Professor Manfred Spieker

»Ehe und Familie sind für Politik ein blinder Fleck«

Was ist Gender, und welche Konsequenzen hat seine Umsetzung als »Mainstreaming« für Staat, Kirche und Gesellschaft? Manfred Spieker zeigt Alternativen auf erkärt das »bestgehütete Geheimnis der Kirche«.

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CNA: Professor Spieker, in Ihrem Buch »Gender Mainstreaming in Deutschland« präsentieren Sie eine klare Analyse des Begriffs, aber auch seiner Karriere. Viele glauben nach wie vor, »Gender« sei nur ein anderes Wort für »Gleichberechtigung«: Was ist der Unterschied?

Manfred Spieker: Der Unterschied ist ebenso einfach wie drastisch. Die vom christlichen Glauben wie auch von jeder rechtsstaatlichen Verfassung geforderte Gleichberechtigung von Mann und Frau stellt das Mann-Sein und das Frau-Sein nicht in Frage. Im Gegenteil, sie setzt es voraus. Die Gender-Theorie dagegen stellt die vom Schöpfer vorgegebene Natur von Mann und Frau in Frage. Mann- und Frau-Sein sind für sie kulturelle und soziale Produkte.  

CNA: Papst Franziskus, die Teilnehmer der Familiensynode und auch viele Naturwissenschaftler haben die Gender-Ideologie verurteilt. Gleichzeitig hat die katholische Caritas »Gender-Beauftragte«, und in vielen ihrer Bildungs-Einrichtungen ist »Gender Mainstreaming« explizit im Programm; und die Deutsche Bischofskonferenz hat erst jüngst einen Flyer veröffentlicht, in dem erklärt wird Gender könne »katholisch gelesen« werden und bedeute »Geschlechtersensibilität«. Also alles doch nicht so einfach? 

Manfred Spieker: Die Institutionen der katholischen Kirche, die »Gender-Beauftrage« zu ihrem Personal zählen, und das sind nicht nur Caritas-Verbände, sondern leider auch manche Generalvikariate, haben bestenfalls eine naive Perspektive auf das Thema »Gender«. Häufig aber beugen sie sich den feministischen Begehrlichkeiten, die aus manchen theologischen Fakultäten mit Gender-Professuren oder aus katholischen Frauenverbänden hervorgegangen sind. Sie ignorieren die Äußerungen der Päpste Franziskus und Benedikt XVI. sowie der Synode zum Thema Ehe und Familie im Oktober 2015.

CNA: Außer dem scharfen Protest des Regensburger Bischofs Rudolf Voderholzer haben die deutschen Bischöfe — auch jene, welche die Gender-Ideologie verurteilt haben – sich in Schweigen gehüllt über diese offizielle Publikation; und die Medien weitgehend auch. Wie erklären Sie sich das?

Manfred Spieker: Nicht nur Bischof Voderholzer, sondern auch die Bischöfe Oster und Algermissen haben den Gender-Flyer der Deutschen Bischofskonferenz kritisiert. Aber das Schweigen der Hirten und der Deutschen Bischofskonferenz ist schon ein Problem. Sie schweigen  nicht nur im Hinblick auf diesen Flyer, der im eigenen pastoralen Apparat hergestellt wurde, sondern gegenüber der Gender-Theorie allgemein und ihrer Ausbreitung in Schulen und Hochschulen sowie in staatlichen Behörden vieler Bundesländer. Nicht ohne Grund hat Papst Franziskus den deutschen Bischöfen bei ihrem Ad-Limina-Besuch am 20. November 2015 lähmende Resignation und eine Tendenz zu fortschreitender Institutionalisierung der Kirche vorgeworfen, hinter der eine gewisse Weltlichkeit zum Vorschein komme, und sie ermahnt, ihre Aufgabe als Lehrer des in der lebendigen Gemeinschaft der universalen Kirche überlieferten Glaubens wahrzunehmen. Ich habe den Eindruck, dass manche Bischöfe diese Rede schnell ihren Diözesanarchiven übergeben haben, was vielleicht auch dadurch gefördert wird, dass Papst Franziskus solche Reden nicht selbst hält, sondern nur schriftlich aushändigen lässt. Es wäre schon angebracht, darüber zu beraten, welche Konsequenzen sich aus der Rede des Papstes ergeben.

CNA: Hohe Sensibilität in der Öffentlichkeit dagegen genießt die Frage des Umgangs mit Homosexualität. Wie hängt diese mit der Gender-Ideologie zusammen? Ist der »neue gesellschaftliche Konsens« nicht ein Fortschritt, und Kritik daran eine Form der Diskriminierung? Schließlich feiert die katholische Kirche in manchen deutschen Städten auch »Queer«-Gottesdienste, und in Frankfurt sollen homosexuelle Paare demnächst offiziell gesegnet werden, meldete die FAZ?

Manfred Spieker: Die Gleichstellung der Homosexualität mit der Heterosexualität ist der erste Schritt der Gender-Theorie. Sie ist damit seit der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft in vielen Ländern schon recht weit gekommen. Aber man muss unterscheiden zwischen der Bewertung der Homosexualität einerseits und der Achtung von Personen mit homosexueller Orientierung. Diesen Unterschied einzuebnen ist ein Ziel der Gender-Theorie, das auch in die »Sexualpädagogik der Vielfalt« Eingang gefunden hat. Homosexualität ist generationenblind und lebensfeindlich. Dies deutlich zu machen und zu kritisieren hat nichts mit Homophobie zu tun. Aber die Ausbreitung der Gender-Theorie hat dazu geführt, dass viele sich nicht mehr trauen, das öffentlich zu sagen. Selbst von Priestern und Bischöfen ist das nicht mehr zu hören.

CNA: Sie sprechen die Pädagogik an; ein wenig beleuchteter Aspekt, vielleicht sogar der blinde Fleck in der öffentlichen Debatte, zumindest wie sie säkulare Medien führen, sind Ehe und Familie. Wenn Ehe und Familie betroffen sind, also die »Hauskirche«, wie wir Katholiken glauben, dann ist nicht nur die Gesellschaft selbst betroffen, sondern auch und gerade die Schwächsten: Unsere Kinder. Auch daran hat Papst Franziskus jetzt wieder erinnert am Fest der Heiligen Familie.

Manfred Spieker: Nicht nur in den Medien sind Ehe und Familie ein blinder Fleck, sondern auch in der Politik, die in den Frauen vorrangig ein noch nicht ausgeschöpftes Potential für den Arbeitsmarkt sieht. Selbst in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Ehe und Familie immer mehr zu einem blinden Fleck geworden. Das Gericht hat Artikel 6 Grundgesetz, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt, dem Gleichheitsgebot des Artikel 3 geopfert. In den Medien wird ja gelegentlich noch auf die Kosten zerbrochener Familien hingewiesen, die vorrangig von den Kindern zu tragen sind, die aber auch Gesellschaft und Staat belasten. Das Gender-Mainstreaming im Kindergarten und in der Schule will das Scheitern von Ehen und das Zerbrechen von Familien als Übergänge im Lebenslauf schönreden. Aber Kinder lassen sich nichts vormachen. Sie leiden und die Familiensoziologie zeigt, wie sehr Schulabbrecherquoten, Drogenmissbrauch, Delinquenzraten, Selbstmordneigungen und  Frühschwangerschaften bei Mädchen dieses Leiden dokumentieren. Wenn das Gender-Mainstreaming die Curricula und die Schulbücher bestimmt, wird Sexualität, so propagiert es Uwe Sielert, einer der Chefideologen der »Sexualpädagogik der Vielfalt« auf der Homepage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, von der Person getrennt und als »Energiequelle« unabhängig von Ehe und Liebe vermittelt. Heterosexualität, Generativität und Kernfamilie sollen »entnaturalisiert« werden. Sexualität ist natürlich ein Thema der Erziehung, auch in der Schule. Aber sie muss person- und altersgerecht erfolgen und die Verantwortung für die Weitergabe des Lebens einbeziehen.

CNA: Ihnen geht es ja nicht nur um eine Problembeschreibung, sondern um Lösungen. Zuletzt zeigen Sie zwei klare Alternativen zu Gender auf. Die eine Alternative ist  das christliche Verständnis von Ehe und Familie, sagen Sie.  Gleichzeitig sind Sie zuversichtlich, dass Ehe und Familie auch diese Ideologie überstehen werden. Warum?

Manfred Spieker: Ehe und Familie sind von Gott geschaffene und geheiligte Lebensräume, die es bis heute in allen Kulturen und zu allen Zeiten gab. Gerade das Weihnachtsgeheimnis, dass Gott in einer Familie Mensch wurde, das wir in diesen Tagen feiern, bringt uns diese Wahrheit nahe. Die Ehe ist eine auf lebenslange Dauer und auf die Zeugung neuen Lebens angelegte geistige und leibliche Verbindung von Mann und Frau, die Familie eine Einheit verschiedener Geschlechter und Generationen. Wer das Glück sucht, schrieb Paul Kirchhof einmal, findet die Familie. Ehe und Familie sind bleibende Strukturen gelingenden Lebens, die kein Gender-Mainstreaming aufheben wird. Aber das Gender-Mainstreaming kann diese Strukturen beschmutzen, beschädigen und viel Leid verursachen. Deshalb ist Widerstand angezeigt – auch von Bischöfen, Priestern und katholischen Verbänden.

CNA: Die zweite Alternative, die Sie benennen, ist eine Sexualethik, welche das Geschlecht der Person integriert. Diese nennen Sie das »bestgehütete Geheimnis der Kirche«. Wie ist das zu verstehen?

Manfred Spieker: Die Enzyklika des seligen Papstes Paul VI. »Humanae Vitae« von 1968 und die Theologie des Leibes, die der heilige Papst Johannes Paul II. in den Generalaudienzen zwischen 1979 und 1984 ausgebreitet hat, sind Wegweisungen, die die Sexualität in die Person integrieren. Ihre Vermittlung in der Sexualerziehung und in der Pastoral haben manchen Katholiken zu einem glücklichen Ehe-und Familienleben verholfen. Aber sie werden in der Kirche und in der Theologie in Deutschland und in manchen anderen Ländern weitgehend ignoriert. Deshalb meine Formulierung vom »bestgehüteten Geheimnis« der Kirche, einem Geheimnis, dessen Enthüllung von vielen Verklemmungen befreien und auch gegen das Gender-Mainstreaming immunisieren würde. Die Gender-Theorie ist im Vergleich mit der leibfreundlichen Sexualethik der katholischen Kirche eine leibfeindliche Häresie.

CNA: Was würden Sie Gläubigen raten, die nun völlig verunsichert sind und sich Sorgen machen, sei es über ihre Kinder oder Enkel, oder über die Haltung ihres Bischofs?

Manfred Spieker: Sie sollen sich dieses Geheimnis aneignen und ihre Bischöfe und Priester bitten, dies ebenfalls zu tun.

Das 2015 erschienene Buch »Gender Mainstreaming in Deutschland: Konsequenzen für Staat, Gesellschaft und Kirchen« erscheint im neuen Jahr in einer zweiten, erweiterten Auflage im Ferdinand Schoeningh Verlag.

Zuerst erschienen auf de.catholicnewsagency.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klaus Reichel

Hallo Kati,

mit Ihrer Formulierung "Eine liebende Gottheit..." versuchen Sie zwar eine Diskussion in den Ansätzen abzuwürgen, indem Sie Ihre persönliche Meinung als Axiom einbringen. Ein solches Vorgehen ist aber sicher nicht förderlich. Wer sagt Ihnen denn, daß schwul oder lesbisch gottgewolltist?

Es gibt meines Wissens kein dafür verantwortliches Gen, weshalb ich auch die (diskutable) Behauptung in den Raum stelle, daß kein Kind schwul oder lesbisch geboren wird, sondern erst durch äußere Einflüsse wie Elternhaus, soziale Umgebung, Schule usw. dahin gebracht wird, seine "Veranlagung" zu entdecken. Ich denke, nicht umsonst outen sich gerade solche Personen als gleichgeschlechtlich liebend, die schon von klein auf unter Kontaktschwierigkeiten leiden. Sei es, daß sie ausgegrenzt werden (gemobbt) aus irgendwelchen Gründen, oder aufgrund von Enttäuschungen mit dem anderen Geschlecht. Würde hier den Rahmen allerdings sprengen.

Ich will nur noch kurz an eine Aktion von Schwulenverbänden an Münchner Schulen erinnern unter dem Motto: "Hast du keine Freundin, versuch's doch mal mit schwul!"

Gravatar: Kati

Zitat von oben:
,,Aber man muss unterscheiden zwischen der Bewertung der Homosexualität einerseits und der Achtung von Personen mit homosexueller Orientierung. Diesen Unterschied einzuebnen ist ein Ziel der Gender-Theorie, das auch in die »Sexualpädagogik der Vielfalt« Eingang gefunden hat. Homosexualität ist generationenblind und lebensfeindlich. Dies deutlich zu machen und zu kritisieren hat nichts mit Homophobie zu tun´!"

Es ist immer wieder erstaunlich wieviele Personen sich über Lesben und Schwule aufregen, als ob es sonst nichts zu tun gäbe. Über so viel Engstirnigkeit und Bereitschaft andere Menschen zu verurteilen findet man/frau keine Worte mehr!!! Ihr alle solltet Euch mal mit den wirklichen Problemen in unserem Land beschäftigen. Ich finde, dass ein großer Unterschied darin besteht, Mann und Frau als eine Person zu sehen, weil beide das nun mal nicht sind.
Lasst endlich Frauen Frauen lieben und Männer Männer lieben. Eine liebende Gottheit hätte diese Wünsche nicht in ihre Herzen gesenkt, wenn sie nicht gewollt wären.
Lasst Mann und Frau sich lieben wenn sie es wollen und glücklich sein, aber lasst die beiden mit dem Quatsch: ,,Eltern 1 und Eltern 2" in Ruhe- das ist auch für mich Blödsinn!

Gravatar: Gassenreh

Die beabsichtigte und bisher gut verborgene gesellschaftszerstörende Wirkung von Gender Mainstreaming wird sicher nicht gleich von allen bemerkt werden. Aber bald deutlich werden sollte, dass Gender Mainstreaming auch ein wenig ungesund für Frauen, Mütter und Kinder ist.
Zum Beispiel das durch die Gleichmacherei begünstigte Negieren bedeutsamer und dem Mann überlegener weiblicher Eigenschaften mit der Folge, dass häufig der Body nur noch wichtig und die an sich höhere weibliche Depressionsneigung noch gesteigert werden. Vergessen der -bei der gleich nach der Geburt geforderten beruflichen Selbstverwirklichung - für Sprach- und Kognitiventwicklung wichtigen frühkindlichen Mutterbindung (infolge des frühen flüssigkeitsgekoppelten Hörens des Foeten im Mutterleib) mit der Folge von Sprach-, Lese- und Rechtschreibstörungen durch Fremdbetreuung.
Probleme durch Cortisolausschüttung (gefährliches Stresshormon) und Schlafmangel mit entsprechendem Wachstumshormonmangel von Krippenkindern mit Hippocampusminderung (Lernmaschine des Gehirns).
Erschreckende Zunahme von Depressionen auch bei Kindern und Jugendlichen.
[siehe „Kinder – Die Gefährdung ihrer normalen (Gehirn-) Entwicklung durch Gender Mainstreaming“ in: „Vergewaltigung der menschlichen Identität. Über die Irrtümer der Gender-Ideologie, 6. Auflage, Verlag Logos Editions, Ansbach, 2015: ISBN 978-3-9814303-9-4 (http://www.amazon.de/Vergewaltigung-menschlichen-Identität-Irrtümer-Gender-Ideologie/dp/3) und „Es trifft Frauen und Kinder zuerst – Wie der Genderismus krank machen kann“, Verlag Logos Editions, Ansbach, 2015: ISBN 978-3-945818-01-5 (http://www.amazon.de/trifft-Frauen-Kinder-zuerst-Genderismus/dp/394581801X)

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