Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat mit der Entlassung des Chefs des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, eine politische und institutionelle Bombe gezündet. Die Entscheidung, von der gesamten Regierung am 20. März bestätigt, wird zum 10. April oder bei Ernennung eines Nachfolgers wirksam. Doch Bar wehrt sich – nicht mit Argumenten, sondern mit Ermittlungen gegen Netanjahus Mitarbeiterstab. Was sich hier abzeichnet, ist keine bloße Auseinandersetzung zwischen Premier und Behördenleiter, sondern ein Kampf um die politische Souveränität des demokratischen Staates.
Bar war laut Gadi Taubs Analyse in der Tablet Magazine nicht nur wegen seiner Rolle am 7. Oktober 2023 längst überfällig für eine Ablösung. Als die Hinweise auf einen Hamas-Angriff zunahmen, riet Bar ausdrücklich davon ab, die Alarmstufe zu erhöhen – angeblich aus Angst vor einer Eskalation. Diese Passivität, so der frühere Shin-Bet-Mann Yizhar David, hätte sogar dazu geführt, dass Hamas-Kommandeur Mohammed Deif den Angriff zunächst verschob – weil die israelische Ruhe wie eine Falle wirkte. Doch es war keine Falle. Es war ein institutionelles Versagen.
Die Soldaten schliefen, die Partygänger tanzten, die Verteidigungsposten an der Grenze blieben personell unterbesetzt. Die wenigen Panzer und Sicherheitskräfte hätten den Angriff stoppen oder zumindest abschwächen können – wären sie gewarnt worden. Dass dies nicht geschah, fällt direkt auf Bars Schreibtisch zurück.
Statt Verantwortung zu übernehmen, verweigerte Bar im März die Aussage vor dem Kabinett und erklärte schriftlich, er erkenne dessen Autorität nicht an. Der Premierminister habe »eigennützige Motive«, so Bar, in Anspielung auf eine laufende, aber haltlose Untersuchung angeblicher Verbindungen zu Katar. Diese juristische Reaktion ist bezeichnend für das Selbstverständnis einer Verwaltungselite, die sich nicht dem Staat, sondern ihrer eigenen Deutung von »Staatsräson« verpflichtet fühlt.
Dabei ist die Rechtslage eindeutig: Laut Gesetz von 2002 untersteht Shin Bet der Regierung, der Premier ist zuständig und die Entlassung kann ohne Angabe von Gründen erfolgen. Trotzdem wird der Fall nun vor die israelische Justiz gezerrt – weil sich Bar auf Israels »Superregierung« verlässt: den allmächtigen Obersten Gerichtshof. Dieser hatte in der Vergangenheit fast jede Reform ausgebremst und wird nun als letzte Bastion gegen demokratische Kontrolle instrumentalisiert.
Die Affäre Ronen Bar zeigt, wie tief Israels Demokratie unterwandert ist. Der Chef eines Geheimdienstes fühlt sich mächtiger als der gewählte Premierminister, benutzt Ermittlungen als politische Waffe und erwartet Rückendeckung von einer Justiz, die sich längst als politische Kraft versteht. Bar glaubt, er sei nicht dem Premier, sondern einer höheren Elite verpflichtet – jener selbsternannten »Gatekeeper«, die sich als Verteidiger der »richtigen« Ordnung verstehen, nicht als Diener des Volkes.
Netanjahu hat daraus nun Konsequenzen gezogen. In einer Videobotschaft erklärte er unmissverständlich: »Ronen Bar wird nicht Chef des Shin Bet bleiben.« Der Premier will damit seinen größten Fehler korrigieren – den Versuch, mit dem tiefen Staat zu koexistieren. Für Jahre hatte er sich mit einem Sicherheitsapparat arrangiert, der Reformen blockierte und sich über parlamentarische Kontrolle hinwegsetzte. Doch spätestens seit dem Desaster vom 7. Oktober weiß Netanjahu: Das System schützt nicht Israel – es schützt sich selbst.
Die Reaktion des Justizapparats ließ nicht lange auf sich warten. Der enge Netanjahu-Vertraute Jonathan Urich wurde am 31. März verhaftet – angeblich wegen Verbindungen zu Katar. Doch ein Gesetz, das solche Kontakte verbietet, existiert nicht. Es geht nicht um Recht, sondern um Machterhalt. Die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara – selbst bereits ins Visier des Kabinetts geraten – arbeitet dabei Hand in Hand mit Bar, um den politischen Prozess mit juristischen Mitteln zu unterlaufen.
Die politische Linke, große Teile der Presse und die gut organisierten Anti-Netanjahu-Proteste feiern Bar als Helden. In ihrer Logik schützt nicht der gewählte Premier die Demokratie – sondern der Geheimdienstchef, der sich jeder demokratischen Kontrolle entzieht. Die Demonstrationen gegen Netanjahu nehmen mittlerweile groteske Formen an: Ein Schauspieler mit Netanjahu-Maske kniet vor einer Katar-Figur und nimmt Bestechungsgeld entgegen – ein Theaterstück, das jeden Bezug zur Realität verloren hat.
Doch das Drehbuch dieser Farce gerät ins Wanken. Die einst so mächtigen Gegner Netanjahus verlieren an Einfluss: Der Oberste Gerichtshof ist durch ein neues Gesetz in seiner Macht leicht beschnitten, die Protestbewegung bekommt kein Geld mehr von Washington, die Armee hat einen neuen, loyaleren Chef. Selbst Bars Vorgänger Nadav Argaman, der Netanjahu öffentlich mit Enthüllungen drohte, wurde nun wegen Erpressung vorgeladen.
Die Öffentlichkeit spürt, dass sich das Blatt wendet. Israels Bürger haben am 7. Oktober erlebt, wohin eine Elite führt, die sich für unfehlbar hält. Sie versagt – und klagt danach den Premier an, der ihr nicht traut. Netanjahu hat begonnen, das Problem an der Wurzel zu packen. Der tiefe Staat muss sich dem demokratischen Staat unterordnen. Oder er wird zur größten Gefahr für dessen Fortbestand.
Denn eines ist klar: Israels Freiheit hängt nicht von Bar oder Baharav-Miara ab. Sie hängt von der Rückkehr zu echter demokratischer Kontrolle ab – und einem politischen Willen, der bereit ist, sich gegen die Arroganz einer elitären Parallelstruktur zu stellen. Netanjahu hat diesen Willen nun gezeigt. Ob er ihn durchsetzen kann, wird der Krieg entscheiden. Aber eines hat der Premier bereits erreicht: Er hat das Tabu gebrochen – und dem tiefen Staat Israels den Kampf angesagt.
Kommentare zum Artikel
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Dass der stets hochgerühmte, nahezu unfehlbare, allwissende israelische Geheimdienst damals "geschlafen" hat, war doch jedem denkenden Menschen klar. Ob allerdings nicht nur "geschlafen" wurde, sondern viel mehr dahinter gesteckt hat, warum dieser Anschlag, der diesem Geheimdienst(Chef) doch bekannt gewesen sein musste, nicht verhindert wurde und warum der Geheimdienst nicht entsprechend gehandelt hat, so, wie es hätte sein müssen und auch dieses Konzert nicht abgesagt wurde, ist bis heute ein Rätsel! Der Standort für das Konzert soll ja sogar noch viel näher an die palästinensische Grenze verlegt worden sein als ursprünglich geplant, was völlig unverständlich war, ist und bleibt. Israel bzw. Netanjahu sollte für Klarheit, Aufklärung und Wahrheit sorgen! Sonst bleibt auch an ihm ein Makel und berechtigte Zweifel hängen!