Gastbeitrag von Professor Dr. Hans E. Müller

Coronavirus SARS-CoV-2: Die Lehren aus der Heinsberg-Studie

Die Studienergebnisse von Hendrik Streeck erschüttern die wissenschaftliche Grundlage unserer Corona-Politik und stellen den Shutdown der Regierung mit guten Argumenten ebenso in Frage wie alle Bemühungen um einen Impfstoff. Nur ein kleiner Teil älterer, meist wohlbeleibter Menschen und Patienten mit Grundkrankheiten ist durch Covid-19 stärker gefähr­det.

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Die Heinsberg-Studie wurde in Gangelt, einer Kleinstadt mit 12.000-Einwohnern im Kreis Heinsberg, in der Zeit vom 30.03. bis 12.04.2020 durch ein Team der Universität Bonn unter Leitung des Virologen Hendrik Streeck durchgeführt. Das vorläufige Ergebnis über den ersten großen Covid-19-Ausbruch in Deutsch­land war unmittelbar danach veröffentlicht worden.

Die Studie war sofort von 'lieben' Kollegen und Medien im FOCUS, bei 'Markus Lanz', 'Stern-TV' u.a. als "unwissenschaftlich", "methodisch fehlerhaft", "intrans­parent", "nicht aussagekräftig" usw. kritisiert worden. Zweifelsohne hatte sie methodische Fehler und war "mit heißer Nadel gestrickt", wie Streeck konzedierte. Doch dem Verriss lagen nicht nur sachliche Argumente zugrunde, die ziemlich schwach waren. - So behauptete etwa die Statistikerin Katharina Schüller, die Studie hätte die Begriff Rate und Quote verwechselt, weil eine "Rate (statt Quote) der akuten Infektionen" angegeben wurde. Doch die Kritik fällt auf sie selbst zurück, denn die Heinsberg-Studie gibt tatsächlich keine zeitlose Quote, sondern eine zeitlich definierte Rate wieder, exakt die Zeit vom 15.02.2020, als ein Super­spreader während der Karnevals­sitzung viele Teilnehmer infiziert hatte, bis zum Ende der Studie am 12.04.2020. Nach Schüller sei "die Betrachtung zu einem festen Zeitpunkt vorgenom­men worden und danach handelte es sich tat­sächlich um eine Quote". Doch Frau Schüller irrt, denn nicht der "feste Zeitpunkt" ist ent­schei­dend, sondern der Bezug auf einen Zeitrah­men. Nur hat das Frau Schüller nicht kapiert und ebenso alle, die ihr nach­plapperten. - Der Epidemiologe Gérard Krause fand ein weiteres Haar in der Suppe, denn es hätte aus jeder Familie nur eine Person in die Statistik eingehen dürfen. Allerdings wäre dadurch die wichtigste Erkenntnis dieser Studie von der Kreuzim­munität aller Corona­viren un­möglich gewesen.

Das Team hatte 1000 Einwohner aus 400 Familien interviewt, untersucht und folgendes Ergebnis vorgestellt: 15% der Einwohner von Gangelt waren SARS-CoV-2 positiv, hatten sich also infiziert, waren mehr oder weniger leicht oder schwer erkrankt und inzwischen immun, 37 waren daran gestorben. Auf Gangelt bezogen entspricht das einer Letalität von 0,37%. Andere Studien kommen zu ähnlichen Werten zwischen 0,1% und 0,5%. Die übrigen 85% waren SARS-CoV-2 negativ und nicht erkrankt. Teils waren sie mit dem Virus nicht in Berührung gekom­men, aber zum Teil hatten sie auch in Familien mit einem SARS-CoV2-positiven Familien­mitglied zusammengelebt. Sie waren also ebenfalls immun und nicht durch das aktuelle SARS-CoV2 infiziert worden, sondern durch eines der 4 + x in Deutsch­land endemischen Coronaviren, die nur harmlose Erkältungen verursachen. Cem Özdemir hatte die gleiche Erfahrung gemacht. Er selbst war an Covid-19 erkrankt, aber seine Familie gesund geblieben.

Daraus leitet sich die grundstürzende Erkenntnis ab, dass eine vor Covid-19 schützende Kreuzimmunität durch die verschiedenen Coronaviren existiert. Sie kann natür­lich bei hohen Inocula durchbrochen werden und das dürfte bei den 15% SARS-CoV-2-Positiven und Cem Özdemirs Familie der Fall gewesen sein. SARS-CoV-2 ist also keines­wegs auf eine naive Bevölkerung getroffen, wie das Christian Drosten behauptet und Bundes­kanzlerin Merkel davon überzeugt hat, dass bis zum Erreichen einer Herdenim­munität mit 60-70 Millionen Covid-19-Er­krankun­gen und vielen hunderttausend Covid-19-Toten zu rechnen sei.

Tatsächlich sind aber keine 84 Millionen, sondern nur ca. 15% und entsprechend 12 ± x Millionen gefährdet. Bezogen auf die Letalität von 0,37% in Gangelt ist daher auch "nur" mit ca. 40.000 - 50.000 Toten zu rechnen. Und das ist die Größenordnung einer schweren Influenza-Saison. Hier hat noch nie jemand an einen Shutdown gedacht, der das Grundgesetz verletzt, Euro-Kosten in Billionenhö­he verursacht und zudem ebenfalls unzähligen Menschen teils "nur" die Existenz, teils aber auch das Leben kostet.

Die Studienergebnisse von Hendrik Streeck erschüttern damit die wissenschaftliche Grundlage unserer Corona-Politik und stellen den Shutdown der Regierung mit guten Argumenten ebenso in Frage wie alle Bemühungen um einen Impfstoff. Umgekehrt wurden sie gerade deshalb so vehement diskreditiert und be­schwiegen. Nun mögen sie nicht 100%ig auf ganz Deutschland übertragbar sein, aber an ihrer Grundaussage ist nicht zu zweifeln: Nur der kleine Teil älterer, meist wohlbeleibter Menschen und Patienten mit Grundkrankheiten ist durch Covid-19 stärker gefähr­det. Und das erklärt gleichzeitig, weshalb sich bisher nur wenige Ärzte, Pfleger oder Schwe­stern infiziert haben.

Die weitere Frage, weshalb Deutschland so gut durch die Covid-19-Pande­mie gekommen ist, in Italien, Spa­nien oder New York dagegen so viele Menschen gestorben sind, erklärt sich aus der positiven Korrelation zwischen Reproduktions­rate R und der Virulenz eines Erregers. Wenn nämlich sehr viele Menschen von einem einzelnen Superspreader infiziert werden, dann korreliert das mit einem hohen R sowie hoher Virulenz und umgekehrt. Diese Beziehung gilt für viele Infektionserreger, für die Spanische Grippe vor hundert Jahren, ebenso wie für die AIDS-Pandemie und das Covid-19 von heute.

So war das Influenzavirus H1N1, der Erreger der Spanischen Grippe, im Winter 1917/18 in Kansas entstanden und mit Albert Gitchell, dem Patient Null, nach Frankreich gelangt. Der Küchenunteroffizier verbreitete das Virus zunächst in seiner Kompanie, für die er kochte. Doch schon innerhalb weniger Wochen waren beide Seiten der Westfront infiziert. Die Pferchungsbedingungen des Stellungskrieges, aber noch mehr die überfüllten Lazarette nahe der spanischen Grenze verzehnfach­ten die Virulenz und Letalität von H1N1. Aus dem Gerücht, das Grippevi­rus sei aus Spanien gekommen, ist der Name 'Spanische Grippe' ent­standen. Weltweit hat sie 50 - 100 Millionen Opfer gefordert.

Das HIV-1 war in Zentralafrika viele Jahrzehnte mit R-Zahlen um 1 endemisch. Die Übertragungszyklen innerhalb der kleinen Familienclans dauerten Jahrzehnte bis ein Virus von seinem Wirt auf den nächsten gelangen konnte. Um zu überleben musste die Virulenz entsprechend gering sein. Seit den 1930er Jahren gelangte das HIV-1 durch Industrialisierung und Prostitution in die Städte. Von UNO-Aufbauhelfer wurde es nach Haiti und in den 1970er Jahren von Homo­sexu­ellen in die USA ver­schleppt. Hier hatten ein­schlägi­ge Kreise täglich bis zu 50 Ge­schlechts­kon­takte, die hoch­virulente Mutanten entstehen ließen. Ihre hohe Reproduk­tionszahl bedingte eine Viru­lenz, die in 1 - 2 Jahren zum Tod führte. Seit den 1980er Jahren ließen Safer-Sex-Prakti­ken die Übertra­gungszyklen wieder länger werden, die Re­produk­tionszahl und die Virulenz wurden gerin­ger und die Über­lebenszeit der AIDS-Kranken stieg an. Heute beträgt sie, fast wie einst im Kongo, aber nur dank einer hoch effizienten Therapie wieder viele Jahrzehnte.

Erst im Vergleich mit diesen Pandemien wird so richtig klar, dass der Covid-19-Ausbruch gerade in Gangelt für Deutschland ein ausgesprochener Glücksfall war. Der frühe Zeitpunkt der Epidemie, ausgelöst durch die Kappensitzung in einer Kleinstadt, machte ihn einerseits zu einem Modell für das ganze Land und andererseits durch gutes Management noch beherrschbar.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Jochen

Hallo.
Wenn an der Heinsbergstudie 1000 Menschen teilgenommen haben,von denen 37 gestorben sind,dann entsprechen diese 37=3,7% und nicht 0,37% wie im Bericht behauptet.

Gravatar: Hobbes

Ich habe die Bewertungen der Heinsberg-Studie in den Öffentlich Rechtlichen als Vernünftig empfunden. Lediglich die Übertragbarkeit wurde dort angezweifelt, wie ich finde zurecht.
Jetzt so eine regierungskritische Perspektive daraus zu drehen finde ich unangemessen. Zumal Deutschland weitaus besser dasteht als große Teile des Rests der Welt

Gravatar: Werner

Das Corona-Schauspiel zeigt wieder klar und deutlich, dass die sogenannte parlamentarische Demokratie, ohne Volksentscheide auf allen Ebenen, gescheitert ist.
Man kann diesen Lobbyisten von der Blockpartei, die nur in ihrem eigenen Interesse entscheiden und nicht im Interesse des Bürgers, das Regieren nicht allein überlassen.

Gravatar: Axel Gojowy

Das kommt dem gelernten DDR-Bürger vor wie die Zahlen der täglichen Planerfüllung

Gravatar: lupo

Solche kompetenten Sprachrohre braucht das Land und gehören in RKI bzw. in Regierungsverantwortung als Gesundheitsminister o.ä.

Gravatar: Fritz Immel

Gratulation, endlich mal was vernünftiges, was tatsächlich
Hand und Fuß hat.

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