Phil Zeni Sprecher von Republicans Abroad in Germany

»Zeit für den Kampf um die amerikanische Seele«

Gebannt starrt die Welt auf Washington, wo Republikaner und Demokraten über die weitere Verschuldung der USA verhandeln. Werden die USA die Schuldenobergrenze erneut anheben oder werden sie die Zahlungen einstellen? FreieWelt.net sprach mit dem Sprecher von Republicans Abroad in Germany, der Organisation der Republikaner in Deutschland, Phil Zeni, über mögliche Lösungen und die Hintergründe der Diskussion in den USA.

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FreieWelt.net: Der Haushaltsstreit in den USA spitzt sich dieser Tage zu. Wenn sich die Parteien nicht einigen, kommt es zu einer unkalkulierbaren Krise. Wer wird dann Schuld daran haben?

Phil Zeni: Mit »unkalkulierbarer Krise« meinen Sie wohl die Möglichkeit, dass die US-Regierung ihren Schuldendienst einstellt.

Damit unterstellen Sie erstens, dass ein derartiger Ausfall die USA und möglicherweise andere Länder in eine unkontrollierbare Krise führen wird. Niemand kann das mit Sicherheit sagen. Das ist noch niemals passiert. Die USA sind immer ein felsenfester, absolut sicherer Hafen gewesen. Verschiedene andere Länder haben in den letzten Jahrzehnten einen Zahlungsausfall erlebt. Sicher, die Situation ist für viele unangenehm, insbesondere für die Gläubiger, aber alle diese Länder existieren weiterhin. Es hat nicht in ihre Vernichtung geführt.

Anzunehmen, dass diese Situation nicht kontrolliert werden kann, ignoriert weiterhin den Umstand, dass verschiedene Institutionen und Akteure weiterhin existieren werden, wenngleich sie für eine bestimmte Zeit weniger Macht und Einfluss haben werden.

Was schließlich die Frage der Schuld angeht, wird man eine Menge davon für jeden übrig haben. Wem man die Schuld gibt, hängt davon ab, wer sie verteilt. Für Demokraten sind es die Republikaner; für Republikaner sind es Obama, die Demokraten und, zumindest für manche, die Minderheit der Tea Party. Für die Tea Party sind es die verschwenderischen und hemmungslosen Raffzähne und Geldgeber (the profligate and uncontrolled appropriators and spenders), die die USA in die hoffnungslose Schuldensituation gebracht haben; für einen Großteil der amerikanischen Öffentlichkeit sind es alle Politiker, und so weiter und so weiter. Es ist unwahrscheinlich, dass irgendjemand aufsteht und auch nur andeutungsweise sagt: »Gebt mir die Schuld.«

FreieWelt.net: In Deutschland wird immer wieder die Tea-Party-Bewegung erwähnt. Was will sie und welchen Einfluss übt sie auf die Politik der Grand Old Party (GOP), also die Republikaner, aus?

Phil Zeni: Ich spreche nicht für die Tea Party, aber ich vermute, dass die Tea Party ihr Hauptaugenmerk auf eine kleinere Regierung legt, die die Steuerlast reduziert. Ihr Führungspersonal hat wahrscheinlich noch verschiedene andere Anliegen (grievances), aber diese beiden sind die wichtigsten.

Wenn man verstehen will, wie eine relative kleine Gruppe von Wählern und Kongressabgeordneten in der Lage ist, die Politik der GOP zu beeinflussen, muss man verstehen, wie das amerikanische Wahlsystem aufgebaut ist. (Ich halte über dieses Thema normalerweise eine Vorlesung von zwei, drei Stunden, aber Sie bekommen eine wesentlich gekürzte Fassung zu hören.) Es gibt verschiedene maßgebliche Elemente: Die Verfassung der USA schreibt vor, dass alle zehn Jahre eine Volkszählung durchgeführt wird. Weil die Zahl der Sitze im Kongress auf 435 festgelegt ist, führt jede Volkszählung dazu, dass die Sitze, mit der jeder der 50 Staaten vertreten ist, neu aufgeteilt wird. 200 Jahre und länger ist Amerika von seinen Wurzeln im Nordosten des Landes, wo die 13 Kolonien lagen, nach Westen und nach Süden gewachsen. Folgerichtig ist der Einfluss der westlichen und südlichen Staaten mit der Zeit immer weiter gewachsen, während der der nordöstlichen Staaten gemindert wurde. Die USA haben nur zwei überlebensfähige (viable) Parteien, die Wahlen gewinnen können: die Demokraten und die Republikaner. Amerika hat keine Koalitionsregierungen, sondern der Gewinner nimmt alles.

Der Name »Tea Party« erscheint auf keinem Stimmzettel, weder bei den Wahlen zum Präsidenten und Vizepräsidenten noch bei denen zum Kongress, Senat oder Repräsentantenhaus. Historisch gesehen wollten die Republikaner niedrigere Steuern und kleinere Regierungsapparate, während die Demokraten eine endlos aufgeblähte Bürokratie bevorzugen. Insofern muss eine Gruppe von Menschen, die sich mit der Tea Party identifiziert, sich entscheiden, ob sie einen Demokraten oder einen Republikaner unterstützt, und das wird typischerweise Letzterer sein. Nur über die Besetzung der Ämter des Präsidenten und des Vizepräsidenten entscheiden alle Wähler. Die Mitglieder des Kongresses werden in nationalen Wahlen bestimmt, aber gewählt werden sie in 50 Wahlen auf Staatenebene.

Um auf die Neuverteilung der Sitze im Kongress nach jedem Zensus zurückzukommen:  Das hilft zu verstehen, warum ein Mitglied des Repräsentantenhauses von einer relativ kleinen Zahl von Bürgern eines Wahllbezirks in einem Staat ausgesucht wird. Die Kandidaten in diesem Rennen stehen nicht unter dem Druck, die ganze Nation zu repräsentieren oder den ganzen Staat, sondern lediglich ihren Wahlbezirk.

FreieWelt.net: Das wusste ich nicht!

Phil Zeni: Es wird leider noch komplizierter. In den meisten Staaten wird die Aufteilung der Wahlbezirke für den Kongress für diesen Staat vom Parlament kontrolliert. Viele dieser Parlamente (legislatures) spiegeln heute den Stand der Wahlen von 2010 wider, als auf Staateneben (at the state legislative level) viele Republikaner gewählt wurden. Was folgte, war, dass die Wahlbezirke in einer Weise zugeschnitten wurden, die die Chancen von republikanischen Bewerbern erhöhten. Wenn Demokraten nach einem Zensus die Legislative kontrollieren, tun sie dasselbe. Im Ergebnis (net effect) wird ein Kandidat, der sich für einen Amt im Kongress bewirbt, normalerweise gewinnen, sobald er oder sie in den Vorwahlen (Primary Elections), die zehn bis vier Monate von den allgemeinen Wahlen (General Election) im November abgehalten werden, erfolgreich ist. Deshalb geht es im Wahlkampf ausschließlich darum, in den Vorwahlen zu gewinnen. Und wie gewinnt man in einer Vorwahl?  Indem man insgesamt als eine reinere, klarere und konzentriertere Variante als die anderen Parteimitglieder und ihre Philosophie auftritt. Extremismus wird sowohl von den Demokraten für die Linksliberalen und von den Republikanern für die Konservativen belohnt. Vielleicht fragen Sie jetzt: Und wo ist die Mitte? Kurze Antwort: Es gibt keine, und das ist das Problem.

FreieWelt.net: Bitte erklären Sie einem Europäer, der sich nicht vorstellen kann, dass es keine gesetzliche Krankenversicherung gibt, was gegen Obamas Gesundheitsreform einzuwenden ist!

Phil Zeni: Viele Bürger Europas haben keine Vorstellung, wie marktgesteuert die Wirtschaft ist, die so viel zum Erfolg Amerikas beiträgt. In ähnlicher Weise können sich viele nicht vorstellen, persönliche Verantwortung wahrzunehmen und die Bürde auf sich zu nehmen, alles Erdenkliche zu tun, um ihr Leben zu bewältigen, ohne ständige Unterstützung und Eingriffe durch den Staat. Die amerikanische Kultur bietet enorme Freiheiten und unglücklicherweise enorme Möglichkeiten, sie zu missbrauchen: indem man kurzfristige Lebensentscheidungen trifft und ungebildet bleibt, obwohl Bildung zumeist kostenlos zu haben ist; mit einer schlechten Ernährungsweise, obwohl Lebensmittel reichlich vorhanden sind; indem man das Wenige an frei verfügbarem Einkommen, das man für wichtige Ausgaben hat, für unterhaltsame, aber unwichtige Aktivitäten und Einkäufe verschwendet; und indem man keinen Gedanken ans Sparen für schlechte Zeiten verschwendet. Bei Obdachlosenunterkünften tauchen Menschen auf, die keinen Platz zum Leben habe, keine Nahrung, unangemessene Kleidung, kein Auto – aber was sie mitbringen, das sind Flachbildschirmfernseher, Mobiltelefone, Computer und ähnliches mehr. Amerika gibt seinen Bürgern die Möglichkeit, Erfolg zu haben, und die Möglichkeit zu scheitern.

