Interview mit Thomas Weber Teil 2

Hitler im Ersten Weltkrieg: Der Mythos und die Banalität der Wahrheit

Männer, die wie Hitler im Regimentsstab dienten, wurden vom Gros der Männer in den Schützengräben als ‚Etappenschweine’ wahrgenommen.

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FreieWelt.net: Ihr Buch ist zuerst als „Hitler’s First War: Adolf Hitler, the Men of the List Regiment, and the First World War.” bei der Oxford University Press erschienen. Erst später in dt. Sprache bei Propyläen und aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Warum erst in England und warum haben nicht Sie persönlich die Übersetzung besorgt?

Thomas Weber: Ich bin seit achtzehn Jahren Teil der angelsächsischen Wissenschaftswelt. Es lag daher nahe, mein Buch auf Englisch zu schreiben. Außerdem kann ich auf Englisch eine progresse Leserschaft erreichen. Die meisten Wissenschaftler in den meisten Teilen der Welt können Englisch im Gegensatz zu Deutsch zumindest lesen. Dazu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Buch in andere Sprachen übersetzt wird, leider geringer ist, wenn es zunächst auf Deutsch geschrieben ist. Dennoch bin ich froh, dass bei meinem neuen Buch von Anfang an mein deutscher Verlag involviert ist. Propyläen ist ein Paradies für Autoren. Ich habe die Übersetzung nicht selbst besorgt, da ich gut genug übersetzen kann, um zu wissen, dass ich nicht perfekt übersetze. Ich habe aber die Übersetzung von Stephan Gebauer, der ein schöneres Deutsch benutzt, als ich es selbst vermocht hätte, durchgeschaut.

FreieWelt.net: So unterschiedlich Hitlers Biografen dessen Leben deuten - in einem scheinen sich alle einig: Die Fronterlebnisse im Ersten Weltkrieg waren entscheidend für seinen späteren Aufstieg. Sie sehen das anders?

Thomas Weber: Ja und nein. Mittelbar waren die Fronterlebnisse schon sehr wichtig. Nachdem Hitlers Radikalisierung und Wandlung, die nicht unmittelbar durch den Krieg erfolgte, stattgefunden hatte, setzte er seine Fronterlebnisse immer wieder politisch ein. Und er benutzte die Fronterlebnisse – oder die nachträglich umgemodelten Fronterlebnisse als Inspirationsquelle für künftiges Handeln.

FreieWelt.net: „Der Krieg machte Hitler, so wie die Revolution Stalin gemacht hatte", urteilt der britische Historiker Richard Overy. Ian Kershaw umschreibt es ein wenig diplomatischer: Hitlers Weltbild habe damals „an Schärfe gewonnen“. Joachim Fest („Hitler“) war ebenfalls von dieser Art Wechselspiel überzeugt. Ihrer Meinung nach, stimmt das so nicht.

Thomas Weber: Ja. Ich argumentiere, dass Hitler noch formbar, ziemlich unfertig und desorientiert und als Eigenbrötler ohne Führereigenschaften aus dem Weltkrieg zurückkehrt ist. Er hätte sich natürlich nicht in jede beliebige Richtung entwickeln können, aber es gab noch mehrere mögliche Zukunftsvisionen für Hitler.

FreieWelt.net: Bislang galt als Standard: Hitler sei der personifizierte unbekannte Soldat gewesen: ein Mann, der den großen Krieg wie alle anderen Deutschen erlebte und genausotickte“ wie diese, um dann durch seine Führereigenschaften hervor zu stechen. Wo ist Ihr Ansatz zu finden?

Thomas Weber: Hitler ist atypisch im Vergleich zum Gros der Soldaten seines Regiments gewesen und die meisten der Veteranen seiner Einheit zeigten ihm zumindest bis 1933 die kalte Schulter. Ein Großteil der deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs wurde durch den Krieg viel weniger politisiert, radikalisiert und verroht als oft angenommen. Dies soll nicht heißen, dass sie nicht Willens waren zu kämpfen, aber diese Kampfbereitschaft ging nicht unbedingt mit einem Hass auf den Gegner einher. Während des gesamten Krieges gab es immer wieder Kontakte zwischen feindlichen Soldaten über die Schützengräben hinweg. Das gab es nicht nur zu Weihnachten 1914. Unser Bild des gewöhnlichen Soldaten des Ersten Weltkrieges folgt viel zu sehr der Vorlage der NS-Propaganda.

FreieWelt.net: Im Detail: Sie haben eine bisher kaum beachtete, höchst aussagekräftige Quelle für Hitlers Biografie gefunden: die Akten des 16. bayerischen Reserve-Infanterie Regiments, des sogenannten List-Regiments, in dem Hitler während des Ersten Weltkriegs diente. Wie sind Sie auf die Spur dieser Papiere über Hitlers Regiment, die Brigade, die Division, Gerichtsdokumente samt Zeugenaussagen und beschlagnahmten Feldpostbriefe gestoßen?

Thomas Werber: Eigentlich ganz einfach, denn mit Ausnahme der Gerichtsdokumente waren die Dokumente auch bisher allgemein zugänglich. Ich bin einfach ins bayerische Kriegsarchiv gegangen und habe nach den Akten des Regiments gefragt. Ich glaube, dass bisher der Fehler gewesen war, speziell nach Akten zu Hitler zu fragen und nicht nach Akten zu den Männern des Regiments. Ferner befindet sich der Großteil der Akten zum Regiment bei den Akten der übergeordneten Einheiten und die Gerichtsakten sind nicht verzeichnet. Daher muss man schon wissen wo man schaut und man darf nicht meinen, mal eben schnell etwas finden zu wollen, da die Filetstücke zwischen riesigen Stapeln von nicht besonders aussagekräftigen Dokumenten begraben lagen. Noch rechercheintensiver war es dann, Akten in anderen Archiven zu finden und vor allem Nachlässe in Privathand ausfindig zu machen, aber durch diverse digitale Hilfsmittel ist dies zumindest möglich. Vor ein paar Jahren noch hätte ich das Buch nicht schreiben können.

FreieWelt.net: Welches Bild zeichnen diese Zeitzeugnisse?

Thomas Weber: Sie zeichnen das Bild eines Regiments, in der die meisten Juden beispielsweise besser integriert waren als die Männer, die wie Hitler im Regimentsstab dienten und als ‚Etappenschweine’ wahrgenommen wurden. In mehreren Zeitungsberichten ist davon die Rede, dass mein Buch zeigen würde, dass Hitler im Ersten Weltkrieg ein ‚Feigling’ gewesen sei. Dies habe ich nie geschrieben. Im Rahmen dessen, was ihm aufgetragen wurde, war Hitler ein guter Soldat, aber die Wahrnehmung der Soldaten im Schützengräben war eine andere.  Daher kam die Entfremdung zwischen dem Gros der Soldaten von Hitlers Einheit und Hitler selbst und daher hat es Hitler immer wieder für nötig erachtet, Geschichten über seine Zeit im Ersten Weltkrieg zu erfinden. Sagen zu müssen, dass man ja ehrenhaft gedient habe, aber die Mehrheit der Soldaten einen als Etappenschwein wahrgenommen hätten, ist keine überzeugende politische Botschaft, wenn man die Öffentlichkeit davon überzeugen will, dass man die Verkörperung des unbekannten deutschen Soldaten ist und dass der Nationalsozialismus in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs geboren worden sei.

FreieWelt.net: Allgemeiner Konsens ist, dass der Krieg der Ideen“ bei der Mehrheit der deutschen Soldaten auf fruchtbaren Boden fiel. Sie sagen: „diese Meinung beruht auf Zirkelschlüssen.“ Welche wären das?  

Thomas Weber: Es geht hier um die Art der Beweisführung. Beispielsweise benutzt eines der Standardwerke zum Ersten Weltkrieg die Briefsammlung ‚Kriegsbriefe gefallener Studenten’, um zu beweisen, dass der ‚Krieg der Ideen’ auf fruchtbaren Boden gefallen sei. Die Kriegsbriefe waren aber von der deutschen Kriegspropaganda zu Propagandazwecken ausgewählt und veröffentlicht worden. So wird ein Produkt der Kriegspropaganda dazu benutzt, um zu beweisen, dass diese Art von Produkt funktioniert hätten. Es mag ja sein, dass die deutsche Kriegspropaganda behauptet hat, dass die ausgewählten Briefe repräsentativ für die Meinung der deutschen Jugend sei, aber man kann doch nicht einfach ungeprüft die Behauptung übernehmen.

