitung zu wünschen.

Helmut Golowitsch: Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis. Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte, Graz (Stocker-Verlag) 2017, Hardcover, 607 Seiten,  ISBN 978-3-7020-1708-8,  Preis 34,80 €

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: KgU

Es wäre wünschenswert, wenn die Bestände des österreichischen Staatsarchiv nicht weiter nur " verwaltet" werden, sondern ausgehend vom Schicksal des letzten österreichischen Kaiser Karl I und dem Transport des österreichischen " Schwarzen Kreuz" mit unbedingter Fristsetzung April 1922, der in diesem Ausnahmefall dem österreichischen Bundeskanzleramt unterstellt war und mit vielen Ausnahmeregelungen (wie zB Holz- statt Zinksärge, Durchführung ohne Sterbeurkunden usw )belegt war, durch eine unabhängig arbeitende Historikerkommission aufgearbeitet werden. Auch dieser Artikel und die Forschungsarbeit eines Historikers zeigt ebenfalls,dass eine Aufarbeitung der europäischen Geschichte ein Anliegen der österreichischen Regierung und einer von ihr einzusetzenden ergebnisoffen arbeitenden Historikerkommission sein sollte!

Gravatar: Rainald

Damit dürften Sie rechthaben; gleichwohl kommt es darauf an, das stark von der ÖVP geprägte und vom heuchlerischen Slogen "Herzensangelegenheit", der ja noch heute sonntags im Munde geführt wird, unterlegte Geschichtsbild zu decouvrieren!

Gravatar: Rotwurst

Danke für den Artikel, er schafft damit etwas Aufklärung, warum sich just die ÖVP nie für die Belange Südtirols einsetzte, wie Südtiroler Zeitzeugen immer wieder beklagten. Ich gehe jedoch davon aus, dass die Tätigkeit Rudolf Mosers vermutlich von dritten Akteuren angeregt wurde. Dass er völlig selbstständig handelte, darf wohl bezweifelt werden. Seine einflussreiche Vermittlertätigkeit über den langen Zeitraum deutet auf eine schützende Hand hin, die Einfluss hatte. Sonst bleibt so ein Vorgehen wohl nicht verborgen. Da Italien nach 1945 geostrategisch im westlichen Bündnissystem verankert war, Österreich nach dem Staatsvertrag jedoch neutral agieren musste, wollte man offenbar jegliche größere Änderung des Status Quo der regionalen `Südtirol-Frage´ unterbinden, die außenpolitische Probleme aufgeworfen hätte. Dass eine eingefädelte Geheimdiplomatie des Westens über den Umweg Mosers in transatlantische ÖVP-Kreise den größten Erfolg versprachen, darf wohl vermutet werden. Dass Südtirol bei Italien bleibt, war im Interesse des Westens. Die vordergründig gewährte Autonomie durfte bis 1989 nie über ein Maß hinausgehen, die dann die Bündnisbelange des Westens berührt hätten.

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