Professor Eugen Buß Identity Foundation

Nationalgefühl als Suche nach Gemeinsamkeit

Anläßlich des 60. Geburtstages der Bundesrepublik Deutschland hat die Identity Foundation die repräsentative Studie "Die Identität der Deutschen" veröffentlicht. FreieWelt.net sprach mit Prof. Dr. Eugen Buß, dem Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats der Identity Foundation, über den Verlust und die Renaissance des Nationalgefühls, die "Cafehaus-Moral" der Deutschen und warum sich die betagte Frau vom Lande ihrer Heimat eher verbunden fühlt als der junge, urbane Mann.

Veröffentlicht:
von

FreieWelt.net: Prof. Buß, was ist überhaupt Identität bzw. welches Konzept von Identität liegt Ihrer Studie zugrunde?

Prof. Buß: In der Soziologie arbeiten wir mit einem Identitätskonzept, das davon ausgeht, daß jeder Mensch im Grunde über zwei Identitäten verfügt: einmal über eine sogenannte personale Identität – das ist das unverwechselbare authentische "Selbst" eines jeden Einzelnen – und zum zweiten über die sogenannte soziale Identität. Darunter verstehen wir die im Wechselspiel mit der personalen Identität verinnerlichten Werte einer Gesellschaft, aber auch die verinnerlichte Essenz kultureller Leistungen, des Brauchtum oder der Traditionen. Unserer Studie liegt das Konzept der sozialen Identität zugrunde.

FreieWelt.net: Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist die Erkenntnis, daß sich die Deutschen heute wieder stärker mit ihrer Nation verbunden fühlen. Warum ist diese Verbundenheit lange Zeit weniger stark gewesen und welche Gründe haben nun zu einem Umschwung geführt?

Prof. Buß: Da läßt sich nur einiges vermuten: Ich denke, daß Nationalgefühl und Nationalstolz durch die Erfahrung des Nationalsozialismus durchweg diskreditiert waren. In der Nachkriegsgeschichte war Nationalstolz ein "Nicht-Thema". Die politischen Veränderungen in Deutschland seit dem Ende des wilhelminischen Staates bis hin zum heutigen pluralistischen demokratischen Gemeinwesen haben zu einem grundlegenden Wertewandel beigetragen, der zu einer sehr dosierten Haltung gegenüber allem Nationalem beigetragen hat und heute sehr viel stärker Grundzüge des Individualismus, Pluralismus und der Selbsterfüllung betont. Hinzu kommt, daß weder die Medien noch die Politik das Nationalgefühl als etwas Selbstverständliches herausgestellt haben. Ganz im Gegenteil: Im Zuge des europäischen Einigungsprozesses und der zunehmenden Globalisierung wurde Nationalstolz von vielen Gruppen als etwas Antiquiertes angesehen.

FreieWelt.net: Glauben Sie, daß sich das jetzt ändern wird, unter anderem auch auf Grund der Ergebnisse der Studie?

Prof. Buß: Ja! Ich glaube, daß das derzeit zu beobachtende stärkere Nationalgefühl Ausdruck für eine neue Suche nach kollektiver Gemeinsamkeit ist. Die Deutschen suchen nach Signalen, die ihnen vertraute gemeinsame Identifikationschancen bieten. Je mehr europäische und globale Strukturen mit Abstraktheit, Anonymität und Heimatlosigkeit assoziiert werden, um so mehr werden regionale und nationale Bezüge zur Richtschnur wünschenswerter Lebenskonzeptionen. Deshalb scheint es zu einer Renaissance des Nationalgefühls gekommen zu sein. Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: Wenn man heute auf das vergangene Jahrzehnt zurückblickt, glaube ich schon, daß die Fußballweltmeisterschaft eine Zäsur gewesen ist. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen ist heute sehr viel selbstverständlicher, sehr viel entspannter, freier, froher und entkrampfter als je zuvor in den vergangenen 60 Jahren. Es hat sich offenbar vieles an Verspannung gelöst, mit der für uns alle überraschenden Konsequenz, daß man heute offener und selbstverständlicher mit dem Nationalgefühl umgeht. Das zeigt ja auch unsere Studie. Es ist ja erstaunlich, daß heute 60% der Bundesbürger sagen, daß sie stolz sind, Deutsche zu sein und daß sogar 70% bekunden, daß ihr Herz an Deutschland hängt.


FreieWelt.net: In Ihrer Studie sprechen Sie von einer „Cafehaus-Moral“ der Deutschen. Was ist damit gemeint?

Prof. Buß: Unter den Deutschen zeigt sich ein ausgeprägtes Bedürfnis nach mehr Solidarität innerhalb der Bevölkerung, doch prallt dieser Wunsch auf eine Realität, die eher von persönlichen Egoismen geprägt ist. In der Folge flüchten sich viele Deutsche in eine Caféhaus-Moral. Sie kritisieren die herrschenden Zustände, zeigen jedoch lediglich eine geringe Bereitschaft, selbst etwas für das Gemeinwesen zu leisten. So wünschen sich 73 Prozent ein stärkeres Wir-Gefühl unter den Deutschen. Allerdings sind nur 36 Prozent dann auch bereit, sich vorbehaltlos für das Vaterland zu engagieren und etwa 40 Prozent der Deutschen sagen: "Ich zahle Steuern, das reicht." Diese eigentümliche Caféhaus-Moral ist typisch für die Deutschen. Man will beides: Stolz auf die Nation, aber gleichzeitig eine nur dosierte Bindung an das Land, Teilhabe am gemeinsamen Wir-Gefühl, aber auch die vermeintliche Freiheit der Nicht-Verantwortung.

FreieWelt.net: Steckt in dem Begriff sozusagen auch ein kleiner Imperativ, der die Menschen dazu animieren soll, sich zu engagieren?

Prof. Buß: Ja! Unsere Studie zeigt, dass sich etwa 20 Prozent der Deutschen vorbehaltlos für das Land engagieren und 37% würden sogar ihren Urlaub opfern, wenn es noch einmal eine Elbe-Flut gäbe. Etwa jeder siebente Deutsche könnte sich auch vorstellen, für das Vaterland zu sterben. Aber die große Mehrheit hat eine etwas dosiertere Haltung zum Engagement, und gerade sie ist mit der Caféhaus-Moral angesprochen.

FreieWelt.net: Es gibt laut der Studie signifikante Unterschiede in der Intensität des Nationalgefühls zwischen Gruppen unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Wo sehen Sie die Ursachen dieser Unterschiede?

Prof. Buß: Die Ursachen liegen zum einen darin, daß mit zunehmendem Alter die Bindungen der Menschen an die Institutionen einer Gesellschaft ganz generell zunehmen. Ältere Menschen sind eher in Institutionen wie etwa der Familie oder der Kirche verankert, aber auch stärker an regionale Institutionen gebunden und daher eben auch an Heimat und Nation. Während es in jüngeren Altersstufen durch eingeschliffene Mobilitäten und Flexibilisierungszwänge eher eine Art dosiertes Regionalgefühl gibt, nimmt die Bindung an die Nation im Alter ganz generell zu. Frauen haben ein leicht höheres Nationalgefühl als Männer. Das mag daran liegen, daß Frauen eher kooperative, auf Gemeinsamkeit und auf Zusammengehörigkeit wurzelnde Grundsätze hegen und sich entsprechend eher auch mit kollektiven Wir-Gefühlen wie eben dem Nationalgefühl identifizieren. Männer bevorzugen tendenziell stärker individualistisch betonte Grundsätze. Das führt zu einer etwas dosierteren Haltung gegenüber einem kollektiven Wir-Gefühl, wie es sich im Nationalstolz ausdrückt. Auf dem Land ist das Nationalgefühl höher als in den Städten. Während in den Städten eher der Individualismus dominiert, spielen auf dem Lande ebenfalls eher gemeinsame, kooperative, auf Zugehörigkeit angesiedelte Grundsätze eine Rolle.

FreieWelt.net: Möchte man das Nationalgefühl stärkern, müßte man demnach vor allem junge, urbane Männer in den Blickpunkt nehmen?

Prof. Buß: Ich glaube nicht, daß man über Appelle etwas erreichen kann. Der Individualismus wird sich irgendwann erschöpfen und das Lebensgefühl nicht mehr hinreichend stützen können. Dann erleben wir möglicherweise eine Art Renaissance von Wir-Gefühlen, von der Sehnsucht nach Gemeinschaftsgefühlen. Derzeit erschöpft sich die Vaterlandsliebe noch vielfach in einem sog. "Partypatriotismus". Zusammengehörigkeit wird dabei als etwas Vorübergehendes erlebt. Man fiebert gemeinsam für die Fußballnationalmannschaft oder die Handballnationalmannschaft. Diese Gemeinsamkeit ist aber eine Gemeinsamkeit auf Zeit.

FreieWelt.net: Welche Bedeutung kommt dann der nationalen Identität in einer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt zu?

Prof. Buß: Mein Eindruck ist, daß das Nationalgefühl zu einem wichtigen Gestaltungsfaktor gerade in der globalisierten Welt geworden ist. Wir haben parallel zu unserer Untersuchung junge Manager zu ihrem Heimatgefühl befragt. Das Ergebnis war erstaunlich: Je mehr sie international unterwegs seien, desto wichtiger werde für sie ihre Nation als Hort und Heimat. Ganz generell glaube ich, daß gerade durch die globale Öffnung die nationale Verbundenheit wieder eine stärkere Rolle spielt. Man sucht das Unaustauschbare, die Besonderheiten, man sucht die Selbstverständlichkeiten vor Ort und heimatliche Verbundenheit, angesichts einer Zeit, in der Heimatlosigkeit gewissermaßen zum Selbstzweck geworden ist.

Das Interview führte Christoph Kramer.

Zur Internetseite der Identity Foundation

Foto: E. Buß

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang