Lange angekündigte Rede veröffentlicht: Putins Geopolitische Ansage

Erinnerung an Zweiten Weltkrieg: Putin rechnet mit dem Westen ab

In einer seit langem angekündigten Rede hat Russlands Präsident Vladimir Putin seine Sicht über den Zweiten Weltkrieg beschrieben. Was ist neu, was ist alt an Putins Ansichten?

Kremlin.ru / CC BY
Veröffentlicht:
von

In einer seit langem angekündigten Rede, die bei »National Interest« in einer englischen Version vorliegt, hat der russische Präsident Putin seine Sicht auf den Zweiten Weltkrieg beschrieben. Diese Sicht ist die Sicht eines Russen. Daher betont Putin zunächst die Leiden des russischen Volkes, erinnert an die Belagerung Leningrads und schildert, wie der Große Vaterländische Krieg in Russland eine Gemeinsamkeit der verschiedenen Generationen garantiert.

Dann spricht Putin als Staatspräsident. Und er richtet seine Aufmerksamkeit auf einer Frage, die die Historiker seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigt: Wieso kam es zu diesem Krieg aller Kriege? Putins Begründung ist ausgesprochen konventionell. Nach seiner Einschätzung war der Versailler Vertrag einer der zentralen Ursachen des Krieges, der in Europa 1939 begann. Putin zitiert Marschall Foch, der schon kurz nach Abschluss des Vertrags in einer vielzitierten Bemerkung erklärt hatte: "Das ist kein Friede. Es ist ein Waffenstillstand für 20 Jahre."

Nach einigen kurzen Bemerkungen zum Völkerbund, dem Vorläufer der UNO, kommt der russische Präsident zur unmittelbaren Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieg und damit zuerst zum Abkommen von München. Hier wird deutlich, dass Putin als Politiker schreibt. Denn ganz gegen seine erklärte, gleichsam staatsmännische Absicht, an einer allgemeinen Verständigung unter den Völkern interessiert zu sein, wechselt Putin in einen geradezu feindlichen Ton gegenüber Polen. Ja, Putin geht so weit zu behaupten, Warschau hätte bereits im Vorfeld des Münchener Abkommens bei der Aufteilung der Tschechoslowakei gemeinsame Sache mit Hitler gemacht: "Poland was also engaged in the partition of Czechoslovakia along with Germany" - eine starke Behauptung, die der russische Präsident allerdings nur sehr schwach belegt.

'The partition of Czechoslovakia was brutal and cynical.' - Die Aufteilung der Tschechoslowakei war zynisch und brutal, fährt Putin fort; um sich dann der Aufteilung Polens durch Deutschland und Russland und seinem eigentlichen Thema zu widmen: Der Mitschuld Russlands am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Anders als seine Vorgänger im Kremel kann Putin den Pakt zwischen Berlin und Moskau vom August 1939, der Polen einen Zweifrontenkrieg und Stalin eine gemeinsame Grenze mit Hitler bescherte, nicht leugnen.

Also rechtfertigt Putin den Pakt. Er habe den Sicherheitsinteressen Russland bzw. der Sowjetunion gedient und sei in der historischen Situation des Sommers 1939 begründet. Hinweise auf die Bedrohung des Landes durch Deutschland und Japan, mit dem die UdSSR im August 1939 einen kurzen Grenzkrieg ausfocht, bilden dafür den Rahmen. Nichts an dieser Position ist neu; sie wird seit langem von etlichen Forschern vertreten, die Weltpolitik nicht nach ausschließlich moralischen Kategorien bewerten. Für einen Staatspräsidenten ist dieser Haltung eigentlich selbstverständlich; allerdings sollte er sich dann nicht als Vertreter allgemeiner Interessen ausgeben.

Dass Putin als Präsident spricht und im gewissen Sinne sogar als Nachfolger der sowjetischen Führer, merkt man an dem, was Putin in der Rede verschweigt. Weder wird der Winterkrieg gegen Finnland genannt noch interessiert sich Putin für den Massenmord von Katyn; auch der Holodomor ist für ihn kein Thema. Dabei wären gerade hier eingehende Forschungen mit der Möglichkeiten, in den russischen Archiven wirklich frei forschen zu können, von großem Interesse.

Sein Angebot, die Archive endlich zu öffnen, klingt daher wenig überzeugend. Es war gerade die Sowjetunion, die ihre Archive verschlossen hielt und die Welt über zum Beispiel Katyn jahrzehntelang belog. Das geheime Zusatzabkommen des Nichtangriffspakt zwischen Russland und Deutschland, das Deutschland den Weg nach Polen freigab, wurde gleichfalls verleugnet. So mag die Forderung nach einer Öffnung der Archive gut klingen; aber eigentlich wäre es an Russland zunächst wieder zu der in westlichen Ländern selbstverständlichen Offenheit zurückzufinden, die es vor 20 Jahren auch in Russland schon einmal gab. 

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Maria B.

Es ist erstaunlich, dass nur einer über die vielen verschiedenen Gründe spricht, die zum Krieg führten.Die Briten sind nach der ersten Industrialisierung ja wirtschaftlich nicht mehr so richtig aus der Hüfte gekommen, trotzdem sie mit ihrer Orientbahn schneller am Ziel waren, als die Deutschen.
Die Polen waren für sie immer nur Mittel zum Zweck gegen Russland. Das ist bis heute so geblieben. Schlesien war immer ein schwieriges Terrain. Aber nachdem die Deutschen dort weg waren, zog es die Polen nach Deutschland.
Über Hitler und die USA gab es vor einigen Jahren eine Reportage im ZDF, um Mitternacht. Ein enger Vertrauter Hitlers war CIA Agent. Ein halbes Jahr vor Kriegsende verschwand er mit den Plänen der Nazi Glocke, einem Senkrechtstarter, den die USA immer versuchten, nachzubauen. Bis heute ohne Erfolg. Das waren die fliegenden Untertassen, die immer wieder gesichtet wurden. Man kam nie über das Miniformat hinaus.

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Dann spricht Putin als Staatspräsident. Und er richtet seine Aufmerksamkeit auf einer Frage, die die Historiker seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigt: Wieso kam es zu diesem Krieg aller Kriege? Putins Begründung ist ausgesprochen konventionell. Nach seiner Einschätzung war der Versailler Vertrag einer der zentralen Ursachen des Krieges, der in Europa 1939 begann. Putin zitiert Marschall Foch, der schon kurz nach Abschluss des Vertrags in einer vielzitierten Bemerkung erklärt hatte: "Das ist kein Friede. Es ist ein Waffenstillstand für 20 Jahre." ...

Nun wird mir erst ´richtig` deutlich, wie unzureichend - ja wohl auch bewusst falsch - nach 1945 informiert wurde!!!

Und nun sollen die Deutschen der „Königin der Lügen“ & Co. auch nur noch ´ein` Wort glauben???

Gravatar: Roxana

"Richtig ist aber, daß die UdSSR bis zuletzt den Konflikt mit Hitler, der den Krieg erst zum "Weltkrieg" machte, geradezu verzweifelt zu verhindern suchte. "

Diese alte Leier hören wir schon seit 1945 von den Russen. Bloß weil Putin das jetzt auch behauptet, heißt das noch lange nicht das dies der Wahrheit entspricht.

Im Gegenteil waren die Russen und Stalin offensichtlich von den "Schutzmächten Polens" von Anfang an gekauft, warum sonst haben diese "Schutzmächte" den Russen nicht den Krieg erklärt? Wo ihnen Polen doch so wichtig war?

Gravatar: Gerhard G.

Putin hat den Anfang gemacht ...die Archive geöffnet.... warum sperren sich die restl. 3 Allierten ihre Archive zu öffnen.... welche Schweinereien kommen dann ans Tageslicht ??? Müssten dann die Geschichtsbücher neu geschrieben werden ???

Gravatar: Hajo

Die Polen wurden 1939 nahezu gleichzeitig im September von der deutschen Armee vom Westen und von der russischen im Osten besetzt und da gingen Absprachen von den Besetzern voraus.

Was immer wieder verschwiegen wird sind die Jahrzehnte davor, wo sich Polen an anderen Gebieten vergreifen wollten und wo sie dann 1939 gemerkt haben, daß sie in die Zange genommen werden, riefen sie den Erzfeind der Deutschen, Churchill zu Hilfe, aufgrund eines Beistandspaktes und das wär dann die Eröffnung des 2. Weltkrieges, weil Churchill grundsätzlich etwas gegen die Deutschen hatte und er diese Chance wahr genommen hat um mit ihnen abzurechnen.

Diese Abrechnung wiederrum war nur möglich, als Hitler den fatalen Fehler gemacht hat, die Sowjetunion anzugreifen und somit in einen Zweifronten-Krieg geraten ist. Weiterhin kamen noch die guten Beziehungen der Engländer über den Commonwealth hinzu und auch die Überzeugungskraft gegenüber den USA und als die in den Krieg später eingetreten sind, hatten die Deutschen die halbe Welt vor sich und das konnte nicht mehr gut gehen und die Niederlage war abzusehen.

Merkwürdig ist nur aus heutiger Sicht rückblickend die Tatsache, daß die Mehrheit der US-Bürger deutschstämmig waren und es trotzdem nicht möglich war, die amerikanische Regierung von einem Einschreiten in den Krieg abzuhalten.

Es ist richtig, daß die Russen die größten Opfer bringen mußten, aber dadurch waren dann die deutschen Armeen geteilt und wurden durch drei Fronten, West, Ost und Süd aufgerieben, was mit einer Einheits- Front so nicht möglich gewesen wäre und diese strategischen Fehler waren dann der Grund der Niederlage.

Eine weitere Besonderheit ist trotz aller Verluste der Russen die Fähigkeit des Verzeihens und der Annäherung, während die anderen im Westen und Süden in ihrem tiefsten Inneren immer noch Ressantimentes gegen uns hegen, obwohl wir nach außen Freunde sind, was aber nicht hinwegtäuschen darf, daß man uns nicht sonderlich mag und deswegen ist man ja auch schon seit Jahren darauf bedacht uns in irgendeiner Form unschädlich zu machen und das geht am besten über die nationale Auflösung, hin zum europäischen Superstaat, wo wir nur gleiche unter gleichen sind und nichts mehr zu melden haben.

Gravatar: Gipfler

Dieser lange Artikel Putins wird den deutschen Vasallen und der deutschen Sieger-Geschichtsschreibung nicht schmecken.

Insbesondere die Polen kommen nicht gut weg. Er deckt gnadenlos deren Mittäterschaft am Zustandekommen des 2. Weltkrieges auf, auch, wie schmählich sie andererseits von den Briten und Franzosen im Stich gelassen wurden. Der Krieg wäre nach Jodl, den Putin zitiert, sonst bereits 1939 zu Ende gewesen.

Dabei ist er auf das genauere Zusammenspiel zwischen Polen und Großbritannien, das Hitler erfolgreich zum Einmarsch in Polen provoziert hat, noch gar nicht eingegeangen. Siehe:
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2015/05/29/zwang-england-hitler-zum-angriff-gegen-polen/

Auch dass die USA und GB Hitler direkt und indirekt finanziell unterstützt haben, erwähnt Putin, doch nur knapp. Es wird aber deutlich, dass er da ziemlich Bescheid weiß, aber sich noch diplomatisch zurückhält. Siehe dazu:
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2015/04/30/von-der-wegbereitung-des-nationalsozialismus-durch-britisch-amerikanische-finanzkreise/

Gravatar: Gerhard Fenner

@ Cantacuzene

Das sich Polen nach der Unabhängigkeit 1918 gegen die UdSSR zur Wehr setzte, ist nach der Wiedererlangung der Staatlichkeit nach der langen polnischen Teilung durch seine Nachbarn Preussen, Russland und Österreich-Ungarn durchaus verständlich, zumal auch die Sowjetunion nach der kommunistischen Revolution die polnische Hauptstadt Warschau militärisch bedrohte. (Wunder von Warschau, 1920).

Auch wurde der polnische Diktator Marschall Józef Piłsudski nach 1933 z. B. durch Josef Goebbels in Warschau hofiert.

https://pl.wikipedia.org/wiki/Plik:Bundesarchiv_Bild_183-B0527-0001-293,_Warschau,_Empfang_Goebbels_bei_Marschall_Pilsudski.jpg

Wenn Józef Piłsudski nicht bereits 1935 verstorben wäre, hätte möglicherweise auch die polnische Armee zusammen mit Wehrmacht & SS, Jozef Tisos Slowaken, den Ungarn unter ihrem Reichsverweser Miklós Horthy, Rumänen, Bulgaren und Benito Mussolinis Italiener mit nach Stalingrad marschieren müssen?

Gravatar: Cantacuzene

Josef Stalin war gewiss kein Waisenknabe. Das behauptet Präsident Putin auch gar nicht. Richtig ist aber, daß die UdSSR bis zuletzt den Konflikt mit Hitler, der den Krieg erst zum "Weltkrieg" machte, geradezu verzweifelt zu verhindern suchte. Insofern liegt Putin richtig, wenn er darstellt, wie viele "Väter" der zweite Weltkrieg wirklich hatte. Inbesondere die Politik Polens war zwischen 1918 und 1939 immer darauf gerichtet, sich auf Kosten der Nachbarn, sei es Deutschland oder Sowjetrußland, zu vergrößern.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang