Thomas Dahnert und Siegmar Faust DDR-Bürgerrechtler

"Von oben" verordneter EU-Unionsstaat birgt totalitäre Tendenzen

Im Interview mit FreieWelt.net berichten die Bürgerrechtler Thomas Dahnert und Siegmar Faust über ihre Erfahrungen mit dem totalitären DDR-Staatssystem und wie sie die heutigen Entwicklungen auf EU-Ebene beurteilen. Thomas Dahnert leitet die Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus / Stalinismus in Berlin. Der ehemalige politische Häftling der DDR Sigmar Faust war von 1996 bis 2001 sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen.

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FreieWelt.net: Herr Dahnert, Sie sind Leiter der Gedenkbibliothek Opfer des Stalinismus. Die Bibliothek hat eine bewegte Geschichte? 

Dahnert: Das kann man so sagen. Letztes Jahr im November hat sie ihren zwanzigsten Geburtstag gefeiert. Ursula Popiolek, die Gründerin der Bibliothek, hatte zwanzig Jahre zuvor, in der Umbruchszeit von 1989, die Idee, eine Sammlung der bis dahin in der DDR verbotenen Bücher anzulegen, um sie einer wissbegierigen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein maßgeblicher  Unterstützer war der berühmte Historiker Wolfgang Leonhard. Gerade die neunziger Jahre waren schwierig. Es gab Bürgerrechtler „der letzten fünf Minuten“, die erst kurz vor dem Zusammenbruch der DDR, als die Montagsdemonstrationen schon im Gange waren, oppositionell wurden. Man bekam den Eindruck für diese Gruppe hätte die kommunistische Verfolgung nicht 1917, sondern erst in den 1980er Jahren begonnen. Außerdem gab es Konflikte mit linken Gruppen. Das ging so weit, dass es im Januar und Februar 1995 zu Brandanschlägen auf die Wohnhäuser der Gründerin sowie  Siegmar Faust, einem engen Mitarbeiter der Bibliothek, kam. Glücklicherweise geht es seit der Jahrtausendwende ruhiger zu.

FreieWelt.net: Wie sind Sie in der DDR zum Oppositionellen geworden. Gab es ein Schlüsselereignis?

Dahnert: Hier lasse ich lieber Herrn Faust antworten. Er hat die interessantere Geschichte. Ich bin ja „nur“ geflüchtet.

Faust: Ein Schlüsselereignis gab es nicht, es war eher ein schleichender Prozess. Meine Eltern haben mit mir nie über Politik gesprochen. Aus Vorsicht. Ich wurde in der Schule geprägt und der Marxismus spielte in jedem Unterrichtsfach eine Rolle. Natürlich habe ich an ihn geglaubt. Wer möchte nicht eine Welt, in der kein Mensch den anderen ausbeutet und alle zusammen arbeiten, um ein Paradies für alle zu schaffen.           

1961 ließ Chruschtschow seinen „Programmentwurf zum Aufbau des Kommunismus“ veröffentlichen. Ein Plan nach dem die Sowjetunion in den nächsten 20 Jahren den Westen abgehängt und das „Paradies auf Erden“ errichtet hätte. Das „Neue Deutschland“ titelte damals wörtlich: „Kommunismus bringt der Welt Frieden, Arbeit, Freiheit, Gleichheit und Glück“. Als ich meiner Mutter davon erzählte und sie mir sagte, ich solle diesen Unsinn nicht glauben, schämte ich mich so reaktionäre Eltern zu haben. Also bin ich von Zuhause ausgezogen und freiwillig ins Internat gegangen.

FreieWelt.net: Also waren Sie damals ein „glühender“ Marxist, doch das hat sich irgendwann geändert?

