Gastbeitrag von Meinrad Müller

Des Hefezopfs Wertverlust

Dem Verlust von Werten begegnen wir in diesen Tagen vermehrt. Aus bislang Guten wird über Nacht Schlechtes. Wer ist es, der uns mit welcher Autorität weiß machen darf, dass wir Unerprobtes nun zu akzeptieren hätten?

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Dem Verlust von Werten begegnen wir in diesen Tagen vermehrt. Aus bislang Gutem wird über Nacht Schlechtes. Wer ist es, der uns mit welcher Autorität weiß machen darf, dass wir beispielsweise auch Unerprobtes zu akzeptieren hätten, das unsere Werte zerstören könnte?

Gehörte an Autos nicht auch ein Schild mit »Wertverlust x % pro Jahr«? Nagen die Jahre nicht auch an unserem persönlichen Aussehen und trachten wir nicht ständig danach, diesen Vorgang zu verlangsamen? Werden wir im Gegensatz zu Hefezöpfen pro Jahr x Prozent reifer, wissender und wertvoller? Nehmen wir zu an Weisheit, Herzenswärme, Toleranz und Geduld?

Der Autor, um sein leibliches Wohl bedacht, machte sich auf den Weg einen Laib Brot zu erstehen. Noch ahnt er nicht, dass daraus der Hefeteig für diesen Text werden würde. Ein gesundes Bauernbrot aus bestem Roggenmehl, das morgens um vier noch von Hand geknetet wird, musste es sein. Ein ganz spezielles Brot mit vielen Gewürzen und doppelt so langer Backzeit hat dann aber auch einem doppelten Preis.

Wertverlust, Vertrauensverlust

In der Vitrine der kleinen Bäckerei stand ein per Hand bekritzeltes Schild »Hefezopf zum halben Preis!«. Ich frage die Bäckersfrau und sie erklärt mir, dass das geflochtene und mit Mandeln bestreute Backwerk von gestern sei. Erinnerungen wurden wach, als Mutter immer samstags zwei riesige Hefezöpfe buk. Wir drei Jungs liebten Marmeladenbrote, lieber aber noch jene auf Hefezopfscheiben.

Nach den goldbraunen und großen Hefezöpfen duftete das ganze Haus, als sie aus dem Ofen gezogen wurden. Zu Feiertagen erhielten Sie auch noch eine Zuckergussglasur. Die Größe, vielleicht vier Kilogramm, reichte bis zum nächsten Freitag. Niemand musste fragen »bekomme ich ein Stück«. Wer Hunger und Lust darauf hatte schnitt sich ein Stück ab, auch außerhalb der Essenszeiten. Niemand dachte im Geringsten daran, dass diese Köstlichkeiten schon am nächsten Tage nicht mehr genießbar seien. Doch ganz anders verhält es sich in der heutigen Zeit, in der Werte schneller verfallen als früher. Und nicht nur jene bei Brot, Joghurt und Käse.

Doch ich liebe auch heute den Zopf von gestern und vorgestern und vorvorgestern. Zu Hause wird er ja auch nicht sofort, sondern erst im Verlauf der Woche gegessen. Die Annahme, dass etwas, das zwölf Stunden älter und somit minderwertig sei, hat Parallelen nicht nur im Essensbereich.

Werteverluste aller Orten

Jahrhundertelang erprobte Erfahrungen, Ein- und Ansichten sind morgen oft nichts mehr wert, weil eine neue Illusion auftaucht, die altes Wissen, alte Gewohnheiten und alte Vorlieben verdrängt. Dabei braucht die neue Sichtweise nicht einmal besser zu sein, es genügt der Welt anscheinend, dass etwas »neu« ist. Neues verspricht dem hoffenden Hoffnung, dem ängstlichen Erlösung und dem verführbaren eine goldene Zeit. Und macht den Erfahrenden Angst.

Werden Beziehungen nach 12 Jahren »alt« und sind diese dann nur noch halb so viel wert? Sind Jobs nach 12 Monaten schon wieder langweilig? Liegt es womöglich auch an unserer Angst vor unserem eigenen menschlichen »Verfallsdatum«, dass wir bewährtes schnell gegen Neues austauschen wollen? Rennen wir in der irrigen Illusion blind umher, Altes sei per se schlecht, weil wir das kommende »Alte« an uns selbst spüren? Wollen wir »ein neuer Mensch« werden, wenn wir uns mit Neuem umgeben? Einem neuen Auto, einer neuen Geliebten?

Und: Wie haltbar sind denn Gesetze? Einmal verabschiedet ist ihnen oft nur eine gewisse Zeit gegönnt, bis sie ein politisches »Update« erhalten. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass Gesetze ewig gelten. Dies schafft Unsicherheit, das über uns schwebende Damoklesschwert macht uns zögerlich. Lohnt sich die Anschaffung eines Autos noch, dessen Wert gen null sinkt. Dass Wahlaussagen Lügen sind, erfahren wir hier: Zitat Merkel 2008: »Man kann sich nicht darauf verlassen, dass das, was vor den Wahlen gesagt wird, auch wirklich nach den Wahlen gilt.«

Vom »Atomkraft? Nein, danke!« bis zum »Atomkrieg? Ja, bitte!« der Grünen vergingen gerade mal 40 Jahre, weil falsche »Völkerrechtlerinnen« es zu begründen versuchen.

Sollten wir uns frühzeitig daran gewöhnen, dass wir uns zum Erhalt des Bewährten engagieren müssen, wenn wir sehen, dass andere uns mit Gewalt manipulieren, um krude und unerprobte Experimente an uns auszuführen?

Was, wenn wir das nicht schaffen?

Wenn wir gar darunter leiden?

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: R. Avis

Es gab einen französischer Politiker, 1754 in Paris als Sproß eines alten Adelsgeschlechts geboren und der wegen einer körperlichen Behinderung zunächst Theologie studieren und danach Bischof werden sollte. Er spielte eine aktive Rolle im Vorfeld der französischen Revolution und dem Sturz der Monarchie, ging aber während der Jahre des Terrors außer Landes. Bei seiner Rückkehr unterstützte er den jungen Napoleon und ermöglichte dessen Staatsstreich am 9. November 1799 (coup d'État du 18 Brumaire), wurde unter ihm Außenminister und trat 1807 von diesem Amt zurück, weil er mit Napoleons Plänen nicht mehr einverstanden war. Er wechselte heimlich die Seiten und verhandelte sowohl mit Zar Alexander I als auch mit dem österreichischen Kanzler Josef von Metternich. In seinen Augen würde die politische Stabilität Frankreichs am ehesten durch das Königshaus der Bourbonen gesichert, daher erklärte er am 2. April 1814, in seiner neuen Funktion als Präsident einer provisorischen Regierung, Kaiser Napoleon offiziell für abgesetzt.
Unter König Ludwig XVIII wurde er wieder Außenminister und nahm am Wiener Kongreß teil, wo er äußerst günstige Bedingungen für das besiegte Frankreich aushandeln konnte, welches dadurch ohne Gebietsverluste aus den napoleonischen Kriegen herauskam. Er starb 1838 in Paris, nachdem er viele wichtige Posten bekleidet hatte und später auch privat weiter politischen Einfluß hatte. Von ihm stammt der Ausspruch:
"Wenn man lang genug lebt, kann man alles erleben - und das Gegenteil davon."
Ebenso: "Verrat ist eine Frage des Zeitpunkts."
Er hieß Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, war ein diplomatisches Genie und ein treuer Diener Frankreichs.

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Sollten wir uns frühzeitig daran gewöhnen, dass wir uns zum Erhalt des Bewährten engagieren müssen, wenn wir sehen, dass andere uns mit Gewalt manipulieren, um krude und unerprobte Experimente an uns auszuführen?“

Sollten wir uns – nach 16 Jahren göttlichem(?) Diktats nicht längst daran gewöhnt ´haben`, ganz besonders nach dem soogar ich - als völlig Ungebildeter Rentner in Grundsicherung - längst empfinde, dass auch die aktuelle Krise von relative wenigen - extrem mächtigen - Gewählten(?) extra ´dafür` geschaffen wurde, um dem Volk – wenigstens bis zu Mittelstand – nicht nur letzten noch vorhandenen Hosen auszuziehen“?!
https://opposition24.com/politik/kuenast-zeit-der-billigen-lebensmittel-ist-vorbei/

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