FreieWelt.net: Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie IhreThesen mitunter überzeichnet beziehungsweise den Forschungsstand nicht richtig wiedergeben.“(Christoph Cornelissen in der F.A.Z.).

Thomas Weber: Ja, aber Christoph Corneliessen hat diesen Vorwurf innerhalb einer längeren Rezension erhoben, in der er in den ersten zwei Dritteln der Rezension sehr großzügig meine Recherche- und Auswertungsleistungen als „akribisch“ und als „mehr als beeindruckend“ bezeichnet. Sein Vorwurf, dass ich den Forschungsstand nicht richtig wiedergebe, ist meiner Meinung nach ein Resultat von verschiedenen Wissenschaftsstilen in der angelsächsischen Welt und in Deutschland. Konkret wirft er mir vor, dass es doch seit geraumer Zeit Forschungen zu der ‚Friedenssehnsucht’ vieler Soldaten gibt. Diese habe ich auch ausgewertet, aber ich verweise namentlich auf sie in den Fußnoten, nicht im Fließtext. Dann wirft er mir vor, dass meine Diskussion der Kriegsgräuel in Belgien nicht neu sei. Diesen Vorwurf kann ich nicht nachvollziehen: Im Gegensatz zur 2010 vorherrschenden Meinung, dass die Gräuel kulturgeschichtlich  und organisationsrechtlich zu erklären seien, ist meine Erklärung situativ.  Man muss ja meinem Argument nicht folgen, aber ich verstehe nicht, wieso Herr Corneliessen mir vorwirft, dass meine Diskussion nicht neu sei. Schließlich wirft er mir vor, dass ich in den Nachkriegskapiteln zu weitreichende Behauptungen aufstellen würde. Da hat er ja vielleicht nicht ganz unrecht, denn die Nachkriegskapitel versuchen die Forschungsergebnisse der detaillierten Kriegskapitel in einen größeren Rahmen zu stellen. Aber dies erfolgt teilweise, gerade wenn es um Weimar geht, notwendigerweise in Hypothesenform. Zu dem Thema arbeite ich ja nun intensiv und ich hoffe, dass Herr Corneliessen meine Thesen zu Weimar nicht mehr als zu weitreichend empfindet, wenn ich meine neuen Forschungen hierzu veröffentlicht haben werde.

FreieWelt.net: Weiterhin hätten Sie Hitlers Verwundungen im Ersten Weltkrieg verniedlicht (Gerd Krumeich; Süddeutsche Zeitung).

Thomas Weber: Das sehe ich natürlich nicht so, aber ich muss selbstkritisch sagen, dass ich mich da offensichtlich nicht deutlich genug ausgedrückt habe. Denn es ist schon mehrfach geschrieben worden, ich würde Hitler als ‚Feigling’ beschreiben und seine Leistungen im Krieg kleinreden. Das war überhaupt nicht meine Intention, sondern es ging mir darum, zu erklären, wie viele Soldaten in den Schützengräben – und nicht ich - Hitler wahrgenommen haben und wieso es eine Diskrepanz zwischen Wahrheit und Mythos bei Kriegserlebnissen gibt. Gerd Krumeich hat ja den Vorwurf in einer ansonsten positiven Rezension meines Buches erhoben. Im Gegensatz zu manchem anderen Historiker, lohnt es immer mit Gerd Krumeich und Christoph Corneliessen zu streiten. Als Wolfgang Mommsens Schüler entstammen sie ja einer Denkschule, in der nicht wie so häufig in der deutschen Wissenschaft Lagerzugehörigkeit, sondern nur das Argument zählt und in der inhaltliche Auseinandersetzung zu neuer Erkenntnis führt. Daher befruchtet mich diese Art der Kritik eher. Ich bin ja wissenschaftlich nicht nur ein Produkt Oxfords, sondern über den Zweitbetreuer meiner Oxforder Doktorarbeit und Mommsenschüler Gerhard Hirschfeld auch gewissermaßen ein akademischer Enkel Mommsens.

FreieWelt.net: Abschließend: Welche Recherche-Erkenntnisse waren für Sie überraschender: Der Umfang des Mythos oder die Banalität der Wahrheit? 

Thomas Weber: Gute Frage, auf die ich keine einfache Antwort habe. Ich muss schon sagen, dass ich überrascht war, wie groß die Diskrepanz zwischen Wahrheit und Mythos war. Meine Hypothese war ursprünglich gewesen, dass Hitler kein typisches Produkt seines Regiments gewesen sei, aber dass er selbst schon durch den Krieg radikalisiert worden sei. Ich wollte verstehen, wie diese Transformation vonstatten gegangen ist und wie sie möglich war in einem Kontext, in dem Hitler nicht ein typisches Produkt seines Regiments gewesen ist. Aber ich hatte nicht erwartet, dass es diese Transformation gar nicht gegeben hatte und, ja, wie banal die Wahrheit war. Von daher war ich sehr überrascht, wie banal die Wahrheit war. Dadurch war aber der Umfang des Mythos noch größer. Und dadurch ist ein großes neues bisher ungelöstes Enigma aufgetaucht: Wie konnte die politische Transformation und der Werdegang vom Eigenbrötler zu einem charismatischen Führer in so kurzer Zeit erfolgen. Auf diese Frage haben wir immer noch keine überzeugende Antwort.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: IP-Analytiker

Wie konnte der Werdegang vom Eigenbrötler zu einem charismatischen Führer in so kurzer Zeit erfolgen ?
Das ist die zentrale Frage in der Biographie Hitlers.
Wer das biographische Material genau verfolgt, kommt zu dem Schluß,dass Hitler erst n a c h dem Besuch eines Aufklärungskurses (oder 2 Kursen), zu denen er von seinem Vorgesetzten Hauptmann Mayr abkommandiert wurde, ein fanatischer Antisemit wurde .
Diese Kurse wurden übrigens in den Räumen der Münchener Universität abgehalten !
Hitler entwickelt hier, ausgehend von den Behauptungen, Juden seien Parasiten,Spaltpilze der Menschheit und Erreger der Rassentuberkulose,einen wahnhaften (!)" Antisemitismus der Vernunft", den er dann in "Mein Kampf" strikt vom "Antisemitismus des Gefühls "abgrenzt (dem Antisemitismus der Massen,also seiner Millionen Anhänger).
Die Hitlerforschung bestreitet bis heute offensichtlich unisono,dass Hitler wahnhaft war.
Er war es ab diesem Zeitpunkt im Juni 1919 und hielt an diesem wahnhaften Zerrbild bis 1945 fest.
In "Mein Kampf" wurden die o.g. Begriffe noch verwendet; bei seinen späteren Reden hat Hitler es dann vermieden,sie zu benutzen.Sehr wahrscheinlich aus taktischen Gründen,da seine Zuhörer diese Begriffe nicht verstanden (und über ihn lachten)
Hitler war der erfolgreichste Wahngestörte der Weltgeschichte !

Gravatar: Johannes

Als ich in einem Schwarz-Weiß-Doku-Film gesehen habe, wie intensiv Hitler den Jungs ins Gesicht schaute, bevor er sie in den letzten Tagen des Krieges in Berlin ins ungleiche Gefecht schickte, weiß ich: Hitler hatte übermaterielle Fähigkeiten der "Gegenseite". Eine Begründung für die Schnelligkeit der Wandlung Hitlers.
Mir wäre auch sonst unverständlich, wie schnell die führenden Männer der stolzen Wehrmacht auf den Gruß "Heil Hitler" eingingen.
Der dämonische Faktor könnte auch auch heute wieder entscheidend unterschätzt werden.
Doch Gott-sei-Dank gibt es die Gegenseite der Gegenseite.

Gravatar: Michael Ziefle

Ich bin bestimmt keine Hitler Verehrer. Doch mir hat mal einer sinngemäss gesagt, dass wenn man nicht dabei war, einfach die Klappe halten sollte.

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