Interview mit Rainer Klute

Pro-Kernkraft-Aktivist: »Wer will, dass man ihn lieb hat, sollte diesen Job nicht machen«

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Im Interview mit Freiewelt.net erklärt Rainer Klute, Mitinitiator des neu gegründeten Vereins Nuklearia e.V., warum er für Kernkraft streitet und was aus seiner Sicht bei der Engergiewende falsch läuft.

 

Freiewelt.net: Es gibt viele Vereine, die sich gegen die Kernkraft engagieren, aber ein Pro-Kernkraft-Verein ist ein ziemliches Novum. Was treibt Sie an?

Rainer Klute: Ich hatte ein wenig Kernphysik im Studium, aber erst das Unglück in Fukushima war Anlaß dazu, mich wieder näher mit Kernenergie zu befassen. Mein Sohn war gerade zu einem Auslandsstudium in Japan und lebte dort in der Nähe. Natürlich wollte ich wissen, was das Reaktorunglück für ihn bedeutete. Das, was ich über Kernenergie herausfand, begeisterte mich – und unterschied sich in allen Punkten von dem, was Antiatomaktivisten uns seit 30 Jahren einreden. Nach Fukushima fing ich an, per Twitter Informationen weiterzugeben und lernte dadurch Gleichgesinnte kennen. Mein Sohn ließ sich von der deutschen Atomhysterie übrigens nicht anstecken, sondern blieb in Japan.

Vieles, was man über Kernenergie zu wissen meint, ist schlicht falsch. Doch wenn Politik und Öffentlichkeit von falschen Voraussetzungen ausgehen, brauchen wir uns über falsche Ergebnissen nicht zu wundern. Die Energiewende zeigt das: Im Namen des Klimawandels versucht man, die stabile, CO2-arme Kernkraft durch die instabilen, CO2-armen Alternativen Sonne und Wind zu ersetzen. Da die aber nicht zuverlässig liefern, brauchen wir für eine stabile Stromversorgung weiterhin konventionelle Kraftwerke. »Dank« des Atomausstiegs bleiben Kernkraftwerke dabei außen vor. Gas und vor allem Kohle müssen ran. Da Kohle aber vor allem durch Luftverschmutzung laut WHO jedes Jahr weltweit eine Million Tote verursacht, ist das vielleicht doch keine so gute Idee. Deutschland jedenfalls verbraucht durch die Energiewende mehr Kohle als zuvor. Mehr Kohle bedeutet aber nicht nur mehr Luftverschmutzung, sondern auch mehr CO2-Emissionen. Das ist bemerkenswert, sollte die Energiewende den CO2-Ausstoß doch vermindern und nicht erhöhen. Das klappt halt nicht, wenn man aus der einzigen Energieform aussteigt, die CO2-armen Strom in großen Mengen liefern kann. Besser wäre ein Kohleausstieg gewesen, so wie ihn die kanadische Provinz Ontario durchzieht. Demnächst nimmt Ontario das letzte Kohlekraftwerk vom Netz.

Die Energiewende schädigt Umwelt und Gesundheit, gefährdet Netzstabilität und Versorgungssicherheit, verschandelt die Landschaft und verkehrt das Ziel CO2-Reduzierung ins Gegenteil. Und das alles zu sehr, sehr hohen Kosten. Wobei: Das Geld ist ja nicht weg. Es ist nur woanders.

Wir sollten aber nicht nur auf Deutschland schauen. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) sind weltweit fast 1,3 Milliarden Mensch ohne Zugang zu Elektrizität. Der Weltenergieverbrauch wird trotz aller Energieeffizienzbemühungen nicht sinken, sondern weiterhin rasant steigen. Der große Profiteur dieses Wachstums ist Kohle. Doch wohin das führt, sehen wir an den chinesischen Ballungszentren. Wenn wir Luftverschmutzung und CO2-Ausstoß reduzieren wollen, brauchen wir statt Kohle Kernkraftwerke und zwar solche, die von den Kosten her konkurrieren können. Da gibt es interessante Entwicklungen.

Freiewelt.net: Können Sie Beispiele nennen?

Rainer Klute: Klar. Das US-Energieministerium fördert die Entwicklung modularer Kleinreaktoren (Small Modular Reactors, SMR) im Leistungsbereich 50 bis 300 Megawatt. Die sind überall dort interessant, wo ein Großkraftwerk überdimensioniert wäre, und sie bieten Vorteile bei Herstellungskosten und Sicherheit.

Forscherteams in verschiedenen Ländern arbeiten an Thorium-Flüssigsalzreaktoren – eine fast vergessene Technik, die 2006 wiederentdeckt wurde. Da gibt es keine festen Brennelemente mehr, vielmehr ist der Kernbrennstoff Thorium in geschmolzenem Salz gelöst, das durch den Reaktor zirkuliert. Das Wort Kernschmelze verliert hier seinen Schrecken, denn ein geschmolzener Kern ist genau das, was man braucht. Ganz ähnlich arbeitet der Dual-Fluid-Reaktor, dessen Konzept aus Deutschland stammt. Dieser Reaktor kann wahlweise Thorium oder Uran als Kernbrennstoff nutzen – oder den Atommüll herkömmlicher Reaktoren.

Überhaupt ist Thorium ein spannendes Thema, denn es gibt drei- bis fünfmal mehr Thorium als Uran auf der Welt. Indien besitzt besonders viel davon und entwickelt Thorium-Reaktoren. In Deutschland lief mal der Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR), doch wurde der im Nachgang des Tschernobyl-Unglücks aufgegeben, obwohl doch der THTR mit dem Tschernobyl-Reaktortyp RBMK so gar nichts gemeinsam hat. Heute entwickelt China das Konzept des Kugelhaufenreaktors weiter. Eine 200-Megawatt-Anlage ist seit Dezember 2012 im Bau.

Schnelle Reaktoren sind die Lösung des Atommüllproblems. Sie beschießen die hochradioaktiven und langlebigen Substanzen mit schnellen, energiereichen Neutronen, spalten sie und wandeln sie in harmlosere Stoffe um, die nur noch 300 Jahre zum Abkllingen brauchen. Gleichzeitig werden gewaltige Energiemengen freigesetzt, denn 96 Prozent der Energie sind in gebrauchten Brennelementen noch enthalten. Wir könnten Deutschland 250 Jahre lange allein mit Strom aus Atommüll versorgen. Dazu haben wir einen Flyer und einen ausführlichen Vortrag entwickelt.

Spannende Themen gibt es auch abseits der Stromerzeugung, etwa in der Nuklearmedizin. So hat der französische Atomkonzern Areva auf Basis des radioaktiven Blei-Isotops 212 eine Krebstherapie entwickelt und testet das Verfahren gerade in klinischen Studien. Das Blei-212 gewinnt Areva ausgerechnet aus Atommüll, nämlich bei der Wiederaufarbeitung gebrauchter Brennelemente. Undenkbar in Deutschland, wo ja das Atomgesetz eine Wiederaufarbeitung verbietet!

Freiewelt.net: Sie selbst sind 2009 in die Piratenpartei eingetreten, haben dort Pressearbeit geleistet und 2010 für den nordrhein-westfälischen Landtag kandidiert. Einmal hat die Partei Sie abgemahnt, da Sie in einem Flugblatt für Kernenergie und Transmutationsreaktoren geworben haben. Was ist Transmutation und warum hatten Ihre Parteifreunde ein Problem damit, dass Sie diese Technik bewerben?

Rainer Klute: Ich bin ich die Piratenpartei eingetreten, weil mir unsere Grundrechte am Herzen liegen. Zudem hat die Piratenpartei im Unterschied zu den anderen Parteien beim Thema Internet Kompetenz bewiesen. Daher hatte ich bei den Piraten eigentlich auch bei anderen technischen Themen konstruktive Neugier erwartet. Bei der Kernenergie folgen aber viele dem üblichen grünen Verhaltensmuster und machen es wie vor Jahren die CDU mit dem Internet: keine Ahnung von der Sache, aber dagegen sein!

Das von Ihnen angesproche Flugblatt heißt »Wohin mit dem Atommüll?«. Es stellt der direkten Endlagerung und dem Plutonium-Recycling die Transmutation gegenüber. Mancher denkt bei diesem Wort an das europäische Forschungsprojekt Myrrha, das eine subkritische Transmutationsanlage mit Protonenbeschleuniger zur Behandlung von Atommüll entwickelt. Der Begriff Transmutation ist aber allgemeiner gefaßt: Er bezeichnet die Umwandlung eines chemischen Elements in ein anderes, hier speziell die Umwandlung hochradioaktiver, langlebiger Elemente wie Plutonium, Neptunium, Americium und so weiter in kurzlebige Spaltprodukte. Das kann nicht nur in subkritischen Anlagen erfolgen, sondern auch einfacher in Schnellen Reaktoren. Rußland nimmt nächstes Jahr mit dem BN-800 einen solchen Reaktor in Betrieb und baut damit Plutonium aus Kernwaffen ab. Der amerikanische Hersteller GE Hitachi Nuclear Energy bietet mit dem Advanced Recycling Center (ARC) eine integrierte Anlage mit Schnellen Reaktoren und Brennstoffaufarbeitung an.

