Dr. Detmar Doering Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Traktat über Freiheit - Interview mit Dr. Detmar Doering

Dr. Detmar Doering ist Leiter des Liberalen Instituts der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit. Der studierte Philosoph und Historiker lebt in Berlin und arbeitet vorwiegend zu den Grundlagen und der Geschichte des Liberalismus,  über Föderalismus und marktwirtschaftliche Ordnung.

FreieWelt.Net sprach mit Dr. Detmar Doering über sein neuestes Buch "Traktat über Freiheit".

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FreieWelt.Net: Ihr Buch "Traktat über Freiheit" erscheint in einer Zeit, in der die Freiheit, besonders die wirtschachtliche Freiheit, sehr stark unter Beschuss steht, was kann ein Buch in solchen Zeiten bewirken?

Detmar Doering: Die Freiheit mag unter Beschuss sein, aber sie ist gewiss nicht tödlich getroffen. Die Menschen wissen eben auch, dass Unfreiheit keine Lösung ist. Sie sind eher verunsichert. Ich denke, die am weitesten verbreitete Denkweise ist immer noch die eines Pragmatismus, der ein "Sowohl-als-auch" zwischen Freiheit und staatlicher Sicherheit will. Darin liegt die Gefahr - nicht etwa in einer Fundamentalgegnerschaft zur Freiheit, die wohl meist eher eine Minderheit hegt. Freiheit stirbt scheibchenweise. Gerade deshalb ist eine präzise Vorstellung von Freiheit wichtig, die ein taugliches Ordnungsmodell aufzeigt. Genau das habe ich mit dem Buch versucht. Ich hoffe, dass es eine genügend große Zahl von Menschen überzeugt, um so einen bescheidenen Beitrag zur Verteidigung individueller Freiheit leisten. Steter Tropfen höhlt den Stein, wieder Volksmund sagt. Und mit der Freiheit wird es irgendwann auch wieder aufwärts gehn, davon bin ich überzeugt.

FreieWelt.Net: Sie erklären die Konzeptionen der negativen und der positiven Freiheit. Was zeichnet beide Freiheitsbegriffe aus? Welcher Freiheitsbegriff verdient den Vorzug und warum?
 
Detmar Doering: Grob gesagt, bedeutet "negative Freiheit", die Abwesenheit von Zwang, ein Zustand, in dem niemand mich zum Mittel seiner Zwecke machen kann, in dem ich autonom bin - solange ich diese Freiheit bei anderen nicht verletze. Die meisten Verfechter der "positiven Freiheit" meinen hingegen, dass man auch die materiellen Voraussetzungen haben muss, seine selbsgewählten Ziele zu erreichen, um frei zu sein. Überspitzt formuliert: Ich darf also z.B. nicht nur ein Recht auf ungehindertes Autofahren haben, sondern es muss mir auch ein Auto zur Verfügung gestellt werden, wenn ich mir aus eigener Kraft keines anschaffen kann. Ab diesem Punkt entsteht ein Problem. Um meine "positive Freiheit" auszuleben, muss ich anderen Zwang antun, etwa durch Eingriffe ins Eigentumsrecht. Ohne jetzt die Frage aufzuwerfen, ob solche Eingriffe aus anderen Gründen als der Freiheit in Notlagen gerechtfertigt sein mögen, ist eines klar: "Positive Freiheit" ist eigentlich keine wirkliche Freiheit. Sie ist letztlich nur die Macht, auf Kosten anderer zu leben. Es fällt auch schwer, sich eine wirklich klare Grenze für die Ansprüche, die sich aus dieser Idee ergeben könnten, zu ziehen. Konsequent durchdacht könnte sie im Gegenteil dessen enden, was ihre meisten Verfechter wollen: Die vollkommene sozialistische Umverteilungsbürokratie - und keine Selbstverwirklichung.

FreieWelt.Net: Welche Rolle spielt für die Freiheit das private Eigentum. Wodurch ist Eigentum legitimiert?

Detmar Doering: Freiheit ohne Eigentum ist nur schwer vorstellbar. Freiheit gilt letztlich nur für etwas, über das man selbst exklusiv und ohne einschränkenden Zwang verfügen kann. Und das ist das Eigentum an der eigenen Person - die Grundlage der Selbstbestimmung - und das friedlich erworbene materielle Eigentum. Ohne das Recht auf Eigentum ist man immer denen ausgeliefert, die einen dann versorgen - ganz gleich, ob es ein fürsorgliches Kollektiv oder ein bevormundendner Staat ist. Das ist übrigens auch eine Grundsatzfrage für jede Demokratie. In einer Demokratie ist der Bürger immer der Wächter über die  Regierenden. Das kann er schlecht, wenn er vonen abhängig ist, die er kontrollieren soll. Dass es immer mehr Bundesländer -etwa Berlin - gibt, in denen die im weitesten Sinne staatsabhängigne Menschen bereits die Mehrheit der Bevölkerung bilden, ist in dieser Hinsicht besorgniserregend, weil es mit einer Erosion von Freiheit und einem Aufquellen des Staatsapparats bis zur Unbezahlbarkeit führen kann..
 
FreieWelt.Net: Das Menschenbild des Liberalismus wird oft mit der Vorstellung vom Homo Oeconomicus gleichgesetzt. Ist das eine zutreffende Gleichsetzung?

Detmar Doering: Der Homo Oeconomicus ist sicher in Grenzen ein sinnvolles Theoriemodell für Wirtschaftswissenschaftler. Die Begründung der Freiheit hängt davon aber nicht ab. Auch würde niemand die Existenz altruistischer Instinkte leugnen. Neben dem Markt kann sich Freiheit auch in anderen Formen der Gemeinschaftlichkeit ausleben. Das kann man sicher auch ökonomisch erklären, aber man läuft Gefahr, dass der Homo Oeconomicus zur inhaltsleeren Floskel wird.

FreieWelt.Net: Der Staat verfügt per Definition über ein Gewaltmonopol und schränkt die Freiheit des Einzelnen ein. Ist der Staat aus liberaler Sicht ein unvermeidliches Übel oder erfüllt er auch nützliche Funktionen?

Detmar Doering: Keine Frage: Ideal wäre es, wenn Anarchie herschte und auch funktionierte. Wenn alle menschlichen Beziehungen ohne Zwang von außen friedlich und zum Nutzen aller bestünden, dann wäre das natürlich das liberale Utopia. Vielleicht ist die Menschheit auch eines Tages mal soweit, dass das klappt. Vorerst scheint aber alle Erfahrung zu zeigen, dass anarchische Freiheit ein sehr instabiler Zustand ist, der die Institutionen zum Schutz der Freiheit nicht stark genug zu entwickeln in der Lage ist.
Das mag der Staat leisten, aber auch hier ist man seine Sorgen nicht los. Ein Staat, der schlechterdings ohne illegitime Freiheitsbeschränkungen auskommt, ist kaum denkbar und ist auch in der Geschichte nie vorgekommen. Auch wohlgesetzte Verfassungen können das Problem nur eindämmen, nicht lösen. Der von Karl Popper verwendete Begriff des "notwendigen Übels" ist somit angebracht. Die Aufgabe besteht in der Maximierung der freiheit und der Minimierung nicht gerechtfertigten Staatszwangs - was vorerst eine Daueraufgabe a la Sisyphos ist.

FreieWelt.Net: In der Demokratie entscheidet die Mehrheit der Stimmen über die Bildung der Regierung und die allgemeine Gesetzgebung. Wo findet das Mehrheitsprinzip seine Grenzen?

