Interview mit Jochen Teuffel

»Evangelium und Kirchensteuer widersprechen sich«

Im Interview mit FreieWelt.net spricht sich Pfarrer Jochen Teuffel gegen die Kirchensteuer aus. Er sagt: Kirche ist gottesdienstliches Versammlungsgeschehen – dafür braucht sie kein Geld.

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FreieWelt.net: Sie sind evangelischer Pfarrer und haben sich selbst bei den Kirchenbehörden angezeigt, um die Leitung zu einer Positionierung hinsichtlich der Kirchensteuer, die Sie ablehnen, zu bringen. Wie ist die Sache ausgegangen?

Jochen Teuffel: Der Landeskirchenrat hat meinem Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen mich selbst nicht entsprochen. Mir ist von Seiten der Kirchenleitung mitgeteilt worden, dass sie die Art und Weise, wie ich das Thema in die Öffentlichkeit gebracht habe, missbilligen. Disziplinarrechtliche Konsequenzen haben sich jedoch daraus nicht ergeben.

FreieWelt.net: Für Sie scheint das Thema wichtig zu sein, was man nicht nur an dem eben geschilderten Vorgang erkennen kann, sondern auch daran, dass Sie soeben eine Streitschrift veröffentlicht haben. Welche Opfer würden Sie für Ihren Kampf in Kauf nehmen?

Jochen Teuffel: Ich verstehe mein Buch »Rettet die Kirche« als Weckruf angesichts der Perspektivlosigkeit, die ich in den verfassten Landeskirchen wahrnehme. Zu viel ist auf Besitzstandwahrung ausgerichtet, zu wenig wird dem Evangelium vertraut. Solange ich nicht durch die Bibel und die evangelischen Lehrbekenntnis von etwas anderem überzeugt werde, beharre ich darauf, dass die Kirchensteuer unserer evangelischen Lehre widerspricht. Für diese Überzeugung werde ich persönlich weiterhin einstehen, unabhängig davon, ob mir daraus berufliche Nachteile erwachsen. Was mir an »Opfern« zukünftig zugemutet wird, weiß ich gegenwärtig nicht einzuschätzen.

FreieWelt.net: Als evangelischer Pfarrer argumentieren Sie mit den »Bekenntnisschriften«. Können Sie diesen spezifisch evangelischen Zugang genauer erläutern?

Jochen Teuffel: Die Bekenntnisschriften sind sozusagen die Spielregeln, auf die ich bei meiner Ordination zum evangelischen Pfarrer verpflichtet worden bin. Sie entstammen der Reformation und dienen dazu, das Evangelium »lauter und rein zu verkündigen« und die Sakramente im Sinne Jesu Christi zu verwalten. Ich bin nun der Ansicht, dass gerade die Erhebung von Kirchensteuern unseren eigenen Spielregeln widerspricht. Insofern ist eine umfassende Reform unserer Kirchenfinanzierung unbedingt geboten.

FreieWelt.net: Sie setzen sich in Widerspruch zu der übergroßen Mehrheit der Kirchen. Warum sind ausgerechnet Sie in der Lage, Widersprüche in den kirchlichen Vorschriften zum Evangelium zu erkennen? Hat sich vor Ihnen niemand damit beschäftigt?

Jochen Teuffel: Die übergroße Mehrheit der Kirchen weltweit erhebt keine Kirchensteuer. Und auch eine deutliche Mehrheit der evangelischen Christen in Deutschland lehnt die Kirchensteuer ab. Wenn es jedoch um die Finanzierungsgrundlage der eigenen Besoldung und der eigenen Versorgungsansprüche geht, scheint mancher über eigene kirchliche Lehrbindungen hinwegzusehen. Es hat jedoch im 20. Jahrhundert immer wieder Theologen gegeben, die auf den Widerspruch von Evangelium und Kirchensteuer hingewiesen haben, so zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg Mitglieder der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg wie Hermann Diem oder Paul Schempp. In jüngster Zeit hat Jürgen Moltmann, der Nestor der evangelischen Theologie in Deutschland, eine umfassende Reform der Kirche hin zur Beteiligungskirche angemahnt und sich gegen die Kirchensteuer ausgesprochen.

FreieWelt.net: Der katholische Kirchenrechtler Hartmut Zapp hat versucht, die Kirchensteuer zu Fall zu bringen, indem er vor der staatlichen Behörde aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts austrat, zugleich aber erklärte, weiterhin Mitglied der katholischen Kirche zu bleiben und seinen Pflichten ihr gegenüber nachzukommen. Wie beurteilen Sie diesen Fall?

Jochen Teuffel: Ich denke, dass Herr Zapp den wunden Punkt in der katholischen Kirche in Deutschland getroffen hat. Allerdings erlaubt die katholische Rechtsordnung kaum eine Reform von unten. Recht wird hierarchisch gesetzt, auch wenn man dabei zu schlucken hat. In der evangelischen Kirche sieht es hingegen anders aus: Wird kirchliche Rechtssetzung durch Berufung auf die Heilige Schrift beziehungsweise die eigenen Lehrbekenntnissen mit überzeugenden Argumenten in Frage gestellt, hat die eigene Kirchenleitung ein Legitimationsproblem. Das ist uns Evangelischen ja durch Martin Luther vorgemacht worden.

FreieWelt.net: Die Kirchen müssen irgendwie finanziert werden – und die Kirchensteuer leistet das hervorragend. Durch welches System würden Sie sie ersetzen?

Jochen Teuffel: Es ist ein Trugschluss, dass Kirche per se vorfinanziert werden muss. Kirche im evangelischen Sinne ist gottesdienstliches Versammlungsgeschehen, das für sich betrachtet erst mal kein Geld braucht. Wo Menschen im Gottesdienst Anteil am Evangelium gewinnen, werden sie zur eigenen Hingabe befähigt: Wo ich selbst für mich gewinne, bin ich auch bereit zu geben. Daher kann es für Kirche nur freiwillige Gaben geben, wie wir das ja von den amerikanischen Kirchen her kennen.

FreieWelt.net: Möglicherweise werden die Kirchen dann aber weniger Geld haben als jetzt. Müssen sie ihre Leistungen dann reduzieren?

Jochen Teuffel: Kirche ist ihrem Selbstverständnis nach keine religiöse Dienstleistungsagentur, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen, die in Christus miteinander verbunden sind. Was gottesdienstlich, missionarisch und diakonisch in dieser Gemeinschaft geschieht, ist das Entscheidende. »Eigensinnigkeit« und Intensität sind also angesagt, wie bei einem Spiel, das um seiner selbst willen leidenschaftlich gespielt wird.

FreieWelt.net: Die Kirchensteuer wurde im 19. Jahrhundert von den Staaten eingeführt. Inzwischen hängen die Kirchen sehr an dieser Einnahmequelle. Was sagt das über die Kirchen und ihr Verhältnis zum Staat aus?

Jochen Teuffel: Wo man in den verfassten Kirchen an der Kirchensteuer festhält, sucht man sich als menschenmögliche Religionsgemeinschaft im Hinblick auf Staat und Gesellschaft zu funktionalisieren. Eine Staatsnähe und vermeintliche Gesellschaftsnützlichkeit bringt Kirche um ihren prophetischen Auftrag im Hinblick auf das Reich Gottes. Im Übrigen ist in der spätmodernen bürgerlichen Gesellschaft unter wohlfahrtsstaatlichen Bedingungen kein genuiner Kulturbeitrag von kirchlichen Einrichtungen mehr zu erwarten. Man kann auch ganz gut ohne Kirche leben.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Interview.

Jochen Teuffel ist Gemeindepfarrer in Vöhringen/Iller Autor des Buchs »Rettet die Kirche. Schafft die Kirchensteuer ab«, das dieser Tage im fontis-Verlag erschienen ist. Außerdem ist er Betreiber eines Weblogs.

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