Ein Gastbeitrag von Simon Niederleig

Großdemonstrationen. Und dann?

Jeder Widerstandskampf folgt eigenen Gesetzen. Die Erfolgsrezepte vergangener Revolten sind auch immer den jeweils Herrschenden bekannt; die Gegenstrategien liegen griffbereit in ihren Schubladen. Daher müssen jetzt neben den Großdemonstrationen neue Protestformen entwickelt werden. Und der Widerstand auf der Straße braucht eine Perspektive, um seine volle Wucht und Wirkung zu entfalten: Den Generalstreik.

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Im März 1969 fanden sich rund 1 Millionen Menschen in Cape Canaveral an der Startrampe ein, um den Start der Apollo 9 Mission mitzuerleben. Kaum ein Jahr später im April, als die Apollo 13 Mission startete, waren nur noch 70.000 Schaulustige vor Ort. Selbst die herausragendsten Menschheitsleitungen unterliegen also unerbittlich der Halbwertszeit menschlicher Aufmerksamkeit.
Auch regierungskritische Demonstrationen sind  – so bedauerlich das auch sein mag – den gleichen menschlichen Wahrnehmungsprinzipien und Gewöhnungseffekten unterworfen. Die historischen Montagsdemonstrationen in der „DDR“, die 1989 die Mauer zu Fall brachten, scheinen diese Abnutzungsthese zu widerlegen. Nicht von ungefähr griffen deshalb 2014 die ersten PEGIDA-Demonstranten in Dresden auf die scheinbar erprobte Tradition der Demonstration im Wochenintervall zurück. Nur „scheinbar“ erprobt, weil diese Demonstrationen in einem historisch völlig anderem Kontext stattfanden, nämlich in einer  real existierenden, sozialistischen Diktatur: In der „DDR“ gab es für die Widerständler keinerlei Möglichkeiten der öffentlichen Kommunikation untereinander.

Nicht nur, dass es damals dort selbstverständlich noch kein Internet gab, sondern man muss sich erinnern, dass selbst der Zugang zu derart banalen Kommunikationsmitteln wie Telefonen und Fotokopieren strikt limitiert und kontrolliert war. Den Demonstranten blieb daher zur Mobilisierung also lediglich die Mundpropaganda. Und zur Terminfindung für die jeweils nächste Demonstration blieb so bloß die simple Verabredung, nächste Woche wieder zu gleicher Zeit an gleicher Stelle zu sein. Für jeden einfachen Demonstranten im Stasi-Staat war damals klar, dass ein Scheitern der Proteste enorme persönliche Konsequenzen bis hin zu Haft und Psychofolter nach sich ziehen würde. Ein „Rückzug ins Private“ war nach einmaliger Demonstrationsteilnahme in dem Spitzelstaat also niemandem mehr möglich. Daher war in der Rückschau die Steigerung der Teilnehmerzahlen geradezu unausweichlich.* Entweder wurden es jede Woche mehr Teilnehmer oder die Proteste verlieren die Dynamik und scheitern. Damit wäre auch das individuelle   Schicksal jedes Teilnehmers besiegelt gewesen. So kam es zu  einem geradezu boleroartigen Crescendo der Besucherzahlen, das im finalen Zusammenbruch des Regimes seinen historischen Schlusspunkt fand.

Nimmt man also alle diese geschichtlichen Umstände der Montagsdemos in der „DDR“ mit in den Blick, so sieht man, warum sich das damalige Konzept nicht einfach in die Merkelkratur des Jahres 2018 übertragen lässt. Die Umstände waren eben damals ganz andere. Dennoch zeigten die PEGIDADemonstrationen im Jahr 2014 anfangs die gleiche Dynamik wie ihr historisches Vorbild aus der Wendezeit. Und bis heute mobilisieren diese Demonstrationen wöchentlich Tausende freiheitsliebende Demokraten, die sich dort ihrer Solidarität versichern, sich vernetzen und im Kampf gegen die Abschaffung ihrer Heimat gegenseitig ermutigen. Das ist äußerst wertvoll und wird auch ewig ein historisches Verdienst von PEGIDA bleiben. Ein weiterer besonderer Erfolg der PEGIDA in Dresden besteht auch darin, dass durch die kontinuierliche Wiederholung, der Widerstand des Establishments gegen diese Veranstaltung völlig erloschen ist. Sogenannte „Gegendemonstrationen“, obgleich
staatlich mittelbar gefördert, können dort kaum noch mehr 20 Leute auf die Beine bringen. Der lange Atem der Demonstranten hat diesmal zwar nicht gleich das System bezwungen, aber doch dessen Lakaien eine demoralisierende Niederlage bereitet.

Das unerbittliche Crescendo jedoch, das die Montagsdemos in der „DDR“ einst so erfolgreich machte, fehlt allen  Demonstrationen unserer Tage. Und unter den heutigen Bedingungen ist es auch verfehlt, eine vergleichbar kontinuierliche Steigerung zu erwarten. Man muss sich daher dringend von dieser Zielvorstellung lösen, um nicht an einem fehlgeleiteten Anspruch zu verzweifeln. Jeder Widerstandskampf folgt eigenen Gesetzen. Die Erfolgsrezepte vergangener Revolten sind auch immer den jeweils Herrschenden bekannt; die Gegenstrategien liegen griffbereit in ihren Schubladen. Daher müssen jetzt neben den Großdemonstrationen neue Protestformen entwickelt werden.