Detmar Doering: Im Prinzip gilt für den demokratischen Staat dasselbe, was für jeden anderen Staat gilt: Er sollte so beschränkt sein, dass er Freiheit und Selbstbestimmung der Bürger nicht übermässig einschränkt. Es gibt kein über den Rechten der Menschen stehendes Recht der Mehrheit. Demokratien sind erfahrungsgemäß freiheitsgeneigter als autokratische oder totalitäre Regime. Aber dafür ist die Gefahr der schleichenden Erosion von Freiheit hier besonders groß, weil das Mehrheitsprinzip den Zugang von Interessengruppen und die Formierung von Interessenkoalitionen begünstigt. Diese können dann in quantitativ hohem maße Freiheitsbeschränkungen durchsetzen, die ihnen nutzen.

FreieWelt.Net: Sie unterscheiden Moral erster und Moral zweiter Ordnung. Worin besteht der Unterschied?

Detmar Doering:
Die Moral erster Ordnung - der Begriff stammt übrigens von David Hume - umfasst das, was für eine freie Gesellschaft der notwendige Kern ist, d.h. die Sicherung von Freiheit, Selbstbestimmung und Eigentum des Bürgers. Aber das wäre wohl für sich genommen nicht hinreichend um in positiver Weise das Zusammenleben der Menschen zu gestalten. Es bilden sich also daneben andere Normen, die Moral zweiter Ordnung eben, die Traditionen, Konvention, Abmachung, Religion und vielem anderem geschuldet sind. Ein Liberaler wird immer sehr skeptisch sein, wenn diese staatlich erzwungen werden sollen. Sie sind in erster Linie eine private Angelegenheit. Problematisch ist es, wenn daher der Staat als Verhaltenserzieher auftritt - etwa bei der "politischen Korrektheit", Reim rauch- und Werbeverbot uand vielem anderen. Es ist auch gefährlich, wenn einzelne Gruppen - darunter viele religiöse Fanatiker - die Alleingültigkeit ihrer "moral zweiter Ordnung", die für sie dann wohl eine der ersten Ordnung ist, durchsetzen wollen - notfalls mit Gewalt.

FreieWelt.Net: Sie kritisieren in Ihrem Buch die Position des Anti-Ökonomismus. Wodurch sind diese Positionen gekennzeichnet und welchen Einfluss üben sie aus?

Detmar Doering: Ohne dem Ökonomismus in allen Lebensbereichen zu frönen, muss der Liberale mit Besorgnis sehen, wenn die abstrakten Regeln, die eine freiheitliche Wirtschaftsordnung definieren, einer romantisierenden Kritik unterzogen werden. Wer die Weltwirtschaft in den Dimensionen persönlicher Solidarität oder gar Liebe sieht, der weiß nicht, wie Menschen leben. Er zerstört die Regeln und das dezentrale Wissen, die Wohlstand garantieren. Zudem hat jeder Mensch und jede Kultur andere Vorstellungen darüber, was Solidarität und Liebe sind. Wer sie also wirklich durchsetzen will, ruiniert nicht nur den allgemeinen Wohlstand, sondern er muss Zwangsapparate ungeheuren Ausmaßes errichten. Er endet im Gegenteil dessen, was er wollte.

FreieWelt.Net: Welchen Einfluss kann und sollte Philosophie und Ethik auf die Tagespolitik haben? Wie weit dürfen Zugeständnisse an den politischen Sachzwang gehen?

Detmar Doering:Wenn damit gemeint ist, dass die Philosophie und die Ethik dem Staat helfen sollen, Moralvorschriften für alles und jeden zu erlassen, dann wäre das sicher verhängnisvoll. Philosophen dürfen sich auch nicht selbst überschätzen. Ob wir so etwas wie Ethikkommissionen in der Politik brauchen, sei dahingestellt. Das Ideal sollte doch sein, dass das Regieren in einer Welt stattfindet, in der geistige Freiheit und Meinungsfreiheit herrschen. Die Aufgabe des Philosophen ist es, der Politik einen Spiegel vorzuhalten.

Detmar Doering bei Freiheit.org


Sein Buch "Traktat über Freiheit" beim Olzog Verlag

Das Interview führte Gerard Bökenkamp

Foto:
Detmar Doering

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