Freie Welt - Geschichte

17. Juni 1953 - Aufstand gegen Regierung und Russische Besatzer

Aus dem »Tag der deutschen Einheit« ist ein unbedeutender Alltag geworden. Dabei verdient gerade der »17. Juni« unser aller Gedenken.

Bundesarchiv, B 145 Bild-F005191-0040 / CC-BY-SA 3.0
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Es war einmal ein Feiertag. Er wurde in Westdeutschland von den Westdeutschen an jedem 17. im Juni begangen. Die, die ihn hätten feiern dürfen, durften es nicht. Die Ostdeutschen. Und mit der Wiedervereinigung wurde dieser Feiertag aus den offiziellen Kalendern der Deutschen Geschichte gestrichen.

Wie kann so etwas sein? Wie kann es sein, dass ein Volk seinen einzigen wirklichen Heldengedenktag verdrängt, vergisst, vergessen will?

Und auch wenn es im Dezimalsystem kein runder Erinnerungstag sein mag. Gerade diese Tag und Wochen und Monate sind Grund genug, sich des 17. Juni 1953 zu erinnern. Des Tages, als die Ostdeutschen aufbegehrten. Gegen ihre sozialistische Regierung. Gegen ihre russischen Besatzer.

Tatsächlich war der Volksaufstand in der »DDR«, damals noch wie selbstverständlich »SBZ«, Sowjetische Besatzungszone, oder auch kurz die »Zone« genannt, ein Aufstand mit Ansagen. In den frühen 1950 Jahren hatte das sozialistische Regime, nein, nicht in Berlin sondern in Pankow, seine nächsten Schritte in den Sozialismus mit weiteren Verstaatlichungen und einer einseitigen Förderung der Schwerindustrie eingeleitet und damit die Lage der Bevölkerung weiter verschärft. Wiederaufrüstung, Reparationszahlungen und der Unterhalt der Besatzungstruppen verschlangen zudem große Teil des Haushalts. Eine als Kaufkraftüberschuss bezeichnete Inflation schmälerte die ohnehin nicht gerade üppigen privaten Reserven.

Mitten in diesen radikalen Umbau eines einmal erfolgreichen Wirtschaftsgebiets – heute nennt man es Energie- oder auch Klimawende –, kam die Hiobsbotschaft für die, die die Arbeit machten: Eine Erhöhung der Arbeitsnormen um zehn Prozent zum Stichtag 30. Juni 1953 – dem Geburtstag von Walter Ulbricht. Tatsächlich handelte es sich um Lohnkürzungen der sozialistischen Art.

Die SED, also jene Sozialistische Einheitspartei, die aus dem Zusammenschluss von SPD und KPD hervorgegangen war und sehr viel später in PDS und dann ›Die Linke‹ umbenannt wurde, war in diesem Frühjahr in eine Zange zwischen Moskau und Volk geraten, denn aus dem Osten wehte nach Stalins Tod ein etwas weniger radikalen Wind. Von Reformen zu sprechen, wäre mutig, aber was vielen Ostdeutschen zu wenig war, war den Machthabern schon zu viel. Sie ließen sich zwar auf Korrekturen ein, aber die Lohnsenkungen blieben bestehen.

Die Ostdeutschen reagierten auf die naheliegendste Art und Weise. Sie verließen das Land. Da die Zugänge in den Westteil Berlins offenstanden, war das ein leichtes, sofern einen die Treue zu Land und Leuten nicht hielt. Also doch keine leichte Entscheidung.

In dieser aufgeladenen Atmosphäre kam es ab dem 12. Juni im ganzen Land zu Unruhen. Unbeliebte SED-Bürgermeister wurden abgesetzt, hier und dort Fahnen verbrannt. Am Dienstag, den 16. Juni legten einige Arbeiter auf den Baustellen der Stalinallee die Arbeit nieder. Als Reaktion zeigte die Regierung Kompromissbereitschaft.

Doch sie machte den Fehler so vieler autoritärer Regime: Sie machte immer zu wenig und das Wenige immer zu spät.

Mittlerweile hatten die Arbeiter ihre Forderungen erweitert: Rücktritt der Regierung und freie Wahlen. Außerdem wurden die Ostberliner aufgefordert, sich am 17. Juni, morgens um 7 Uhr am Strausberger Platz zu versammeln. Dieser Funke sprang schnell über. In der gesamten »DDR« wurde zu Protesten aufgerufen.

In den späteren Darstellung und bis heute wird an dieser Stelle der Beitrag des RIAS, des Rundfunks im Amerikanischen Sektor, betont. Gerade so, als wäre es ohne den Sender im Westteil der Stadt nicht zum 17. Juni 1953 gekommen. Das ist natürlich Unfug. Die Aufstände hatten bereits vorher begonnen. Die sozialistische Wende war ganz sicher kein Produkt des Westens, sondern das Projekt linker Kreise in Ostberlin und in Moskau. Und der Sender verweigerte die geforderte Übertragung eines Aufrufs zum Generalstreik.

Einen Tag später, am eben jenem 17. Juni 1953, an »dem 17. Juni«, griffen die Ostdeutschen nach der Macht. Zahllose Parteiobere wurden abgesetzt. Es kam zu Streiks. Demonstrationszüge formierten sich in den Straßen der Städte. Und auch wenn Berlin das Zentrum des Aufstands war – es war ein Ereignis, das Ostdeutschland als ganzes erschütterte.

Die SED-Oberen diffamierten den Aufstand als »das Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus deutschen kapitalistischen Monopolen«. Kurz: Das Ausland und ominöse Nazis sind Schuld; angestachelt von den bösen Amis im RIAS. Ein Märchen, das die SED bis 1989 immer wieder erzählte und erzählen ließ und das sich in linken Kreisen bis heute hält.

Was dann passierte, sollte allen zu denken geben, die glauben, die sogenannte Friedliche Revolution vom November 1989 wäre im wesentlichen ein Sieg der Ostdeutschen über ihre sozialistischen Unterdrücker und die Besatzungstruppen gewesen: Ab etwa 10 Uhr rückten russische Panzer aus und stellten sich Demonstranten, Streikenden und überhaupt den Ostdeutschen mit der Waffe im Anschlag entgegen. Der Aufstand brach in wenigen Stunden zusammen. Zivilisten sind gegen 16 Divisionen mit zusammen etwa 20.000 Soldaten und einigen Hundert Panzern nun einmal wehrlos.

Die russische Besatzungsmacht hatte das gemacht, was sie in jenen Jahren noch mehr als einmal machen sollte: Sie stellte klar, wer die Macht hat und wo die Machthaber sitzen: In Moskau. Und erst als der Kreml beschloss, seine Soldaten und Panzer aus Ostberlin und der »DDR« abzuziehen, war es mit der Wende zum Sozialismus in Ostdeutschland endlich vorbei. Das Pankower Regime in der Zone war Geschichte.

Die Zahl der Opfer ist, wie immer in solchen Fällen, umstritten. Sie schwanken zwischen 50 und 500 Männern und Frauen. Sie starben im Kugelhagel, andere an ihren Verletzungen, wieder andere wurden zum Tode verurteilt, in einigen Fällen wurden die Opfer standrechtlich von russischen Truppen erschossen; mit dabei, wenn auch schwer nachzuweisen, wahrscheinlich einige Soldaten der Besatzungsarmee, die sich weigerten, auf Zivilisten zu schießen.

Der 17. Juni wurde in Westdeutschland zum »Tag der deutschen Einheit« erklärt und sollte bis 1990 Feiertag bleiben. In jedem Jahr wurde er etwas weniger im Gedenken an die Ereignisse und die Opfer des Volksaufstands begangen. Linke Kreise im Westen liefen von Anfang an gegen ihn Sturm. Helmut Kohl gebührt die zweifelhaft Ehre, diesen Feiertag aus der Geschichte Deutschlands gestrichen zu haben.

Warum? Warum wurde dieser Ehrentag der angeblich so unterwürfigen und autoritätsgläubigen Deutschen getilgt? – Sicher nicht nur, weil mit dem 3. Oktober ein auf den ersten Blick lauer Ersatz auf dem Programm stand. Auch der 3. Oktober hat ja eine sehr tiefe deutsche Geschichte.

Aber der 17. Juni 1953 erinnerte jeden Westdeutschen an den Mut der Ostdeutschen in jenen Stunden. Und hier steht dieses heute so häufig wie Kleingeld verteilte Wort wirklich einmal zurecht. Es gehört Mut dazu, gegen ein gewalttätiges Regime auf die Straße zu gehen und Leib und Leben zu riskieren. Mut, wie ihn keiner der staatlich organisierten Klimaretter jemals gezeigt hat und jemals zeigen wird. Mut, wie ihn auch die Westdeutschen der 1960er Jahre nicht zeigen mussten und schon gar nicht in den Jahrzehnten danach zeigten.

Die gesamtdeutsche Linke nahm den Ball, der ihr vom Kanzler der Einheit zugespielt worden war, gerne auf. Heute ist der »17. Juni« reduziert auf den Namen eines Abschnitts einer Straße im Herzen Berlins. Und man muss fürchten, dass es dieser unseligen Allianz irgendwann gelingen wird, diesen Ehrentag der deutschen Geschichte durch einen belanglosen Namen ersetzen zu lassen auf dass der »17. Juni« für immer ins Vergessen gerät.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

„17. Juni 1953 - Aufstand gegen Regierung und Russische Besatzer“ ...

Da sich die ´sowjetischen` Besatzer längst ´vollkommen` zurückzogen – wobei die Gewalt über das nun vereinte(?) Deutschland nun für auch mein Empfinden von ´Washington` an sich gerissen wurde
https://www.adelinde.net/das-aktuelle-besatzungsrecht-in-deutschland-und-die-souveraenitaetsfrage/:

Wäre es deshalb nicht längst Zeit für einen erneuten derartigen Aufstand – auch zur Bestätigung dessen, dass die Amis noch heute ähnlich reagieren, wie es die Sowjets am 17. Juni anno 53 vormachten???

Gravatar: Un Fug

Wieder einmal Unfug von Professor Humbug. Nicht über die Hintergründe des Volksaufstandes, die stimmen tatsächlich einmal mit den Fakten überein. Aber unter dem SED-Regime gab es keine russischen Besatzer.
Stationiert wurden die Sowjet-Truppen auf Befehl eines Georgiers, sein Nachfolger sollte mit Beria wieder ein Georgier werden. Tatsächlich wurde nach dem Tod Stalin im März 1953 erst im September 1953 mit Chruschtschow ein Nachfolger gefunden. Am 17. Juni 1953 gab es keine funktionierende Führung in der UdSSR; und schon gleich keinen Russen, der an der Spitze der Sowjetunion etwas zu sagen hatte.
So heißt es auch in den Berichten zu den Ereignissen: "Die sowjetischen Behörden reagierten mit der Verhängung des Ausnahmezustands für 167 der 217 Kreise der DDR."
Die SOWJETISCHEN Behörden, Professor Humbug und NICHT etwa die russischen. Die waren nämlich im SED-Staat nicht existent.

Gravatar: Croata

Danke schön, FW.
Für mich persönlich, super spanend die Geschichte.

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