Tatsächlich gibt es derzeit ja auch einen wahren Gründerboom an kleinen und kleinsten Demonstrationen und Mahnwachen. Die meisten davon richten sich insbesondere gegen die von Merkel mutwillig importierte Migrantengewalt. Aber auch das Zensurgesetz NetzDG, die Zwangsgebühr GEZ, der Windkraftwahnsinn, die Kriegstreiberei gegen Russland bieten Anlässe für organisierten Protest auf der Straße. Jedes dieser Themen gilt dem Mainstream der Medien als „rechts“ - und das ist gut so! Die AfD als Vertreterin der bürgerlichen Rechten hat somit quasi ein Monopol auf Protestthemen. Dieses Potential gilt es in voller Breite zu mobilisieren und auf die Straße zu bringen. Die Teilnehmer neuer Protestinitiativen finden im ersten Schritt meist über sogenannte Soziale Netzwerke im Internet zusammen. Sie unterlaufen anfangs wegen ihrer geringen Teilnehmerzahl und spontanen Organisation mitunter sogar die Frühwarnsysteme der sogenannten „Antifa“ und anderer Kettenhunde des Altparteienkartells. Oftmals sind nicht einmal Anmeldungen solcher Kleinstproteste nötig, was in Zeiten ideologisch deformierter Behördenmitarbeiter ein weiterer wichtiger Vorteil sein kann.

Die vielen kleinen Initiativen bieten die Chance kreative Konzepte und Protestformen zu entwickeln und zu erproben. Dabei ist es nicht schlimm, wenn die Teilnehmerzahlen einzelner Gruppierungen schwanken oder wenn eine Initiative nach kurzer Zeit keinen Zulauf mehr hat. Schlimm wäre es, es nicht versucht zu haben und keine Erfahrungen zu sammeln. Dezentrale Gruppen sind für Merkel und ihre Schergen sehr schwer zu überwachen, zu diffamieren und zu bekämpfen. Aus den zahllosen kleinen und mittleren „Rinnsalen“, kann dann am Ende aber doch der „breite Strom“ werden, der das politische Establishment hinweg spült. Die künftigen Protestveranstaltungen werden von einer Vielzahl von kooperierenden Veranstaltern getragen werden müssen. Diese flexiblen Kooperationen gilt es nun verstärkt auszuprobieren und zu entwickeln.

Sicher wird es auch in naher Zukunft wichtig sein, in umfassenden Großdemonstrationen das schiere Mobilisierungspotential der vereinten Widerstandskräfte sichtbar zu machen. Und so richten sich viele Hoffnungen auf die avisierte Großkundgebung der AfD in Berlin. Früher oder später wird es sie geben. Und ich bin absolut sicher, dass die AfD dann auch eine beeindruckende Menschenmenge wird mobilisieren können. Und sicher werden dann dort vor Tausenden Menschen auch exzellente Reden gehalten, denen sich im Grunde kein vernunftbegabter Mensch wird verschließen können. So wie es die AfD bereits jetzt im Bundestag vorführt. Und dann? Dann geht alles weiter wie gehabt! Denn weder Vernunft noch der Verdruss des eigenen Volkes sind in irgend einer Weise handlungsleitend für die derzeit Regierenden. Im Gegenteil haben Merkel und Konsorten bereits gehörige Erfahrung im Ignorieren und Aussitzen von Protesten gesammelt. Sie haben nach dem letzten Bundestagswahlergebnis mehr als klar gemacht, dass ihnen die Belange des eigenen Volkes ziemlich egal sind, solange sie sich nur irgendwie an der Macht halten können. Selbst eine Minderheitenregierung hatte die Merkel-Clique für den Fall des Scheiterns der GroKoVerhandlungen nicht ausgeschlossen.

Und da soll jetzt jemand glauben, ein paar AfD-Großkundgebungen würden in diesem Land politisch etwas verändern? Doch das könnten sie! Solche Demonstrationen könnten tatsächlich etwas ändern, aber nur, wenn diese Veranstaltungen nicht als Selbstzweck und Ziel begriffen werden, sondern als Anfang zu etwas Neuem. Der Widerstand braucht eine Perspektive. Er braucht eine Möglichkeit den Protest weiter mit rechtsstaatlich vertretbaren Mitteln eskalieren zu können. Der zum Widerstand entschlossene Bürger braucht auch ein motivierendes Etappenziel auf das hingearbeitet werden kann. Die anstehenden Großdemonstrationen der AfD können nur ihre volle Wucht und Wirkung entfalten, wenn sie sich als Auftakt zu einer nächsten Phase des Widerstands verstehen: Der Ankündigung und Vorbereitung eines Generalstreiks – als Ultima Ratio des zivilen Protests.

* Hierzu eine persönliche Anmerkung: Ich weiß, es lässt sich im Nachhinein leicht sagen, dass die Teilnehmerzahlen „unausweichlich“ mehr werden „mussten“.  Für diejenigen, die damals alles riskiert haben, war das natürlich keinesfalls gewiss. Diese wirklichen Helden von damals mögen mir daher diese auktoriale Rückschau verzeihen.  Es liegt mir absolut fern, ihren Mut auch nur um ein Jota zu schmälern. Ich empfinde tiefe Hochachtung vor jedem einzelnen Bürger in der „DDR“, der sich damals getraut hat, diesem menschenverachtenden Unrechtsregime entgegenzutreten.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: ropow

Ach wissen Sie, manchmal entwickeln sich die Dinge schneller, als man denkt.

Am 21. und 22. Dezember 1989 brauchte es im Zentrum von Bukarest nur 100.000 Menschen und Nicolae Ceaușescu war innerhalb weniger Tage nur mehr Geschichte.

Vielleicht braucht es auch in Deutschland gar keinen Generalstreik mehr. Vielleicht winkt auch Angela Merkel einmal Menschen zu - und niemand winkt zurück.

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