Volker Seitz Diplomat

Volker Seitz: "Ständige Almosen ersticken jede Initiative"

Volker Seitz war unter anderem ständiger Vertreter des Botschafters in Niger sowie Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Benin und in Kamerun.  17 Jahre hat der Diplomat und Autor des Buches "Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann" auf dem afrikanischen Kontinent gelebt.  Heute tritt er für eine umfassende Reform der Entwicklungshilfe ein.  FreieWelt.net sprach mit Volker Seitz über Almosen, Wachstumspotenziale und die Arbeit von NGOs.

Veröffentlicht:
von

FreieWelt.net: Der Begriff „Entwicklungshilfe“ enthält die Begriffe „Entwicklung“ und „Hilfe“.  Wie zutreffend sind diese Wörter für das, was sie beschreiben?

Volker Seitz: Als Schwarzafrika noch nicht Afrika südlich der Sahara hieß und Empfängerländer nicht politisch korrekt als Partnerländer bezeichnet wurden, sprach man von Entwicklungshilfe statt von Entwicklungspartnerschaft. Kein anderes Schlagwort der Entwicklungshelfer - und es gibt deren viele- geht so weit an der Realität vorbei wie die Partnerschaft. Seit 50 Jahren kämpfen Berufsentwicklungshelfer aus dem Norden für ein hehres Ziel: Sie wollen den Afrikanern in Partnerschaft helfen, sich selbst zu helfen. Aber die Helfer haben sich zuviel Zuständigkeit für die Lösung afrikanischer Probleme angemaßt. Das erzieht die Menschen zur Untüchtigkeit. Wenn Hilfe gut funktioniert, macht sie sich selbst überflüssig. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, aber für alle , die von den guten Taten leben, ist das keine uneingeschränkt gute Botschaft.

FreieWelt.net: Sollten wir uns überhaupt in afrikanische Politik einmischen?  Wäre es nicht klüger darauf zu vertrauen, dass dieser ressourcenreiche Kontinent sein Potenzial schon nutzen und Handel treiben wird, wenn er keine Almosen mehr erhält?

Volker Seitz: Ja. Es darf uns nicht gleichgültig sein, dass  die korrupten alten Männer weiterhin ihre Länder ruinieren. Tausende von jungen Afrikanerinnen und Afrikaner machen sich deshalb auf den Weg zu uns. Für die Regierungen ist die Flucht kein Alarmzeichen, sondern willkommen, da die Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit nach Europa exportiert werden können. Die Eliten müssen sich zur Verantwortung für die Entwicklung der ihnen anvertrauten Länder durchringen. Alle noch so gut gemeinten Entwicklungsanstrengungen der zahlreichen Geber werden heute von der Ausplünderungsmentalität des korrupten Teils der politischen und administrativen Oberschicht überlagert und zunichte gemacht.

427.900 Dollar Jahresgehalt

Es gibt eine Reihe von afrikanischen Staatschefs, die in einer Woche das Jahresgehalt der Bundeskanzlerin ausgeben. Der Präsident von Kenia Mwai Kibaki erwartet Entwicklungshilfe und genehmigt sich gleichzeitig ein Jahresgehalt von 427 900 Dollar.(Zum Vergleich: Barack Obama verdient 400 000 Dollar)  US Präsident Obama hat bei seinem Besuch in Ghana 2009 das afrikanische Grundübel angeprangert: Das Potential Afrikas könne sich nicht entfalten , wenn afrikanische Eliten nicht begriffen, dass Korruption, schlechtes Regieren und fehlende demokratische Strukturen die Entwicklung des Kontinents gefährden.

Das amerikanische Außenministerium wurde dieses Jahr noch deutlicher.  Besonders korrupte Minister, Abgeordnete und Beamte erhalten keine Visa mehr für die USA. Weil dies die ignoranten Eliten noch mehr als Obamas Rede trifft sollten wir uns bei der Visavergabe an den USA orientieren.

FreieWelt.net: In Zukunft wird man vor allem von „internationaler Zusammenarbeit“ sprechen.  Vorher hat man versucht, den Begriff „Entwicklungshilfe“ durch „Entwicklungszusammenarbeit“ zu ersetzen.  Wird sich wirklich etwas ändern oder versucht man nur, mit schönen, neuen Vokabeln alte Missstände zu verschleiern?

Volker Seitz: Internationale Zusammenarbeit ist in diesem Zusammenhang geschönter Unsinn. Die ständige Verfügbarkeit von Almosen erstickt jede Initiative. Auf keinen Kontinent ist die wirtschaftliche  Entwicklung so nötig wie in Afrika. Afrika hat Wachstumspotentiale die von den meisten Regierenden nicht oder nicht ausreichend genutzt werden. Es fehlen oft ein vorteilhaftes Investitionsklima, Infrastruktur, Investitionen in Humankapital und eine verlässliche Wirtschaftspolitik. Es ist schwer -wegen der fehlenden Rechtssicherheit und der dadurch aufgebauten Hindernisse- im Ausland ausgebildete Manager und geschultes Personal ins Land zurückzuholen. Die Afrikanische Diaspora zählt etwa 100 Millionen Menschen. Sie sind eine Quelle von Wissen  und Talent. Die Rückkehr der Diaspora könnte neue Ideen und Kapital für den Start neuer Unternehmen bringen. Sie hätten das Expertenwissen und Geschäftsmodelle aus der industrialisierten Welt.

FreieWelt.net: Welche Rolle spielen die mittlerweile sehr zahlreichen NGOs, die – sicher oft mit den besten Absichten – als Entwicklungshelfer in Afrika tätig sind, als Teil des Problems?

Volker Seitz: Es existieren zahlreiche nationale und internationale NGOs ohne die geringste demokratische Legitimation und es entstehen jeden Tag ein paar neue. Viele dieser NGOs arbeiten auch mit Steuergeldern und deshalb sollten wir uns für sie interessieren. Nicht alle arbeiten so nachhaltig und mit Verwaltungskosten unter 5 % wie das SOS Kinderdorf, die Flying Doctors oder die Grünhelme.

8000 neue Geländewagen

Für andere wird das Elend der Bevölkerung systematisch als Ressource genutzt. Wie anders ist zu erklären, dass in Haiti derzeit 936 NGOs tätig sind und etwa 8000 neue Geländewagen  mit dem Logo der jeweiligen NGO durchs Land fahren. Die Hilfsbranche floriert. In Haiti wird Nothilfe geleistet, aber schon vor dem Erdbeben gab es Hunger und Armut und Regierungen deren einziges Ziel schien den Erhalt der Macht zu organisieren.

FreieWelt.net: Wie stehen nach Ihren Erfahrungen die Afrikaner selbst zur Entwicklungshilfe?

Volker Seitz:
Immer mehr Afrikaner kritisieren unsere Entwicklungshilfe . Dambisa Moyo aus Sambia spricht für viele, wenn sie sagt: “Einer der bedrückensten Aspekte des ganzen Hilfsfiaskos ist, dass Geber, Politiker, Regierungen, Akademiker, Wirtschaftswissenschaftler und Entwicklungsexperten im tiefsten Herzen wissen, dass Entwicklungshilfe nicht funktioniert, nicht funktioniert hat und nicht funktionieren wird”

“Es gibt viele Leute , die versuchen, den Status quo in Afrika beizubehalten, da sie sonst ihre Daseinsberechtigung verlieren” oder der Andrew Mwenda (Publizist aus Uganda):” Wir Afrikaner sollten wissen, dass es in unserem eigenen Interesse ist, eine unabhängige Justiz zu haben, ein Parlament, das die Regierung kontrolliert, ein gerechtes Steuersystem, eine Regierung, die vom Volk zur Rechenschaft gezogen werden kann”.

"Welche Rolle spielen schon Meinungen von Afrikanern?"

Für mich sind solche Aussagen von Afrikanern entscheidend, weil sie die Wirklichkeit ihres Kontinents besser beschreiben als westliche Experten mit grandiosen Thesen und angestrengter Sprache können. Nicht nur weil sie sich mit meinen Beobachtungen decken, sondern weil es Afrikaner sind, die sich gegen die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe wenden. Sie haben erkannt, dass es  in 50 Jahren nicht gelungen ist, eine afrikanische Eigendynamik zu wecken und zu stärken. Aber welche Rolle spielen schon Meinungen von Afrikanern, wenn Weiße beschließen, ihnen zu “helfen”?

FreieWelt.net: Wie bewerten Sie das Engagement Chinas auf dem afrikanischen Kontinent?

Volker Seitz: Es kommt sehr auf das Land an. Sudan und Simbabwe hebeln bekanntlich mit Hilfe Chinas die westlichen Sanktionen aus. Aber auch Botswana ist einer der engsten Partner Chinas in Afrika und dort ist mir kein Konflikt mit europäischen Interessen bekannt. In vielen Fällen stellen sich chinesische Investitionen durchaus als entwicklungssfördernd heraus. China ist meines Erachtens kaum an einer Vormachtstellung wie Frankreich mit” FranceAfrique” interessiert. Das wäre viel zu aufwendig und den pragmatischen Wirtschaftsinteressen auch gar nicht förderlich. Derzeit kalkuliert Peking sein Engagement in Afrika sehr genau. Was sich nicht rechnet, das wird gar nicht erst unternommen.

FreieWelt.net: Was für eine Zukunft wünschen Sie Afrika?

Volker Seitz: Ich wünsche mir für Afrika, dass  integre Politiker erkennen, dass wir für ihre Probleme die falsche Adresse sind, dass sie diese selbst lösen müssen. Wenn Eigenverantwortung im Vordergrund steht dann kann Hilfe von außen zum Zuge kommen, und zwar nur unbedingt nötige Hilfe und nur so lange wie unbedingt nötig Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass wirkliche Entwicklung nur autogene Entwicklung sein kann, also nur solche , die aus eigenem Antrieb und aus eigener Kraft erzeugt wird. Um diese Tatsache zu begreifen braucht man keine Berater aus dem Norden.

"Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann" bei Amazon

Das Interview führte Fabian Heinzel

(Foto: Volker Seitz)

 

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: The Duke

Sind wir doch ehrlich; Wir kaufen doch gerne im Ausland ein, weil es sehr oft wesentlich billiger ist - durch den Umtauschkurs der Währung.
Doch wer hat diese Staaten in Afrika so arm gemacht ? Die Deutschen ? Nein!
Es sind unsere neuen Freunde gewesen und die Gier der Monarchen von Spanien- Portugal- Frankreich-England
Holland , die mit Ihren Schiffen und Soldaten die Welt eroberten und ausraubten - sehr nachhaltig.
Die sogenannten christlichen Staaten waren sehr "gierig" und haben nur verbrannte Erde hinterlassen.

Es für mich ganz normal, daß z.B. England/Frankreich/Spanien/Portugal/Italien an die ehemaligen Kolonien
große Zuwednungen machen müssen.
Nicht an die Staatsmänner - sondern
an das Volk - an die Familien in den
Elendsvierteln z.B. in Indien, Afrika.
In Afrika sind auch die arabischen Staaten gefragt um Vergangenheits Gurmachung. Das Problem der Sklaverei wurde von diesen Menschen skruppellos durchgeführt. Die Religion wurde dabei
vergessen. Am Sonntag ging man in die welche auch immer christl, Kirche und am Freitag in welche auch immer arab. Mosche.

Gravatar: Volker Seitz

Ich stimme Herrn Karpiniec zu wenn er schreibt, dass wir Beteiligungen brauchen.
Ja wir sollten helfen wenn nötig, d.h. aber nur wenn Eigeninitiativen an ihre Grenzen kommen. Wir sollten mit dem Privatsektor mehr als bisher kooperieren, etwa Fraueninitiativen unterstützen, die einen Radiosender oder Schulen betreiben wollen.Oder Risikokapital bereitstellen für den Aufbau von Fabriken. Aber weg von dem "Bemutterungsnetzwerk" wie es der Koordinator des Bonner Aufrufs Kurt Gerhardt nennt.Dort wo es den politischen Willen gibt demokratische Rahmenbedingungen zu schaffen sollten wir dies auch unterstützen.Dort wo die Anforderungen an eine gute Regierungsführung verstanden wurden sind auch Ansätze eines eines Wirtschaftswachstums festzustellen.
Die NEPAD Initiative beschreibt die Soziologin Marie-Angélique Savané als eine Art Spiel: "Die Staatschefs wollen den Geberländern gefallen, ohne selbst allzu sehr daran zu glauben."
Wenn Herr Karpiniec glaubt, dass ich an den Hebeln der EZ gesessen habe, muß ich ihn leider enttäuschen. Ich habe in meinen Berichten die exisstenten Probleme und Fehlentwicklungen weder verschwiegen noch beeschönigt. Es gab im BMZ nur niemanden der dies lesen oder hören wollte. Bis zum Regierungswechsel war es nicht üblich, dass Botschafter zum Vortrag bei der BMZ Ministerin waren, insbesondere dann nicht, wenn sie in ihren Berichten Zweifel äußerten, dass die Entwicklungshilfe in dieser Form die Problemee Afrikas lösen könne.(Ich hoffe, dass dies in Österreich anders ist). Das konstruierte Bild vom hilfsbedürftigeen Afrika ist ein Produkt des politischen Lobbyismus "für Afrika". Erst der anfangs so heftig gescholtene Minister Niebel ist bereit zuzuhören und ist auch für unbequeme Meinungen offen.Von ihm erhoffe ich mir eine Entscheidung für ein Controlling Gremium nach Art des Rechnungshofes, das nicht nur Zahlen sondern auch eine Wirksamkeitskontrolle der EZ durchführen kann.

Gravatar: Gerhard Karpiniec

Ergänzung und Kritik zu Volker Seitz.

Im Großen und Ganzen muss man Herrn Seitz recht geben, man sollte aber sehr viel mehr hinterfragen und in welchen Zusammenhang er die Worte wählt. Herr Seitz gehört ja zur Kaste welche seit fünf Jahrzehnten die Rahmenbedingungen für den derzeitigen Zustand geschaffen hat und mit diplomatischer Feinheit, Worte und Begriffe in eine Richtung gebracht hat welche den derzeitigen Zustand ergibt.
Wenn ich als Handwerksmeister meinem Lehrling „helfe“ so ist dies im Sinn einer guten Ausbildung um einen guten Facharbeiter zu haben, der ein Partner ist und der vielleicht übermorgen sogar ein Mitbewerber sein kann. Wir erbringen aber dauernd eine Wirtschaftsleistung, bilden uns weiter, zahlen Steuern und erwerben sich dadurch Einfluss auf die Politik. Dies ist auch eine Grundschule für Eigenverantwortung.

Im System der entstandenen Entwicklungshilfe, -zusammenarbeit, -partnerschaft, gleich wie man es nennt sind sichtbare fehler entstanden. Es ist richtig und gut diese Fehler auf zu zeigen. Was jetzt fehlt sind funktionierende Arbeitsweisen, die Fehler auszugleichen und mit einer optimierten Arbeit weiter zu fahren.

Wo ist der Zusammenschluss der berechtigten Kritiker. Bücher und Artikel schreiben ist eine Sache. Funktionierende Systeme auf zu bauen die Andere.

Herr Seitz, saß an den Hebeln – auch wenn sie klein waren - welche den Jetztzustand geschaffen haben. Vielleicht bedient er sich der noch vorhandenen Hebel um ein Zurechtrücken zu beginnen.

Die manuell arbeitenden Gruppen in den „EZA“ Ländern sind nicht an Beratern interessiert - stimmt, sehr wohl an einer Zusammenarbeit mit seriösen Partnern, dort gibt auch noch Erträge. Wir brauchen keine Spenden sondern Beteiligungen.

Dies aus 45 Jahren Erfahrung im EZA Bereich-Afrika.


Gerhard Karpiniec
Laxenburg/Österreich

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang