Yithsak Ehrenberg Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Eltern müssen Religion weitergeben - Interview Yithsak Ehrenberg

Yithsak Ehrenberg ist seit 1997 der Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. In der siebten Generation in  Jerusalem geboren, war der Vater von fünf Kindern zuvor als Rabbiner in München und Wien tätig. Ehrenberg  ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD); vergleichbar etwa mit der deutschen Bischofskonferenz. FreieWelt.net sprach mit ihm über den Zusammenhang zwischen Familie und Tradition im jüdischen Glauben und das Scheitern von Religion als Pflichtfach in Berlin.

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FreieWelt.Net: Welche Bedeutung hat die Institution Familie im jüdischen Glauben?

Ehrenberg:
Die Familie ist im jüdischen Glauben das wichtigste Fundament. Es geht überhaupt nicht ohne die Familie. Ein interessanter Gedanke dazu. In der letzten Zeit hat man mich oft gefragt, ob man wegen der Wissenschaft, da man ja heutzutage Menschen produzieren kann mit der Gentechnik, auf Väter und Mütter verzichten könne. Das Judentum hat dazu die klare Position: Klonen ist total falsch. Wir sehen diese Welt als Ort,  in den der Mensch kommt, um von unserer Religion her, bestimmte religiöse Pflichten zu erfüllen, auch menschliche Dinge wie die Einhaltung der Moral.
Der Mensch kommt auf die Welt als Baby, ratlos, hilflos, total abhängig von Vater und Mutter.
Im Gegensatz zu sagen einem Kalb, das nach einer halben Stunde schon ein ganzer Mensch ist. Es braucht zwar auch Muttermilch, kann aber schon laufen und ist relativ unabhängig.
Aber ein Kind, in den  ersten Wochen, Tagen, Monaten sieht nur ein Bild: Mutter und Vater. Die Bedeutung dieses Bildes, ist das Vertrauen, dies sind meine Menschen auf dieser Welt, die für mich da sind. Das ist absichtlich so gemacht, damit  wenn es erwachsen ist, das familiäre Vertrauen weiterhin stark ist.

FreieWelt.Net: Auf welche Weise tragen Familien zur Weitergabe der jüdischen Tradition bei?

Ehrenberg:
Der Talmud sagt,  das erste Wort eines Kindes ist Mama, wir sagen, das erste Wort ist Thora. Die Eltern sagen, wir haben Gott, wir müssen an Gott glauben, das ist unsere Tradition. Diese Tradition wird von Generation zu Generation weitergegeben.
Religion ist total abhängig von der Familie, es geht auch nicht anders.
Gott hätte auch die Menschen einfach so produzieren können, wie in einer Fabrik. Adam und Eva hatten ja auch so gesehen auch keine Eltern.
Aber Gott hat gesagt, nein ihr sollt Kinder bekommen, sie auf die Welt bringen, damit ihr selbst eure Werte, eure Tradition an die Kinder weitergeben könnt.
Die jüdische Religion basiert schon von den Geboten und Feiertagen her sehr stark auf der Beziehung der Kinder zu ihren Eltern und der Eltern zu ihren Kindern. Familie ist eines von den wichtigsten Dingen in der jüdischen Religion.

FreieWelt.Net: Wie sehen Sie die Rolle der Familie heute, auch gerade in ihrer Gemeinde?

Ehrenberg:
Das heutige Problem des Zustands der Familien ist leider sehr, sehr schwach. Wir erleben viele Scheidungen. In der jüdischen Religion muß es so sein: Ein Vater,  Mutter, Kinder, Geschwister dazu Großeltern. Das war immer die Familie. Heute haben wir leider ein ganz anderes Problem. Zum Beispiel haben wir in unserer Gemeinde, viele Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die haben es verpasst, die haben es versäumt, das heißt, es gab keine Möglichkeit die Tradition von ihren Eltern zu bekommen und wer soll es dann den Kindern weitergeben?  Da ist die jüdische Gemeinde, der Rabbiner, die Schule. Und die Eltern freuen sich, die Kinder dorthin zu bringen, damit sie die Möglichkeit haben, dass ihree Kinder bekommen, was die Eltern ihnen nicht geben können. Die Eltern lernen also oftmals von den Kindern. Leider haben wir so eine Situation. Normalerweise geht es andersherum, die Eltern sollen es den Kindern beibringen.
In der jüdischen Religion ist dafür vor allem der Sabbat vorgesehen, der siebte Tag, der Ruhetag.
Die Botschaft von Sabbat ist sozial, ist Zeit füreinander zu haben. Wir Menschen sind die laufen die ganze Woche verrückt, wir haben keine Zeit. Einmal in der Woche bleiben wir stehen, nehmen Abstand vom Leben von der Arbeit, sind füreinander da. Drei Mahlzeiten machen wir am Sabbat. Die Familie sitzt zusammen hat Zeit für die Kinder, Zeit füreinander. Somit ist man stärker. Es gibt die religiöse Pflicht für die Eltern diese Tradition weiterzugeben.
Wenn sie keine Möglichkeit haben, weil ihnen z.B. das Wissen um die Tradition fehlt, ist es die heilige Pflicht der Gemeinde dafür zu sorgen, das das Kind die Möglichkeit hat. Ob im Kindergarten in der Schule oder am Nachmittag, damit die Kinder dies Tradition bekommen.


FreieWelt.Net: Wie beurteilen Sie das Anliegen von ProReli, Religion als Pflichtfach in Berlin durchzusetzen, und dessen Scheitern?

Ehrenberg:
Ich muß ehrlich sagen ich war enttäuscht, dass dieses Anliegen nicht zustande kam.
Ich war auch überrascht, wie viele Leute zur Wahl gegangen sind und dagegen gestimmt haben. Deren Motivation habe ich nicht verstanden.
Ich habe mich gefragt woran das liegt. Haben Angst vor Religion, dann ist das natürlich ein großes schweres Problem.  Man soll keine Angst vor Religion haben und wenn es so ist, müssen wir überlegen, warum das der Fall ist.
Religion soll nur Gutes bewirken. Die jüdische Religion steht für Toleranz, Respekt für alle Menschen
und dafür, moralische Werte, die von Gott kommen weiter an unsere Kinder zu geben. Wir brauchen das, denn wir leben in einer Welt mit soviel Gewalt.
Man soll versuchen den Kinder ein, zwei drei Stunden in der Woche Moral auch religiöse Moral und deren Tradition zu vermitteln. Jüdische Kinder nach ihrer Tradition, Moslems nach ihrer und Christen nach ihrer Tradition.
Ich weiß daher ehrlich gesagt nicht, woher das Motiv gegen Religion kommt.
Die Wahrheit ist Eltern wollen ihren Kindern Traditionen weitergeben. Aber heute sind viele Eltern faul und vernachlässigen das.

Ich war sieben Jahre Rabbi in München, dort ist Religion Pflicht. Alle Kinder müssen kommen, um Religion zu lernen. Und die Kinder freuen sich darüber. Dort gibt es auch Noten und man muss dort auch Leistung erbringen und auch etwas mitnehmen.
Wir sind alle nur Menschen und wenn es keine Pflicht ist bedeutet es, dass viele Kinder leider versäumen,
Religion mitzubekommen. Nicht wegen dem Willen der Eltern, aber die sagen auch er muß zum Tennis, Klavier spielen oder dies oder das machen und Religion kommt zum . Im Nachhinein werden sie es sehr bereuen, dass sie ihren Kindern diese schönen Traditionen vorenthalten haben.
Ich sehe, dass dies den Eltern wichtig ist. Wenn Religion also Pflicht ist, tun Eltern etwas für ihre Kinder, was sie auch wollen. Deshalb habe ich die Leute auch motiviert wählen zu gehen.
Es hat mir als Rabbiner sehr Leid getan, das diese Anliegen gescheiter ist, weil ich glaube es kostet viele Kinder das Minimum von ihrer Tradition und schöner Geschichte zu lernen. Das ist jetzt leider nicht der Fall und das ist sehr, sehr schade.
Die Eltern wollen, aber wenn es keine Pflicht ist, wird es versäumt. Religionspflicht könnte diese Eltern auch motivieren. Daher tut mir das Scheitern auch sehr Leid.

Die Internetseite von Rabbiner Ehrenberg

Das Interview führte Norman Gutschow

Foto: Norman Gutschow/FreieWelt.net

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