Freiewelt.net: Gibt es noch weitere Verbindungen zwischen der Piratenpartei und Ihrem Verein?

Rainer Klute: Als Verein sind wir sehr bewußt unabhängig von Parteien, denn wir wollen ja möglichst viele Menschen erreichen. Wir verfolgen aber ein politisches Ziel, denn wir wollen die Kernenergie in Deutschland wieder salonfähig machen und den Neubau von Kernkraftwerken ermöglichen. Dazu brauchen wir eine Änderung des Atomgesetzes.

Was wir uns vorstellen können, sind Nuklearia-Gruppen in den einzelnen Parteien. In der Piratenpartei besteht eine solche Gruppe ja schon. Wem die nicht gefällt, kann gern in seiner eigenen Partei eine Nuklearia-Gruppe gründen. Dabei hilft der Verein gern, hält die Finger aber aus der jeweiligen Parteipolitik heraus.

Freiewelt.net: Laut einer TNS-Infratest-Umfrage waren 76 Prozent der Deutschen bereits kurz vor dem Fukushima-Zwischenfall gegen eine Nutzung von Kernenergie in Deutschland. CDU und SPD, die voraussichtlich die nächste Regierung mit absoluter Mehrheit stellen werden, sind sich hier ebenfalls weitestgehend einig. Was wollen und können Sie dem entgegensetzen?

Rainer Klute: Wir können dem Sachinformationen entgegensetzen. Wir informieren sachlich und ohne ideologische Scheuklappen. Wissen ist ein gutes Mittel gegen die Angst. Wer mehr über Kernenergie, Radioaktivität und so weiter weiß, kann die Risiken besser beurteilen und unterscheiden zwischen dem, was gefährlich und dem, was harmlos ist. Er wird auch dann noch mit Genuß eine Banane verspeisen oder ein Bier trinken, wenn er weiß, daß diese besonders viel Radioaktivität enthalten und daß das auch noch normal ist.

Einen Stimmungsumschwung in Bevölkerung und Politik können wir natürlich nicht in wenigen Jahren erreichen. Das ist ein schwieriger und langwieriger Prozeß. Das Scheitern der Energiewende wird uns dabei helfen.

Freiewelt.net: Sie befürworten Kernenergie. Lehnen Sie erneuerbare Energien demnach ab?

Rainer Klute: Nein, überhaupt nicht, aber die Randbedingungen müssen stimmen. Ökostrom sollte sich dem Wettbewerb am Strommarkt stellen müssen wie alle anderen auch.

Als Anschubfinanzierung für erneuerbare Energien war das EEG in Ordnung. Inzwischen ist das aber keine Anschubfinanzierung mehr, sondern es sind massive Subventionen, die der Stromverbraucher zahlt. Denn der muß aufkommen für den Unterschied zwischen günstigen Strompreisen an der Börse und den hohen, festen Vergütungen, die der Einspeiser bekommt. Sind zuviel Sonnen- und Windstrom im Netz, wird der Strompreis sogar negativ. Wenn man aber dafür zahlen muß, eine Sache loszuwerden, nennt man das Entsorgung.

Die Politik hat das Problem inzwischen erkannt, weiß aber nicht, wie sie aus dieser selbstgebauten Falle wieder herauskommen soll, denn die Zahlungsverpflichtungen sind langfristig.

Freiwelt.net: Sie und ihre Vereinsfreunde erfahren sicher viel Widerstand. Braucht man als Kernkraftbeführworter ein „dickes Fell“?

Rainer Klute: Ja, auf jeden Fall! Dickes Fell, breite Schultern und langer Atem sind unbedingt nötig. Wer von allen Menschen liebgehabt werden will und die Konfrontation scheut, sollte diesen Job nicht machen. Man kann den Nuklearia e.V. aber auch unterstützen, ohne Anfeindungen zu riskieren, nämlich einfach durch Beitritt. Steigende Mitgliederzahlen sind ja durchaus eine Botschaft. Und den Beitrag von 30 € im Jahr können wir gut gebrauchen. Hilfreich wäre auch praktische Mitarbeit, und die ist auch hinter den Kulissen möglich. Das Mitgliedschaftsformular gibt es auf unserer Website nuklearia.de.

Freiewelt.net: Vielen Dank.

 

 

 

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