Was das öffentliche Gesundheitswesen angeht: Seit Jahren gibt es eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle, die nicht zahlen können oder wollen. Es wird von städtischen und staatlichen Stellen, der Bundesregierung oder Nichtregierungsorganisationen bereitgestellt. Das größte davon ist ein nationales Programm, das als Medicare bekannt ist. Es ist für Menschen über 65 Jahren frei. Das zweitgrößte ist ebenfalls ein nationales Programm, das Medicaid genannt wird. Es wird von den Staaten bereitgestellt. Außerdem ist es Krankenhäusern untersagt, jemanden abzuweisen, der ein ernsthaftes gesundheitliches Problem hat.

Zusätzlich hat die Mehrheit der Arbeitnehmer seit Jahren eine Krankenversicherung über ihre Arbeitgeber; Unternehmen, die Industrie, Nichtregierungsorganisationen und staatliches Stellen haben das für die Angestellten zur Verfügung gestellt, ohne dass es die etwas kostet.

FreieWelt.net: Welches Problem haben Sie also mit »Obamacare«?

Phil Zeni: Wer über eine freie Gesundheitsversorgung für alle spricht, erweckt den Eindruck, als handele es sich um ein glanzvolles Stück Utopie. Allerdings muss das, an vorderster Stelle, jemand bezahlen – und dabei bitteschön bedenken, dass die Regierung dir nichts geben kann, das sie nicht vorher einem anderen genommen hat. Das heißt, dass das, was für viele Menschen der »kostenlose« Teil ist, eine ganze Menge kostet. Bedenken Sie folgende Zahlen: In den USA leben ungefähr 311 Millionen Menschen, von denen 650.000 Ärzte sind. Diese Ärzte sind nicht alle gleich. Manche sehen niemals einen Patienten. Manche sind Forscher, manche arbeiten für die Regierung, wiederum andere sind hochspezialisiert und werden niemals wie niedergelassene Ärzte arbeiten. Es gibt vier Ärztegruppen, die als Verteiler für fachmedizinische Leistungen dienen: praktische Ärzte, Kinderärzte, Gynäkologen und Geburtshelfer und Internisten. Nur 209.000 arbeiten als Ärzte, die sich direkt um Patienten kümmern. Regierungsstellen reichen immer wieder eine Zahl von 30 Millionen nicht versicherten Menschen ohne Krankenversicherung herum, aber das ist reiner Unsinn.

Viele Amerikaner glauben, dass Obamacare lediglich eine weitere Maßnahme einer machtvollen Regierung ist, die weitere fatale Maßnahmen zur Folge haben wird, einer Regierung, die mit ihrer Polizei in der Lage ist, die Bürger dazu zu zwingen, Dinge zu kaufen, die sie nicht haben wollen, und für andere zu bezahlen, die sich niemals darum gekümmert haben, eine Krankenversicherung zu bekommen.

Deutschen wird man das vermutlich ebensowenig begreiflich machen wie Amerikanern ein Deutschland, auf dessen Autobahnen keine Höchstgeschwindigkeit gilt, obwohl das gefährlich ist und die Umwelt schädigt.

FreieWelt.net: Mit welcher Begründung stellen die Republikaner eine Verbindung zwischen Schuldenobergrenze und Gesundheitsreform her?

Phil Zeni: Der Grund für das von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus, eine Verbindung zwischen Obamacare und der Schuldenobergrenze herzustellen, ist der Versuch, Verhandlungen zu erzwingen. Die schnelle Antwort Obamas, seiner Lakaien und der Demokraten ist, dass Obamacare bereits Gesetz ist. Bedenken Sie bitte, dass der vielgepriesene Volstead-Act ebenfalls als Gesetz konzipiert war, um den 18. Zusatz in die US-Verfassung zu integrieren, was – 14 Jahre später – vom 21. Zusatz aufgehoben wurde. Der Volstead-Act war das Gesetz, das der amerikanischen Öffentlichkeit aufgezwungen wurde, um die Gesundheit zu verbessern und die moralische Verkommenheit zu reduzieren: Es war das Gesetz, das die Produktion, den Transport und den Verkauf von alkoholischen Getränken verbot. Dies waren die Folgen:

»Als Folge der Annahme des des 18. Verfassungszusatzes führte die Prohibition de facto zu einer Nachfrage der Öffentlichkeit nach illegalem Alkohol, die aus Produzenten und Händlern Kriminelle machte. Die Strafjustiz war überfordert, obwohl Polizeikräfte und Gerichte in den Jahren zuvor ausgebaut worden waren. Die Gefängnisse waren überfüllt und die Gerichte kamen mit dem rasanten Anstieg der Kriminalität nicht mehr mit. Das Organisierte Verbrechen expandierte, um das lukrative Geschäft zu übernehmen, außerdem war die Korruption unter denen weit verbreitet, die damit beauftragt waren, unpopuläre Gesetze durchzusetzen.« (Heath, Dwight B. »Prohibition, repeal, and historical cycles«, DATA: The Brown University Digest of Addiction Theory & Application 28.3 (2009): 8. Academic Search Premier. EBSCO. Web. February 26, 2011.)

Da ein hoher Prozentsatz der Amerikaner gegen Obamacare sind, ist der Boden bereitet für ein weiteres Fiasko des Bundes, das mit nicht durchsetzbaren Gesetzen zusammenhängt und eine Generation von Kriminellen hervorbringt, bevor man wieder korrigierend eingreift.

Obama und seine Partei im Senat können die Aufrufe der Republikaner zur Änderung oder Aufhebung von Obamacare ignorieren. Es ist allerdings nicht möglich, die sehr realen Probleme zu ignorieren, die während Obamas letztem Jahr im Amt entstehen können, wenn die Schuldenobergrenze nicht angehoben wird. Er kann versuchen, die ganze Schuld bei anderen abzuladen, wie er das immer macht, aber wenn der Zahlungsausfall eintritt und anschließend die Finanzmärkte in eine Krise größeren Ausmaßes geraten, wird das ihm zuzuschreiben sein. Ihm wird man mit Sicherheit einen Großteil der Schuld geben.

Der Kongress hat dieses Gesetz ohne die Stimmen der Republikaner durchgepeitscht. Es ist eine kraftvolle Erinnerung daran, dass der Kongress Gesetze verabschiedet und auch wieder aufheben kann.

FreieWelt.net: Auch unter republikanischen Präsidenten wurde die Schuldenobergrenze mehrfach verschoben. Warum sollte das jetzt nicht auch möglich sein?

Phil Zeni: Man kann den Hinweis, den Ihnen Investmentberater geben müssen – »Die bisherige Entwicklung ist keine Garantie für die zukünftige Entwicklung«, das heißt, dass es dieses Mal anders ist als bei vorangegangenen Gelegenheiten –, auch umformulieren. Die eingebunkerten, völlig festgefahrenen Positionen auf beiden Seiten sind, wie manche behauptet haben, genauso erbittert wie in der Zeit vor dem Bürgerkrieg in den 1860-er Jahren. Und möglicherweise nimmt die ganze Angelegenheit ein böses Ende, wenn nicht der Kongress nach dem Zensus von 2020 eine neue Aufteilung vornimmt.

Für viele Amerikaner sind die gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Änderungen des späten 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts zerstörerisch gewesen und sind zu schnell gekommen. Für andere haben diese Veränderungen Vorteile gebracht, und ihnen konnte es gar nicht schnell genug gehen. In gewisser Hinsicht ist es Zeit, um um die amerikanische Seele zu kämpfen.

FreieWelt.net: Wie müsste die Gesundheitsreform verändert werden, damit sie die Zustimmung der Republikaner erhält?

Phil Zeni: Es gibt vermutlich ebenso viele Theorien und wünschenswerte Alternativen wie es republikanische Kongressmitglieder gibt. Außerdem kann das, über das man sich heute einig ist, morgen schon wieder vorbei sein. Wenn es Änderungen gibt, werden die nicht im luftleeren Raum stattfinden, deshalb werden ausgleichende Maßnahmen ihre Wirkung entfalten. Es ist unmöglich, darüber mit Gewissheit zu spekulieren.

Wenn allerdings das umstrittene Gesetz weiterhin mit der unglücklichen, fadenscheinigen Logik à la »es ist das Gesetz und deshalb kann nichts geändert werden« gerechtfertigt wird, werden die Bundesregierung und das amerikanische Volk vor einem langen Kampf stehen.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Interview.

Sie können das Interview auch im englischen Original lesen.

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