»Wahrheit ist das Gegenmittel gegen das Leiden«

Jordan Peterson und die Suche nach einem sinnerfüllten Leben

Jungsche Psychologie, russische Literatur und Katholizismus sind sich einig. Gastbeitrag von Christopher Kaczor

Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
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[Dieser Artikel wurde ursprünglich auf The Catholic Thing veröffentlicht. Wir veröffentlichten eine genehmigte Übersetzung.]

Jordan Petersons Werk hat nicht nur heftige Reaktionen von Verfechtern der »Woke«-Ideologie hervorgerufen, sondern auch zu einem Umdenken bei Atheisten, Agnostikern und Ungläubigen Menschen geführt, wenn er über die Weisheit der biblischen Geschichten spricht. In unserem Buch Jordan Peterson, Gott und das Christentum: The Search for a Meaningful Life (»Die Suche nach einem sinnvollen Leben«) versuchen Matthew Petrusek und ich zu zeigen, dass Petersons Methode, die Schrift zu lesen, in gewisser Weise schon früher – und in einer reicheren Form – bei Gestalten wie Augustinus, Gregor dem Großen und Thomas von Aquin zu finden ist. Darüber hinaus argumentieren wir, dass viele Linien von Petersons Denken ihre Vollendung im Katholizismus finden. »Der Katholizismus ist so vernünftig, wie man nur sein kann«, sagte Jordan Peterson kürzlich in einem Podcast, und wir stimmen ihm zu.

Peterson bringt Erkenntnisse aus der Jungschen Psychologie, der russischen Literatur, der Evolutionstheorie und den totalitären Tragödien des 20. Jahrhunderts ein, um den biblischen Text zu beleuchten. Jahrhunderts, um den biblischen Text zu beleuchten. Diese Methode erinnert an Augustinus, der in De doctrina christiana lehrte, dass alle weltliche Weisheit zur Auslegung der Schrift herangezogen werden kann, weil alle Wahrheiten, wo immer sie gefunden werden, letztlich von Gott stammen. Für Peterson, der unwissentlich die Lehre des heiligen Gregor des Großen wiedergibt, wird das Alte Testament im Neuen Testament offenbart, und das Neue Testament wirft Licht auf das Alte Testament. Wie Aquin sieht auch Peterson in der Bibel eine reiche Bedeutungstiefe, die weit über das hinausgeht, was ein einzelner Ausleger ergründen kann.

In diesem Rahmen bietet Peterson eindrucksvolle Interpretationen von Adam und Eva, Kain und Abel, dem Turmbau zu Babel und der Berufung Abrahams. Für Peterson handelt es sich bei diesen Geschichten nicht einfach um uralte Figuren in einer vergessenen Welt, sondern um menschliche Realitäten, die heute noch genauso aktuell sind wie zur Zeit ihrer Entstehung.

Ein Teil der Kraft von Petersons Gedanken liegt in seiner direkten Konfrontation mit dem Problem des Schmerzes, zweifellos ausgelöst durch das unerträgliche Leid, das er und seine Familie ertragen mussten. In 12 Regeln für das Leben schreibt er: »Wahrheit ist das Gegenmittel zum Leiden«. In seinem neuen Buch, Jenseits der Ordnung, sagt er, das Gegenmittel zum Leiden sei ein Gut, das »das höchstmögliche Ziel« darstelle. An anderer Stelle schreibt er: »Wir können nicht ohne eine Verbindung zum Göttlichen leben – und Schönheit ist göttlich –, denn ohne sie ist das Leben zu kurz, zu trostlos und zu tragisch.« Wir könnten Peterson zusammenfassen, indem wir sagen, dass das Gegenmittel gegen das Leiden die Wahrheit ist, die mutig ausgesprochen wird, das Gute des höchsten Ziels und das Schöne, das erfahren wird.

In der katholischen Tradition ist Gott selbst das Wahre, das Gute und das Schöne. In Anlehnung an den Gedanken von Diotima in Platons Symposion lehrt Augustinus, dass Gott »die höchste Schönheit« ist. In seinen Bekenntnissen klagt der afrikanische Bischof: »Spät habe ich dich geliebt, o Schönheit, immer alt, immer neu, spät habe ich dich geliebt!«

Thomas von Aquin vertrat die Ansicht, dass Gott das höchstmögliche Ziel ist, das summum bonum, das vollkommene Gut, das von denen gesucht wird, die das Glück suchen. Im Gegensatz zu dualistischen Vorstellungen von der ultimativen Realität, wie z. B. »die Macht« in Star Wars, die eine helle und eine dunkle Seite hat, argumentierte Thomas, dass Gott in keiner Weise zusammengesetzt ist und daher nicht teilweise gut und teilweise schlecht sein kann.  Thomas argumentiert, dass Gott das höchste Gut ist, das vollkommene Gut und ein Gut ohne jegliches Übel.

Und was ist mit der Wahrheit? Aquin definierte die Wahrheit als eine Entsprechung von Geist und Wirklichkeit. Im Gegensatz dazu hat Peterson ein pragmatisches Verständnis von Wahrheit als »das Nützliche«, inspiriert von Persönlichkeiten wie William James. Das ist hilfreich, soweit es geht, aber Peterson – zumindest im Moment – und andere in der Jungschen Tradition verfolgen den Nutzen der Wahrheit, ohne sie an dem einzigen Ort zu begründen, an dem sie vollständig begründet werden kann.

In der Summa contra Gentiles liefert Aquin Gründe für die Annahme, dass Gottes Geist und Gottes Wirklichkeit nicht nur einander entsprechen, sondern sogar identisch sind. Der göttliche Geist ist das Wesen Gottes, und das Wesen Gottes ist der göttliche Geist. Außerdem ist Gott die erste Wahrheit, weil Gott die erste Ursache aller physischen und psychologischen Realitäten ist, die wir kennen, wenn wir die Wahrheit verstehen. Wenn das Gegenmittel zum Leiden Wahrheit, Güte und Schönheit ist, dann ist Gott das Gegenmittel zum Leiden.

Der Aphorismus »Die Wahrheit ist das Gegenmittel gegen das Leiden« ist noch auf eine andere Weise mit der katholischen Tradition verbunden. Jesus sagte: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Johannes 14,6). Dieser Weg Jesu ist nicht nur ein intellektuelles Erfassen der Wahrheit. Diese Realität wird von Jesuitenpater David Vincent Meconi in seinem wunderbaren neuen Buch Christ Alive in Me erforscht: »Living as a Member of the Mystical Body« (»Leben als Mitglied des mystischen Leibes«). Der christliche Anspruch besteht darin, dass wir nicht nur eingeladen sind, eifrige Schüler eines einsichtigen Lehrers zu werden, sondern dass wir aufgerufen sind, Adoptivkinder in der göttlichen Familie von Vater, Sohn und Heiligem Geist zu sein.

Wenn es ein teilweises Gegenmittel gegen das Leiden in diesem Leben gibt, dann ist es in der Vereinigung mit Christus zu finden, der (nach Aquin) das größtmögliche Leiden erfahren hat und der den größtmöglichen Trost bietet. Dies geschieht nicht nur durch die Kenntnis der Lehre Jesu, sondern durch die Teilhabe am Leben Jesu, das uns als Geschenk angeboten wird.

Aber in der Tat gibt es kein perfektes Gegenmittel gegen das Leiden, zumindest nicht in diesem Leben. Hier unten wird es immer Schmerzen geben, sowohl physische als auch psychische. In der Tat haben die größten Heiligen, die am meisten in Christus gelebt haben, oft schwer gelitten. Aber ihr Leiden hatte einen Sinn, weil ihr Leben ein Ziel hatte: Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben. Die Liebe ist ein Balsam, aber kein perfektes Gegenmittel gegen die unvermeidlichen Schwierigkeiten des Lebens hier unten. Das Leiden Christi fand kein perfektes Gegenmittel, bis er starb und von den Toten auferstand, und unser Leiden wird es auch nicht. Ob diese Auferstehung nur ein frommer Traum oder eine begründete Hoffnung ist, ist eine weitere Frage, die sich in Petersons provokativen Erkundungen stellt.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Daffy

@ Werner N.: nichts auch nur im Ansatz verstanden, setzen, sechs.

Gravatar: Werner N.

Jesu Spruch: ..."Niemand kommt zum Vater, denn durch mich"... (Joh.14.6) ist nicht nur eine Unwahrheit, sondern auch eine Gotteslästerung.

Jesus als "Türsteher". Wo soll die Tür bei einem "Allgegenwärtigen" sein? Hier kommt die Mangelhaftigkeit der in x Konzilen mit und ohne Einverständnis der Päpste verbogenen und verfälschen Bibel zum Ausdruck. Obiger Kommentar täuscht zudem, wenn bei: ..."Vater, Sohn und Hl. Geist".. der biblische Zusatz verschwiegen wird ..."in einer Person".... Klar, denn die christliche Trinität ist Nonsens, wie ihn keine der östlichen Religionen aufweist. Gründe mit, warum rd. 1 Mio. Gläubiger die Kirchen allein in der BRD Jahr für Jahr verlasen.

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