Christian Zimmermann Büro für Menschenrechte und Minderheiten Angelegenheiten, Berlin

Zivilgesellschaft als Schlüssel - Interview Christian Zimmermann

Christian Zimmermann arbeitet für das Büro für  Menschenrechte und Minderheiten Angelegenheiten, Berlin. Er war von 2007 bis 2009 Repräsentant der Gesellschaft für bedrohte Völker in Berlin (GfbV); einer nichtstaatlichen Organisation, die sich für religiöse, sprachliche und ethnische Minderheiten weltweit einsetzt.

FreieWelt.Net sprach mit ihm über den Kampf für Menschen- und Bürgerrechte in Iran und einen möglichen "Regime Change"

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FreieWelt.Net: Wie kann sich Menschenrechtsarbeit zugunsten von Verfolgten gestalten, die einem Regime wie dem der "Islamischen Republik Iran" ausgesetzt sind, dessen Institutionen sich systematisch über elementarste völkerrechtliche Verpflichtungen im menschenrechtlichen Bereich hinwegsetzen?

Christian Zimmermann:
Bei der Menschenrechtsarbeit für Verfolgte der „Islamischen Republik Iran“ muss man unterscheiden zwischen den Verfolgten im Iran und den im Exil organisierten oder unorganisierten Iranern.
Ich kann mich nur über den organisierten Widerstand im deutschen und französischen Exil äußern. Neben der PMOI (Volksmudschahedin) und dem NWRI (Nationaler Widerstandsrat des Iran) habe ich in persönlichen Treffen auch andere Exilanten und deren Organisationen kennen gelernt. Zu inneriranischen Verhältnissen habe ich nur Informationen aus dritter Hand.

Es halten sich ca. 5 Millionen Iraner weltweit im Exil auf. Viele sind als Studenten schon während der Schahzeit ins Ausland gegangen und dann angesichts der Ereignisse nach der „Islamischen Revolution“ nicht in die Heimat zurückgekehrt. Einige der sich äußernden „Iranexperten“ gehören zu dieser Gruppe. Die aktuellen Ereignisse der letzten Monate haben insgesamt wie ein Schmelztiegel gewirkt, viele zurückhaltende Exiliraner motiviert, auf die Straße zu gehen oder sich in anderer Form an Protesten zu beteiligen. Die organisierten oppositionellen Kräfte haben einander wieder angenähert.

FreieWelt.Net: Wie kam es dazu?

Christian Zimmermann: Seit den Massenhinrichtungen in den 1980er Jahren gab es weitere große Fluchtwellen ins benachbarte und europäische Ausland. Die Flüchtenden waren mehr oder weniger gut organisiert. Die organisierten Gruppen entsprachen denen, die schon im Iran gegen den Schah legal und/oder militant kämpften. Sie waren an dessen Sturz beteiligt und kamen nach der Revolution mit der Fraktion des Ajatollah Ruhollah Chomeini in der Frage der Ausgestaltung der „Islamischen Republik“ nicht zu einem gemeinsamen Ergebnis. Eine der Kernfragen war die Systemfrage und, damit verbunden, die Frage der Beteiligung an der Herrschergewalt. Inhaltlich handelt es sich dabei um die Alternativen einer Allmacht des Klerus oder der Ausrichtung an einem säkularen Staat. Die Machtfrage löste sich durch Gewalt von beiden Seiten zugunsten der Chomeinifraktion. Als Reaktion auf die blutige Verfolgung ihrer Mitglieder verübten die Modschahedin-e Chalq (Volksmudschahedin) mehrere Bombenattentate auf iranische Regierungsmitglieder sowie auf das Parteigebäude der Islamisch-Republikanischen Partei mit über 70 Toten, darunter Mohammed Beheschti. Die genaue historische Analyse des großen Bombenattentates auf die Vertreter der Chomeini-Partei durch die Modschahedin-e Chalgh/Volksmudschahedin sowie der gesellschaftlichen Auswirkungen dieses Akts sind  noch zu leisten. Schon damals vorhandene Mahner und Befürworter der Trennung von Staatsmacht und klerikaler Macht aus dem Klerus, wie z.B. Großajatollah Montazerri, wurden unter Hausarrest gestellt. Die folgenden Säuberungen mittels unendlicher Massaker ließen die islamische Revolution in ein fatal brutalisiertes System faschistisch klerikaler Machtausübung abrutschen. Die Exilopposition konzentrierte sich hauptsächlich als PMOI und NWRI in Paris und in Gestalt einer starken monarchistischen Opposition in den USA. Teile der PMOI hatten sich zunächst in den 1980iger Jahren im Irak aufgehalten und mit Hilfe der USA und des Husseinregimes eine paramilitärische Struktur entwickelt.

FreieWelt.Net: Wie beurteilen Sie den - vom iranischen Regime und dessen Sympathisanten erhobenen - Vorwurf an die Volksmudschahedin, an der Seite des früheren irakischen Diktators Saddam Hussein den "Angriffskrieg" gegen den Iran unterstützt und darüber hinaus im Irak an Massakern von Kurden und Schiiten mitgewirkt zu haben?

Christian Zimmermann:
Da ist viel Legende im Spiel.
Die Beteiligung am Iran-Irak-Krieg ist unbestritten, ist aber auch Ausgangspunkt vieler Legenden um unbewiesene Beteiligungen an vom Husseinregime ausgehenden Verbrechen gegen die Menschheit einschließlich Völkermordes. Auch hier steht eine historische Aufarbeitung noch an.
Es gibt auch eidesstattliche Erklärungen von prominenten Kurden, die diese Vorwürfe verneinen. Ich bin sicher, dass sich in der Gemengelage des Iranisch-Irakischen Krieges viele Gräueltaten ereignet haben; aber ich befürchte, dass in den ständisch strukturierten Gesellschaften des Nahen Ostens zeitgleich zum Krieg auch persönliche Rachefeldzüge stattfanden.

FreieWelt.Net: Impliziert die Forderung nach einer Verteidigung der Menschenrechte der Iraner nicht zwangsläufig das Postulat eines Regimewechsels, wie ihn PMOI und NRWI, nicht jedoch „Experten“ wie Bahman Nirumand einfordern?

Christian Zimmermann:
JA. Noch dazu, weil die iranische Revolution, die durchaus den Stellenwert der französischen Revolution hat, nachhaltig bis in unsere Tage wirkt, aber leider zu einem klerikalen Faschismus wurde, weil bei der Ausgestaltung des Staates und seiner Verfassung die religiöse Basis eines fundamentalistischen schiitischen Islam (Mahadismus) dominierte und sich machtpolitisch durchsetzte. Imaginäres Staatsoberhaupt ist der 12. Imam, und seine Wiederkehr kann jederzeit als Beginn einer apokalyptischen Säuberung unter allen Andersdenkenden/-gläubigen  genutzt werden. Die Islamische Republik hat das Verfassungsziel, die Welt nach den eigenen Regeln einer von wenigen ausgelegten und in „Staats-Recht“ gefassten Form der Scharia zu „befreien“. Nirumand favorisiert hingegen, wie große Teile der Grünen und der SPD, einen Reformprozess des herrschenden Staatssystems. Die Fischer-Doktrin, die immer noch im Auswärtigen Amt dank seiner Personalpolitik vorherrscht, fordert den kritischen Dialog/Rechtsstaatsdialog und die Kooperation mit den Herrschenden, in der Hoffnung, dass die sich ändern oder überreden lassen. Die Ahmadinedjad-Diktatur der Pasteran mordet, foltert, verschleppt, betreibt Frauen-Apartheid, hängt politische Gegner und  Homosexuelle, u.v.m. Das Mullah-Regime ist antisemitisch, antichristlich und auch antiislamisch, will die Atombombe und lügt und betrügt. Da geht kein Dialog. Das sollte die Geschichte lehren. Was hat Appeasement gegenüber Hilter gebracht? Weltkrieg.

FreieWelt.Net: Wie schätzen Sie die Organisationen der exil-iranischen Opponenten des Mullah-Regimes im Hinblick auf die Perspektive einer auf Menschen- und Bürgerrechten sich gründenden politischen Ordnung im Iran ein?

Christian Zimmermann:
Die Ereignisse der letzten Monate haben die Opposition im Iran öffentlich zu Tage treten lassen, jedoch ohne erkennbare Struktur und Organisation.
Es gibt ohnehin von allen Exiliranern Verbindungen in die Zivilgesellschaft des Iran, so dass sich letztlich die oppositionellen Kräfte bündeln werden. Dafür ist es jedoch zwingend erforderlich, dass sich die Organisationen wie die PMOI/NWRI und auch andere öffnen, noch besser demokratisieren, Transparenz zulassen, und sich modernisieren. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass sich Widerstandsgruppen mit einer Geschichte von über 30 Jahren und einer langen Liste von Opfern in einem gleichsam traumatisierten Zustand befinden, der das Verhalten im Inneren und nach außen mitbestimmt. Der Schritt in eine modern agierende, politische Partei, die am Umwälzungsprozess im Iran aktiv gestaltend teilnimmt, ist nicht einfach zu vollziehen, weil sich die Gruppe nicht durch Zugänge von außen vergrößert und verändert.

FreieWelt.Net: Woran liegt das?

Christian Zimmermann: Gruppen wie die PMOI  haben eine lange Geschichte, die mit einer idealistischen Zielsetzung und der sich daraus ableitenden Identität beginnt. Schon die Anfänge des Widerstandes sind geprägt durch verschiedene Strömungen und persönliche Richtungen, die sich in Reden und Schriften widerspiegeln. Erst der Erfolg der gewonnenen islamischen Revolution lässt neben der dann beginnenden Systemfrage auch Machtfragen und Beteiligung an derselben in den Vordergrund treten. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, mit all den Ermordeten, Gefolterten und Vertriebenen lässt eine Identität entstehen, die von Traumata geprägt ist. Die sich fortsetzenden Verfolgungen, aber auch die Möglichkeit der erfolgreichen Reaktion während des Iran-Irak-Krieges lassen eine Gruppe entstehen, die durch eine klare Binnenstruktur mit Verschlossenheit charakterisiert werden muss. Prof. Kilian hat mit seinem Werk „Das enteignete Bewusstsein“ schon in den 1970iger Jahren dargelegt, wie ähnlich die Verhaltensformen von Individuen und Gruppen sind. Unter massivem Druck entstehen psychopathologische Mechanismen, die das Überleben sichern. Dazu gehört eine ritualisierte Trauerarbeit mit intendierter „Belohnung“ des vollständigen persönlichen körperlichen Einsatzes mittels des Shahid (Märtyrertum) und ein festgelegter und auch kontrollierter  Verhaltenskodex. Dieser Selbstschutz ist verständlich und muss auch so verstanden werden. Indes steht das einer sich verändernden Gesamtlage möglicherweise im Wege. Aus dieser Widerstandsgruppe, die ständig verfolgt, bekämpft und stigmatisiert wurde, kann nicht so einfach eine „modern“ agierende Interessengruppe oder gar Partei werden, die sich in dem dynamisch verändernden Prozess im Iran, System gestaltend einbringen kann, obwohl sie immer noch in der iranischen Zivilgesellschaft verankert ist. Sicher gibt es diese familiären Verbindungen in die Heimat, aber der Einfluss auf die Ereignisse ist begrenzt, weil immer noch die direkte Verfolgung und Aburteilung droht. Auch eine spezifische Kommunikation über Sattelitenfernsehen, Internet oder andere Medien aus dem Exil dient weniger der Entwicklung eines demokratischen Prozesses, als vielmehr der Darstellung der eigenen Aktivitäten und ist damit eine Selbstinszenierung. In diesem Zusammenhang sind die Aktionen der PMOI und des NWRI in der Regel, trotz intensiver Beratung durch externen Sachverstand, ineffektiv. Von innen ist ohnehin eine Veränderung zu einer modernen demokratisch gestaltenden Bewegung trotz aller öffentlichen Erklärungen nicht zu erreichen. Der iranische Widerstand braucht die Hilfe von außen und muss ihn auch annehmen. Damit meine ich die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Organisationen freier und demokratischer Länder und nicht die Unterstützung der westlichen Geheimdienste. Die Kriminalisierung durch die Gaststaaten ist  inakzeptabel.

FreieWelt.Net: Die Volksmudschahedin wurden über mehrere Jahre hinweg auf der "Terrorliste" der Europäischen Union als des Terrorismus verdächtige Organisation geführt. Welche rechtliche Handhabe haben die Betroffenen solcher exekutivstaatlichen Übergriffe, ihre zivilen Rechte gegenüber Regierungsorganisationen geltend zu machen?

Christian Zimmermann:
Viele der Mitglieder der PMOI haben inzwischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit und können ihre Grundrechte einklagen, was auch geschieht und geschehen wird. Es werden auch ihre Unterstützer tätig werden, weil auch sie durch die Verfassungsschutzberichte diffamiert und in ihren Rechten eingeschränkt wurden.
Die Unterstützung für die Gruppe des NWRI und die PMOI erstreckt sich von direkter Hilfe durch europäische Abgeordnete, Juristen und Menschenrechtler bis zu einer Beratung bei der Meinungsbildung innerhalb der europäischen Länder. Fakt ist, dass der NWRI und die PMOI  die bestorganisierte und größte Gruppe des exiliranischen Widerstandes sind. Fakt ist aber auch, dass die Stigmatisierung dieses Widerstandes und die Listung auf einer ohnehin rechtswidrigen Terrorliste (der Europäischen Union; Anm. von D. S.) die Missachtung der Grundrechte der Gruppierung, aber auch ihrer Unterstützer bedeutet. Dass hieran der deutsche Geheimdienst und der Verfassungsschutz maßgeblichen Anteil haben, ist inzwischen bekannt, und dass dies unter Beteiligung des iranischen Geheimdienstes geschieht, wird zumindest von schwedischen Staatsschützern nicht mehr bestritten. Die exiliranischen Gruppen haben ohnehin nie verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und auch keine Aktivitäten terroristischer Art in Europa entwickelt. Sie haben nur immer wieder, trotz der Beeinträchtigung der Grundrechte durch Verfassungsorgane, versucht, die öffentliche Meinungsbildung über das Regime in Teheran realitätsnah auszuformulieren und die Politik entsprechend zu beeinflussen, die Unterstützung des Regimes durch EU-Mitgliedstaaten zu beenden, was aber nicht geschah. Vergessen wurde, dass der Westen die Aufdeckung des iranischen Atomprogramms  der PMOI verdankt.
Durch die in diesem Jahr gerichtlich durchgesetzte Streichung von der Liste wird die Arbeit des iranischen Widerstandes etwas vereinfacht. Die öffentliche Meinung ist aber immer noch stark durch die unbelegten Verfassungsschutzbehauptungen und Unterstellungen geprägt.

FreieWelt.Net: Haben sich Vertreter des Bundestages und der Bundesregierung gegenüber dem Anliegen, der Kriminalisierung der Volksmudschahedin ein Ende zu setzen, aufgeschlossen gezeigt?

Christian Zimmermann:
Ja, aktiv wenige, aber immerhin haben 2008 ca. 150 Bundestagsangehörige ihre Solidarität öffentlich bekundet.

FreieWelt.Net: Welche Gründe hat die Obama-Administration für ihre Politik der Fortsetzung der Stigmatisierung der Volksmudschahedin als terrorismusverdächtiger Organisation - in Abgrenzung von der offiziellen Haltung der EU?

Christian Zimmermann:
Das ist ein amerikanisches Phänomen im Umgang mit „Terrorgruppen“, die dann und wann auch wieder zu Freiheitskämpfern mutieren und von der CIA ausgestattet werden. In der momentanen Situation ist die Lage komplizierter. Die Erwartungshaltung an den neuen Präsidenten Obama ist hoch. Langsam ist eine iranpolitische Strategie erkennbar. Die US-Administration will nicht mehr allein handeln, sondern sucht die Kooperation. Die aktuelle Lage nach dem G20-Gipfel scheint dies zu bestätigen. Die iranische Strategie des Lügens und Tricksens, basierend auf einem fundamentalistischen schiitischen Religionsverständnis (Mahadismus); stößt an ihre Grenzen. Der Iran isoliert sich gerade selbst und wird damit auch im Innern der Destabilisierung und dem Systemwechsel zuarbeiten. Die iranische Zivilgesellschaft ist der Schlüssel zu erfolgreichem Regime Change hin zu einer freieren und demokratischen Gesellschaft. Sie zu unterstützen ist unsere Aufgabe, der ich mich als Teil der deutschen Zivilgesellschaft verschrieben habe.

Zum Blog von Christian Zimmermann Menschenrechte Online

Foto: C. Zimmermann

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