Faust: Es hat lange gedauert. Man hat mich zweimal exmatrikuliert und zweimal Inhaftiert, seelisch und körperlich misshandelt, bevor ich mit meiner alten Religion, dem „Marxismus-Leninismus“, brechen konnte. Als ich das erste Mal  exmatrikuliert wurde, sagte ich mir: der Kommunismus wird gerade erst aufgebaut und es kommen eben Fehler vor. Danach ging ich in die Produktion, um mich zu „bewähren“. Schließlich wurde ich auf dem besten Literaturinstitut der DDR in Leipzig zum Studium zugelassen.  Dort kamen zwei Studenten auf einen Dozenten und das Stipendium betrug 610 Mark. So viel wie ein gutbezahlter Facharbeiter damals verdiente. Die Leipziger Universitätsbibliothek war für einen literaturinteressierten Menschen ein Paradies. Wir durften verbotene westliche Autoren, wie z.B. Günter Grass und James Joyce, lesen.                         

Ich organisierte dort einen Literaturzirkel, der als staatsfeindlich angesehen wurden. Wir waren aber Sozialisten, die sich lediglich eine bessere DDR wünschten. In dieser Zeit versuchte mich die Stasi anzuheuern. Als ich mich weigerte wurde durch die Stasi ein  OV (Operativer Vorgang) gegen mich eingeleitet, der zu meiner ersten Verhaftung führte. Auch da stand ich noch hinter dem Staat DDR. Später versuchte ich im Westen zu veröffentlichen und wurde ein zweites Mal verhaftet. Es war dann vor allem die Böswilligkeit meiner Vernehmer, die mich ungerecht behandelten und mir jedes Wort im Mund herumdrehten,  die mich erstmals ernsthaft an der „guten DDR“ zweifeln ließ.

FreieWelt.net: Schließlich konnten Sie die DDR verlassen und in den Westen gehen. Wie waren dann Ihre Erfahrungen?

Faust: Was mich zuallererst geschockt hat war, wie unreflektiert die westliche Linke mit den kommunistischen Diktaturen umging. In der Mensa der Universität der Künste in Berlin hingen nicht nur Marx-, Engels- und Lenin-, sondern auch  Stalinposter. Auch Mao und Pol Pot wurden teilweise verehrt.                     

Damals hatte ich schon mit dem Marxismus abgeschlossen, war aber immer noch ein Linker. Links bedeutete progressiv und Rechts reaktionär. Eine Einordnung die leider bis heute Bestand hat. Ich war also immer noch links, aber offen genug mit der Gegenseite zu reden. Und als ich dann Menschen von der „anderen Seite“ begegnete, lösten sich die alten Feindbilder allmählich auf. 

FreieWelt.net: Lassen Sie uns nun über aktuelle Themen sprechen. Wie beurteilen Sie, als jemand der ein totalitäres System aus verschiedensten Perspektiven kennengelernt hat, Dinge wie die Vorratsdatenspeicherung und Internetzensur?

Faust: Über die Vorratsdatenspeicherung mache ich mir wenig Gedanken. Da werden derart viele Datenmengen angehäuft, dass es unmöglich ist sie auszuwerten. Die Stasi hat über hundert Kilometer Aktenschränke voller Dokumente über die eigene Bevölkerung angesammelt. Von diesen Daten konnte sie  nur einen Bruchteil  verwenden.                                               

Was das Internet angeht, glaube ich, dass zum Glück kein Staat in der Lage ist, es wirksam zu zensieren.

FreieWelt.net: Wie beurteilen Sie die Arbeit der Kanzlerin?

Dahnert: Ich bin kein Freund der Kanzlerin. Ihr, um es freundlich zu sagen, Pragmatismus ist mir zuwider. Es ist nicht mehr möglich zu sagen wofür die CDU steht. Wenn sie sich neuerdings für Mindestlohn und AKW-Ausstieg einsetzt, kann der  Wähler  sie nicht mehr unterscheiden, z.B. von der SPD oder den Grünen.

Faust: Da muss ich widersprechen. Angela Merkel ist Naturwissenschaftlerin und betreibt Politik relativ frei von Ideologien. Was Herr Dahnert an ihr vielleicht profillos findet, halte ich für einen Vorteil. Regieren heißt Entscheidungen treffen, die unvorhersehbare Konsequenzen haben. Das lässt sich in einer so  komplexen Welt wie der unseren nicht vermeiden. Da hilft es nicht die Gedanken in ein starres Korsett zu zwängen.  

FreieWelt.net: Aber man braucht doch Grundsätze?

Faust: Die christliche Ethik ist ein guter Leitfaden. 

FreieWelt.net: Wie ist Ihre Meinung zur EU?

Faust: Die EU ist ein Experiment. Ich bin durchaus für ein geeintes Europa, aber in dem Sinne wie es Adenauer vorschwebte. Ein Europa der Nationalstaaten. Derzeit entwickelt es sich eher zu einem „von oben“ verordneten Unionsstaat und birgt durchaus totalitäre Tendenzen.

FreieWelt.net:Wie kann man dieser Gefahr begegnen?

Faust: Das beste Mittel gegen totalitäre Systeme sind selbständig denkende Menschen, die vehement für ihre Meinung eintreten. Ich denke dabei an Persönlichkeiten wie der heutige Hans Olaf Henkel oder, mit Einschränkungen, Helmut Schmidt.  Besonders interessant finde ich Dissidenten, die eine Sache, der sie anhingen, als falsch erkannten und danach handeln. Diese werden oft als besonders gefährlich empfunden, da sie beide Seiten kennen und sich in die Gedankenwelt ihrer Gegner hineinversetzen können.

Dahnert: Vehemenz ist natürlich nicht alles. Hans-Christian Ströbele ist z.B. jemand der sehr oft gegen den Fraktionszwang seiner Partei abstimmt. Er ist sich treu. Meiner Meinung nach, aber in erster Linie treu in seinem Wahn.

FreieWelt.net: Was sind andere Schwächen der EU?

Dahnert: Je größer ein System ist, desto geringer ist die persönliche Verantwortung der Regierenden. Das Europäische Parlament ist für einige EU-Abgeordnete zu einer Art Selbstbedienungsladen verkommen. Wenn z.B. Politiker sich bevor sie nach Hause fahren noch schnell beim Parlament anmelden, um die Vergütung für den Tag zu kassieren.

Faust: Ich glaube man kann das Problem ganz gut am Beispiel eines Aktienkonzerns veranschaulichen. Früher gehörten die meisten Unternehmen einer Familie oder einem einzelnen Unternehmer. Heute haben die Unternehmen oft tausende Besitzer, von denen sich keiner verantwortlich fühlt. Sie interessieren sich nur für die nächste Gewinnausschüttung und dementsprechend handeln die Manager. Man kann fast von einer Art Wirtschaftsozialismus sprechen. Im Sozialismus war die „kollektive Verantwortungslosigkeit“ ebenfalls eines der größten Probleme. 

FreieWelt.net: Was fällt Ihnen zur „political correctness“ ein?

Faust: Der Begriff stammt aus den USA und hat dort eine andere Bedeutung. In Deutschland ist die PC vor allem von den Achtundsechzigern bestimmt und ist ein Mittel politische Gegner mundtot zu machen. 

Dahnert: Es werden aber auch immer wieder Denkverbote durchbrochen. Vor einigen Monaten stellte man sich ins Abseits, sprach man von einer Pleite Griechenlands und einem möglichen Ausschluss. Heute ist dies kein Problem mehr. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Infos erhalten Sier hier: gedenkbibliothek.de

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Jonny Update

Das beste Mittel gegen totalitäre Systeme sind selbständig denkende Menschen, die vehement für ihre Meinung eintreten.....
.... um dann tot geschlagen werden.

Besonders interessant finde ich Dissidenten,
die eine Sache, der sie anhingen, als falsch
erkannten und danach handeln.

Diese werden oft als besonders gefährlich
empfunden, da sie beide Seiten kennen und
sich in die Gedankenwelt ihrer Gegner hineinversetzen können....

.... und somit zu liquidieren sind.

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